Titel: | Das Weltbild vom Standpunkt der Wärmetheorie. |
Autor: | Schmolke |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 129 |
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Das Weltbild vom Standpunkt der
Wärmetheorie.
Von Studienrat Ing. Schmolke, Berlin.
SCHMOLKE, Das Weltbild vom Standpunkt der Wärmetheorie.
Textabbildung Bd. 341, S. 129
Jedem Ingenieur, der sich mit thermodynamischen Fragen zu beschäftigen hat, ist die
in der Abb. wiedergegebene zeichnerische Darstellung des Carnotschen Kreisprozesses
bekannt. Aber auch den der Wärmetheorie ferner stehenden Praktiker werden die in der
Figur enthaltenen Bezeichnungen über die Bedeutung des Diagrammes aufklären. Wie man
leicht erkennt, ist Fläche ABCD=\frac{Q_1\,T_1}{T_1}, das heißt
die während der bei der Temperatur T1 verlaufenden
isothermischen Expansion BC zugeführte Wärmemenge Q1. Fläche ADEF stellt die im Verlauf der isothermischen Kompression abgeführte
Wärme \frac{Q_2\,T_2}{T_2}=Q_2 dar. Schließlich wäre das
schraffierte Flächenstück BCEF gleich der geleisteten Arbeit, und hieraus ergibt
sich, daß der Wirkungsgrad des Prozesses durch das Verhältnis
\frac{\mbox{Fläche }BCEF}{\mbox{Fläche
}ABCD}=\frac{T_1-T_2}{T_1} veranschaulicht wird. Einige wichtige
Folgerungen lassen sich aus der gefundenen Gleichung ableiten. Es würde nämlich der
Nutzeffekt dieses günstigsten aller denkbaren Kreisprozesse nur dann 100 v. H.
werden, wenn T2 den Wert 0 annimmt bzw. wenn der
absolute Nullpunkt erreicht wird. Dies ist bekanntlich unmöglich, und eine
vollständige Umwandlung von Wärme in Arbeit wäre somit ausgeschlossen. Eine
solche Erkenntnis führt mit zwingender Beweiskraft zu dem Schluß, daß Wärme eine
minderwertige Energieform ist, denn jede Verwandlung von lebendiger Kraft bewegter
Massen in Wärme läßt sich nur zum Teil wieder rückgängig' machen. Sie bedeutet
demnach eine Beeinträchtigung der gesamten Arbeitsfähigkeit Es vollziehen sich nun
aber unausgesetzt Umwandlungen der erwähnten Art oder mit anderen Worten es findet
eine ständige Entwertung des vorhandenen Energievorrates statt. Dies muß unbedingt
zuletzt zu dem Ziele führjen, daß alles Vermögen, Arbeit zu leisten, verschwindet
und jegliche Bewegung zum Stillstand kommt.
Die Abbildung zeigt ferner, daß es einen ganz bestimmten Mindestwert gibt, der auch
im besten Falle als Verlust zu buchen ist. Wie ohne Mühe erkannt wird, erhält man
den Betrag der Wärme, der nicht in Arbeit umgesetzt werden konnte, durch
Multiplikation der Zunahme des Quotienten \frac{Q}{T} mit der
niedrigsten Temperatur, die während des Prozesses auftrat. Man bezeichnet deshalb
die durch die Abszisse dargestellte Größe \frac{Q}T{}
Verwandlungswert- oder Entropieveränderung und schließt, daß der unvermeidliche
Verlust bei jeder Vermehrung der Entropie wächst. Diese Folgerung eröffnet aber
wiederum, wie man bei näherer Betrachtung bemerkt, einen wenig erfreulichen Ausblick
auf die zukünftige Gestaltung unseres Weltbildes. Es läßt sich nämlich nachweisen,
daß eine ununterbrochene Entropiezunahme stattfindet, was nach obigem wiederum
gleichbedeutend mit einer Verminderung der Arbeitsfähigkeit ist. Zunächst sei der
Fall des Temperaturausgleiches zwischen zwei Stoffen von verschiedenem Wärmegrad
betrachtet. Er vollzieht sich fortwährend selbsttätig in der Natur und kann daher
Anspruch auf besondere Bedeutung machen. Als Sonderfall mögen die Vorgänge geprüft
werden, die sich abspielen, wenn 1 kg Wasser von der Temperatur T1 in Berührung kommt mit der gleichen
Flüssigkeitsmenge vom Wärmegrad TII, so daß sich die
mittlere Temperatur \frac{T_I+T_{II}}{2} einstellt. Es würde sich
zunächst darum handeln, die Größe der Entropie vor der Mischung festzustellen. Zu
diesem Zweck setzt man willkürlich für 1 kg Wasser von 0° C. den Entropiewert S
gleich 0. Da ferner eine unendlich kleine zugeführte Wärmemenge dQ gleich cdT ist,
wobei c die spezifische Wärme der Flüssigkeit bedeutet, so folgt für das Kilogramm
Wasser von der Temperatur
T_1\,S_1=\int_0^{T_1}\,\frac{c\,d\,T}{T}=c\,ln\,\frac{T_1}{T_0}.
