Titel: | Versuche mit 0,8 d hohen Muttern. |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 263 |
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Versuche mit 0,8 d hohen Muttern.
Von Dipl.-Ing. Karl
Schimz, Neuß.
Inhalt: Rüttel- und
Zugversuche an Schraubenverbindungen mit abnehmender Mutterhöhe werden beschrieben und
für die 0,8 d hohe Mutter ausgewertet.
SCHIMZ, Versuche mit 0,8 d hohen Muttern.
Gewichtsersparnis im Flugzeug- und Landmaschinenbau veranlaßten die Amerikaner
vor ungefähr einem Jahrzehnt, die althergebrachten Maße für Kopf- und Mutterhöhen
sowie für Schlüsselweiten herabzusetzen. War früher die Kopfhöhe gleich der halben
Schlüsselweite und die Mutterhöhe gleich dem Bolzendurchmesserr so geht man jetzt in den Vereinigten Staaten bis
auf 0,6 d für die Kopf- und auf 0,7 d für die Mutterhöhe herunter. Die Anfänge der
deutschen Normung berücksichtigen nur die alten Maße für Kopf- und Mutterhöhen. In
der jüngsten Zeit
trägt sie indes der technischen Entwicklung und den Exportmöglichkeiten in den
Blättern Rechnung, in denen die 0,8 d hohen Muttern erscheinen. (DIN 418, 555 bis
557, 559 und 565 bis 569.) Das Blatt DIN 428 mit der 1 d hohen Mutter wurde
einstweilen beibehalten, um Bedenken aus Verbraucherkreisen zu begegnen. Diese
Bedenken richten sich vor allem gegen eine erhöhte Neigung zum Lösen bei häufiger
stoßartiger Beanspruchung und gegen eine befürchtete unerlaubte Abnahme der
Festigkeit des Muttergewindes. Im folgenden soll daher von Versuchen berichtet
werden, die das Verhalten der 0,8 d hohen Mutter gegenüber Rüttel- und
Zugbeanspruchungen zeigen.
Rüttelversuche.
Das Eisenbahn-Zentralamt hatte bei der Normung der 0,8 d hohen Mutter erklärt, daß es
erst dann selbst diese Muttern übernehmen könne, wenn eingehende Versuche in den
eigenen Werkstätten bewiesen hätten, daß diese Muttern den von der Eisenbahn
gestellten Anforderungen in jeder Weise genügen würden. Der Hauptgrund der
vorläufigen Ablehnung war darin zu suchen, daß die Meinung vorherrschte, daß bei der
0,8 d hohen Mutter infolge ihrer geringen Höhe ein schnelleres Selbstlösen eintreten
würde als bei der bisher üblichen 1 d hohen Mutter. Um diese Ansicht zu entkräften,
wurden bei der Firma Bauer & Schaurte, Neuß, Untersuchungen mit Muttern gleichen
Nenndurchmessers und gleicher Schlüsselweite bei verschiedenen Höhen vorgenommen,
die in einer Vorrichtung Stoßbeanspruchungen ausgesetzt wurden, ähnlich wie sie bei
Schraubenverbindungen im Eisenbahnbetrieb auftreten.
Die benutzten ½-zölligen Sechskantschrauben hatten Muttern mit folgenden Höhen:
7 mm ≈ 0,5 d
9 mm ≈ 0,7 d
11 mm ≈ 0,8 d
13 mm ≈ 1 d
15 mm ≈ 1,2 d
17 mm ≈ 1,3 d
19 mm ≈ 1,5 d
Die Gewinde der Versuchsbolzen wurden im Winkel der Steigung und dem Flankenmaß so
genau wie möglich nach den theoretischen Werten nach DIN 11 hergestellt, während der
Außendurchmesser des Bolzens gleich dem Kleinstmaß nach DIN 244, Toleranzen grob,
gewählt wurde. Die Muttern wurden mit besonders ausgesuchten Gewindebohrern
geschnitten, die ebenfalls in der Steigung, dem Winkel und dem Flankenmaß den Werten
der Bolzen glichen, während der Kerndurchmesser der Muttern gleich dem Größtmaß,
Toleranzen grob, DIN 244 gewählt wurde. Sämtliche Bolzen und die für die Erzeugung
der Muttern benutzten Gewindebohrer wurden mit dem Zeiß-GewindekomparatorVgl. Maschinenbau Heft 10 (20. 5. 1926) S.
