Titel: | Der Riementrieb mit Belastungsspannung. |
Autor: | Kurt Graffstädt |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 202 |
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Der Riementrieb mit
Belastungsspannung.
(Spannrollentrieb.)
Von Dipl.-Ing. Kurt
Graffstädt, Strelitz (Meckl).
GRAFFSTÄDT, Der Riementrieb mit Belastungsspannung.
Die Erfindung der Spannrolle wird dem französischen Artillerieoffizier Leneveu
zugeschrieben, der Betriebsleiter der Artilleriewerkstätten in Puteaux bei Paris
war. Sie war jedoch schon vor der Zeit Leneveus in Frankreich patentrechtlich
geschützt. In Deutschland wurde sie im Jahre 1907 von der Berlin-Anhalt.
Maschinenbau-A.-G., Dessau, (Bamag) eingeführt, die sie unter dem Namen
„Lenix-Spannrolle“ auf den Markt brachte. Der Name Lenix, der wohl auf
Leneveu zurückzuführen ist, ist heute ungültig. Lange Zeit dauerte es, bis die
Spannrolle allgemeine Verbreitung fand. Man hat sie zuerst als Riemenzerstörer
bekämpft, weil das Riemenmaterial für den Spannrollentrieb ungeeignet war. Heute
jedoch wird sie von allen größeren und maßgebenden Firmen der Triebwerkindustrie
gebaut.
Der Vorläufer der Spannrolle war die Druckrolle, die starr am gezogenen Trum gelagert
war. Da diese wegen ihrer Lagerung nicht nachgab, schlug das schlaffe Riementrum
stets auf sie und zerstörte dadurch in verhältnismäßig kurzer Zeit den Riemen. Erst
durch Einführung der schwingbar gelagerten Druckrolle – eben der Spannrolle – wurde
dieser Übelstand beseitigt.
Ein anderer Vorläufer der Spannrolle war der Spannwagen, der in Abb. 1 schematisch dargestellt ist. Durch diese
Anordnung sollen größere Kräfte bei kleinstem Achsenabstand übertragen werden. Der
Riemen läuft von der treibenden Scheibe über eine Leitrolle, dann über die
getriebene Scheibe und zurück über die Spannrolle nach der treibenden Scheibe. Durch
Änderung des an der Spannrolle hängenden Gewichtes und durch den damit verbundenen
Spannschlitten kann der Riemen jederzeit in der Spannung gehalten werden, die der zu
übertragenden Umfangskraft entspricht. Abb. 2 stellt
einen Winkelriementrieb mit Belastungsspannung dar. Die Spannrolle, welche das
Gewicht trägt, muß natürlich auch geführt werden. Die zuerst beschriebene Anordnung
mit Spannwagen kann als Ersatz für ein Stirnräderpaar, die zweite als Ersatz für ein
Kegelräderpaar aufgefaßt werden. Der Riementrieb kann also an Stelle der Zahnräder
treten.
Gegenüber dem einfachen Riementrieb hat der Spannrollentrieb manche Vorteile.
Zunächst fällt das Vorspannen des Riemens beim Auflegen und das Nachspannen
während des Betriebes weg. Der offene Riemen muß stets mit einer
verhältnismäßig großen Vorspannung aufgelegt werden. Je größer diese Vorspannung
ist, um so geringer wird der Schlupf während des Betriebes ausfallen. Außerdem
treten Längenänderungen im Riemen auf, die von Zeit zu Zeit ein Nachspannen
erforderlich machen. Durch die große Vorspannung wird ein großer Lagerdruck erzeugt,
infolgedessen müssen Lager und Wellen unter Berücksichtigung dieses Druckes stärker
dimensoniert werden. Beim Spannrollentrieb ist keine Vorspannung erforderlich, es
ist also nur ein geringer Lagerdruck vorhanden. Die Folgen davon sind: um ungefähr
10% kleinere Wellen- und Lagerabmessungen, Ersparnis an Schmiermitteln und
Verminderung der Reibungsarbeit. Ein Nachspannen während des Betriebes ist unnötig,
da die Spannrolle selbsttätig die der Umfangskraft entsprechende Riemenspannung
erhält, reguliert und die Riemenlängungen ausgleicht. Der Riemenschlupf wird zu
einem reinen Dehnungsschlupf.
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Abb. 1.
Das Schlupfen des Riemens auf der Scheibe kann einerseits durch elastische
Einwirkungen, andererseits dadurch hervorgerufen werden, daß die Umfangskraft größer
als die vorhandene Reibung ist. Die letztere Erscheinung kann nur bei übermäßig
belasteten oder zu schlaffen Riemen eintreten, während die erstere natürlich und
unvermeidlich ist. Bei Beginn der Drehung der treibenden Scheibe wird der Riemen durch die Reibung
des Leders auf der Scheibe mitgenommen, wandert lose zur getriebenen Scheibe und
verläßt sie wieder gespannt. Beim Übergang vom gezogenen ins ziehende Trum dehnt
sich der Riemen, gleitet auf der Scheibe und nimmt sie gleichzeitig mit. Von der
Auflaufstelle der getriebenen Scheibe aus hat der Riemen zu ihr eine
Relativgeschwindigkeit, die sich bei jedem Umlauf wiederholt, mit der Spannung und
Riemengeschwindigkeit wächst und mit der Elastizitätszahl abnimmt. Es ist die
Relativgeschwindigkeit, die man als scheinbaren Schlupf bezeichnen kann,
v_r=\frac{k\,.\,v}{E}
k = Nutzspannung in kg/cm2,
E – Dehnungsziffer in kg/cm2,
v = Geschwindigkeit des Riemens in m/sec.