Es wurde hierbei c als unveränderlich betrachtet, was bei der in Frage kommenden
Flüssigkeit zulässig erscheint. T0 bezeichnet eine
Temperatur von 0° C. In analoger Weise ergibt sich für das Kilogramm Wasser, dessen
Anfangstemperatur TII ist, die Entropie
S_{II}=c\,ln\,\frac{T_{II}}{T_I} Es wäre demnach vor dem
Ausgleich der Wärmegrade für die gesamte Flüssigkeitsmenge der Wert der
S_a=S_I+S{II}=cln\,\frac{T_I\,.\,T_II}{{T_0}^2}. Nach
Beendigung des Vorganges ist demgegenüber die Gesamt-Entropie
S_b=c\,ln\,\frac{T\,m^2}{{T_0}^2}, und es handelt sich nun
darum, ob Sa größer oder kleiner als Sb ist. Ueber die Antwort auf eine dahin zielende
Frage kann kein Zweifel bestehen. Sb–Sa ist positiv. Es wäre nämlich diese Differenz
gleich
c\,ln\,\frac{T\,m^2\,.\,{T_0}^2}{{T_0}^2\,.\,T_I\,.\,T_{II}}=c\,ln\,\frac{T\,m^2}{T_I\,.\,T_{II}}.
Der Zähler des hierbei auftretenden Logarithmus ist nun größer als der Nenner, da
das Quadrat des arithmetischen Mittels zweier Zahlenwerte immer einen höheren Wert
als deren Produkt besitzt. Der Logarithmus muß somit stets größer als 0 sein, was
damit gleichbedeutend wäre, daß die oben angegebene Differenz positiv wird bzw. daß
die Entropie eine Zunahme erfährt. Eine Verminderung der Arbeitsfähigkeit ist die
unausbleibliche Folge. Daß ein Temperaturausgleich in diesem Sinne wirkt, dürfte
auch dem Laien bei näherer Betrachtung der Formel für den Nutzeffekt des
Carnotprozesses verständlich werden. Dieselbe besagt nämlich, daß eine
Arbeitsleistung unmöglich ist, wenn ein Temperaturgefälle nicht existiert. Ein
solches verschwindet beim Ausgleich der Wärmegrade und mit ihm die Möglichkeit,
Arbeit zu verrichten. Aber nicht nur der geschilderte Uebergang der Wärme vom
heißeren zum kühleren Körper verursacht eine Entwertung der Energie. In jeder
Arbeitsmaschine vollzieht sich ein ähnlicher Vorgang. Komprimiert man beispielsweise
Luft auf isothermem Wege, so muß die Wärmemenge Q von dem zusammengepreßten Gas an
eine kühlende Flüssigkeit abgegeben werden. Es erfolgt nun aber ein Wärmeübergang
erst dann, wenn die Temperatur der Luft T etwas höher gestiegen ist als die des
Kühlwassers Tk. Es wäre demnach die Abnahme der
Entropie des Gases \frac{Q}{T} und die Zunahme der Entropie der
Flüssigkeit \frac{Q}{T_k}. Der Zähler des letzteren Bruches ist
kleiner als der des ersteren. Infolgedessen ist die Entropiezunahme des ganzen
Systemes größer als die Abnahme, das heißt man ist wieder zu demselben Ergebnis wie
oben gelangt. Ueberhaupt ist der Unterschied zwischen den zwei beschriebenen
Vorgängen letzten Endes nur äußerlich. Der in beiden Fällen stattfindende
Temperaturausgleich ist das wesentliche. Auf jeden Fall ist die Aussicht auf die
zukünftige Gestaltung der Welt wenig tröstlich. Unvermeidlich scheint das Schicksal,
daß, wenn auch erst nach riesigen Zeiträumen, das Universum in Todesstarre
ruht. Dieser Gedanke ist nicht nur wahrhaft grauenerregend, sondern auch
widersinnig. Die Vernunft sträubt sich gegen die Anschauung, daß das All dermaleinst
ein ungeheures Grab sein soll. Sie sucht nach einem Ausgleich zwischen den
mathematisch-physikalischen Schlußfolgerungen, deren Beweiskraft sie sich nicht
entziehen kann, und der natürlichen Logik, die selten zu täuschen pflegt. Ob ein
solcher zu finden ist, soll im Folgenden einer kurzen Betrachtung unterzogen
werden.
