Titel: | Die Ausbreitung und der Weg der Radiowellen. |
Autor: | E. Gendriess |
Fundstelle: | Band 340, Jahrgang 1925, S. 156 |
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Die Ausbreitung und der Weg der
Radiowellen.
Von Dipl.-Ing. E. Gendriess, Kiel.
GENDRIESS, Die Ausbreitung und der Weg der Radiowellen.
Durch seine weltberühmten Versuche hat Heinrich Hertz den Nachweis erbracht, daß
die elektrischen Wellen den Lichtwellen wesensgleich sind. Sie lassen sich also
genau wie die Lichtstrahlen beugen und reflektieren und pflanzen sich auch
geradlinig in den Raum fort. Solange man in der Funkentelegraphie nur auf kurzen
Entfernungen arbeiten konnte, war man mit diesem Beweis zufriedengestellt. Aber als
die Reichweite der Sender immer größer wurde und funkentelegraphische Zeichen sogar
um die halbe Erde herumgeschickt werden konnten, tauchte auf einmal die Frage auf,
wie es möglich wäre, daß die sich geradlinig ausbreitenden Radiowellen um die
Erdkugel herumgekrümmt werden. Es zeigte sich bei der Bearbeitung dieses Problems,
daß sich die Ausbreitung der elektrischen Wellen mathematisch außerordentlich schwer
verfolgen und sich vor allen Dingen so gut wie gar nicht kontrollieren läßt. Man war
lediglich auf Beobachtungsmaterial angewiesen, nach dem man empirisch
Annäherungsformeln aufstellte, im übrigen aber gezwungen, Mutmaßungen Raum zu geben.
Infolgedessen gibt es augenblicklich noch keine begründete Erklärung. Dafür liegen
aber von Seiten verschiedener Forscher und Gelehrten eine ganze Reihe von
Erklärungsversuchen vor. Wenn es auch nur Annahmen sind, die sich samt und sonders
auf Beobachtungen stützen, so ist doch wenigstens der Zweck erreicht, daß die
Radiotechnik die notwendige Arbeitsgrundlage hat.
Die Ansicht des kürzlich verstorbenen Physikers Heaviside ist wohl diejenige, die am
weitesten verbreitet und auch am leichtesten verständlich ist. Heaviside nimmt an,
daß sich rings um die Erdkugel herum in einer Höhe von etwa 100 bis 200 km eine
leitende elektrische Schicht befindet, die die Erde vollständig umhüllt. Sendet die
Antenne einer Funkenstation elektrische Wellen aus, so pflanzen sich diese nach
allen Richtungen geradlinig in die Atmosphäre hinein fort. Trifft dann ein
Wellenstrahl auf jene Schicht, die „Heaviside-Schicht“ genannt wird, so
erfolgt an dieser eine Reflexion des Strahls, der damit seinen Weg wieder zur Erde
nehmen muß. Nun kannman aber annehmen, daß auch die Erdoberfläche mehr oder
weniger leitend ist. Dies bedeutet, daß die an der Erdoberfläche auftreffenden
Wellen von dieser abermals zurückgespiegelt werden, zur. Schicht gelangen, dort
wieder reflektiert werden und so fort (Bild 1). Auf
diese Weise werden alle Wellen in dem durch die Erde und die Heaviside-Schicht
gebildeten Hohlraum um die Erdkugel herum geleitet. Die leitende Schicht ist nicht
als feststehend anzusehen; sie liegt am Tage infolge des Einflusses der Ionisation
durch die Sonnenstrahlen tiefer als in der Nacht. Auch elektrisch geladene
Luftschichten sind nicht ohne Wirkung auf ihre jeweilige Lage.
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Abb. 1. Die Ausbreitung der Radiowellen nach Heaviside.
Den Astrophysiker T. I. See haben zwei Beobachtungen zu einem anderen
Erklärungsversuch veranlaßt. Auf Grund der einen Beobachtung, daß man nämlich
funkentelegraphische Zeichen und auch Rundfunkdarbietungen in tiefen Schächten im
Erdinnern abgehört hat, nimmt er an, daß sich die Radiowellen nicht allein durch die
Luft, sondern auch durch die Erde, also tatsächlich nach allen Richtungen geradlinig
ausbreiten. Er behauptet weiter, daß die durch die Erde gehenden Strahlen durch den
Erdwiderstand verzögert werden, und beweist diese Erscheinung mit der zweiten
Beobachtung: Man hat bei Messungen der Geschwindigkeit der elektrischen Wellen in
zwei Versuchen, die zeitlich und örtlich voneinander getrennt waren und zwischen
amerikanischen und mitteleuropäischen Stationen stattfanden, festgestellt, daß sie
um 10 bis 15 v. H.
