Titel: | Bemerkenswertes aus dem neuzeitlichen Fabrikbau. |
Autor: | M. Samter |
Fundstelle: | Band 340, Jahrgang 1925, S. 262 |
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Bemerkenswertes aus dem neuzeitlichen
Fabrikbau.
Von Reg.-Baumeister a. D. M. Samter, Zivilingenieur und beeidigter Sachverständiger.
SAMTER, Bemerkenswertes aus dem neuzeitlichen
Fabrikbau.
Wer mit aufmerksamem Auge diejenigen Industriegelände durchstreift, welche in
den letzten Jahrzehnten des verflossenen Jahrhunderts entstanden sind, wird – von
geringen Ausnahmen abgesehen – von dem sich darbietenden Anblick wenig Freude in
sich aufnehmen. Diese nicht wegzuleugnende Tatsache findet ihre natürliche Erklärung
in dem Umstände, daß zur angegebenen Zeit industrielle Bauten lediglich aus der
gemeinsamen Arbeit zweier Faktoren entstanden, des Bauherrn und seines Ingenieurs,
der für die Auswahl und zweckmäßige Aufstellung der für den
betreffendenFabrikationszweig benötigten Maschinen zu sorgen hatte. Nachdem für
diese und den hiermit zusammenhängenden Arbeitsgang der notwendige Raum berechnet
war, wurde derselbe mit einer vor den Unbilden des Wetters schützenden Hülle in
Gestalt von vier außerordentlich nüchtern wirkenden Wänden umzogen, die oben zumeist
durch ein Teerpappdach überbrückt wurden.
Textabbildung Bd. 340, S. 261
Abb. 1.
Man wird keinerlei Uebertreibung in diesen Worten finden können, wenn man
beispielsweise einen Spaziergang durch die märkischen oder schlesischen
Tuchindustriestadte, oder gar durch das Bitterfelder Industrie- und Wohngebiet unternimmt und
seine Beobachtung auf diejenigen Bauten einschränkt, die nicht in allerneuester Zeit
entstanden sind.
Erst die letzten Jahrzehnte haben in dieser Hinsicht einen erfreulichen Wandel
gebracht. Durch das Zusammenwirken des Bauherrn, seines Ingenieurs und eines
Baufachmanns, der eingehendes Verständnis auch für die sich im Fabrikbau ergebenden
Baukonstruktionen haben muß, sind Baulichkeiten entstanden, die nicht nur
wirtschaftlichen, sondern auch ästhetischen Forderungen in weitgehendem Maße
entsprechen.
Daß letztere mit einfachsten architektonischen Mitteln erzielt werden können, zeigt
u.a. die Abbildung eines Mühlenwerks (Abb. 1),
welches von der Firma Wayß & Freytag A.-G. nach Plänen des Architekten Fricke in
Leipzig ausgeführt und im vergangenen Jahre fertiggestellt wurde. Im Vordergrund
sieht man links die eigentliche Roggenmühle, in der Mitte das 65 m hohe
Reinigungsgebäude und rechts den Roggensilo, der ein Fassungsvermögen von 5300
Tonnen besitzt. Die Gesamtlänge der Roggenmühlenanlage beträgt 110 m. Im
Hintergrunde befindet sich die Weizenmühle mit entsprechender Gliederung in drei
Einzelanlagen.
Textabbildung Bd. 340, S. 262
Abb. 2.
Bei dem von der gleichen Firma ausgeführten Kokskohlenturm von 33 m Höhe für das
Waldenburger Steinkohlengebiet (Abb. 2) ist die
gefällige Wirkung zu erkennen, welche notwendige konstruktive Einzelheiten, wie z.B.
die Konsole unterhalb der Silozelle auf das Auge ausüben, ohne daß es notwendig
gewesen wäre, das Bauwerk mit besonderem dekorativem Beiwerk auszustatten.
Textabbildung Bd. 340, S. 262
Abb. 3.
Bauten, wie die vorerwähnten, sind in ihren Hauptteilen aus Eisenbeton
hergestellt, dessen Ueberlegenheit der Eisenkonstruktion gegenüber in seiner
absoluten Feuerbeständigkeit begründet ist. Dabei mag erwähnt werden, daß Flußeisen
bei rd. 500 Grad C bereits die Hälfte seiner Festigkeit verliert und bei 1000 Grad
weich wird. Da bei leichten Bränden Temperaturen bis etwa 600 Grad, bei schweren bis
1200 Grad entstehen, so ist ersichtlich, daß die Tragfähigkeit des ungeschützten
Eisens sehr geringfügig und im Feuer bald erschöpft ist. Man erhöht die
Feuersicherheit in beträchtlichem Maße durch Ummantelung der eisernen Träger und
Stützen mit feuerwiderstandsfähigen Stoffen, die bei Bespritzen mit kaltem Wasser nicht
abspringen dürfen. Da auch bei Eisenbeton im Feuer häufig ein Abspringen von
Betonstücken beobachtet wird, werden vielfach in sehr feuergefährlichen Gebäuden die
Balken und Stützen mit dünnen Drahtgeweben versehen, die von einer mehrere
Zentimeter starken Betonschicht überdeckt werden müssen, um die im Beton
eingebetteten Bewehrungseisen gegenüber hohen Temperaturen zu schützen.