Für dieselbe dürfte es wichtig sein, festzustellen, ob denn unser Weltbild, abgesehen
von den sich aus dem Entropiesatz ergebenden Schlüssen, noch weitere Unstimmigkeiten
aufweist. Zu diesem Zweck sei zunächst die Kant-Laplacesche Theorie einer Prüfung
unterworfen. Sie bildet bis heute die wesentlichste Grundlage für die Betrachtung
kosmischer Probleme und dürfte in ihren hauptsächlichsten Bestandteilen die Zeiten
überdauern. Ihr Inhalt läßt sich kurz folgendermaßen zusammenfassen: Entsprechend
dem Gesetz der Massenanziehung erfolgt an einer Stelle des Weltenraumes die
Kontraktion von Materie. Hierbei wird durch die wirksamen Kräfte eine ungeheure
Arbeit geleistet. Die Masse gerät daher in Glut, und es entsteht ein im weißen Licht
strahlender Fixstern. Dieser erkaltet allmählich, gerät erst in Gelb- und dann in
Rotglut, um schließlich ein Dunkelstern zu werden. Die von ihm im Verlauf von
Jahrmillionen ausgestrahlte Wärme muß also gedeckt werden durch die während seines
Entstehens tätig gewesenen Kräfte. Würde man das Alter eines Fixsternes kennen, so
ließe sich die Richtigkeit der Theorie dadurch prüfen, daß man die in den Weltraum
durch Strahlung abgegebene Energie mit der Arbeit der Anziehungskräfte vergleicht.
Letztere wurde schon mit hinreichender Annäherung von Helmholtz bestimmt. Aber auch
das Alter von Gestirnen läßt sich mit einer gewissen Sicherheit feststellen. Zum
mindesten trifft dies bei dem von uns bewohnten Planeten zu.
Hier läßt sich eine geologische Zeitrechnung auf Grund der Bildung von Blei und
Helium in Uranmineralien aufbauen. Dieselbe stützt sich auf die Tatsache, daß man
die Zerfallgeschwindigkeit eines Radioelementes durch kein Mittel beeinflussen kann.
Man hat derartige Substanzen Temperaturen von – 240° bis + 2500° sowie Drücken von
24400 at. ausgesetzt, ohne die geringste Beschleunigung oder Verzögerung des
Zerfalles erzielen zu können. In stets gleichbleibender Geschwindigkeit führt er
über zahlreiche Zwischenstufen zum Endprodukt, dem Uranblei, das sich durch sein
Atomgewicht vom gewöhnlichen Blei unterscheidet. Die in einem Uranmineral gefundene
Menge dieses letzten Gliedes der sogenannten Zerfallsreihe ist demnach ein Maß für
dessen Alter. Boltwood, Strutt und Holmes haben auf dieser Grundlage eine Methode
der Zeitmessung entwickelt. Sie führt zu dem Ergebnis, daß die erste Periode der
Frühzeit (Eozoikum), das sogenannte untere Präkambrium, in welchem das Leben auf der
Erde bereits begonnen hatte, schon 1500 Jahrmillionen zurückliegt. Noch etwas früher
muß die Bildung einer festen Erdkruste erfolgt sein, und sicherlich besteht die
Sonne als Fixstern noch viel längere Zeit. Hinsichtlich ihres Alters ist man nun
allerdings in weitgehendem Maße auf Vermutungen angewiesen. Indessen wird von
berufener Seite der Annahme, daß das Alter des Muttergestirnes der Erde etwa 10 000
Millionen Jahre sei, viel Wahrscheinlichkeit zugesprochen. Diese Erkenntnis führt
aber zu einem Widerspruch zwischen der Kant-Laplaceschen Theorie und dem
Energiegesetz.
