Titel: | Amerikanische Arbeit. |
Autor: | W. Müller |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 154 |
Download: | XML |
Amerikanische Arbeit.
Von Professor Dr.-Ing. W. Müller.
MÜLLER, Amerikanische Arbeit.
Wenn man mit dem Dampfer in den Hafen von New York einfährt, so bietet sich dem
Auge ein prächtiger Anblick dar. New York City, das eigentliche New York, liegt auf
der schmalen, sehr lang gestreckten Halbinsel Manhattan und wird zu beiden Seiten
vorn East- bzw. Hudson-River begleitet. Längs dieser beiden Ströme zieht sich ein
Häusergürtel mit Bauwerken von normaler Höhe hin, und im Innern sehen wir jene
berühmte Zone von Wolkenkratzern, die sich wuchtig und in majestätischer Größe aus
dem Häusermeere zum Himmel recken. Da finden wir Höhen bis zu 58 Stockwerken bzw.
250 Metern.
Dieses unvergleichliche Bild ist zugleich ein Symbol für die amerikanische
Wirtschaft, deren Pulsschlag in New York, der Stadt der Weltfinanz, der ungeheuren
Versicherungsgesellschaften und der sonstigen hunderttausendfältigen Büros schlägt.
Aber wir finden im Lande noch eine zweite Stadt von fast ähnlichen Ausmaßen, nämlich
Chicago. Diese Metropole des Binnenlandes, am Michigan-See gelegen, wo vor 120
Jahren noch ein Blockhaus stand, und Kämpfe mit den Indianern aus-gefochten wurden,
hat sich ein Industriegebiet angegliedert, das die größten Stahl- und Zementwerke
der Welt umfaßt. Und nicht ganz fern von Chicago, nach Osten hin, finden wir
Detroit, jene berühmte Stadt der Automobilfabrikation, der Henry Ford den Stempel
aufgedrückt hat. In dieser Stadt werden fast nur Automobile hergestellt, und es sind
die größten Werke hier vereinigt, von denen das Fordsche Unternehmen allein über
110000 Menschen umfaßt. Südlich von Chicago und Detroit in der Gegend von Cincinnati
und Cleveland treffen wir die hervorragende amerikanische Werkzeugmaschinenindustrie
an, die aber auch im Norden des Staates New York sowie in den Neu-England-Staaten
Massachusetts, Vermont und Connecticut durch hervorragende Firmen vertreten ist.
Nicht allzu weit von Washington und Philadelphia nach dem Innern des Landes zu
befinden sich die Industriegebiete von Bethlehem und Pittsburgh, in denen
hauptsächlich Stahlwerke ihren Sitz haben. Besonders in der Pittsburgher Gegend
reiht sich ein Stahlwerk an das andere.
Betrachten wir uns nun einmal etwas näher, mit welchen Methoden und Einrichtungen die
amerikanische Industrie arbeitet! Wir müssen da zwei Produktionsweisen
unterscheiden, nämlich die Einzelfabrikation und die Massenfabrikation, d.h. die
Methoden, die gebraucht werden, wenn man nur wenige Gegenstände von einer Sorte
herstellen will, sowie die Methoden für die Fabrikation großer Mengen derselben
Art. Beides ist grundsätzlich verschieden. Die Amerikaner haben nun im eigenen
Lande, das rd. 115 Millionen Einwohner umfaßt und über eine große Kaufkraft verfügt,
nach Möglichkeit die Massenfabrikation ausgebildet, weil diese die Grundlage für
niedrige Gestehungskosten und damit auch niedrige Verkaufspreise bildet. Die
Einzelfabrikation wird im allgemeinen in der gleichen Art und Weise wie bei uns
durchgeführt; sie erfordert die normalen Maschinen und muß deshalb auf geschickte
und gut ausgebildete Arbeiter achten. Ich brauche auf diese Verhältnisse nicht näher
einzugehen, da sie jedem bekannt sind und sich mit unseren Methoden ungefähr decken.
