Titel: | Zum 50jährigen Jubiläum des Viertakt-Gasmotors. |
Autor: | Schmolke |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 106 |
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Zum 50jährigen Jubiläum des
Viertakt-Gasmotors.
Von Studienrat Ing. Schmolke in Berlin.
SCHMOLKE, Zum 50jährigen Jubiläum des
Viertakt-Gasmotors.
In diesem Frühjahr kehren zum fünfzigsten Mal die Tage wieder, an denen Nikolaus
August Otto in Deutschland und England die ersten Patentansprüche bezüglich einer
nach dem Viertaktverfahren arbeitenden Gasmaschine anmeldete. Dieses Ereignis ist
von so weittragender Bedeutung für die Technik und das Wirtschaftsleben der ganzen
Welt geworden, daß es sich wohl ziemt, seiner zu gedenken.
Ebenso wie die Dampfmaschine hat auch der Gasmotor bereits in weit zurückliegender
Zeit Vorgänger gehabt. Schon vor etwa 300 Jahren kam man auf den Gedanken, die durch
die Explosion von Pulver entstehenden Gase von hoher Spannung zum Betrieb von
Maschinen auszunutzen. Im 18. Jahrhundert versuchte man in England, Oel, das in
einer Retorte vergast wurde, mit Luft vermischt in einem Zylinder zu verbrennen.
Dieser Vorgang sollte zur Bewegung eines Kolbens verwertet werden. Der Erfinder des
Leuchtgases, Lebon, meldete weiterhin 1801 ein Patent auf einen durch Gas bewegten
Motor an. Alle diese Versuche scheiterten jedoch. Es gelang nicht, eine
betriebsfähige Maschine zu schaffen und in die Industrie einzuführen. Das Bild
änderte sich erst im Jahre 1860 durch die Erfindung Lenoirs. Dieser hatte sich für
den Bau seines Gasmotors die schon längst bekannte und bis zum Stand hoher
Vollkommenheit durchgebildete doppeltwirkende Dampfmaschine zum Muster genommen. Die
von ihm ersonnene Vorrichtung wies einen Kolben auf, der sich in einem geschlossenen
Zylinder bewegte. Die Kolbenstange wurde unter Anwendung einer Stopfbüchse durch den
Zylinderdeckel geführt und betätigte ein Kurbelgetriebe. Auch eine Schiebersteuerung
war vorhanden. Die Arbeitsweise gestaltete sich folgendermaßen: Zunächst saugte der
Kolben, durch die Wucht des Schwungrades bewegt, auf der einen Seite ein Gemisch von
Leuchtgas und Luft an. Nachdem er einen Teil seines Weges zurückgelegt hatte, wurde
durch elektrische Zündung die Verbrennung des Gemisches herbeigeführt. Hierbei stieg
der Druck auf 5–6 at., und das gespannte Gas gab Arbeit an den Kolben ab. Kurz bevor
dieser seinen Totpunkt erreicht hatte, öffnete die Steuerung einen Auslaßkanal. Die
verbrannten Gase wurden von dem zurückkehrenden Kolben aus dem Zylinder gedrängt,
während sich auf der andernen Seite des ersteren der soeben beschriebene Vorgang
wiederholte. Nicht unerwähnt möge es bleiben, daß auch ein Wassermantel zur
Kühlung der Zylinderwandungen Anwendung fand. Unzweifelhaft lag ein betriebsfähiger
Motor vor. Fraglich blieb es, ob derselbe auch imstande war, mit der Dampfmaschine
in Wettbewerb zu treten. Die Folgezeit lehrte, daß dies nur in den recht seltenen
Fällen geschehen konnte, in denen ohne Rücksicht auf irgendwelche Kosten ein
Dampfkessel vermieden werden mußte. Der Betrieb des Lenoir-Motors machte nämlich
sehr erhebliche Aufwendungen nötig. Zunächst war der Leuchtgasverbrauch recht
bedeutend. Er betrug anfänglich nicht weniger als 3 m3 für 1 PS-Stunde. Alle Versuche, ihn wesentlich herabzusetzen, führten zu
keinem Erfolg. Als recht unzuverlässig erwies sich auch die elektrische Zündung.
Schließlich mußte ein außergewöhnlich hoher Aufwand an Schmiermitteln in Kauf
genommen werden. Alles dies wirkte zusammen, um dem Gasmotor ein weiteres
Betätigungsfeld zu verschließen. Die Lenoirmaschine verschwand mehr und mehr,
indessen der ihr zugrunde liegende Gedanke, die Verpuffung von Gas zum unmittelbaren
Antrieb eines Kolbens zu benutzen, lebte fort. Aber bevor er verwirklicht wurde,
gelangte eine atmosphärische Gasmaschine zu einer gewissen Bedeutung im
Wirtschaftsleben.