kleiner als die Lichtgeschwindigkeit ist. Die durch die Erde gegangenen Strahlen
nehmen nun nach der Ansicht I. See's beim Austritt aus der Erde bei B (Bild 2) ihren Weg nicht geradlinig nach C, sondern
werden nach D gebrochen, wie es stets der Fall ist, wenn ein Wellenstrahl von einem
Mittel in ein zweites mit anderer Dielektrizitätskonstante übergeht. Infolge der
Verzögerung in der Erde ist der zu der Kugelwelle gehörende Teil, der sich durch die
Luft ausgebreitet hat, vorgeeilt, so daß die Wellenfront deformiert ist. Mit dem
Punkt A ist nicht C, sondern B zeitgleich. Die Front ist so zurückgebogen, daß sie
im Austrittspunkte B senkrecht zur Austrittsrichtung B–D, steht. Damit läuft jede
Welle an der Erdoberfläche in der für den Empfang günstigsten Stellung entlang und
folgt auf diese Weise der Erdkrümmung. Hat sie den Antipodenpunkt erreicht, dann
überkräuselt sie sich und bricht zusammen, genau so wie bei Wasserwellen am flachen
Strande, wo die Spitze der Welle gegenüber der Basis eine größere Geschwindigkeit
hat, die Form der Welle sich dabei ändert und jene bekannte Erscheinung der Brandung
mit den überstürzenden Wellen hervorgerufen wird.
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Abb. 2. Die Ausbreitung der Radiowellen nach T. I. See.
Als der Rundfunkdienst der Telephoniesender, die mit ungedämpften Wellen von 200 bis
2000 m Wellenlängt arbeiten, aufgenommen und Amateuren die Erlaubnis, Sendeversuche
mit kurzen Wellen anzustellen, erteilt wurde, machte man auf einmal Beobachtungen,
die die bisherigen Anschauungen über die Ausbreitung der elektrischen Wellen
gewaltig erschütterten. Beispielsweise machte man bezüglich der Reichweite die
Erfahrung, daß die Empfangsintensität nicht mehr der bis dahin gültigen Formel I =
1/r folgt, also nicht mehr umgekehrt proportional der Entfernung ist, sondern daß
sie bei mittleren Entfernungen schwankt, ganz und gar oder auch nur zeitweilig
aussetzt und bei größeren Entfernungen wieder konstant und meistens sogar noch
stärker ist, als sich nach vorstehender Formel errechnen läßt. Ferner zeigte sich
beim Arbeiten mit kurzen Wellen, daß die günstigsten Sende- und Empfangsergebnisse
nur dann erzielt werden können, wenn die Luftleitergebilde eine bestimmte Form und
Stellung zur Erde aufweisen und anders als bisher erregt werden. Während man schon
vorher trotz der überaus klaren Anschauung über die Heaviside-Schicht Ursachen und
Gründe für so manche Erscheinungen nicht angeben konnte, traten jetzt noch mehr
Rätsel hinzu, so daß nunmehr das Vorhandensein einer reflektierenden Schicht
angezweifelt wurde.
Ein neuerdings von A. Meißner aufgestellter Erklärungsversuch beweist, daß sich in
der Tat die Ausbreitung der Radiowellen ohne die Heaviside-Schicht darstellen läßt.
Die Arbeiten des Münchener Professors Sommerfeld, der sich als einer der ersten mit
demProblem der Strahlungsausbreitung beschäftigt hat, liegen dieser Erklärung
zugrunde. Nach seiner Ansicht sind die Verhältnisse beim Aussenden elektrischer
Wellen die gleichen wie bei Erdbeben. Hier breiten sich vom Erdbebenzentrum nach
allen Richtungen schwingungsartige Erschütterungen aus, die man Raumwellen nennt. In
der Folge stellen sich Erschütterungen ein, die an der Erdoberfläche entlanglaufen
und die gleichen Stoßmaxima aufweisen. Diese Erschütterungen heißen
Oberflächenwellen. In den Aufzeichnungen der Seismographen sind die beiden
Wellenarten gut zu unterscheiden, weil sie verschiedene Schwingungszahlen haben. Man
nimmt nun an, daß bei der Ausstrahlung elektrischer Wellen ebenfalls Raum- und
Oberflächenwellen vorhanden sind. Es ist Sommerfeld sogar gelungen, die Existenz von
Oberflächen-Radiowellen mathematisch nachzuweisen, allerdings unter der
vereinfachenden Annahme, daß die Erde eine große Ebene ist. Die Hypothese
Sommerfelds hat Meißner folgendermaßen weiter ausgebaut.