Anders steht es mit der Massenfabrikation. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß
Amerika die Massenfabrikation sowie auch die Fabrikation in größeren Serien, die
sich mit der eigentlichen Massenfabrikation zwar nicht deckt, aber ihr doch immerhin
verwandt ist, stark durchgebildet hat, um sich eben günstigere Arbeitsbedingungen zu
sichern. Das erste Erfordernis einer Fabrikation in größeren Mengen ist die
Spezialisierung auf bestimmte Typen und Größen; diese Spezialisierung ist in Amerika
außerordentlich weit gediehen, und erstreckt sich nicht nur auf Maschinen, sondern
in gleichem Maße auf Autos, Nähmaschinen, Schreibmaschinen, ja sogar
Bekleidungsstücke wie Herrentaghemden, Kragen usw. Die Folge davon ist, daß alle
standardisierten Artikel verhältnismäßig billig, die nicht standardisierten aber um
das vielfache teuerer im Einkauf sind. So kommt es, daß z.B. in der
Werkzeugmaschinenindustrie eine Fabrik nur Bohrmaschinen, eine andere nur Drehbänke,
eine dritte nur Fräsmaschinen bestimmter Art herstellt, wobei man vielleicht nur 2
oder 3 Typen dieser Maschinen und diese auch nur in etwa 2 oder 3 verschiedenen
Größen gewählt hat. Die Folge davon ist, daß der Werkzeugbestand einer solchen
Fabrik einfacher und nicht so umfangreich zu sein braucht, daß die
Verwaltungstätigkeit des Werkes sich einfacher gestaltet und daß Spezialmaschinen
und Werkzeuge gebraucht werden können, die nur für den einzigen bestimmten Zweck
verwendbar sind, sich dafür aber durch schnelle Arbeit und höchste
Leistungsfähigkeit auszeichnen.
Das zweite Mittel zur Hebung der Massenfabrikation, das die Amerikaner anwenden, ist
die Automatisierung des Produktionsprozesses. Diese geschieht in der Weise, daß die
Maschinen selbsttätig und ohne weiteres Zutun des Menschen arbeiten und den
betreffenden Gegenstand herstellen. Der Mensch hat nur die Aufgabe, der Maschine das zu
bearbeitende Material zuzuführen und im übrigen auf ihren guten Gang zu achten. Zwar
verwenden wir in Deutschland auch schon seit vielen Jahren sogenannte Automaten z.B.
für die Herstellung von Schrauben, Muttern und vielen andern Massenartikeln. Aber
Amerika ist viel weiter vor in der Entwicklung dieser Maschinen, weil es erkannt
hat, daß sie schneller, besser und intensiver arbeiten als Menschen, denen doch
immer die menschlichen Eigenschaften und Schwächen anhaften, die auch darin
bestehen, daß ein Arbeiter heute mal weniger zur Arbeit aufgelegt und
dementsprechend auch geschickter ist als vielleicht morgen. Durch derartige
Maschinen nimmt man allerdings den gelernten Arbeiter aus dem eigentlichen
Fabrikationsprozeß heraus und ersetzt ihn durch eine billigere, qualitativ nicht so
wertvolle andere Hilfskraft.
In Amerika geht man nun so weit, alles, was irgend geht, automatisch zu gestalten,
weil man dort auf dem Standpunkt steht, daß dasjenige, was eine Maschine
hervorbringen kann, auch Sache einer solchen und nicht mehr eines Menschen ist.
Daher kommt es, daß drüben auf allen Gebieten die besten Hilfsmittel zur Verfügung
stehen. So verwendet z.B. der Arbeiter, der den als Unterlage für das
Asphaltpflaster dienenden Beton bei Straßenausbesserungsarbeiten entfernen muß,
Preßluftmeißel an Stelle der bei uns gebräuchlichen langweiligen Lockerung von Hand
mittels Vorschlaghammer, und der Arbeiter, der hartes Erdreich aus der Baugrube
entfernen muß, gebraucht zum Einstechen in die Erde einen mit Preßluft betriebenen
Spaten; für den Antrieb von Haushaltungsnähmaschinen verwendet man auch sehr oft
einen kleinen Elektromotor und an Stelle der täglichen Eissendungen kühlt die
Hausfrau selbst mittels einer kleinen durch Motor getriebenen Kältemaschine die
Kühlkammern ihres Eisschrankes. In der Industrie aber ist die Automatisierung der
Maschinen schon so weit vorgeschritten, daß man in Spezialfabriken Arbeiterinnen
sehen kann, die 6 oder gar 10 Maschinen zugleich bedienen, dabei aber durchaus nicht
viel zu arbeiten brauchen, sondern den größten Teil der Zeit bequem auf einem Stuhle
dabeisitzen und sich vielleicht langweilen. Und in der größten Schuhfabrik können
wegen der weit getriebenen Automatisierung der Spezialmaschinen im Jahre über 300
Millionen Paar Schuhe hergestellt werden, womit der gesamte Schuhbedarf der
Bevölkerung vollständig gedeckt ist. Es ist von Interesse, zu hören, daß in allen
Schuhfabriken Amerikas jährlich über 500 Millionen Paar Schuhe hergestellt werden
können; da diese Mengen keinen Absatz finden, so folgt daraus, daß die Anlagen der
Schuhfabriken nur zum Teil ausgenutzt sind. Im Baugewerbe ist neuerdings eine
Maschine auf den Markt gekommen, mit der ein einzelner Mann in einer Stunde 49 000
Ziegelsteine formen kann, und während heute noch 33000 Arbeiter mit dieser Tätigkeit
beschäftigt sind, würden mit Hilfe dieser neuen Maschine nur insgesamt 5000 Arbeiter
benötigt werden.
