Titel: | Druckluftbremse für Personen-Kraftwagen. |
Autor: | Castner |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 1 |
Download: | XML |
Druckluftbremse für
Personen-Kraftwagen.
Von Dipl.-Ing. Castner.
CASTNER, Druckluftbremse für Personen-Kraftwagen.
Eines der Glanzstücke der vorjährigen Automobil-Ausstellung war die von der
Knorr-Bremse A.-G. in Berlin-Lichtenberg hergestellte und im Betriebe vorgeführte
Druckluftbremse für Lastkraftwagen und Lastautozüge, die in allen Fachkreisen das
größte Aufsehen erregte und ungeteilte Anerkennung erfuhr. Gleichzeitig wurde auf
dem Stande derselben Firma ein Modell einer ähnlichen, aber in entsprechend
kleineren Abmessungen gehaltenen Druckluftbremsanlage für Personenkraftwagen
gezeigt. Letztere wurde nun in der Zwischenzeit nach jeder Richtung hin konstruktiv
sorgfältig durchgearbeitet und schließlich in einen 16/45 PS Mercedes wagen
eingebaut, mit dem dann in den Frühjahrs- und Sommermonaten 1925 eine große Reihe
von Versuchsfahrten unternommen wurde, bis der Wagen in den ersten Septembertagen
nach München fahren konnte, um dort zusammen mit mehreren ebenfalls mit
Druckluftbremse ausgerüsteten Lastkraftzügen auf der Verkehrsausstellung gezeigt und
vorgeführt zu werden.
Handelt es sich bei der Bremsung von Lastkraftwagen in erster Linie um die
Bewältigung großer Massen, so tritt an deren Stelle bei Personenkraftfahrzeugen vor
allem die Ueberwindung hoher Geschwindigkeiten. Deshalb bestehen zwischen den beiden
Bremsausführungen, wenn sie auch im Grunde genommen von dem gleichen Gedanken
ausgehen und mit dem gleichen Mittel die Erreichung des gleichen Zieles erstreben,
doch verschiedene wesentliche Unterschiede, die nachfolgend näher besprochen werden
sollen.
Bei jeder Bremsung in Fahrt befindlicher Wagen muß das Hauptbestreben darauf
gerichtet sein, den denkbar kürzesten Bremsweg zu erzielen, ohne daß zugleich eine
Blockierung der Räder mit all ihren nachteiligen und gefährlichen Folgen eintritt.
Die Erreichung dieses Zieles wurde nun im Laufe der Jahre auf die verschiedenste.
Weise angestrebt. Eines der letzten hierher gehörenden Erzeugnisse ist die
Vierradbremse, die ihrer unstreitig vorhandenen Vorteile wegen sich in
verhältnismäßig kurzer Zeit einen großen, immer noch wachsenden Anhängerkreis
gewonnen hat, ein Beweis dafür, daß sie trotz der ihr ebenso unzweifelhaft
anhaftenden zahlreichen Mängel das zurzeit beste Mittel darstellt, um einem
dringenden Bedürfnis abzuhelfen. Eine Vierradbremse erfüllt aber nur dann ihren
Zweck, wenn der Fahrer imstande ist, mit ihr das angegebene Ziel – möglichst kurzer
Bremsweg ohne Blockierung der Räder – zu erreichen. Nun hält sich aber die
Körperkraft des Fahrers immer in beschränkten Grenzen, während auf der anderen
Seite der Pedalhub im Interesse einer bequemen und sicheren Bedienung der Bremse
über ein bestimmtes Maß nicht hinaus gehen darf.
Bei dieser Ausführung der Vierradbremse verteilt sich die vom Fahrer zu leistende
Bremsarbeit auf die Bremsen aller vier Räder. Um die dabei auf das einzelne Rad
entfallende Bremskraft noch wirkungsvoll zu gestalten, ist man gezwungen, dem
Bremsgestänge eine verhältnismäßig hohe Uebersetzung zu geben. Dies hat aber
wiederum den Nachteil eines kleinen, kaum der geringsten Abnützung Rechnung
tragenden Pedalhubes zur Folge, ein Uebelstand, der sich bei Fahrten auf langen
Gefällen unter Umständen durch allmähliches Nachlassen der Bremswirkung im Laufe der
Talfahrt recht unliebsam bemerkbar machen und gegebenenfalls sogar zu schweren
Unfällen führen kann.
