Titel: | Pollopas, ein neuer glasklarer, unzerbrechlicher Kunststoff. |
Autor: | Landgraeber |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 168 |
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Pollopas, ein neuer glasklarer, unzerbrechlicher
Kunststoff.
Pollopas, ein neuer glasklarer, unzerbrechlicher
Kunststoff.
Funde in alten Gräbern sowie verschiedene Ueberlieferungen ägyptischer Pyramiden
und Aufzeichnungen von Plinius und Dio Cassius deuten darauf hin, daß der Antike ein
Glas bekannt war, das auf starken Druck nachgab und andere Formen annahm, ohne zu
zerbrechen. Auch bei den Alchimisten des Mittelalters stößt man hin und wieder auf
Erwähnungen von elastischem Glas. Ob es jemals gelingen wird, den Stein der Weisen
ausfindig zu machen, ist fraglich. Jedenfalls ist man seit Jahrhunderten eifrig
bemüht, jene Technik auszukundschaften. Bislang ist es nur in sehr beschränktem Maße
gelungen.
Eine neuere Erfindung, deren Ersterzeugnisse nunmehr auf dem Markt erscheinen, und
nach dem Pollopas-Verfahren hergestellt werden, dürften nicht nur für die
Glasindustrie, sondern auch für viele andere von Bedeutung werden. Da das unter dem
Namen Pollopas technisch und wirtschaftlich ausgenützte Kunstglas nicht nur alle
Erwartungen erfüllt, sondern sogar übertrifft, dürften sich der neuen Industrie
ausgedehnte technischindustrielle Verwendungsgebiete eröffnen. Die Erfinder sind die
Oesterreicher Dr. Fritz Pollak und Dr. Ripper. Sie berichten über den neuen
Kunststoff folgendes: Pollopas wird aus Kabamid und Formaldehyd hergestellt. Es ist
ein organisches Produkt und gehört in die Klasse der organischen Kolloide, das, wenn
einmal ausgeschieden, in Wasser nicht mehr löslich ist. Es ist irreversibel, ganz
ähnlich der kolloidalen Kieselsäure, wie sie beispielsweise in der Form des Opals
vorkommt. Darum wurde das vorliegende Colloid „Pollopas“ genannt. Die
Herstellung des gewünschten Produktes war deshalb mit um so größeren Schwierigkeiten
verknüpft, weil es sich hier nicht um die Herstellung eines neuen farblosen,
kolloidalen Produktes überhaupt handelte, sondern, weil man es in solcher Form
herstellen wollte, daß man ein fehlerloses und gleichmäßiges, vollkommen
durchsichtiges Material in beliebig großen Stücken erhielt. Auf Grund neuer, sehr
interessanter chemischer und physikalischer Erkenntnisse ist dieses gelungen.
„Pollopas“ ist ein vollkommen farbloses, durchsichtiges Material von der
Härte III der Mohsschen Skala (Kalkspat). Er läßt sich auf der Drehbank verarbeiten,
ferner feilen, fräsen, bohren, polieren, schleifen, ätzen und färben. Es ist weicher
als Glas und widersteht Temperaturen bis etwa 280 Grad Celsius, ohne zu verbrennen.
Bei höheren Temperaturen verkohlt es. Das neue Kolloid ist widerstandsfähig gegen
Lösungsmittel aller Art, selbst gegen verdünnte Säuren und Alkalien. Es ist halb so
schwer wie Fensterglas und hat den Brechungsindex 1 : 6 bis 1 : 9. Von Flintglas,
dem es ähnelt, unterscheidet es sich durch eine Anzahl sehr wertvoller
Eigenschaften. Vor allem läßt es die chemisch wirksamen Strahlen des Sonnenlichtes,
welche jenseits des sichtbaren Spektrums liegen (ultraviolette Strahlen), in weit
höherem Maße hindurchgehen, als Flintglas. Dies ist nun von hoher Bedeutung für die
Erbauung von Hospitälern, besonders für Lungenkranke, welche man bisher im Winter,
selbst bei großer Kälte, im Freien lagern mußte, um sie der wohltuenden Wirkung der
ultravioletten Strahlen der Sonne teilhaftig werden lassen zu können. Ebenso ist es
von Wichtigkeit für die Errichtung von Gewächshäusern, in denen bekanntlich der
Pflanzenwuchs in erster Linie durch die Wirkung der ultravioletten Lichtstrahlen
gefördert wird.