445. und mit dem Werkstattmikroskop gemessen.
Im Anfang der Versuche wurden die Rüttel- und Stoßvorrichtungen mechanisch in
Bewegung gesetzt. Die Versuche nahmen dadurch eine verhältnismäßig lange Zeit in
Anspruch; deshalb wurde eine andere Vorrichtung gebaut, bei der die Erschütterungen
mittels eines Preßlufthammers hervorgerufen wurden. Die Anordnung der Vorrichtung
zeigt Abb. 1.
Ein Preßlufthammer schlägt mit rund 1200 Schlägen in der Minute auf eine federnd
aufgehängte Schraubenverbindung. Die Köpfe von zwei Bolzen sind in gleicher
Entfernung vom Hammer in einer Nut eingelassen, so daß sich eine Lockerung nur an
der Mutter zeigen könnte. Eine Beeinflussung der Versuchsergebnisse durch das
Einlassen in die Nut ist denkbar, wird jedoch hier nicht berücksichtigt. Bei jedem
Versuch wurde eine Vergleichsmutter b von 0,8 d Höhe und eine Versuchsmutter a mit
den oben angegebenen Höhen bei stets versuchsneuen Bolzen verwandt. Die Muttern
wurden sämtlich durch eine einfache mechanische Vorrichtung mit stets
gleichbleibendem Drehmoment angezogen.
Die geringste Lockerung einer Mutter wurde auf elektrischem Wege angezeigt.
Kontrollen erfolgten zu Beginn der Prüfung zunächst alle 5 Sekunden, alsdann in
längeren Zeitabschnitten. Die Versuche ergaben bei allen Muttern übereinstimmend,
unabhängig von der Höhe, ein Versetzen innerhalb der ersten 5 bis 10
Versuchssekunden (d.h. während der ersten 100 bis 200 Schläge) um ½° bis 1°, danach
saßen die Muttern fest und lösten sich nicht. Erst wenn die Arbeitsfestigkeit des
Bolzens überschritten wurde, erfolgte der Bruch des Bolzens unmittelbar oberhalb der
Mutter. Ein Lösen irgendeiner Mutter fand nicht statt. (Abb. 2.)
Textabbildung Bd. 341, S. 264
Abb. 1. Versuchsandordnung für Rüttelversuche an Schraubenverbindungen.
Textabbildung Bd. 341, S. 264
Abb. 2. 1/2'' Dauerbrüche bei abnehmender Mutterhöhe.
Um die Versuche nicht unnütz auszudehnen, wurden nach längerem Arbeiten verschiedene
Teilversuche abgebrochen. Die Ergebnisse der Versuche Zeigt Zahlentafel l.
Zahlentafel 1.
Mutter-höhe
Versuchs-dauer
Anzahl derSchläge
Ergebnis
0,8 d1,5 d
7 h 11 min12 „ – „
517200 864000
Bolzen abgerissen „ „
0,8 d1,3 d
37 h 30 min14 „ 35 „
27240001050000
Mutter noch festBolzen abgerissen
0,8 d1,2 d
38 h 45 min19 „ 35 „
27900001410000
Mutter noch festBolzen abgerissen
0,8 d1 d
39 h – min39 „ – „
28080002808000
Mutter noch fest „ „ „
0,8 d0,7 d
37 h 30 min37 „ 30 „
27000002700000
Mutter noch fest „ „ „
0,8 d0,5 d
12 h 25 min12 „ 25 „
894000 894000
Mutter noch fest „ „ „
Die erzielten Ergebnisse berechtigen noch nicht zu endgültigen Schlußfolgerungen, da
die Anzahl der Ver suche hierfür nicht groß genug ist; auf der anderen Seit verbot Mangel an
Zeit eine weitere Durchführung derselben.
Zugversuche.