Die durch die Arbeit der Massenanziehung entwickelte Wärme reicht nämlich nicht
im entferntesten dazu aus, um die Strahlungsverluste während des oben angegebenen
riesigen Zeitraumes zu decken. Auch die Annahme, daß radioaktive Vorgänge eine
erhebliche Rolle bei der Bestreitung des Energiebedarfes spielen, liefert keine
ausreichende Erklärung, wenngleich sie bis zu einem gewissen Grad dazu beiträgt, die
Lösung des Rätsels zu fördern. Unverständliche Widersprüche bleiben bestehen, und
unbestreitbar führt der erste Wärmesatz zu dem Ergebnis, daß eine reifliche Prüfung
gerade der kosmischen Theorien am Platze ist, deren Richtigkeit lange nicht
bezweifelt wurde. Das Verdienst ihrer Urheber wird hierdurch kaum verkleinert.
Erscheinen doch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, auf welche sich jene
großen Männer stützen konnten, noch recht beschränkt im Vergleich zu dem heutigen
Stand der Physik und Chemie. Keiner der Wärmesätze war bekannt, und sogar deren
Entdecker sind ja selbst nicht zu den sich aus ihnen ergebenden Folgerungen für die
Entwicklung des Kosmos gelangt. Beispielsweise machte erst Lord Kelvin auf den
„Wärmetod“, das heißt die erwähnten düsteren Aussichten, aufmerksam, die
der Carnot-Clausiussche Satz eröffnet.
Nun ist mit den aufgezählten Unstimmigkeiten deren Reihe durchaus nicht erschöpft.
Setzt man einen Anfang aller sich auf der Welt vollziehenden Vorgänge nicht voraus,
so müßte die Gravitation längst zu einem Zusammenballen der Materie geführt haben.
Ueberdies leitet die Theorie der radioaktiven Prozesse ebenfalls zu Konsequenzen,
die nicht viel erfreulicher sind als die geschilderten Schlußfolgerungen aus dem
Entropiesatz.
Es herrscht nämlich bei den Physikern kaum ein Zweifel darüber, daß nicht nur die
Elemente, bei denen sich dies bisher nachweisen ließ, sondern sämtliche Stoffe einem
radioaktiven Abbau unterliegen, der vielfach allerdings mit ungeheurer Langsamkeit
erfolgt. Trotzdem bleibt es unerklärlich, warum dieser Abbau nicht schon lange
vollendet ist, was gleichbedeutend mit dem Verschwinden jeder Verschiedenheit der
Materie, mit einer erschreckenden Oede, wäre. Wie man sieht, reiht sich Rätsel an
Rätsel, deren Anzahl noch keineswegs abgeschlossen ist.