Textabbildung Bd. 340, S. 263
Abb. 4. Kabelwerk Wilhelminenhof.
Schnitt durch einen Feldstreifen;
Schnitt durch einen Glutstreifen
Wo Feuersgefahr vorliegt und gleichzeitig die Konstruktionen großen Belastungen
unterworfen sind, wie z.B. bei Papierfabriken, Getreide-Silos und sonstigen
Speichern ist der Eisenbeton unbedingt am Platze. Die Last wird hierbei im
allgemeinen von der Decke auf Balken übertragen (Abb.
3), welche ihrerseits auf Unterzügen aufruhen. Letztere leiten die
Belastung in die Stützen und somit in die Fundamente. Je größer die Belastung, um so
höher werden naturgemäß Balken und Unterzüge sein müssen, d.h. um so mehr werden sie
aus der Decke herausragen. Es erwächst hierdurch der Uebelstand einer mangelhaften
Licht- und Luftverteilung und der Ansammlung von Staub. Außerdem wird eine glatte
Durchführung des Leitungsnetzes und der Transmissionen in jeder Richtung verhindert.
Schließlich wird auch die Raumhöhe, besonders der Kellerräume, schlecht ausgenutzt
werden können.
Textabbildung Bd. 340, S. 263
Abb. 5.
Aus dieser Erwägung sind in letzter Zeit Deckenkonstruktionen zur Ausführung gelangt,
bei welchen Träger und Unterzüge in Fortfall kommen, die sogenannten Pilzdecken. Sie bestehen
aus mehrfach bewehrten Eisenbetonplatten, die ohne Unterstützung durch Balken und
Unterzüge unmittelbar auf Eisenbetonstützen aufruhen. Abbildung 4 bringt eine derartige Konstruktion zur Darstellung, den
Querschnitt durch einen Erweiterungsbau des Kabelwerks Wilhelminenhof A.-G. in
Oberschöneweide, der von der Hoch- und Tiefbau-Akt.-Ges. Huta ausgeführt wurde. Die
Stützweite der einzelnen Felder beträgt 5,0 bzw. 5,76 m. Die drei unteren
Geschoßdecken sind bei einer Stärke von nur Abb. 6.
25 cm für eine Nutzlast von 1000 kg/qm bemessen. Eine weitere Ausführung der
vorgenannten Firma ist durch Abbildung 5 (Speicher in Spandau) wiedergegeben. Bei einer größten
Spannweite von 6,5 m und der recht bedeutenden Nutzlast von 2000 kg/qm sind hier die
Decken nur in einer Stärke von 32 cm zur Ausführung gelangt. Da die Stützen sowohl
auf Biegung wie Achsialdruck stark beansprucht werden, haben sie tief ansetzende und
weit ausladende kelchartige Verstärkungen erhalten.
Textabbildung Bd. 340, S. 264
Abb. 6. Ringdübel Patent Tuchscherer D. R. P. und Auslandspatente.
Der gefährliche Wettbewerb, der dem Eisenbau durch die
Einführung des Eisenbetons bereitet wurde, hat auf die Forscherarbeit der
Eisenfachleute nachhaltigen Einfluß ausgeübt und zu Fortschritten geführt, die nicht
unerwähnt bleiben dürfen. Im besonderen ist es das Verdienst der
Lauchhammer-Rheinmetall-Akt.-Ges.,den Impuls zur Einführung eines besonderen
Eisens gegeben zu haben, des hochwertigen Baustahls, der sich von dem jetzt als
Flußstahl bezeichneten Flußeisen durch erheblich größere Festigkeit auszeichnet und
berufen scheint, bei zukünftigen Industriebauten größten Ausmaßes eine hervorragende
Rolle zu spielen. Dabei wird neben der Gewichtsersparnis auch der Umstand zur
Geltung kommen, daß man durch Verwendung von Baustahl unter Zugrundelegung der für
Flußstahl geltenden Beanspruchungen größere Sicherheit gewinnt und einen Spielraum
für spätere, möglicherweise sich erhöhende Beanspruchungen infolge des Einbaus
schwererer Krane, größerer Arbeitsmaschinen und dergleichen erreicht.
Textabbildung Bd. 340, S. 264
Abb. 7. Lagerhalle für die Waggonfabrik Gebr. Ermert G. m. b. H., Betzdorf a.
d. Sieg. Dachkonstruktion freitragend in „Holz statt Eisen“. D. R. P. und
Auslandspatente. Ausführung: Carl Tuchscherer, Aktiengesellschaft,
Breslau.