Bei der Beanspruchung einer Schraubenverbindung durch Zugkräfte gibt es zwei Fälle,
unter denen die Schraubenverbindung versagt. Entweder wird die zulässige Belastung
für den Bolzenwerkstoff überschritten,
der Bolzen dehnt sich und kommt zum Bruch (Abb. 3),
oder aber die Gewindegänge von Bolzen und Muttern verformen sich derart, daß die
Schraube unbrauchbar wird (Abb. 4). Die Einführung
der 0,8 d hohen Mutter nach DIN 555 in die Praxis läßt vor allem den zweiten Fall in
den Vordergrund treten.
Textabbildung Bd. 341, S. 265
Abb. 3. Gerissene Bolzen.
Betrachtet man eine Schraubenverbindung vom Standpunkt gleicher Festigkeit für Bolzen
und Mutter, so ist nicht einzusehen, warum die Mutter 1 d hoch sein soll, zumal
heute fast ausschließlich Flußmaterial zu ihrer Herstellung verwandt wird. Näher
kommt man der praktischen Mutterhöhe mit der Festsetzung, daß die Mutter den Bolzen
unter Zugbeanspruchung bis zur Streckgrenze belasten soll, ohne dabei selbst im
Gewinde oder in der Form beschädigt zu werden.
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Abb. 4. Zerstörte Gewinde.
Eine theoretische Betrachtung sei eingeschoben, die die nachfolgenden
Versuchsergebnisse in Formeln kleidet. Bei gleichem Werkstoff für Muttern und Bolzen
reißt der Bolzen bei genügend hoher Belastung kurz über der Mutter ab, wovon man
sich durch eine Abwürgeprobe im Schraubstock jederzeit überzeugen kann. Dies gilt
sowohl für die 1 d wie für die 0,8 d hohe Mutter und läßt sich durch folgende
Ungleichung ausdrücken:
\frac{\pi d_k^2}{4}\sigma_B [kleiner als]
\frac{\pi D(n b)^2}{4}=\sigma_B [kleiner als] \pi D n b\tau.
Textabbildung Bd. 341, S. 265
Abb. 5. Mutterhöhe und Gewindefestigkeit (¼'' bis 1'').
Hierin ist dk der
Kerndurchmesser des Bolzens, D derjenige der Mutter, n ist die Gangzahl und b die
Breite des beanspruchten Gewindegrundes. Mit abnehmender Mutterhöhe nehmen die
Widerstandsmomente gegen Biege- und die Querschnitte gegen Scherbeanspruchung
gleichfalls ab, d.h. der Klammerausdruck (n b) in obiger Formel wird
zahlenmäßig kleiner, und es wird der Punkt erreicht, wo sich die Ungleichzeichen
umkehren. Das Gewinde wird zwar durch Biege- und Scherkräfte zerstört, es gilt aber
immer noch die Beziehung
\frac{\pi d_k^2}{4}\sigma_B [größer als]
\frac{\pi D(n b)^2}{6}=\sigma_B^\prime [größer als] \frac{\pi
d_k^2}{4}\sigma_S
so daß vor der Zerstörung des Gewindes stets die Streckgrenze
des Bolzens überschritten wird. Bei weiter abnehmender Mutterhöhe wird nun das
Gewinde auf Mutter und Bolzen zerstört, ohne daß vorher die Streckgrenze des Bolzens
erreicht wird. In einer Abbildung mit der Höchstlast als Ordinate und der Mutterhöhe
als Abszisse wird durch die Verbindung des Nullpunktes mit der oben angedeuteten
Kurve die Linie der Höchstbelastungen bestimmt, die sich bei der Belastung einer
Schraubenverbindung in einer Zerreißmaschine überhaupt einstellen können (Abb. 5).
Textabbildung Bd. 341, S. 265
Abb. 6. Mutterhöhe und Streckgrenze des zugehörigen Bolzens.