Bei einer anderen Bremskonstruktion, die dann freilich keine Vierradbremse darstellt,
verzichtete man auf die unmittelbare Abbremsung der Hinterräder, um an deren Stelle
die bedeutend rascher laufende Getriebewelle abzubremsen; man ließ also die
Fußbetätigung auf die Vorderradbremse und die Getriebewelle wirken. Diese Anordnung
hat nun aber wieder den Nachteil, daß das Differential das gesamte nicht
unbeträchtliche Bremsmoment aufnehmen muß, und daß ferner die Wirkung des
Differentials auf die Hinterräder, die bekanntlich das Schleudern des Wagens beim
Bremsen begünstigt, nicht aufgehoben wird, wie dies bei unmittelbarer
Hinterradbremsung der Fall ist.
Aus diesen Erwägungen heraus begann die Auto-Technik mechanisch wirkende Bremsen zu
schaffen, die von der Körperkraft des Fahrers unabhängig und demnach imstande sind,
alle Räder bei genügend groß bemessenem Reservehub der Bremsbacken in hinreichender
Stärke abzubremsen. So schuf die Knorr-Bremse A.-G., ausgehend von den ihr zur
Verfügung stehenden reichen Erfahrungen mit ihren Luftbremsen für Schienenfahrzeuge,
ähnliche Druckluftbremsen für Automobile, von denen diejenigen für Lastkraftwagen
und Lastkraftzüge sich seit mehr als Jahresfrist vorzüglich bewährt hat und in der
allgemeinen Einführung begriffen ist.
Das Schema einer Druckluftbremsanlage für Personenkraftwagen ist auf Abb. 1 wiedergegeben. Die zur Betätigung der Bremse
erforderliche Druckluft wird von dem kleinen zweistufigen Luftpresser K erzeugt,
nachdem sie zuvor im Sauger R von Staub und Feuchtigkeit befreit wurde, und gelangt
von hier über den Druckregler D in den in der Regel symmetrisch zum Auspufftopf unter dem
Rahmen des Fahrgestells aufgehängten Luftbehälter B, aus dem sie mittels des
Bremsventils F entnommen und den vier Bremszylindern Z h bzw. Z v zugeführt wird.
Abb. 2 zeigt die Anbringung des Luftbehälters im
Fahrgestell.
Textabbildung Bd. 341, S. 2
Abb. 1. Schema einer Druckluftbremsanlage für Personen-Kraftwagen.
Der Luftpresser Abb. 3 ist, wie auch alle übrigen
Apparate der Bremsanlage aus Silumin gegossen. Durch Verwendung von Plattenventilen
und Aluminiumkolben ist es möglich geworden, ihn mit 1000 Umdrehungen je Minute
laufen zu lassen. Der Antrieb erfolgt zweckmäßig von der Steuerwelle aus oder von
der für den Antrieb des Reglers, der Kühlwasserpumpe und anderer Nebenapparate
dienenden Hilfswelle. Besitzt die Nebenwelle des Getriebes ein genügend großes
Schwungmoment, so daß sie beim Schalten durch den verhältnismäßig hohen
Antriebswiderstand des Luftpressers nicht gar zu schnell zum Stillstand kommt, so
kann er auch von dieser Welle aus angetrieben werden. Durch eine solche Anordnung
wird der Vorteil erreicht, daß der Luftpresser bei Fahrten im Gefälle, die
gegebenenfalls mit ausgekuppeltem Motor ausgeführt werden, noch mitläuft und somit
auch weiter Luft pumpen kann.
Textabbildung Bd. 341, S. 2
Abb. 2. Anbringung des Luftbehälters im Fahrgestell.
Die zum Bremsen eines Wagens erforderliche Bremskraft steht nicht nur in Abhängigkeit
von der Geschwindigkeit des Fahrzeuges, sondern sie wird sehr wesentlich beeinflußt
von der jeweils vorliegenden Beschaffenheit des befahrenen Weges und der
Bodenverhältnisse. Diesen verschiedenen Umständen muß natürlich die Höhe des
zur Verfügung stehenden Luftdruckes weitgehend angepaßt werden, um selbst bei
schärfster Bremsung eine Blockierung der Räder zu verhüten. Dem wird dadurch
entsprochen, daß durch Drehung der Kappe des Druckreglers (Abb. 4) zwischen 1 und 6 Atmosphären jeder beliebige Druck im
Luftbehälter eingestellt werden kann. Dabei ist ferner die Einrichtung getroffen,
daß bei Erreichen des eingestellten Höchstdruckes ein in den Regler eingebautes
Leerlaufventil sich öffnet, durch das der Luftpresser ohne Gegendruck zu finden und
somit auch ohne Kraftverbrauch ins Freie pumpt, während gleichzeitig durch ein
ebenfalls im Regler vorhandenes Rückschlagventil ein Zurückströmen der Luft aus dem
Behälter verhindert wird. Sinkt der Druck im Luftbehälter auch nur geringfügig unter
die eingestellte Höhe, so schließt sich das Leerlaufventil wiederum selbsttätig, so
daß der Luftpresser wieder in den Behälter arbeiten kann. Der Fahrer ist auf diese
Weise der Sorge um die Auffüllung und das Vorhandensein des notwendigen Luftvorrates
vollständig enthoben. Außerdem zeigt ihm ein am Spritzbrett angebrachtes
Doppelmanometer M (Abb. 1) jederzeit den im
Luftbehälter herrschenden Druck an. Es ist dies ein gewaltiger Vorteil gegenüber
allen anderen Bremssystemen, da der Fahrer sich in jedem Augenblick durch einen
Blick auf dieses Manometer davon überzeugen kann, ob seine Bremse in Ordnung ist
oder nicht. Sobald und solange der eingestellte Druck angezeigt wird, kann er sich
auch unbedingt darauf verlassen, daß die Bremse erforderlichenfalls zur Wirkung
kommt. Um die im Laufe der Zeit im Luftbehälter sich ansammelnden geringen Mengen
von Oel und Wasser entfernen zu können, ist an seiner tiefsten Stelle ein Ablaßhahn
L angebracht.