Die in vielen Betrieben verbreitete Ansicht, daß das Gleiten des Riemens durch ein
Aufrauhen der Scheiben beseitigt werden könne, ist demnach vollkommen falsch.
Dadurch wird nichts als eine Zerstörung des Riemens bewirkt, weil die aufgerauhte
Scheibe den Riemen wie eine Feile anfaßt. Es sei deshalb auch hier auf eine
Mitteilung des Ausschusses für wirtschaftliche Fertigung (A. W. F.), Unterausschuß
für Riemenprüfung, Z. d. V. D. I. 1925, Seite 678, hingewiesen, die besagt, daß
rauhe Gußeisenscheiben und insbesondere auch rauhe Holzscheiben ein Verderb für
jeden Riementrieb sind.
Textabbildung Bd. 341, S. 202
Abb. 2.
Die verschiedenen Spannungen S1 und S2 des Riemens (Abb.
3) haben verschiedene Dehnungen
\epsilon_1=\frac{S_1}{f}\,.\,\alpha und
\epsilon_2=\frac{S_2}{f}\,.\,\alpha zur Folge, und es wird
daher die Geschwindigkeit v2 der getriebenen Scheibe
kleiner als v1 sein. Man kann
\frac{v_1}{v_2}=\frac{1+\epsilon_1}{1+\epsilon_2}
und den Geschwindigkeitsverlust für die getriebene Scheibe
nach der von BachBach, Die
Maschinen-Elemente I, 13. Auflage, Alfred Kröner, Leipzig, 1922.
aufgestellten Gleichung bestimmen. Nach dieser Gleichung ist der Gleitverlust durch
die verschiedene Riemendehnung
\rho=\frac{k}{E\,.\,s}
wenn hierbei \alpha=\frac{1}{E} den
Dehnungskoeffizienten und k die nutzbare Spannung bezeichnet. Es wird hierbei E =
1500 kg/cm2 für normale Lederriemen, k in kg/cm2 und die Riemendicke s in cm gerechnet. Nach den
Feststellungen Kammerers erhöht sich dieser scheinbare Schlupf erst wesentlich, wenn
der Reibungskoeffizient μ = 0,6 bis 0,8 wird. Da dies aber unter normalen
Verhältnissen nie vorkommen wird, weil mit μ = 0,25 bis 0,28 gerechnet zu werden
pflegt, so ist der elastische Schlupf viel geringer als man früher anzunehmen
pflegte. Man wird demnach unter normalen Verhältnissen nur mit einem Gleitverlust
von
ρ ≈ 1%
zu rechnen haben.
Im Gegensatz zum elastischen Schlupf steht der Gleitschlupf, der dadurch eintritt,
daß die Umfangskraft größer als die vorhandene Reibung ist. Er soll im allgemeinen
0,5 ÷ 1% betragen und 2% nicht übersteigen. Bei dem offenen Riementriebe läßt sich
das allerdings schwer erreichen. Er beträgt dort meistens 3 ÷ 5%, bei ungenügender
Vorspannung sogar bis 20%.
Textabbildung Bd. 341, S. 202
Abb. 3.
Der Wirkungsgrad stellt das Verhältnis der an der treibenden Scheibe vorhandenen
Arbeit zu der an die getriebene Scheibe abgegebenen Arbeit dar. Nach Kammerer steigt
er mit zunehmender Nutzspannung zunächst schnell, dann langsamer auf hohe Werte und
nimmt bei weiterer Spannungszunahme langsam ab. Im allgemeinen beträgt er ohne
Berücksichtigung der Zapfenreibung und des Luftwiderstandes der Scheiben
η = 97 ÷ 98%
Durch großen Umhüllungswinkel wird der Wirkungsgrad bedeutend verbessert, weil der
Gleitschlupf vermindert wird. Aus diesem Grunde haben Spannrollentriebe einen
besseren Wirkungsgrad, weil, wie oben bereits gesagt wurde, der Gleitschlupf hier zu
einem reinen Dehnungsschlupf wird. Bei der Dehnung ist zwischen bleibender und
elastischer zu unterscheiden. Bei fortwährender Zunahme der bleibenden Dehnung würde
der Riemen zerreißen.
Die mit dem Vor- und Nachspannen verbundenen Betriebsstörungen fallen beim
Spannrollentrieb vollkommen weg. Es können daher auch hierbei die Spannschienen, die
bei der Aufstellung elektrischer Maschinen in Anwendung kommen, fortbleiben.
