Titel: | Städteheizung. |
Autor: | Parey |
Fundstelle: | Band 340, Jahrgang 1925, S. 211 |
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Städteheizung.
Städteheizung.
Das Bestreben unserer heutigen Wärmewirtschaft läuft darauf hinaus, möglichst
viele unwirtschaftlich arbeitende Klein-Anlagen zur Wärme-Erzeugung
zusammenzufassen. Am unwirtschaftlichsten arbeiten nun bekanntlich die
Wärme-Erzeugungsanlagen in den Haushaltungen, also unsere Oefen, und es liegt daher
der Gedanke nahe, die Städte wie mit Gas, Wasser und Elektrizität so auch mit Wärme
von einer Zentrale aus zu versorgen. Die Vorzüge einer solchen zentralen
Wärmeversorgung, einer Städteheizung, liegen offen: Bei dem einzelnen
Wärmeverbraucher kommen in Wegfall die Kosten für die Bedienung, für Kohlenzufuhr
und Aschenabfuhr. Die Fernheizung bedeutet größte Bequemlichkeit, denn es kann
jederzeit ohne Vorbereitungen geheizt werden. Die Staub- und Rußplage in den Städten
wird vermindert durch den Fortfall vieler einzelner Heizstellen und durch die
Verringerung der Kohlen- und Aschetransporte innerhalb der Stadt. Anschlußfähig sind
ohne allzu große Umänderungen alle Häuser mit Zentralheizung; Häuser mit Ofenheizung
bedürfen selbstverständlich des Einbaus von Rohrleitungen und Heizkörpern, wie sie
von den Zentralheizungen her bekannt sind.
Die ältesten Erfahrungen über Städteheizung liegen in Amerika vor, wo bereits im
Jahre 1878 eine Heizanlage für 14 Abnehmer mit gutem Erfolg gebaut wurde.
Merkwürdigerweise weichen die Betriebsarten der amerikanischen Städte-Heizwerke
wesentlich von einander ab. So haben z.B. von 57 in einer Statistik aufgeführten
Zentralen 40 Dampf und Wasser, 17 nur Wasser als Wärmeträger. Die Dampfdrücke liegen
zwischen 0,15 und 7 at. Das erste deutsche Städteheizwerk dürfte das 1900 in Dresden
erbaute sein; es wurdezwar mit deutscher Gründlichkeit, infolgedessen aber auch
mit sehr teuren Mitteln gebaut und erwies sich dadurch als nicht sehr
wirtschaftlich. Das mag einer der Gründe dafür sein, daß es über 20 Jahre gedauert
hat, bis man in Deutschland den Bau von Städteheizwerken in größeren Ausmaßen
aufnahm.
Es sei hier darauf hingewiesen, daß sich die Städteheizung in ihrer Betriebsform
wesentlich unterscheidet von den bekannten Zentralheizwerken für Krankenhäuser,
Industrieanlagen usw. Während man es im letzteren Fall mit Abnehmern zu tun hat,
deren Wärmeverbrauch ziemlich konstant ist, zumal sehr häufig das Heiz werk auf die
Menge oder zeitliche Verteilung der Wärmeabnahme Einfluß ausüben kann, fallen diese
Faktoren bei den Städteheizungen fort. Genau wie bei anderen Zentralversorgungen –
Wasser, Elektrizität – treten Belastungsspitzen auf, denen das Werk gewachsen sein
muß. Die erforderliche Wärmemenge läßt sich nicht in dem Maße voraussehen wie in
einem abgeschlossenen Betrieb, dessen Bedarf aus der Erfahrung mit ziemlicher
Genauigkeit vorausgesagt werden kann. Hinzukommt, daß die Leitungslängen bei
Städteheizungen viel größer zu sein pflegen als bei Betriebs-Fernheizwerken.
Infolgedessen machen sich Druck- und Wärmeverluste viel stärker bemerkbar.
Schließlich sei noch hingewiesen auf die bei Städteheizungen sich ergebende
Notwendigkeit, den Wärmeverbrauch der Abnehmer auf einfache und zuverlässige Weise
zu messen, eine Aufgabe, die nicht ganz leicht zu lösen war.
Es ist zu begrüßen, daß in der V.d.I.-Zeitschrift (Heft 27/1925) in einer Arbeit von
H. Schilling, Barmen, die Bau- und Betriebserfahrungen mitgeteilt werden, die mit
dem Barmer Städteheizwerk gemacht sind. Die nachstehenden Angaben beziehen sich im
wesentlichen auf diese Arbeit.