Pollopas splittert nicht in der gleichen Weise wie Glas. Es gehört zu den
elastischesten Stoffen, die bisher bekanntgeworden sind, daher eignet es sich ganz
besonders für die Herstellung von Automobilscheiben, von Schutzbrillen für
Arbeiter und Touristen, von Gläsern für die Aufbewahrung von trockenen Substanzen
usw. Das relativ niedrige, spezifische Gewicht macht das Produkt besonders für die
Herstellung von Reisetascheneinrichtungen, Reiseapotheken, Füllfederhaltern,
Kinderspielzeugen, Griffen usw. geeignet, sowie für Gegenstände, für welche das Glas
infolge seiner Sprödigkeit nur geringe Eignung besitzt, wie Uhrgläser,
Türbelagplatten, Rahmen usw. Besonders schön ist sein hoher Glanz in poliertem
Zustande. Infolge dieser Eigenschaft eignet sich der neue Artikel besonders gut für
die Herstellung von Schmuck- und Kunstgegenständen aller Art.
Pollopas besitzt gegenüber allen bisher bekannten Gläsern den großen Vorteil, daß es
sich mit Farbstoffen genau färben läßt, was für eine große Anzahl von
wissenschaftlichen Verwendungszwecken von hoher Wichtigkeit ist. Beispielsweise
leiden die farbige Photographie, die Biologie und die Optik bisher im hohen Maße
darunter, daß die von ihnen benötigten Gläser nicht in genauer, wissenschaftlicher
Art und Weise – also mit auf bestimmte Wellenlängen eingestellten Farbstoffen –
gefärbt werden können. Der Grund hierfür ist der, daß alle bisher bekannten
Glassorten bei Temperaturen hergestellt werden, welche nur die Verwendung von
wenigen Farbkörpern anorganischer Natur gestatten. Schon aus obigem ergibt sich, daß
er im Grunde genommen nichts anderes als eine eingetrocknete, gelantinierte
Kolloidhaut ist. Nun ist es nicht erstaunlich, daß man die Gelatinierung und die
darauf folgende Trocknung des Materials nicht immer nur mit dem reinen Material
allein vornehmen muß. Man kann diesen Prozeß auch in Mischung mit anderen Substanzen
oder auf fremden Unterlagen ausführen. Es ist daher vorauszusehen, daß man die
Lösungen des Pollopas vor der Abscheidung beispielsweise für Klebe–, Binde- oder
Streifungszwecke verwenden kann. Die Lösungen, welche unter dem Namen
„Schellanlösungen“ in den Handel kommen, sind vorzügliche Klebestoffe für
alle Materialien. Man kann damit ebenso Papier wie Glas, Holz oder Metall dauernd
und unlösbar verbinden. Beim Eintrocknen der Lösungen scheidet sich hierbei zwischen
den geklebten Flächen das unlösliche farblose Kolloid ab. Daher eignen sich die
„Schellanlösungen“ auch vorzüglich für die Reparatur zerbrochener Glas-
und Porzellangegenstände. Den Wiederherstellern von Kunstgegenständen ist damit ein
wichtiger Behelf geboten. Man kann die Schellanlösungen aber auch für
Lackierungszwecke verwenden. Bringt man das Produkt auf Holz oder auf Metall, so
erhält man damit Lacke, die das Aussehen und die Eigenschaften des Emails haben. Dem
Anlaufen von Brillengläsern kann durch eine dünne „Pollopas“-Haut abgeholfen
werden. Man kann aber auch in dieser Weise Bilder oder Photographien mit einer
vollkommen durchsichtigen, harten Schicht überziehen, wodurch sie mit Seife und
Wasser abwaschbar werden. Ferner kann man mit Schellanlösungen Stoffe imprägnieren.
Dadurch erhält man beispielsweise aus einem weichen Baumwollgewebe ein solches,
welches den Charakter von Leinen besitzt und dauernd – auch in der Wäsche –
beibehält. Ganz in der gleichen Weise kann man die Schellanlösungen für das Steifen
von Stroh- und Filzhüten verwenden, was bisher mit Schellack in wässeriger
Boraxlösung durchgeführt wurde. Die Schellanlösungen sind auch die ersten
synthetischen Harzlösungen, welche sich mit derartigen Schellacklösungen vermischen
und gleichzeitig mit ihnen verwenden lassen. Es ist aber auch gelungen, die Schellanlösungen als
Bindemittel für Druckfarben in der Textil- und Papierindustrie zu verwenden, wobei
infolge der Farblosigkeit dieser Lösungen sehr schöne Effekte erzielbar sind. Eine
Reihe anderer technischer Verwendungszwecke für diese Produkte ist noch in
Ausarbeitung begriffen. Zu erwähnen wäre noch der Pollopas-Meerschaum, einer der
leichtesten bisher bekannten Kunststoffe, die dem natürlichen Meerschaum an
Festigkeit und Widerstandsfähigkeit gleich ist. Er läßt sich in Wasser
erweichen und leicht bearbeiten. Verwendung findet er ebenso wie der Naturmeerschaum
zu Rauchutensilien, Pfeifen und dergl. Er wird in Platten von 30 × 40 cm, 6–35 mm
dick, sowie in Stäben bis zu 50 mm Durchmesser auf den Markt gebracht. Auf der
Wiener internationalen Messe wurden Produkte dieser Pollopas-Serie gezeigt und
bewundert.
Landgraeber.