Titel: | Eis- und Kältetechnik in einem Halbjahrhundert. |
Autor: | Landgraeher |
Fundstelle: | Band 340, Jahrgang 1925, S. 188 |
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Eis- und Kältetechnik in einem
Halbjahrhundert.
Eis- und Kältetechnik in einem Halbjahrhundert.
Die veralteten Systeme der offenen und geschlossenen Kaltluftmaschinen wurden
durch die Kompressionsmaschinen abgelöst, die heute unstreitig die wichtigsten
Kältemaschinen sind. Diese leisten auf eine ind. PS etwa 3500 Cal, während die
offenen Kaltluftmaschinen günstigenfalls nur 400 Cal und die geschlossenen 800 Cal
pro PS erzielten.
Vor ungefähr 50 Jahren begann v. Linde, unser Altmeister der Kältetechnik, sich mit
dem Problem der mech. Kältetechnik zu beschäftigen. Er war s. Zt. Vorstand des
Konstruktionsbureaus der damals neugegründeten Lokomotivfabrik von Krauß in München.
Bald darauf übernahm er eine Professur für theoretische Maschinenlehre am dortigen
Polytechnikum. Ausgehend von der mechanischen Wärmetheorie führten ihn seine Studien
zur Erkenntnis der mechanischen Kälteerzeugung. Diese wiederum und seine Versuche,
behufs Vervollkommnung der bereits vorhandenen Eismaschinen führten ihn zur
Erfindung der Lindeschen Kältemaschine. Einige Zeit später wurde zur Auswertung
seiner Erfindung mit Unterstützung des Besitzers der Spatenbrauerei, dem „alten
Sedlmayer“, und dem Chef der Krauß'schen Fabrik, Georg Krauß, die
„Gesellschaft für Lindes Eismaschinen“ ins Leben gerufen. Linde übernahm
im Jahre 1879, nachdem er seine Professur niedergelegt hatte, selbst die Leitung
dieser Gesellschaft, die in Wiesbaden ihren Sitz hatte. Gestützt auf ein
hervorragendes Organisationstalent und eine erstaunliche Sicherheit in der
praktischen Erkenntnis führte er das Unternehmen zu Achtung gebietender Höhe sowie
zu nie geahnter Erweiterung der Anwendung künstlicher Kälte. Seine Maschinen und
sein System sind heute auf der ganzen Welt verbreitet.
Seit dem Erscheinen der ersten Ammoniak-Kompressionsmaschinen nach Linde'schem System
sind bisin die Neuzeit umwälzende Aenderungen nicht eingetreten.
Das Kältegas ist entweder Ammoniak oder Kohlensäure. Als eine der größten Eisfabriken
der Welt dürfte wohl die der Stadt Wien gelten, die seit etwa 25 Jahren besteht. Der
tägliche Wasserverbrauch zur Eiserzeugung beträgt 1600000 Liter.
Die Kältetechnik spielt heute in der Weltindiustrie eine hervorragende Rolle.
Kältemaschinen und Kühlhäuser sind Einrichtungen im Wirtschaftsleben geworden, die
nicht mehr zu missen sind. Beruht doch die Frischhaltung der wertvollsten
Nahrungsmittel und die Konservierungstechnik größtenteils auf der Anwendung
künstlicher Kälte. Der modernen Kältetechnik ist es gelungen, einen solchen
Höhepunkt an Wirtschaftlichkeit und Sicherheit des Kühlbetriebes zu erklettern, daß
frühere Bedenken gegenstandlos geworden sind. Der Kühlvorgang vermag die Ware in
ihrer ursprünglichen Beschaffenheit und Güte zu erhalten.
Die Kühlanlagen der Brauereien, Schlachthöfe, Markthallen, Fischlager, Molkereien,
Schokoladenfabriken, Weinkeltereien usw. sind alles Erzeugnisse der Lindeschen
Erfindung. Von ebenso großer Bedeutung dürfte die Versorgung mit überseeischem
Gefrierfleisch sein. In den Vereinigten Staaten werden alljährlich 15 Millionen
Tonnen Eis im Werte von 250 Millionen Mark für Kühltransporte verbraucht. England,
das sich früher gegen das lebende argentinische Vieh ausgesprochen hat, ist der
Hauptabnehmer des gefrorenen argentinischen Fleisches. Seit Jahrzehnten bildet das
Gefrierfleisch nahezu die einzige Fleischnahrung der großen Massen in England. In
Deutschland war es bis zum Kriege kaum bekannt. Im Jahre 1923 betrug die Einfuhr
bereits 56 Millionen Kilogramm. Heuer dürfte der Gefrierfleischkonsum
schätzungsweise 100000000 Kilogramm betragen. Die Hamburger Fleischeinfuhrgesellschaft A.-G. hat
neuerdings einen eigens hierfür geeigneten Kühlleichter herstellen lassen. Mit ihm
werden die zu Wasser erreichbaren Inlandslager der Städte Berlin, Dresden, Breslau
mit Ueberseefleisch versorgt.