Die Versuche bestätigen die Vorhersage. Für die Durchmesser ¼'', ⅜'', ½'', ¾'' und
1'' wurden Bolzen mit gleichlangen Gewinden und aufgeschraubter Mutter in einer
Zerreißmaschine bis zum Erreichen der Höchstlast belastet; dabei wurden die
Veränderungen, die sich an Bolzen und Muttern zeigten, beobachtet. Die Mutterhöhen
nahmen, von der 0,8 d hohen Mutter ausgehend, um je 1 mm ab, bis herunter auf 1 mm
(bis zu ½'') und 2 mm für ¾'' und 1''. Für jeden Durchmesser wurden drei
vollständige Versuchsreihen durchgeführt.
Für die angeführten Durchmesser erreichen alle Muttern bis herunter zur 0,63 d hohen
Mutter die der Bruchlast entsprechende Höchstlast. Entweder dehnt sich dabei der
Bolzen so stark, daß er einschnürt und zum Bruch kommt, oder die Beanspruchung liegt
wenig unter der Bruchlast und die Mutter läßt sich unter Zerstörung des
Bolzengewindes über den Bolzen ziehen. (Vergl. Abb.
4.) Von hier ab wird zwar mit abnehmender Mutterhöhe die Streckgrenze des
Bolzens erreicht, die Höchstlast nimmt aber entsprechend der Verringerung des
Gewindequerschnittes ab. Bis zur 0,47 d hohen Mutter durchläuft der Bolzen die
Streckgrenze, ohne daß die Mutter irgendwie im Gewinde beschädigt wird.
Textabbildung Bd. 341, S. 265
Abb. 7. 1/2'' Bolzen nach 9 mm Hub.
Im einzelnen zeigt Abb. 6 die Ergebnisse von
Parallelversuchen mit warm- und kaltgepreßten Muttern. Zum Vergleich sind stark die
dem Durchmesser entsprechenden Mutterhöhen und darunter die genormten (0,8 d)
Mutterhöhen eingezeichnet.
Die Versuchspunkte liegen in dem schraffierten Streufeld. Sie bestimmen die
Mutterhöhe, die den Bolzen durch seine Streckgrenze laufen läßt, ohne dabei selbst
im Gewinde oder in der Form beschädigt zu werden. Das ist bereits für die rund 0,47
d hohe Mutter der Fall, um so mehr also bei Muttern mit 0,8 d Höhe. Nimmt man die
Schraubenverbindung kurz nach dem Durchlaufen der Streckgrenze des Bolzens aus der
Zerreißmaschine heraus, so hat sich weder Mutter- noch Bolzengewinde verändert, und
die Mutter ist auf- und abschraubbar geblieben.
Textabbildung Bd. 341, S. 266
Abb. 8. 1/2'' Bolzen nach 10 mm und 11 mm Hub.
Die fortschreitende Zerstörung der Gewinde mit wachsender Ueberschreitung der
Streckgrenze möge das Beispiel einer halbzölligen Schraube mit 0,55 d hoher Mutter
zeigen. Der Bolzen wurde bei um 1 mm wachsenden Zerreißmaschinenhüben, von der
Streckgrenze beginnend, nach 5, 6, 7 bis 14 mm Hub herausgenommen. Die dabei
erreichten Belastungen sind in Zahlentafel 2 als Ueberschreitung der Streckgrenze in
vH den entsprechenden Maschinenhüben zugeordnet.
Zahlentafel 2.
Maschinenhub in mm
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
Ueberschreitung der Streck- grenze in
vH
0
0
5,4
10,9
25,4
35
44
48,2
50
57
Eine Beschädigung des Muttergewindes zeigt sich erst zwischen 10 und 11 mm
Maschinenhub, während sich das Bolzengewinde schon nach 6 mm, also noch auf der
Streckgrenze, merklich verzogen hat. Die Versuchstücke zeigen Abb. 7 und 8.
Zusammenfassung.
Die Rüttelversuche geben die Bestätigung eigener und amerikanischer Erfahrungen, daß
die Höhe der Mutter bei einer Schraubenverbindung nicht die Bedeutung hat, die man
ihr bisher beizulegen gewohnt war. Weiter zeigen die Zugversuche bei allen
Durchmessern die rund doppelte Sicherheit der 0,8 d hohen Mutter im Vergleich zum
Bolzen, so daß bei richtiger Wahl der Bolzenstärke der Konstrukteur ein Versagen der
Mutter nicht zu befürchten hat.