Unwillkürlich erhebt sich bei Berücksichtigung dieses Umstandes die Frage nach dem
Gültigkeitsbereich der sogenannten Naturgesetze. Ist es zulässig, daß man sie ohne
weiteres bei der Lösung kosmischer Probleme verwendet? Sind dieselben oder
wenigstens ein Teil von ihnen als unumstößliche Wahrheiten zu betrachten? Die
nächstliegende Antwort auf diese Fragen dürfte bejahend ausfallen, denn kein
Beispiel ist bekannt, in dem die Grundsätze der Physik und Chemie bei ihrer
Anwendung auf das Weltall versagten. Dennoch scheinen die Verhältnisse nicht so ganz
einfach zu liegen, wie die nachstehende Betrachtung zeigen dürfte: Zunächst sollte
man keinesfalls die Tatsache aus dem Auge verlieren, daß unsere Naturgesetze
lediglich auf Grund von Erfahrungs-material aufgebaut wurden. Sie lassen sich nicht
durch abstrakte Gedankengänge irgendwelcher Art ableiten. Zwar sind sie durch
zahllose Versuche und Anwendungen der verschiedensten Art bestätigt worden, indessen
darf man nicht vergessen, seit wie kurzer Zeit und unter was für beschränkten
Verhältnissen Prüfungen ihrer Richtigkeit erfolgen konnten. Wie verschwindend
erscheinen alle irdischen Abmessungen gegenüber den Tausenden von Lichtjahren, durch
welche die Entfernung von Himmelskörpern bestimmt wird. Nun kann man sich des
Eindruckes nicht erwehren, daß gerade im letzten Vierteljahrhundert eine neue Zeit
der physikalischen Forschung angebrochen ist. Manche Gesetze, deren strenge
Richtigkeit niemals, bezweifelt wurde, haben sich Beschränkungen gefallen lassen
müssen. Die glänzende elektromagnetische Lichttheorie Maxwells ist mit der
Quantenhypothese Plancks unvereinbar. Die Lorentztransformation und die
Relativitätstheorie Einsteins haben die Annahme zerstört, daß mit Newtons
Anziehungsgesetz das letzte Wort über die Kräfte gesprochen sei, welche die Bewegung
der Himmelskörper regeln. Die genannten neuen Theorien machen aber selber keinen
Anspruch darauf endgültig zu sein. Sie stellen einen Fortschritt dar, sind jedoch
ebensowenig Naturgesetze wie die von ihnen ergänzten früheren Anschauungen. Ein
wirkliches Gesetz darf niemals versagen. Geschieht dies auch nur einmal, so wird es
zur Annäherungsregel, die vielleicht innerhalb gewisser Grenzen mit größter
Genauigkeit zutrifft und deshalb hohen praktischen Wert haben kann. Der Ruhm der
großen Physiker der Vergangenheit wird somit nicht verkleinert durch die
Feststellung, daß sie Abschließendes nicht geschaffen haben. Wohl aber läßt sich aus
dem Vorstehenden die Hoffnung ableiten, daß es möglich ist, die drohenden
Zukunftsbilder zu verlöschen, die der Entropiesatz der Welt in Aussicht stellt. Bei
der Beurteilung dahinzielender Hypothesen ist es eine selbstverständliche
Voraussetzung, daß nicht die zwingende Beweiskraft mathematischer Schlußfolgerungen
noch die Fülle exakter Versuchsunterlagen erwartet werden darf, die im Gebiet der
normalen Physik unerläßliche Forderungen sind. Eine Annahme, die keine
physikalischen Unmöglichkeiten in sich birgt, die erfahrungsgemäß festgestellte
Erscheinungen hinreichend erklärt und widersinnige Schlußfolgerungen beseitigt, ist
auf dein Gebiet der kosmischen Physik schon von höchstem Wert.