Die Spezialisierung der Produktion und die Automatisierung der Fabrikation sind von
gewissen Folgen für die Arbeiterschaft begleitet, indem in der amerikanischen
Industrie der vollgelernte Arbeiter allmählich verschwindet und an seine Stelle der
angelernte und mit nur wenigen Spezialarbeiten vertraute Mann tritt. Daher kommt es,
daß die deutsche Arbeiterschaft die amerikanische in ihrer Qualität weit übertrifft.
Aber nicht nur der gelernte Arbeiter hat in den Vereinigten Staaten unter dieser
Entwicklung zu leiden, sondern auch der Hilfsarbeiter, der aus seinem bisherigen
Fach durch eine Mechanisierung des Transportwesens verdrängt wird. Dieses führt uns
zu der letzten Spezialeinrichtung für die Massenfabrikation. Nach der Richtung
hin haben die großen Schlachthäuser Chicagos befruchtend auf die übrige Industrie
gewirkt. Um nämlich die ungeheuren Mengen von Schweinen, Schafen und Rindern, die
für die amerikanische Bevölkerung notwendig sind, zentral schlachten und verarbeiten
zu können, hat man seit Dutzenden von Jahren schon eine automatisch fortschreitende
Arbeit eingeführt. Dies geschieht in folgender Weise: Das lebende Schwein wird mit
einem Hinterbein an eine Kette gelegt, die an einem sich weiter bewegenden Seilzug
befestigt ist, der über ein Rad läuft. Durch diese Einrichtung wird das Hinterbein
mit hochgenommen, und das Tier hängt dann mit dem Kopf nach unten und wird durch den
Seilzug an die Stelle gebracht, wo der Schlächter steht. Dort erfolgt der Stich; und
das tote Tier wird nunmehr in dauerndem Fortschreiten zum Zwecke der Verarbeitung
mit dem Transportseilzug durch den Arbeitsraum geführt. Es gelangt also auf diese
Weise von einem Arbeitsplatz zum andern. Jeder Mann hat nur eine ganz bestimmte,
verhältnismäßig eng umgrenzte Tätigkeit an dem Tiere auszuüben, die während der
Weiterbewegung geschieht. Daran erkennt man also, daß in ähnlicher Weise, wie die
Maschinen der Massenfabrikation spezialisiert sind, auch die Tätigkeit dieser
Arbeiter spezialisiert ist. Die Leute machen dauernd die gleiche Arbeit, was
natürlich allmählich langweilig werden würde, wenn nicht die schnell nachfolgenden
Tiere den Mann zu einer intensiven Arbeit zwängen. Wir sehen hier das eine, daß das
Transportwesen einmal mechanisiert ist, d.h. mittels Maschinen und unter
weitgehender Ausschaltung der menschlichen Arbeitskraft sich vollzieht, daß es aber
auch zugleich in den allgemeinen Fabrikationsprozeß einbezogen ist.
Diese Art der Fabrikation am laufenden Bande oder Conveyor, wie der Amerikaner sagt,
setzt sich allmählich immer mehr in der amerikanischen Industrie durch. Von den
Schlachthäusern übernahm zunächst die Autoindustrie dieses Arbeitsprinzip, weil sie
bei dem großen Massenkonsum und den schweren Einzelstücken auf diese Art des
Transportes angewiesen war. Von ihr aus verbreitete es sich dann immer weiter im
Lande, und wir finden es heute schon in der landwirtschaftlichen Maschinenindustrie,
in den Gießereien, in der elektrotechnischen Industrie und an manchen anderen
Plätzen, d.h. überall dort, wo eine Massenfabrikation durchgeführt ist.