Der Erfinder derselben war der deutsche Kaufmann Nikolaus August Otto, der am 14.
Juni 1832 als Sohn eines Landwirtes in Holzhausen geboren worden war. Schon im Alter
von 16 Jahren verließ er die Realschule in Langenschwalbach, um in die Firma Guntrum
in Nastetten als Handlungslehrling einzutreten. Später war er in Frankfurt am Main
und schließlich in Köln meist in ziemlich untergeordneten kaufmännischen Stellungen
tätig. Während seines Aufenthaltes in der letztgenannten Stadt machten die durch die
Presse bekanntgegebenen Angaben über die Maschine Lenoirs einen tiefen Eindruck auf
ihn und weckten die in ihm schlummernde naturwissenschaftliche Begabung. Erst in
Anlehnung an seinen französischen Vorgänger, dann unabhängig von ihm, gelangte Otto
zu verschiedenen Entwürfen, deren letzten er dem Mechaniker Zons in Köln 1861 zur
Ausführung überwies. Die entstandene Versuchsmaschine zeigte, daß Otto bereits der
später herrschend gewordenen Betriebsform sehr nahe war. Er hatte schon erkannt, daß
es vorteilhaft sei, das Gasluftgemisch vor der Entzündung zu verdichten. Auch war ihm nicht
verborgen geblieben, daß Ansaugen, Komprimieren, Verbrennen und Auspuffen in einem
Zylinder vorgenommen werden könne, sowie daß die Explosion des Gemisches in der
Totpunktstellung des Kolbens stattfinden müsse. Leider erschreckten Otto die
heftigen Zündstöße so sehr, daß er auf dem eingeschlagenen, aussichtsreichen Weg
nicht weiter fortschritt, sondern auf ganz andere Weise zum Ziele zu gelangen
suchte. Er beschloß nämlich den Bau einer Maschine, bei der das Gas nur mittelbar
zur Arbeitsleistung diente.
Die Grundzüge derselben waren folgende: Ein Kolben bewegte sich in einem senkrecht
stehenden Zylinder nach aufwärts. Während eines kleinen Teiles seines Hubes saugte
er ein Gemisch von Gas und Luft an. Dieses wurde entzündet und warf den vom Zylinder
geführten Kolben wie ein Geschoß in die Höhe. Während des Emporfliegens des Kolbens
sank der Druck unter demselben sehr stark nicht nur wegen der bedeutenden
Rauminhaltsvergrößerung des Gases, sondern auch infolge Kühlung der
Zylinderwandungen. Es befand sich daher, wenn der Kolben seine höchste Stellung
erreichte, ein luftverdünnter Raum unter demselben. Demnach wurde nunmehr der Kolben
nicht nur durch sein Eigengewicht, sondern auch durch den äußeren Luftdruck nach
abwärts getrieben. Während dieser Bewegung brachte eine geeignete Vorrichtung die
Kolbenstange mit der Schwungradwelle in Verbindung. Es wurde Arbeit abgegeben,
während die Spannung im Zylinder stieg. Sobald sie den Luftdruck überschritt,
öffnete sich ein Auslaßventil. Das Gas wurde beim weiteren Sinken des Kolbens aus
dem Zylinder gedrückt, und die lebendige Kraft des Schwungrades veranlaßte den
Wiederbeginn des beschriebenen Prozesses. Mit Recht führte der Motor den Namen
„atmosphärische Gasmaschine“, denn nur der Druck der Außenluft leistete
Arbeit, während die Explosion des Gases lediglich zur Erzeugung einer
Luftverdünnung; diente. Selbstverständlich mußte auch die neue Kraftmaschine eine
gewisse Entwicklungszeit durchmachen und hatte nicht von Anfang an die beschriebene
Gestalt. Jedenfalls war sie aber bereits 1864 so weit fertig, daß sich Otto in
England, Frankreich, Belgien und einigen der. deutschen Einzelstaaten seine
Erfindung konnte patentieren lassen. Jetzt aber ergaben sich finanzielle
Schwierigkeiten bei der Verwertung der Patente. Auch machte sich das Fehlen
konstruktiver Erfahrungen bei Otto deswegen in stärkerem Maße bemerkbar, weil die
atmosphärische Maschine, insbesondere deren Schaltwerk, einer exakten technischen
Durcharbeitung bedurfte.
Ein Helfer wurde in dem Ingenieur Eugen Langen gefunden. Derselbe erblickte am 9.