Das Aussenden von Oberflächenwellen oder von Raumwellen ist durch die Art, wie die
strahlende Antenne erregt ist, bestimmt. Schwingt sie in 14 Wellenlänge – das ist
der Fall, wenn auf langen Wellen gearbeitet wird – dann breiten sich die
elektrischen Wellen als Oberflächenwellen aus. Denn da die Hauptstrahlungsrichtung
so erregter Antennen vornehmlich parallel zur Erdoberfläche ist, müssen auch die
ausgesandten Wellen dieser Richtung folgen. Sie pflanzen sich längs der
Trennungsfläche Erde-Luft fort und stehen, wenn man sich die eine Hälfte einer Welle
durch die Luft gehend, die andere durch die Erde gehend denkt, mit ihren Füßen
gewissermaßen immer auf dem Erdboden (Bild 3).
Erleidet die eine Wellenhälfte Energieverluste, so sorgt die andere sofort für einen
Ausgleich der Verhältnisse, mit anderen Worten, die Erdoberfläche liegt stets in der
Mitte der Welle, die Oberflächenwellen folgen also der Erdkrümmung.
Textabbildung Bd. 340, S. 156
Abb. 3. Oberflächenwellen.
Raumwellen werden ausgestrahlt, wenn eine Antenne in einer ganzen Wellenlänge
schwingt. Bei diesen Antennen ist nämlich die Hauptstrahlungsrichtung eine andere;
sie liegt in einem Winkel von etwa 30°, von der Erdoberfläche gerechnet (Bild 4). Infolgedessen sind die ausgesandten Wellen
gezwungen, ihren Weg durch die Luft zu nehmen. Bei ihnen greifen keine Kraftlinien
zur Erde über (Bild 5), sie sind damit den
Erdeinflüssen nicht unterworfen. Die Frage ist aber noch offen, wie diese Raumwellen
um die Erdkugel herum kommen. Rechnet man mit einer nur etwas höheren
Dielektrizitätskonstante, wie sie die Luft hat, so ist eine Beugung der Raumstrahlen
durch das Dielektrikum zu erklären. Nach anderen Berechnungen würde auch bereits der
Wasserdampfgehalt der Luft zu einer Beugung ausreichen. Vielleicht wirkt beides
zusammen. Ausgeschlossen sind diese Annahmen nicht, kann man doch in der Optik ganz
ähnliche Erscheinungen beobachten, z.B. sind dafür die Refraktionen,
Luftspiegelungen, Sehen auf große Entfernungen (über 700 km) usw. zu nennen.
Die Verteilung der beiden Strahlenarten auf die einzelnen Wellenlängen ist
folgendermaßen zu denken: Reine Oberflächenstrahlung ist bei den ganz langen Wellen
von 8 bis 20 km vorhanden. Reine Raumstrahlung tritt auf beim Arbeiten mit
Wellenlängen, die kleiner als 50 m sind. Im Zwischenbereich von 50 bis 8000 m werden
beide Wellenarten ausgestrahlt und zwar um so mehr Raumwellen, je kürzer die
Wellenlänge ist. Entsprechend ist auch die Verteilung der Sende-Energie anzusehen.
Auf die Oberflächenwellen wirken energieverzehrend hauptsächlich die
Bodenverhältnisse ein, doch sind auch atmosphärische Einflüsse und am Tage die
Absorptionen durch die ionisierten Luftschichten wohl zu verspüren, aber um so
weniger, je länger die benutzte Welle ist.
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Abb. 4. Die Strahlung einer Kurzwellen-Antenne.
Die Empfangsintensität nimmt mit großer Gleichmäßigkeit
langsam mit der Entfernung ab, so daß man leicht schon im voraus berechnen kann,
welche Reichweiten sich bei einer bestimmten Sendeleistung erzielen lassen. Arbeitet
man mit ganz kurzen Wellen, so ist die Reichweite am Tage äußerst gering, in der
Nacht dagegen erstaunlich groß. Das ist auf Grund der Anschauung, daß hier nur
Raumwellen ausgesendet werden, leicht zu erklären. Am Tage ist nämlich die Energie
dieser durch die Luft gehenden elektrischen Wellen in den Ionenschichten der
Atmosphäre sehr schnell absorbiert.
Textabbildung Bd. 340, S. 157
Abb. 5. Raumwellen.