Mit dem bisher Erwähnten ist aber die Reihe der Erfolge, die v. Linde seit seiner
Erfindung erzielte, noch nicht vollzählig. Erwähnenswert ist die Anwendung der
Kältetechnik im Bergbau insonderheit auf dem Gebiet des Schachtbaues unter
schwierigen Verhältnissen. Während man früher zum Abteufen eines Schachtes durch
lockeres Tertiär von etwa 100 m zwanzig Jahre benötigte, stellt man ihn heute
mittels Gefrierverfahrens in höchstens ½ Jahre fertig. Früher wagte man sich nicht
über Frosttiefen von 100 m hinaus. Heute teuft man nach dieser Methode Schächte bis
600 m und mehr ab.
Von dem Umfang der Eismaschinenanlagen, die hierzu notwendig sind, bekommt man einen
Begriff, wenn man bedenkt, daß für mittlere Brauereien Kühlanlagen mit etwa
10000–20000 neg. WE (Frigorien) benötigt werden, während für die tieferen
Gefrierschächte solche von etwa 3000000 Frigorien stündlich in Frage kommen. Hier
wird die Salzlösung in den Eisgenratoren nicht nur bis auf – 8° C sondern bis – 28°
C und beim Tiefkälteverfahren sogar bis auf – 50° und – 55° C abgekühlt. Anfänglich
nahm man zur Kälteerzeugung Schwefl. Säure, während heute, wo sie alle nach dem
Linde'schen Verfahren arbeiten, entweder Kohlensäure oder Ammoniak Verwendung
findet. Statt des Salzwassers als Kälteträger nimmt man Chlorcalzium und auch wohl
Chlormagnesiumlauge. Ein Gefrierschacht von 550 m kommt auf etwa 7 Millionen Mark
und dauert bis zur Fertigstellung 4 bis 4½ Jahre.
In der industriellen Erzeugung von sog. Tiefkälte ist man neuzeitlich so weit
fortgeschritten, das selbstgesättigte Laugen in tieferen Erdschichten
ausgefroren werden können. Derartige Gefriermaschinenanlagen unterscheiden sich von
den allgemein üblichen dadurch, daß der Kälteerzeuger (Kohlensäure) mittels
Stufenkompression in Nieder- und Hochdruckkompressoren verdichtet wird. In den
ersteren findet eine Pressung auf 25–30 at und in den letzteren eine solche bis auf
80 at statt. Außer von der ersten eingangs genannten „Gesellschaft für Lindes
Eismaschinen“ werden heute Kühlanlagen von einer großen Anzahl derartiger
Fabriken hergestellt.
Neuerdings hat die technische Schule in Skandinavien 50000 Kronen gestiftet zur
Unterstützung zweier Studenten, die eine neue Kühlmaschine erfunden haben. Ein
Holländer, van Kamerbeel, hat inzwischen eine neuartige Erfindung auf den Markt
gebracht, die im wesentlichen darin besteht, Kühlvorrichtungen ohne Kompressoren und
andere bewegliche Armaturen zu betreiben. Ferner soll dieser Kühlprozeß den Vorteil
bieten, die drei Hauptbestandteile voneinander getrennt an verschiedenen Stellen
unterzubringen. Zwei Amerikaner, Josephson und Shade haben eine neue Gefriermethode
erfunden, die vornehmlich für Warentransporte infolge geringer Raumbeanspruchung in
Frage kommt. Hierbei wird zu Eis gefrorene feste Kohlensäure in Blockform und mit
einer Temperatur von mehr als – 80 °C in Gefäße (Tuben) mit einer regulierbaren
Austrittsöffnung verpackt. Derartige Tuben mit Kohlensäuren werden z.B. in Kühlwagen
untergebracht. Das entweichende kalte Kohlensäuregas preßt die vorhandene Luft nach
Bedarf heraus, wodurch eine Bakterien tötende Atmosphäre in dem betreffenden Raum
erzeugt wird. Die Temperatur kann auf jede erforderliche Höhe bis zu – 80° C
reguliert und auf weite Strecken unverändert beibehalten werden. Dieser
Kohlensäureschnee hat gegenüber dem gewöhnlichen Eis infolge der langsamen
Verdunstung eine zehnmal stärkere Wirkung. Seine Herstellung erfolgt auf
mechanischem Wege.
Landgraeher.