Infolge des Mangels an Eisen und Zement während des Weltkrieges wie auch in den
darauf folgenden Jahren hat der Holzbau einen außerordentlichen Aufschwung genommen.
Manche Bedenken, die früher der Verwendung dieses Baustoffs für Industriebauten
entgegenstanden, sind gegenstandslos geworden, nachdem die Holzfachleute den
Nachweis erbrachten, daß auch Eisenkonstruktionen bei Bränden keine wesentlich
größere Sicherheit boten als solche aus Holz. Dabei muß erwähnt werden, daß die
Lebensdauer des Holzes wesentlich größer ist als die des Eisens, das der ständigen
Gefahr des Durchrostens ausgesetzt und in vielen chemischen Betrieben wegen der auf
das Eisen ungünstig einwirkenden Gase und Dünste gar nicht geeignet ist. Aus diesem
Grunde erbauen die Eisenbahnbehörden neuerdings auch Lokomotivschuppen vielfach aus
Holz, da die sich aus der Verbrennung der Kohle entwickelnden schwefelsauren Dämpfe
zerstörende Wirkungen auf das Eisen ausüben.
Um einen ernsten Wettbewerb mit der freitragenden eisernen Dachkonstruktion von
großer Spannweite aufnehmen zu können, war eine Hauptschwierigkeit zu überwinden, die darin
besteht, die Zugstäbe der Fachwerkkonstruktion an den Knotenpunkten in einwandfreier
Weise zusammenzuschließen. Die alte Zimmermannskonstruktion, die sich durch den Lauf
der Jahrhunderte hinduroh bis auf den heutigen Tag erhalten hat, vermeidet zugfeste
Verbindungen zur Uebertragung großer Kräfte. Bei ihr werden die einzelnen Stäbe
vorwiegend auf Druck und Biegung sowie Knicken beansprucht, während die Zugstäbe
oder Zangen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Daraus erklärt sich auch der
große Materialverbrauch bei derselben. Von den verschiedenen neuzeitlichen
Holzkonstruktionen, welche weite Räume überbrücken, ist die von der Carl Tuchscherer
Akt.-Ges. in Breslau eingeführte Bauweise, bei welcher die Holzverbindungen
neuerdings durch geschlitzte Ringdübel hergestellt werden, herausgegriffen. Werden
die beiden auf einander gelegten Stäbe (Abb. 6) durch
Zugkräfte beansprucht, so kann der mit einem Schlitz versehene, federnd wirkende
Eisenring seine Umfangslänge vergrößern. Es sind daher auch bei zu weiter Nutung,
die sich nicht immer vermeiden läßt, sogenannte Leibungsdrucke sowohl oben wie unten
im rechten und linken Holzteil vorhanden. Vorholz wie Holzkern übertragen daher
gemeinsam die am Knoten angreifenden Kräfte. Die Herstellung derartiger Anschlüsse
ist außerordentlich einfach. Nachdem. der Systempunkt auf dem Reißboden durch ein
Bohrloch in den einzelnen Hölzernfestgelegt wird, werden durch eine für den
besonderen Zweck gebaute Fräsmaschine die Ringnuten, welche zur Aufnahme der
Holzkerne und Dübel dienen, in wenigen Sekunden hergestellt. Die folgenden
Abbildungen zeigen noch zwei mittels Ringdübel hergestellte Bauwerke. In Abb. 7 ist eine Lagerhalle für eine Waggonfabrik
dargestellt, während Abb. 8 einen Bau aus der
chemischen Industrie wiedergibt, die, wie bereits betont, den Holzbau wegen der
großen Widerstandsfähigkeit gegenüber Gasen und Dünsten bevorzugt.
Textabbildung Bd. 340, S. 265
Abb. 8. Superphosphathalle für die Chemische Düngerfabrik in Rendsburg.
Dachkonstruktion freitragend in „Holz statt Eisen“. D. R. P. und
Auslandspatente. Ausführung: Carl Tuchscherer Aktiengesellschaft,
Breslau.
Während eiserne Träger und Unterzüge, ebenso Holzbalken, in leichter Weise die
Anbringung von Transmissionen gestatten, ist man bei
Eisenbetonkonstruktionen in dieser Hinsicht vielfach auf Schwierigkeiten gestoßen,
und besonders dann, wenn nicht von vornherein bei der Verlegung der Eisenbewehrung
und vor dem Stampfen der Betonmasse durch Anordnen geeigneter Befestigungsstücke für
einen sicheren Halt der Wellenlager Sorge getragen würde. Nachträgliches Anbohren
der Eisenbetonbalken zu genanntem Zweck verursacht erstens einmal erhöhte Baukosten
und bringt, wenn nicht in sorgfältigster Weise vorgegangen wird, den Uebelstand mit
sich, daß gerade die wichtigsten Konstruktionseinzelheiten, wie Zugeisen und Bügel,
durch die Stemmarbeit verletzt und somit die Sicherheit der Deckenkonstruktion
gefährdet wird.
(Schluß folgt.)