Textabbildung Bd. 341, S. 2
Abb. 3. Luftpresser mit Luftreiniger.
Ferner ist in die vom Luftbehälter zum Bremsventil F führende
Leitung ein Sicherheitsventil S eingebaut, sowie ein Hahn H, an welch letzteren bei
stehendem Wagen zum Zwecke der Reifenfüllung ein Schlauch angeschlossen werden kann.
Von der gleichen Leitung zweigt noch eine nach dem Druckregler führende Nebenleitung ab, durch die
dessen Regelmembran unter den Einfluß des Behälterdruckes gestellt wird.
Textabbildung Bd. 341, S. 3
Abb. 4. Druckregler.
Wie aus Abb. 5 hervorgeht, sind die Bremsen der
einzelnen Räder als Innenbackenbremsen gewöhnlicher Bauart ausgebildet, und zwar
derart, daß die Bremse jedes Rades durch einen besonderen Bremszylinder betätigt
wird, dessen Kolbenstange mittels eines Bremshebels unmittelbar an der
Bremsnockenwelle angreift. Da der Druck in den beiden zu einer Achse gehörigen
Bremszylindern vollkommen gleichmäßig steigt oder fällt, sind die Bremskräfte bei
Vermeidung jeglichen Bremsgestänges vollständig ausgeglichen. Da die Bremszylinder
ebenfalls auf der mit den Rädern gemeinsam federnden Achse befestigt sind, so kommt
das sonst beim Fahren über holprige Wege unangenehm in die Erscheinung tretende
Zucken der Bremse gänzlich in Fortfall.
Textabbildung Bd. 341, S. 3
Abb. 5. Anordnung des Bremszylinders.
Die Vorderradbremszylinder sitzen auf entsprechend geformten Laschen des
Bremsbackenhalters, der gleichzeitig Bremsbackenlager und Bremsschlüssellager trägt,
so daß die Bremszylinder mit den Achsschenkeln als starres Ganzes mit ausschwingen.
Die Luftzuführung von der im Fahrgestellrahmen fest verlegten Rohrleitung zu den auf
den schwenkbaren und schwingenden Achsschenkeln befestigten Bremszylindern geschieht
durch biegsame, drahtumflochtene Gummischläuche, die jeder Bewegung des Rades leicht
folgen können. Alle die komplizierten und niemals vollkommenen Mechanismen, die bis
jetzt zur Uebertragung des Bremsmomentes zur Anwendung kommen müssen, kommen auf
diese Weise in Fortfall. Der Bremsausgleich ist vielmehr auf unebener Straße genau
so sicher und zuverlässig, wie auf geradem, ebenem Wege.
Die Bremszylinder der Hinterräder (Abb. 6) sind
auf Konsolen des Achsrohres aufgeschraubt oder mit diesen durch Schellen verbunden
und sitzen gerade über den Bremshebeln, an deren Augen die Kolbenstangen eingreifen.
Letztere sind mit den Kolben nicht fest verbunden, sondern nur lose in deren
Führungsrohre eingeschoben, so daß die Bremshebel auch auf andere Weise – unabhängig
von den Druckluftbremszylindern – bedient werden können. Wirken 2 Paare von
Bremshebeln nebeneinander auf die Hinterräder, so greifen an einem von diesen die
Bremszylinder der Druckluftbremse, am anderen die Zugstangen der Handbremsen an. Ist
jedoch bei Verwendung einer Getriebsbremse nur ein Paar Bremsbacken an den
Hinterrädern vorhanden, so greifen sowohl Druckluftbremse, als auch Handbremse an
denselben Bremshebeln an. In diesem Falle bewegt das Bremspedal zunächst das die
Druckluftbremse steuernde Bremsventil, um erst dann, im Notfalle, bei vollem
Durchtreten und nach Ueberwindung eines stark federnden Anschlages auf das Gestänge
der Getriebebremse zu wirken.
