Titel: | Das amerikanische Tempergußverfahren. |
Autor: | Kalpers |
Fundstelle: | Band 340, Jahrgang 1925, S. 253 |
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Das amerikanische Tempergußverfahren.
Das amerikanische Tempergußverfahren.
Während bei dem europäischen Tempergußverfahren der Kohlenstoffabnahme des
Eisens eine besondere Bedeutung beigemessen wird, legen die Amerikaner auf diesen
Punkt weniger Wert und halten ihn sogar für unwesentlich.Diese Stellungnahme
glauben sie damit begründen zu können, daß das Gußstück ja doch nicht in seinem
ganzen Querschnitt, sondern nur in seiner äußeren Haut eine Entkohlung verzeichnet.
Ungeachtet der Frage, ob diese oder jene Ansicht, theoretisch betrachtet, irgend-
welchen Einfluß
auf die Güte des Gußstückes ausüben könnte, ist in Europa, vorzugsweise in
Frankreich, die Meinung vertreten, der amerikanische sei dem europäischen (oder
Reaumurschen) Temperguß in bezug auf seine Eigenschaften überlegen. Der französische
Tempergießereifachmann GaillyLa fonderie moderne,
November 1923, S. 193 bis 195. machte es sich daher zur Aufgabe,
die Ursachen zu ergründen, weshalb der amerikanische Temperguß besser ist, und hat
sich vor einiger Zeit zu diesem Zwecke nach Amerika begeben, wo es ihm dank des
Entgegenkommens des amerikanischen Professors Touceda, des Vorsitzenden des Vereins
amerikanischer Tempergießer, vergönnt war, einen tieferen Einblick in die
wichtigsten amerikanischen Tempergießereien und in die dortigen Verhältnisse zu
gewinnen. Der Erfolg der Untersuchungen Gaillys war der, daß er bereits nach kurzer
Zeit von der Ueberlegenheit des amerikanischen Tempergusses überzeugt war, und daß
man sich auf Grund seines Berichtes und seiner gewonnenen Kenntnisse nunmehr in
Frankreich umzustellen und nach amerikanischer Art zu tempern beginnt.
Wenn auch in manchen deutschen Lehrbüchern der grundsätzliche Unterschied zwischen
deutschem und amerikanischem Temperguß erwähnt wird, so erscheint doch der Bericht
Gaillys über die während seines Aufenthaltes in Amerika gewonnenen Eindrücke
beachtenswert.
Demnach soll der amerikanische Temperguß es gestatten, Querschnitte von allen
Abmessungen, ferner einen sowohl nach innen als nach außen vollständig gleichmäßig
geglühten Guß zu erzielen, der ebenso leicht bearbeitbar sein soll wie weiches
Eisen. Es wurden Gußstücke von 100 mm Durchmesser gegossen, die sich ohne Mühe
bearbeiten ließen, während bei dem europäischen Verfahren die Schwierigkeiten, zu
glühen, schon bei Stücken von über 10 mm Stärke zutage traten. Der Grund zu dieser
Erscheinung liegt in dem wesentlichen Unterschied zwischen beiden Verfahren. Der
amerikanische Temperguß erfährt, wie bereits oben erwähnt, durch den Glühvorgang
keine Entkohlung, sondern lediglich eine Umwandlung des gebundenen Kohlenstoffes in
graphitischen Kohlenstoff. Beim europäischen Verfahren dagegen ist man gezwungen,
das Eisen zu entkohlen, da das sonst an Kohlenstoff zu reiche Metall keine genügende
Widerstandsfähigkeit aufweisen würde. Die äußere Haut wird dabei in einer Tiefe von
1 bis 2 mm vollkommen entkohlt, und unter dieser Schicht befindet sich eine weitere
1 bis 2 mm dicke Zone, innerhalb deren der Kohlenstoff unter 1,7 v. H. fällt. Von da
ab ist eine stetige Abnahme der Entkohlung nach dem Kern des Gußstückes zu zu
verzeichnen. Man hat bei uns die praktische Unmöglichkeit erkannt, den gebundenen
Kohlenstoff in graphitischen Kohlenstoff unterhalb dieses Gehaltes von 1,7 v. H.
umzuwandeln. Demnach bildet sich unter der entkohlten Schicht eine perlitische Zone,
die nicht zu vermeiden ist. Bei dickwandigen Gußstücken müßte die Entkohlung
Hunderte von Stunden fortgesetzt werden, bis sie zum Inneren des Gußstückes
durchgedrungen wäre, und auch dies könnte nur durch eine beträchtliche Oxydation der
Oberfläche möglich sein.