Oktober 1833 als fünfter Sohn eines Kaufmanns zu Köln das Licht der Welt. Nach
Verlassen der Realschule bezog er als Siebzehnjähriger das Polytechnikum zu
Karlsruhe. An dieser auf hoher Stufe stehender Lehranstalt genoß Langen eine
vorzügliche Ausbildung. Nach Abschluß seiner Studien war er praktisch auf der
Friedrich-Wilhelm-Hütte in Troisdorf tätig. Dort bewies er zum ersten Male seine
hohe Begabung für die Lösung technischer Aufgaben durch Erfindung des
„Langenschen Etagenrostes“. Hierdurch kam er in den Besitz einiger, wenn
auch nur bescheidener Mittel und wurde als Ingenieur und Geldgeber der geeignete
Mann, um das Unternehmen Ottos zu fördern. Dennoch hatte die nunmehr für den Bau von
Gasmaschinen unter dem Namen „N. A. Otto et Comp.“ gegründete Firma zunächst
sehr stark unter Kapitalmangel zu leiden. Endlich entschloß sich im Jahre 1865
der Mechaniker Schetter in Köln zum Kauf eines Motors. Als zweiter folgte 1866 der
Bandagist Hunzinger, und als großen Erfolg konnte man die Erlangung der goldenen
Medaille auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1867 buchen. Hier war es vor
allem Langens Freund Reuleaux, der als deutscher Preisrichter eine eingehende
Untersuchung der Ottoschen Maschine durchsetzte und auf Grund ihres verhältnismäßig
geringen Gasverbrauches die Prämiierung erzwang. Dessenungeachtet hörten die Sorgen
nicht auf. Bisweilen schien alles Erreichte wieder in Frage gestellt. Nur dem
ständigen ermutigenden Zuspruch Reuleaux war es zu verdanken, daß das Unternehmen
fortgeführt wurde. Schließlich fand man in Rooseu einen kapitalkräftigen
Mitarbeiter. Die alte Firma wurde liquidiert und in neuer Gestalt unter dem Namen
„Langen, Otto & Roosen in Köln“ wieder ins Leben gerufen. Leider
zeigte der zuletzt eingetretene Teilhaber nicht die erforderliche Ausdauer. Sein
Ausscheiden wurde aber bei weitem durch den Umstand aufgewogen, daß Langen nunmehr
den festen Glauben an die große Zukunft des Gasmotors gewonnen hatte. Mit der ganzen
ihm eigenen Tatkraft ging er an die Sicherung des erhofften Erfolges. Durch Gründung
einer Aktiengesellschaft suchte er das Unternehmen auf eine möglichst breite
Grundlage zustellen. So trat am 5. Januar 1872 die „Gasmotoren-Fabrik Deutz
A.-G.“ mit einem Kapital von 300 000 Talern ins Leben. Sie entwickelte sich
in Zufriedenstelleinder Weise. Dies war nicht zum mindesten dem Umstand zu
verdanken, daß in Daimler ein Ingenieur von ausgedehnter Werkstattserfahrung und in
Maybach ein hervorragender Konstrukteur gewonnen wurden. Auch brachte der
wirtschaftliche Aufschwung nach dem glücklichen Kriege von 1870/71 eine Reihe von
Jahren, die in finanzieller Hinsicht zu glänzenden Erfolgen führten. Interessant ist
es, daß man schon damals an die Verwendung flüssiger Brennstoffe dachte. Langen
verhandelte sogar mit der Firma Fetu-Defize in Lüttich über den Bau von
Straßenbahnwagen, die durch eine atmosphärische Gasmaschine bewegt werden sollten.
Trotz aller Fortschritte machte sich aber in immer stärkerem Maße der Mangel
geltend, daß eine wesentliche Steigerung der Leistung des Motors nicht gelang. Ueber
3 PS kam man nicht hinaus, und außerdem wurde der unvermeidlich, sehr geräuschvolle
Betrieb als lästig empfunden.
Otto fühlte daher nicht volle Befriedigung, wenn er von seinem erhöhten Sitzplatz, wo
er inmitten der Fabrik die kaufmännischen Bücher führte, die lebhafte Tätigkeit in
den Werkstätten beobachtete. Auf einem von der Außenwelt streng abgeschlossenen
Versuchsstand arbeitete er unablässig an der Vervollkommnung der Gasmaschine, stets
aufmerksam die von anderen Firmen im Wettbewerb gebauten Motortypen prüfend. Am 17.