Für den wärme wirtschaftlich geschulten Ingenieur liegt der Gedanke am nächsten, daß
man den Abdampf elektrischer Zentralen oder ähnlicher Kraftwerke zur Städteheizung
verwendet. Allerdings besteht dann die nicht leichte Aufgabe, die Verteilung von
Strom- und Wärmebedarf möglichst in Einklang zu bringen. Dies erweist sich aber oft
als so schwierig, daß z.B. der Direktor des Kraft- und Heizwerkes in St. Louis
ausgesprochen hat, die amerikanischen Sachverständigen wären sich darüber einig, daß
zur Städteheizung am zweckmäßigsten Hochdruckdampf zu verwenden sei, und zwar
getrennt von der Erzeugung elektrischer Energie. Das Barmer Heizwerk ist ein
Frischdampfheizwerk; es beweist, daß auch unter deutschen Verhältnissen ein Heizwerk
wirtschaftlich arbeiten kann, ohne daß es vorher seinen Dampf in Kraftmaschinen
arbeiten läßt. Aber trotzdem braucht m. E. das Urteil des amerikanischen Fachmannes
nicht als unbedingt maßgebend für deutsche Verhältnisse angesehen zu werden. Denn
die wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen man in Amerika arbeitet, sind doch
ganz andere als die unsrigen, besonders jetzt nach dem Kriege. Das beweist schon die
Tatsache, daß wir in Deutschland viel mehr Gewicht auf die Wärmewirtschaft legen als
die Amerikaner. Außerdem ist uns die Aufgabe, Belastungsspitzen herabzusetzen, nicht
unbekannt, bildet sie doch eine der Hauptgrundlagen unserer
Groß-Elektrizitätsversorgung. Auch bei der Fernheizung ließe sich durch ähnliche
Mittel – Anschluß von Verbrauchern mit zeitlich günstig liegendem Bedarf,
Sondertarife für bestimmte Tageszeiten usw. – eine gewisse Angleichung des
Wärmebedarfes an den Strombedarf erzielen, so daß durch Abdampfheizung die höchste
Wirtschaftlichkeit gegeben ist. Der Höchstdruckdampf-Technik steht also hier wohl
eine große Aufgabe bevor, denn sie ermöglicht ja erst, mit hohem Abdampfdruck in das
Rohrnetz der Stadt zu gehen.
Die Rohrleitung stellt dem Ingenieur besondere Aufgaben, denn sie soll bei höchstem
Schutz gegen Wärmeverluste möglichst geringe Anlagekosten erfordern. Es haben sich
hierfür Sonder-Bauarten ergeben, die im Nachstehenden beschrieben werden sollen.
Die Verbindungsstellen der einzelnen Rohrstücke werden am zweckmäßigsten geschweißt.
In bestimmten Abständen sind Ausgleichsstücke anzuordnen, die die Wärmedehnungen
aufnehmen; am meisten bewährt haben sich Ausgleichbogen, zwischen denen die
Rohrleitung verschiebbar gelagert ist. Da die Ausgleichbogen aber viel Platz
erfordern, hat man in Barmen für unterirdisch verlegte Leitungen eine andere Lösung
gewählt, indem man in Abständen von etwa 6 m linsenförmige Ausgleichstücke aus
gewelltem Stahlblech anordnet. Die ganze Rohrleitung liegt in einem in Rohrmitte
horizontal geteilten Isolierkanal, der aus einzelnen Stücken zusammengesetzt wird.
Die Linsen-Ausgleichstücke dienen zugleich als Auflager des Rohres. Eine weitere
verschiebbare Lagerung zwischen den Ausgleichstücken ist nicht erforderlich, da die
Abstände nur gering sind, das Rohr also frei liegen kann. Alis weiterer Vorteil der
kurzen Abstände zwischen den Ausgleichstücken ergibt sich, daß jedes Ausgleichstück
nur einen geringen Schub aufzunehmen braucht. Ausgleichstopfbüchsen, die großen
Schub aufnehmen können, haben sich nicht bewährt, da sie leicht undicht werden.
Wird Dampf als Wärmeträger benutzt, so lassen sich sowohl Dampf- wie
Warmwasserheizungen leichtanschließen. Bei ersterem wird der Dampf durch ein
Druckminderventil auf etwa 0,1 at entspannt; bei Warmwasserheizungen erfolgt die
Wärmeübertragung vom Dampf an das Wasser meist in einem Gegenstrom-Apparat, den der
Dampf mit etwa 0,5 at Spannung durchströmt.
Zur Abscheidung des Kondenswassers aus dem Dampf vor Eintritt in die Gebäude ist in
Barmen eine besondere Schaltung ausgebildet worden, indem das. Hochdruckkondensat in
die Niederdruck-Dampfleitung eingeführt wird, wo es verdampft und seinen Wärmeinhalt
nutzbar abgibt.
Die Messung des Wärmeverbrauchs der einzelnen Abnehmer erfolgt meistens durch Messen
des Kondenswassers. Dies Verfahren hat den Vorzug, daß es eine fortlaufende Zählung
der Wärmemengen ermöglicht, ähnlich wie die Zähler für Elektrizität, Gas usw. Die
bisher bekannten registrierenden Dampfmesser sind für diesen Zweck nicht brauchbar,
da ihre Diagramme planimetriert werden müssen. Das ist aber in einem Zentralbetrieb
mit vielen Abnehmern natürlich undurchführbar. In Barmen sind jetzt Dampfzähler in
Betrieb, die direkt die Dampfmenge in Tonnen oder sogar die Wärmemenge direkt in
Wärmeeinheiten auch bei überhitztem Dampf zählen. Leider sind diese Apparate in der
oben genannten Arbeit nicht beschrieben.