Der lediglich aus Ferrit und Graphit zusammengesetzte amerikanische Temperguß ist
naturgemäß gut schmiedbar, während die Anwesenheit von Perlit im europäischen Guß
die Schmiedbarkeit wesentlich heruntersetzt.
Zur Untersuchung der Gußgüte wählte Gailly das Versuchsverfahren nach Walker, wobei
ein Gewicht von10 kg in freiem Fall aus 1 m Höhe auf den dünneren Teil des
Versuchsstabes fällt. Die Abmessungen dieses Versuchsstabes waren: Länge 150 mm,
Breite 25 mm, Dicke an dem einen Ende 12 mm, am anderen 15 mm. Die Wirkung des
Schlagversuches liegt in der Feststellung der Anzahl der Schläge, nach denen der
Stab bricht. Bei Kupolofeneisen wurde im Durchschnitt eine Schlagzahl von 4 bis 5
erreicht. Nur einige Stäbe hielten 7 bis 6 Schläge aus. Bei Flammofeneisen dagegen
konnten in der Regel 15 bis 20, mitunter sogar 30 Schläge verzeichnet werden.
Während der Guß aus dem Kupolofen nur gegen 3 v.H. Dehnung ergibt, stellte Gailly
bei Flammofeneisen eine Dehnung von mindestens 10,8 v. H. und von höchstens 16,6 v.
H., im Durchschnitt von 13 v.H. fest, während die Zerreißfestigkeiten sich zwischen
36,5 und 40 kg/mm2 bewegen. Der amerikanische
Versuchsstab wird in Frankreich voraussichtlich beibehalten werden, da eine große
Anzahl von Teilen für Kraftfahrzeuge und landwirtschaftliche Maschinen an gewissen
Stellen 15 bis 20 mm dick sind und demnach dem Versuchsstab entsprechen würden.
Von Bedeutung sind auch die von Gailly vorgenommenen Bearbeitungsversuche für
amerikanische Temperguß, nämlich: Schnittbreite 5 mm, Werkzeuggeschwindigkeit 40
m/min; Bohrung: Bohrer von 8 cm bei 650 Umdr./min und 50 mm Vorschub/min.
Nach Feststellung der Eigenschaften des amerikanischen Tempergusses sind nunmehr die
verschiedenen dort angewendeten Herstellungsverfahren zu nennen.
Vorwiegend vertreten ist der Flammofen mit 90 v. H. aller Oefen, während zwei sehr
große Werke das Triplex-Verfahren (Verbindung Kupolofen-Kleinkonverter-Elektrischer
Ofen) und zwei bis drei Gießereien den Martinofen anwenden. Der Kupolofen ist
allmählich aus der amerikanischen Tempergießerei verschwunden und dient nur in
einigen wenigen Betrieben zur Herstellung von Stücken mit kleinen Abmessungen. Im
übrigen ist seine Anwendung für die Erzeugung von Teilen für Kraftfahrzeuge und
landwirtschaftliche Maschinen sogar untersagt. Das Eisen aus dem Kupolofen gilt mit
3 v. H. Kohlenstoff in Amerika als stark gekohlt und gestattet nicht die Gewinnung
eines genügend widerstandsfähigen Gusses. Bei dickwandigen Querschnitten ist ein
Niederschlag von primärem Kohlenstoff unvermeidlich. Infolge der Berührung des
Eisens mit den Brennstoffen nimmt es Verunreinigungen auf, so daß die Erzielung
eines Eisens mit während des Schmelzens gleichbleibender Zusammensetzung praktisch
unmöglich erscheint.
Der Martinofen hat zweifellos manches für sich; vor allem wird die erzeugte Wärme
besser ausgenützt als im gewöhnlichen Flammofen. Aber er setzt einen Dauerbetrieb
voraus und eignet sich also nur für besonders große Werke, so daß er wohl in den
allermeisten Fällen von vornherein ausscheidet. Dasselbe gilt vom Triplex-Verfahren,
während der elektrische Ofen nur in an Wasserkräften reichen Gegenden seinen Platz
finden dürfte. Aber auch hier ist sein wirtschaftlicher Betrieb insofern in Frage
gestellt, als der Abbrand der Elektroden und der feuerfesten Auskleidung besonders
stark die Schmelzkosten beeinträchtigt. Das Schmelzen im Kupolofen mit nachfolgender
Behandlung des Eisens im Kleinkonverter ist in Amerika unbekannt.