Die Spannrolle soll in der Nähe der kleinen Scheibe am gezogenen Trum angebracht
werden. Es ist gleichgültig, ob dabei die kleine Scheibe die treibende oder die
getriebene ist. Aus der Anordnung in Abb. 4 sieht
man, daß die Spannrolle C in unmittelbarer Nähe der kleinen Scheibe A auf das
gezogene Riementrum gelegt ist. Man erkennt sofort, daß der umspannte Bogen von α1 auf α vergrößert worden ist. Der Bogen auf der
kleinen Scheibe ist gleichfalls wesentlich vergrößert worden.
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Abb. 4.
Auf die Gleichförmigkeit des Ganges bei Belastungsschwankungen ist die Spannrolle von
allergrößtem Einfluß. Alle Stöße werden von ihr elastisch aufgefangen. Ein Stoß
entsteht dadurch, daß die getriebene Scheibe durch einen größeren Widerstand
plötzlich aus ihrem Beharrungszustand gebracht wird. Sie bleibt infolge dieses
Widerstandes hinter der Geschwindigkeit der treibenden Scheibe zurück. Beim offenen
Riementriebe würde das unbedingt zu einer Verkleinerung des umspannten Bogens
führen. Beim Spannrollentrieb sorgt die Spannrolle dafür, daß die Größe des
umspannten Bogens beibehalten und die Belastungsschwankung elastisch ausgeglichen
wird. Aus diesem Grunde werden auch in allerletzter Zeit Hanfseiltriebe mit
Spannrollen ausgeführt. Da aber bei Hanfseiltrieben ein großer Kraftverbrauch
vorhanden ist, der durch die Relativbewegung der Seile zueinander entsteht und zudem
jedes Seil gesondert durch den Stoß beansprucht wird, was häufig zum Abreißen des
Seiles führte, hat man nur mit solchen Rollen Erfolg gehabt, die jedes einzelne Seil
für sich spannen. Weil aber der Riemen bedeutend elastischer als das Hanfseil ist,
hat man sich in mehreren Fällen, wo Stöße im Hanfseiltrieb zu befürchten waren (z.B.
beim Anlassen eines Explosionsmotors, bei dem Betrieb van Walzenstraßen, usw.), für
den Umbau in einen Spannrollentrieb entschieden. Die Hanfseilscheiben sind in diesen
Fällen durch Ummantelung mit schmiedeeisernen Bandagen (D. R. P.) in Riemenscheiben
umgewandelt. Die häufigen Betriebsstörungen und die Zeitverluste, die durch das
Kürzen und Verspleißen der Seile eintraten, fallen auf diese Weise weg. Bei
solchen Umbauten erzielte man in den meisten Fällen eine Leistungserhöhung um
10%.
Es wäre vielleicht richtiger, für „Spannrolle“
„Entspannungsrolle“ zu sagen. Denn durch die Spannrolle werden die
Schwingungen und Belastungsschwankungen im schlaffen Trum so ausgeglichen, daß die
übertragbare Nutzleistung ein Maximum wird. Die Spannung, die dem Leertrum durch die
Rolle mitgeteilt wird, beträgt ungefähr 0,1 bis 0,75 der zu übertragenden
Umfangskraft.Nach W. Patzke,
Spannrollentriebe, Hannover.
Letztere ist gleich der Differenz der Trumspannungen, nämlich
P = S1 – S2.
Je geringer also die Spannung S2 im Leertrum gehalten
wird, um so größer ist die übertragbare Nutzleistung P. Die Folge davon ist, daß
Riemen und Riemenscheiben schmaler ausgeführt werden können.
Die Fliehkraft schleudert den Riemen bei einem offenen Trieb nicht von der Scheibe
fort, sondern beansprucht ihn nur auf Zug. Hierdurch wird eine Längung des Riemens
hervorgerufen, die sich beim Spannrollentrieb nicht ganz vermeiden läßt. Die
Spannrolle hebt aber den Einfluß der Fliehkraft bei der Längung des Riemens ziemlich
auf und zwar um so mehr, je elastischer das Riemenmaterial ist.
Die Nachteile beim Spannrollentrieb sollen nicht unerwähnt bleiben. Die Rolle bewirkt
nämlich eine wechselnde Zug- und Druckbeanspruchung im Riemen, die ohne Frage
schädlich ist, aber im Leertrum erfolgt. Hier können nur durch Anwendung eines
elastischen, besonders für Spannrollentriebe angefertigten Riemens nachteilige
Folgen ferngehalten werden. Ferner wird auch wohl mit Recht eingewendet, daß der
Einbau einer Spannrolle den Transmissionsbetrieb komplizierter gestaltet. Aber die
Vorteile überwiegen die Nachteile, und die Ersparnisse, die sich durch die Rolle
erst später in vermindertem Verbrauch von Kohle, Schmiermittel usw. bemerkbar
machen, sind so groß, daß man ohne weiteres Prof. Kutzbach zustimmen muß, wenn er
sagt: „Erst durch die Spannrolle beherrschen wir den Riemen- und
Seiltrieb.“Kutzbach, Probleme
der mech. Energieübertragung. Z. d. V. D. I. 1922.