Das aus den einzelnen Verbrauchstellen zurückfließende Kondenswasser wird nach
Möglichkeit zum Heizwerk zurückgeleitet. Die günstige Lage, daß es durch natürliches
Gefälle zurückfließt, dürfte jedoch nur selten eintreten. Man ordnet deshalb in den
tiefsten Punkten einzelner Verbrauchsgebiete Sammelgefäße an, aus denen das
Kondensat durch selbsttätig sich einschaltende elektrisch betriebene Pumpen in das
Heizwerk gefördert wird.
Eine recht interessante Heizanlage ist in Schwerin in Betrieb, wo das Kühlwasser von
Dieselmotoren als Wärmeträger verwendet wird. Zum Ausgleich von Belastungsspitzen
dienen Wärmespeicher. Bei sehr niedriger Außentemperatur wird das den
Zylindermänteln entströmende Kühlwasser durch die Auspuffgase weiter erhitzt; bei
hoher Außentemperatur würde das rücklaufende Wasser noch eine zu hohe Temperatur
haben; es durchläuft deshalb noch eine besondere Kühlvorrichtung, bevor es wieder in
die Kühlmäntel der Zylinder eintritt.
Der Vorzug der Warmwasserheizung vor der Dampfheizung liegt vor allem in der größeren
Einfachheit der Anschlüsse bei den einzelnen Verbrauchern. Man wird sie deshalb
überall da vorziehen, wo nur Gebäude mit Warmwasserheizung vorhanden sind. Kommen
jedoch Verbraucher mit Dampf- und mit Wasserheizung nebeneinander vor, so muß Dampf
als Wärmeträger verwendet werden, da dieser allein für beide Heizsysteme brauchbar
ist.
Aus den in Barmen gemachten Erfahrungen erscheinen vor allem noch folgende
Einzelheiten erwähnenswert:
Die Abnehmer werden in 3 Gruppen eingeteilt, gute, mittelmäßige und schlechte.
Erstere haben von morgens bis abends, an Werk- und Feiertagen einen gleichmäßigen
Verbrauch. Mittelmäßige Abnehmer sind z.B. Geschäftshäuser, die abends und an
Feiertagen nicht geheizt werden. Schlechte Abnehmer sind Schulen, die nur an
Werktagen morgens geheizt werden. Als Ausgleich hierfür wählt man Theater und
ähnliche Gebäude, die abends geheizt werden müssen. In die Belastungsberechnung des
Heizwerkes werden schlechte Verbraucher mit etwa ⅔ ihres Größtverbrauches
eingesetzt.
Für verschiedene Außentemperaturen haben sich in Barmen folgende Betriebszeiten als
günstig bezw. als erforderlich herausgestellt: Bei einer Lufttemperatur von über 10°
C (morgens 6 Uhr gemessen), reicht es aus, wenn das Netz von 7 Uhr morgens bis 9 Uhr
abends unter Dampf steht. Mittags kann unter Umständen der Dampf einige Zeit
abgeschaltet werden, doch dürfen die Niederschlagsverluste die Vorteile der
Abschaltung nicht übersteigen. Bei 0° bis + 10° Außentemperatur muß der Dampf von 6
Uhr morgens bis 11 Uhr abends ununterbrochen im Netz stehen; bei Temperaturen von 0
bis – 10° von 5 Uhr morgens bis 11 Uhr nachts. Bei noch größerer Kälte muß das Netz
dauernd unter Dampf stehen.
Für eine Abnehmergruppe, etwa einen Häuserblock, mit 1 Million kcal stündlichem
Wärmeverbrauch rechnet man rund 2500 t Dampf im Jahr. Für Rohrleitungsverluste sind
je nach der Ausdehnung des Netzes 5 bis 10 v. H., für den Betrieb der
Kesselspeisepumpen etwa 4 v. H. einzusetzen. Mit diesen Unterlagen läßt sich eine
überschlägige Wirtschaftlichkeitsberechnung des Heizwerkes durchführen.
Der Preis für die Wärme wird so bemessen, daß er nicht höher ist als der Wärmepreis
einer privaten Zentralheizungsanlage. Die Ersparnisse an Löhnen, Kohle- und
Aschefuhrkosten machen die Fernheizung vorteilhaft. Die Verringerung von Staub und
Ruß bietet einen weiteren Anreiz zur Fernversorgung. In Barmen kostet bei einem
Kohlenpreis von 22,78 ℳ/t und einem Heizerlohn von 78 &0220;/std. die Tonne
Dampf 7,40 ℳ.
Parey.