In der Nacht, wo alle Einflüsse durch die Sonnenstrahlen
verschwunden sind, erleiden die Raumwellen auf ihrem Wege so gut wie keine
Energie-Einbuße. Da auch die Erde keine Wirkung ausübt, können sie sich also fast
ungehindert bis in die fernsten Gegenden ausbreiten. Ein besonderes Kapitel bilden
die Ergebnisse beim Empfang auf Wellenlängen des Zwischenbereichs, namentlich auf
Wellenlängen von 50 bis 2000 m. Die Reichweite ist hier am Tage nicht groß; in der
Nacht sind aber in den verschiedenen Entfernungen vom Sender merkwürdige
Empfangserscheinungen zu beobachten. Bei kleinen und ebenso auch bei ganz großen
Entfernungen ist sehr gut abzuhören. Die Empfangsintensität istvon
gleichbleibender Stärke. Bei mittleren Entfernungen dagegen stellen sich
Schwankungen in der Lautstärke ein (Fading-Effekt), die einen regelrechten Empfang
wenn auch nicht ganz unmöglich machen, so doch mindestens sehr erschweren und
stören. In manchen Gegenden setzt der Empfang sogar vollständig aus (stille Zonen).
Auch diese Erscheinungen lassen sich alle durch die Theorie der Ausbreitung von
Oberflächen- und Raumwellen erklären. Wie schon vorher auseinandergesetzt ist,
werden beim Arbeiten auf 50 bis 2000-m-Wellen beide Strahlenarten gleichzeitig
ausgesendet. Die Reichweite ist am Tage deshalb so gering, weil die Energie der
Raumwellen in den ionisierten Luftschichten schnellstens absorbiert und der andere
Teil der Sende-Energie, der in den Oberflächenwellen steckt, ebenfalls durch
Ionisation und dazu noch durch die Bodeneinflüsse rasch aufgezehrt wird. In der
Nacht sind die Ausbreitungsverhältnisse ganz anders. Hier pflanzen sich Oberflächen-
und Raumwellen zunächst ungehindert fort. Auf kurzen Entfernungen ist denn auch ein
guter Empfang zu verzeichnen. Im weiteren Verlaufe der Ausbreitung haben beide
Wellen, die doch voneinander getrennte Wege nehmen – die Oberflächenwellen auf der
Trennlinie Erde-Luft, die Raumwellen durch die Atmosphäre – auf ihren Wegen
verschiedene lokale Hindernisse usw. zu überwinden jede Wellenart ist damit anderen
Absorptionen unterworfen und kann auch an solchen Stellen unter Umständen in ihrem
Vordringen aufgehalten werden. Dies bedeutet, daß sich die Phasen der beiden Wellen
dann gegeneinander verschieben und dadurch Additionen und Auslöschungen der
Amplituden auftreten. Es bilden sich also Interferenzen aus, die als die Ursache der
Schwankungen der Empfangsintensität anzusehen sind. Da die Oberflächenwellen wegen
der Absorptionen im Erdboden einer ständigen Energieverminderung ausgesetzt sind,
werden auch ihre Amplituden immer kleiner und kleiner. Sind sie genau so groß wie
die der Raumwellen geworden, so ist die Empfangsintensität bei Phasenverschiebungen
von annähernd 180° an jenen Stellen Null, d.h. es ist dort kein Empfang möglich. Bei
hoch größer werdender Entfernung treten wieder die Schwankungen in der Lautstärke
auf, weil nunmehr die Energie der Raumwellen überwiegt, bis schließlich bei sehr
großen Entfernungen die Energie der Oberflächenwellen völlig absorbiert und nur noch
die Raumstrahlung übriggeblieben ist. Die Empfangsintensität wird dabei wieder
konstant. Bei reiner Strahlung sind demnach Lautstärkeschwankungen wegen der
Unmöglichkeit, daß sich Interferenzen ausbilden, nicht zu erwarten. Das deckt sich
auch mit den Erfahrungen in der Praxis, wo man beim Empfangen auf sehr langen Wellen
(reine Oberflächenstrahlung) und ebenso auf ganz kurzen Wellen (reine Raumstrahlung)
gleichfalls einen Fading-Effekt nicht beobachtet hat.
Wie man sieht, lassen sich die verschiedenen Empfangserscheinungen durch die
Anschauung, daß sich die elektrischen Wellen als Oberflächen- und Raumwellen
ausbreiten, sehr gut erklären. Auffallend ist, daß manche Beobachtungen, die man
beim Arbeiten auf den einzelnen Wellenlängen gemacht hat, geradezu für die
Wahrscheinlichkeit dieser Ansicht sprechen. Da aber auch die Heaviside-Schicht noch
von vielen Seiten angeführt wird, muß also die Zukunft entscheiden, welche Erklärung
die richtige ist.