Gegenwärtig liegt wohl nur eine von Walther Nernst ausgesprochene Hypothese vor,
welche den genannten Anforderungen entspricht. In ergreifender Weise erzählt der
große Physiker, einen wie tiefen Eindruck im Jahre 1886 während seines Studiums in
Graz der Ausspruch Boltzmanns auf ihn gemacht habe, daß alle Versuche, vom Weltall
den Wärmetod abzuwenden, hoffnungslos seien. Unablässig blieb seit jener Zeit Nernst
bemüht, dennoch einen Ausweg zu entdecken, und scheint, gestützt auf die letzten
Errungenschaften der Physik, einen solchen auch gefunden zu haben. Von
ausschlaggebender Bedeutung waren hierbei die Beziehungen zwischen Materie und
Energie, deren Erkenntnis die neuesten Forschungen brachten. Ihnen zufolge verliert
ein Körper Masse, sobald er Energie abgibt. Dieser Verlust ist überaus klein, aber
beim radioaktiven Zerfall schon nicht mehr ganz unmerklich. Die ungeheuren
Energieausstrahlungen, welche von den Fixsternen in das Aethermeer gesandt werden,
bedeuten somit eine gleichzeitige Verflüchtigung von Materie. Nun besitzen nach der
modernen Auffassung auch beim absoluten Nullpunkt die Atome noch einen
beträchtlichen Energieinhalt, da inn ihrem Inneren selbst bei dieser Temperatur eine
lebhafte Bewegung stattfindet. Es beruht daher ein Teil ihrer Masse auf
Energieinhalt, und die Vermutung liegt nahe, daß die gesamte Materie aus
Nullpunktsenergie besteht. Wie Nernst in einer kürzlich erschienenen sehr
lesenswerten SchriftDas Weltgebäude im
Lichte der neueren Forschungen. Von W. Nernst. Berlin, Julius
Springer. ausführt, scheint nun bei Beachtung der vorstehenden
physikalischen Forschungsresultate folgende Annahme keineswegs unwahrscheinlich: Der
radioaktive Abbau erfährt dadurch eine Fortsetzung, daß seine Endprodukte, also
Helium- und Wasserstoffatome, sich in die Nullpunktsenergie des Aethers verwandeln.
Aus letzterer bilden sich gelegentlich wiederum neue Atome chemischer Elemente.
Diese vereinigen sich zu Sternen entsprechend der Kant-Laplaceschen Theorie. Sie
sind sehr stark radioaktiv und ermöglichen dadurch die lange Strahlungsdauer der neu
gebildeten Himmelskörper. Allmählich werden die Elemente der genannten Art immer
seltener, und es tritt langsames Erkalten und weiterer radioaktiver Abbau ein, bis
der neugebildete Stern wieder verschwunden ist. Wie man sieht, beseitigt diese
Hypothese die Möglichkeit, daß sich alle Materie schließlich in die Endprodukte des
radioaktiven Zerfalles verwandelt. Sie läßt auch die Befürchtungen hinsichtlich des
Wärmetodes verschwinden. Der Aether gibt die in ihn hinausgestrahlte Energie wieder.
Sie ist nicht verloren, sondern wird zur Erschließung neuer Wärmequellen verwertet.
Die im Weltraum verflüchtigte Materie kehrt zurück, indem sie zur Bildung neuer
Sterne dient. Nun könnte man gegen die Nernstsche Theorie einwenden, daß ihr
experimenteller Nachweis fehlt. Noch nie ist das Verschwinden eines Helium- oder
Wasserstoffatomes oder die Neubildung der Bausteine eines chemischen Elementes
beobachtet worden. Ein derartiger Einwurf wäre unbegründet. Wie Nernst am genannten
Orte zeigt, könnte nämlich ein solches Ereignis innerhalb eines Raumes von 100
dcm3 viel seltener als einmal in 1000
Jahrmillionen eintreten, ohne daß seine Hypothese erschüttert würde. Dieser
Nachweis, auf den hier nicht weiter eingegangen werden kann, stützt sich auf die
ungeheure Dauer des radioaktiven Zerfalls. Sehr gut vereinbar mit der neuen Theorie
ist die Tatsache, daß in den Meteoriten Elemente von großem Atomgewicht fehlen. Es
besteht nämlich der radioaktive Abbau darin, daß sich Elemente von höherem in solche
von kleinerem Atomgewicht spalten. Wenn nun die Meteorite tatsächlich Bruchstücke
erloschener Sterne sind, so müssen sich zufolge der Hypothese von Nernst in ihnen
radioaktive Vorgänge von endloser Dauer vollzogen haben, die das Verschwinden der
Grundstoffe von hohem Atomgewicht zur Folge hatten. Nicht unerwähnt möge es zum
Schlüsse bleiben, daß Nernst an der Existenz des Aethers festhält. Seine Anschauung
wird von vielen hervorragenden Physikern geteilt, während sie bekanntlich von
anderer Seite vor einigen Jahren Angriffe erlitt, die durch populäre Artikel in
Tageszeitlungen eine weitere Verbreitung erfuhren, als bei wissenschaftlichen Fragen
sonst üblich ist.