Textabbildung Bd. 341, S. 3
Abb. 6. Hinterachse mit Bremszylindern.
Textabbildung Bd. 341, S. 3
Abb. 7. Bremsventil.
Das Bremsventil (Abb. 7) wird in gewohnter Weise
durch das übliche Bremspedal P (Abb. 1) betätigt und
dient zur Verteilung der aus dem Luftbehälter B entnommenen Druckluft auf die
einzelnen Bremszylinder. Im Ruhezustande wird das Pedal unter Einwirkung eines Federzuges in der
Lösestellung festgehalten. Wie bei der Druckluftbremse für Lastkraftwagen sind auch
bei der Personenwagenbremse vier Ventilstellungen vorgesehen. Die Ruhelage
entspricht dabei der Ventilstellung 1. In dieser Stellung ist die vom Luftbehälter
nach dem Bremsventil führende Leitung abgeschlossen, während die nach den Leitungen
der einzelnen Bremszylinder führenden Kanäle durch den Ventilschieber mit der
Außenluft verbunden und somit entlüftet sind. Soll gebremst werden, so wird das
Pedal so weit niedergedrückt, daß der Ventilhebel in Stellung 3 zu liegen kommt,
wobei der Weg nach den die Bremsen der einzelnen Räder betätigenden Zylindern durch
enge Oeffnungen für den Eintritt der Druckluft aus dem Behälter freigegeben wird.
Dabei ist auch hier wieder die Einrichtung getroffen, daß zunächst die Bremszylinder
der Hinterräder mit Druckluft beschickt werden und erst einen Augenblick später
diejenigen der Vorderräder. Dadurch, daß die Bremsung der Hinterräder derjenigen der
Vorderräder um eine Kleinigkeit voraneilt, wird vor allen Dingen erreicht, daß der
Wagen während der Bremsung fester auf der Straße liegt und daß das unangenehme und
gefährliche. Vorwärtsdrängen des Fahrzeuges während des Bremsvorganges unterbleibt.
Solange das Pedal in Stellung 3 gehalten wird, strömt immer mehr Luft in die
Bremszylinder, die Bremswirkung damit allmählich steigernd. Ist die gewünschte
Bremswirkung erreicht, so nimmt man das Pedal so weit zurück, bis der Ventilhebel in
Stellung 2 zu liegen kommt. In dieser Stellung schließt der Ventilschieber alle
Leitungen ab. Der in den Bremszylindern herrschende Druck und infolgedessen auch die
hierdurch erzielte Bremswirkung wird so lange in unveränderter Höhe aufrecht
erhalten, als das Pedal in dieser Stellung verbleibt. Durch nochmaliges kurzes
Niedertreten des Pedals in Stellung 3 kann die Bremswirkung entsprechend verstärkt,
durch vorübergehendes Zurücknehmen in Stellung 1 durch teilweise Entlüftung der
Bremszylinder entsprechend abgeschwächt werden. Für den Fahrer ergibt sich hieraus
die Möglichkeit, durch ein derartiges Spiel mit dem Bremspedal in feinen Abstufungen
die Bremswirkung je nach Bedarf zu erhöhen oder zu vermindern. Ist Gefahr im
Verzüge, so wird das Pedal sofort in Stellung 4 ganz niedergetreten, wobei der
Ventilschieber durch weite Kanäle der Druckluft den Zutritt zu den Bremszylindern
freigibt. Infolgedessen werden sämtliche Bremsen des Wagens nahezu augenblicklich
mit voller Kraft angezogen – und zwar wiederum zuerst die der Hinterräder, dann die
der Vorderräder –, wodurch das Fahrzeug auf kürzestem Wege zum Stillstand gebracht
wird. Gibt der Fuß jetzt das Pedal wieder frei, so schnellt dieses unter Einwirkung
der Rückholfeder sofort in die Ruhestellung zurück. Eine augenblickliche Entlüftung
aller Bremszylinder und Lösung sämtlicher Bremsen ist die Folge davon.
Bei den bisher mit dem Wagen unternommenen Versuchsfahrten, wie auch bei der
Ueberführungsfahrt nach München, sowie bei einer vierzehntägigen Reise eines anderen
mit Druckluftbremse ausgerüsteten Personenkraftwagens, die durch den größten Teil
der Schweiz führte, und bei der die meisten ihrer Gebirgspässe berührt wurden, hat
sich herausgestellt, daß der Fahrer das Fahrzeug in jeder Lage vollständig in der
Gewalt hat, und daß die Druckluftbremse unter allen Wege- und Bodenverhältnissen und
bei jeder Geschwindigkeit vollkommen einwandfrei gearbeitet hat.