Demnach hat es den Anschein, als ob bei Uebertragung des amerikanischen Verfahrens
auf europäische Verhältnisse nur der Flammofen in Frage kommen kann. Zwei Werke in
Frankreich sind bereits zum amerikanischen Verfahren und gleichzeitig auch zum
Flammofen übergegangen. Der theoretische Wirkungsgrad dieses Ofens ist jedoch
besonders ungünstig, da nur 1/10 der entwickelten Wärmeeinheiten ausgenützt wird.
Auch bietet er den Nachteil eines beträchtlichen Verbrauches von feuerfesten
Steinen. Die Selbstkosten des Eisens aus dem Flammofen überwiegen daher diejenigen
des Kupolofens um vieles. Dieser Frage der Wirtschaftlichkeit hat Gailly besondere
Aufmerksamkeit geschenkt und dabei festgestellt, daß erträgliche Selbstkosten nur
bei zwei Abstichen am Tage zu erzielen sind. Da die Amerikaner von dem früher
üblichen 5-t-Ofen allmählich zum 10-t-Ofen übergegangen sind, würde es sich demnach
um eine Tageserzeugung von 20 t handeln. Der Vorteil des Flammofens, die Gewinnung
eines vollkommen gleichmäßigen Gusses und die Möglichkeit der Verbesserung des
Einsatzes durch Zusätze ist zwar einleuchtend, doch läßt Gailly in seinem Bericht
unerwähnt, daß sich auf dem europäischen Festland eine besonders große Zahl, für
manche Industriebezirke zum Teil sogar die weitaus größte Mehrheit von Betrieben
befindet, für die ein Ofen von 10 t, geschweige denn eine zweimalige Beschickung am
Tage von vornherein ausscheidet. Angaben für diese kleineren Betriebe werden
bedauerlicherweise nicht gemacht.
Voraussetzung für die Erzielung einer vollkommenen Gleichmäßigkeit in der
Gußerzeugung ist ein Laboratorium zwecks steter Feststellung der wichtigsten
Elemente.
Die Gußanalysen vor dem Glühfrischen bewegen sich in amerikanischen Tempergießereien
in folgenden Grenzen:
2,10 bis 2,50 Kohlenstoff, 0,70 bis 0,95 Silizium,
0,25 bis 0,30 Mangan, 0,07 bis 0,10 Schwefel und
0,15 bis 0,20 Phosphor.
Diese Werte sind jedoch nicht allgemein gültig, da es
beispielsweise auch Eisen mit 0,60 bis 0,65 Si und 0,20 bis 0,25 Mn gibt.
Als Brennstoff findet das Oel in den Vereinigten Staaten eine nur geringe Verwendung,
trotzdem es verhältnismäßig billig ist. Hinsichtlich des Kohlenstaubes ist zwar die
Wirtschaftlichkeit dieses Brennstoffes festgestellt worden, aber nur für besonders
große Werke mit über 100 t Gußerzeugung im Tage. Am üblichsten ist die mit Hand
beschickte Kohlenfeuerung, und zwar verwendet man eine Kohle mit starkem Gehalt an
flüchtigen Bestandteilen, nämlich 35 bis 40 v. H., ferner mit 5 bis 6 v. H. Asche
und 1 bis 2 v. H. Feuchtigkeit. Die feuerfesten Steine des Ofens sind sauer und
haben einen Tonerdegehalt von 35 bis 40 v. H.; sie müssen eine Temperatur von 1600°
aushalten können.
Zum Glühen des amerikanischen Tempergusses braucht man keine Oxydationsmittel.
Nichtsdestoweniger werden die Gußstücke zwecks Vermeidung einer Formveränderung
eingepackt, zu welchem Zweck man teils gemahlene Kupolofenschlacke, teils altes Erz
verwendet. Die Zusammensetzung dieser Packungsstoffe ist in den einzelnen Werken
verschieden und hat keine große Bedeutung.
Die im Inneren der Tempergefäße gemessenen Temperaturen liegen zwischen 815 bis 900°.
Angesichts des verhältnismäßig hohen Schwefelgehaltes stellte Gailly bei seinen
Versuchen die Zweckmäßigkeit einer höheren Glühtemperatur entsprechend der
Zusammensetzung des Eisens fest, nämlich bis zu 950 °. In der Regel wird diese
Temperatur 60 bis 70 h lang aufrechterhalten, ausgenommen bei einigen Werken, die
eine kürzere Glühdauer vorziehen.
Dr.-Ing. Kalpers.