Wir wollen den Gang einer solchen Fabrikation einmal näher betrachten: Nehmen wir
z.B. die Autofabrikation. Die Gehäuse der Motoren z.B. werden zunächst in der
Gießerei gegossen, indem hierfür eine besondere Transportanlage geschaffen ist. Die
Herstellung der Formen, in die das flüssige Gußeisen eingegossen wird, das
nachherige Eingießen des Eisens, das darauffolgende Abkühlen der Formen und das dann
folgende Entformen der Gußstücke geschieht alles am laufenden Conveyor, ohne daß
dieser jemals zum Stillstand gebracht wird. Die Leute müssen also sehr schnell und
ohne Unterbrechung arbeiten. Von der Gießerei rollt das Gehäuse mit Hilfe eines
Conveyors zur Putzerei, wird dort von Sand und Gußunreinheiten befreit und gelangt
dann zur Werkstatt, wo es weiter bearbeitet wird. In der Werkstatt läuft der
Conveyor von einer Maschine zur anderen. Das Gehäuse wird von dem Arbeiter auf seine
Bearbeitungsmaschine gebracht, es werden die Flächen in Fräsmaschinen sauber
bearbeitet, dann die Löcher gebohrt und die Gewinde zur Aufnahme der Schrauben in
die Lochwandungen geschnitten. Für alle diese Arbeiten werden
Spezialwerkzeugmaschinen benutzt. Das Fräsen geschieht auf Maschinen, die sich dauernd
drehen und dadurch dauernd arbeiten; das Auf- und Abspannen eines Gehäuses erfolgt
in der Zeit, wenn ein anderes Gehäuse von derselben Maschine bearbeitet wird.
Dadurch ist die Arbeit dauernd im Fluß, und man kann sie mit dem Gelde vergleichen,
das dauernd von einem Menschen zum andern rollt. Das Bohren der Löcher geschieht
auch im großen, während man früher immer ein Loch nach dem andern bohrte und eines
nach dem andern mit Gewinde versah, bohrt man heute die gesamten Löcher eines
Gehäuses zu gleicher Zeit und auf derselben Maschine und geht darin bis zu 63 Stück.
Genau das gleiche gilt für das Schneiden der Gewinde. Man erkennt daran die
ungeheure Zeitersparnis, und da Zeitersparnis auch zu gleicher Zeit Lohn- und
Zinsenersparnis ist, so läuft das ganze Wesen dieser Produktionsart auf eine
Verringerung der Produktionskosten und damit Verbilligung des fertigen Gegenstandes
hinaus. Das Zusammensetzen der einzelnen Teile zum ganzen Auto erfolgt auch auf dem
laufenden Bande in ununterbrochener Bewegung. Die Monteure erhalten die Einzelteile
durch getrennte Conveyor zugesandt, nehmen sie ab und setzen sie zum Ganzen
zusammen. Am Ende der Bahn ist das Automobil fertig; es wird noch einmal untersucht,
angekurbelt, natürlich auch mechanisch und nicht von Hand, und verläßt mit einem
Führer bemannt mit eigener Kraft den Betrieb, um sofort in dem bereitstehenden
Eisenbahnwaggon verladen zu werden. Hier erkennen wir ein weiteres Prinzip der
amerikanischen Industrie für die Verbilligung ihrer Produkte, indem sie die
Gegenstände nicht erst lange Zeit auf Lager nimmt, sondern sofort verladet und
absendet, wodurch schneller Geldeingang und Vermeidung großer Läger erzielt
wird.
Nachdem wir jetzt die Art der amerikanischen Produktion kennengelernt haben, können
wir die Folgen klar erkennen. Die Verringerung der Arbeiter- und Angestelltenzahl
durch die Spezialisierung des anzufertigenden Gegenstandes, die Automatisierung der
Werkzeugmaschinen, d.h. die weitere Verringerung des Personals, die Mechanisierung
des Transportwesens und die dadurch bedingte dritte Ersparnis an Menschen bringt es
mit sich, daß der aufzuwendende Lohn verhältnismäßig niedrig ist und dadurch absolut
um so höher gehalten werden kann, d.h. die Fabrik benötigt weniger Arbeiter, kann
sie aber dafür um so besser entlohnen. Dadurch sind die Löhne in Amerika sehr hoch
und die Waren trotzdem nicht teuer, wodurch die Kaufkraft der Bevölkerung
außerordentlich günstig ist. Aber dieses günstige Verhältnis ist nicht nur darauf
zurückzuführen, daß an Löhnen gespart wird, sondern auch darauf, daß vermöge des
mechanischen und automatischen Produktionsprozesses die Arbeitsleistung eines
Menschen gesteigert wird, zumal die Amerikaner dem einzelnen Arbeiter alle nur
erdenklichen Hilfsmittel an die Hand geben. Diese Hilfsmittel haben den Zweck, die
Arbeitskraft des Menschen möglichst zu schonen und sie auf diejenigen Arbeiten zu
beschränken, wozu ein Mann unbedingt notwendig ist, die also nicht von einer
Maschine ausgeführt werden können. Dieses Prinzip bedeutet also Kraftökonomie und
zugleich Ertragssteigerung, zwei wesentliche Momente für eine günstige Entwicklung
einer Volkswirtschaft im allseitigen Interesse.