Mai 1876 war Otto schließlich so weit gelangt, daß er in England eine
Patentanmeldung auf ein Verfahren zur Verbesserung der Gasmaschine einreichen
konnte. In einem zweiten Antrag ist die Arbeitsmethode des neuen Motors eingehend
beschrieben. Es soll ein in einem Zylinder laufender Kolben beim ersten Hub eine
Ladung von brennbaren und unverbrennlichen Stoffen ansaugen und beim zweiten Hub
verdichten. Hierauf soll Zündung und Arbeitsleistung beim dritten Takt erfolgen,
worauf während des anschließenden vierten Hubes die Verbrennungsrückstände entfernt
werden. Wie man sieht, ist die noch jetzt überwiegende Betriebsweise der Gasmaschine
im Viertakt deutlich beschrieben. Wenige Wochen nach der Patentanmeldung in England,
am 5. Juni 1876, tat Otto auch in Deutschland die entsprechenden Schritte. Er reichte zuerst ein
elsässisches Landespatent ein und verfuhr sodann in einigen anderen Einzelstaaten
ebenso. Bemerkenswert ist hierbei, daß Otto das grundlegende Viertaktverfahren
weniger scharf betonte als einen anderen, gegenwärtig recht nebensächlich
erscheinenden Umstand. Durch die bei der atmosphärischen Maschine gemachten
Beobachtungen war er nämlich zu der Erkenntnis gelangt, daß ein stoßfreies Arbeiten
des Motors nur bei Verwendung gasarmer Gemische zu erreichen sei und daß solche sich
nicht mit der wünschenswerten Sicherheit entzünden. Otto hielt es daher für richtig,
bei Beginn des ersten Hubes nur Luft und danach ein ziemlich gasreiches Gemisch
anzusaugen. Innerhalb des Zylinders sollte dann folgende Schichtung stattfinden: a)
Am Kolben Rückstände schon verbrannter Gase, b) An der Zündstelle im Deckel des
Zylinders ein verhältnismäßig brennstoffreiches Gemisch, c) Zwischen letzterem und
den Rückständen reine Luft. Man glaubte, durch diese Lagerung zu erreichen, daß
einerseits die Zündung mit Sicherheit erfolgte und andererseits die Explosion nicht
zu heftig ausfiele, da ja nur am Zylinderdeckel ein gasreiches Gemisch vorhanden
war, während ein großer Teil des Zylinderinhaltes aus reiner Luft bestand.
Gegenwärtig hält man die von Otto angestrebte Wirkung für schädlich. Es kann demnach
auch in diesem Fall, wie so oft in der Technik, die Beobachtung gemacht werden, daß
der Urheber eines genialen Gedankens das wesentliche desselben, wenn auch nicht
übersieht, so doch selbst nicht im gebührenden Maße würdigt. Ein anderer Umstand,
auf den mit Recht hoher Wert gelegt wurde, war das ziemlich geräuschlose Arbeiten
der Maschine, die in England geradezu den Namen „Otto Silent“ erhielt.
Als weiterer Vorzug des Viertaktmotors gegenüber der atmosphärischen Maschine ist
noch die große Ersparnis an Raum und Gewicht zu betrachten. Ferner fiel die
verwickelte Kupplung zwischen Kolbenstange und Kurbelwelle fort. Dies bedeutete die
Beseitigung einer betrieblichen Unsicherheit und gleichzeitig die Möglichkeit, zu
großen Leistungen überzugehen.
Der Ruhm der Erfindung des Viertaktmotors blieb leider für Otto nicht unbestritten.
Die große Energie, mit welcher er die ihm durch seine Patente gewährleisteten Rechte
zu verwerten bestrebt war, rief zahlreiche Gegner auf den Plan. Es entwickelte sich
ein endloser Prozeß, in dessen Verlauf eine nur in wenigen Exemplaren erschienene,
längst vergessene Schrift in französischer Sprache auftauchte, in der Beau de Rochas
das Viertaktverfahren beschrieben hatte. Zu irgend einer praktischen Verwertung der
in dem genannten Buch ausgesprochenen Gedanken war es niemals gekommen. Trotzdem
führte der sehr unerquickliche juristische Streit zu dem Ergebnis, daß in
Deutschland der Hauptanspruch des Ottoschen Patentes vernichtet wurde, während man
ihn in England anerkannte. Verbitternd wirkte in der Folgezeit auch die Erkenntnis,
daß ein Zusammenarbeiten der Leitung der Gasmotorenfabrik Deutz mit ihrem
hervorragendsten Ingenieur Gottlieb Daimler nicht mehr möglich sei, da dieser seine
hohen Fähigkeiten freier zu entwickeln bestrebt war. Trotz aller erreichten
wirtschaftlichen Vorteile blieb somit auch Otto nicht von dem sprichwörtlich
gewordenen tragischen Geschick verschont, das schon so manchen Erfinder traf.