Titel: | Oelschiefer, sein Vorkommen und seine Bedeutung. |
Autor: | Landgraeber |
Fundstelle: | Band 342, Jahrgang 1927, S. 124 |
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Oelschiefer, sein Vorkommen und seine
Bedeutung.Vergl. Heft 2 1926 Seite 20.
Von Bergwerksdirektor Landgraeber.
LANDGRAEBER, Oelschiefer, sein Vorkommen und seine
Bedeutung.
Nicht nur die Vorräte an Steinkohlen sind begrenzt, sondern in noch näherer
Zukunft die des Erdöls. Rechnen doch einige Fachleute mit einem Versiegen der
Erdölschätze in 50, andere wiederum sogar mit einem in 20 Jahren. Wenn wir auch
künftig lernen werden, die bisherige Vergeudung von Steinkohlen infolge direkter
Verbrennung zur Energiebeschaffung durch wirtschaftlichere Verwertungsmethoden zu
ersetzen, so dürfte trotzdem eines Tages die Stunde schlagen, wo die letzte Schaufel
schwarzer Diamanten verfeuert wird. In Deutschland hat es bis dahin noch gute
Weile. Andere Länder befinden sich in weniger glücklichen Verhältnissen. Neben
Wasserkraft kämen als Ersatz für Kohle außer der Erdwärme, Windkraft und
Sonnenenergie, die Oelschieferlager in Frage. Ein Anfang mit der technischen
Ausbildung der Ausbeutung ist bereits vielenorts in die Wege geleitet. Diese
Gesteinsart ist unter verschiedenen Namen, wie Fischschiefer, Stinkschiefer, Brenn-
oder Brandschiefer, Possidonienschiefer u.a.m. in verschiedenen geologischen
Formationen im Carbon, Zechstein, Lias, Jura und Terliär zu finden. Der in diesen
Sedimenten enthaltene Oel- und Gasgehalt
entstammt tierischen und pflanzlichen Resten der in jenen vorzeitlichen Meeren
und Gewässern lebenden Organismen.
In Deutschland haben die bauwürdigen Schieferablagerungen eine Verbreitung von vielen
tausend Quadratmetern in Württemberg, Bayern, Hannover und Braunschweig. Der
Possidonienschiefer in Württemberg enthält 10–15% brennbarer Bitumen mit einem
Heizwert bis zu 1500 Kalorien. Die bituminösen Mergelschiefer aus dem Oelgraben
zwischen Mittenwald und Vorderriß, bei Garmisch und bei Seefeld in Tirol stellen
einen nutzbaren Gehalt bis zu 30% auf. Sie bilden das Ausgangsmaterial für das
Heilmittel Ichthyol. Die gleiche Heilfähigkeit zeigt das Ichthyol aus russischem
Oelschiefer, der in der Gegend von Simbirsk, Sysran, Busuluk, Nicolajewsk und
Kinggissep in Vorräten von 60–70 Milliarden Pud und einem Gehalt von 16% Teer mit
50% Ichthyolausbringen vorkommt. In diesem Jahre sollen aus jenen Lagerstätten 30000
t Oelschiefer gefördert werden. In Estland bildet der Oelschiefer wohl den größten
Bergsegen dieses Landes. Die Landesregierung hat die Ausbeutung in eigener Regie
übernommen. In ihren Werken bei Kothla werden die Schiefer in großen
Tagebaubetrieben mittels Dampfschaufeln gewonnen. Von den dortigen 5 Milliarden t
verwertbaren Materials werden neuzeitlich etwa 400 bis 500000 t gefördert. Die
Hälfte dieser Erzeugung wird von estnischen Bahnen verfeuert. Ein Viertel geht an
Portlandzementfabriken und der Rest an andere Industrien. Außer den Regierungswerken
haben Ausländer Konzessionen zugeteilt bekommen. Schwedisches Kapital plant bei
Vaivara die Errichtung fünf großer Destillationsanlagen; Engländer haben bei
Vanamoisa eine Anlage mit 50 t Tagesleistung erstellt. In Schweden ist die
Schieferölindustrie derartig entwickelt, daß der Oelbedarf dieses Landes fast
gedeckt werden kann. In Stockholm besteht eine Anlage, die jährlich 250000 t
Oelschiefer aus den reichen Lagern bei Kinnekulle verarbeitet. In der englischen
Unternehmung der Scottish-Oils-Ltd. werden die Schiefervorkommen von Devonshire,
Norfolk und Somerset nach einem Tieftemperaturverfahren ähnlich denen bei
minderwertigen Kohlen destilliert. Jene Unternehmungen betreiben an die 30
Schiefergruben, ferner Kohlengruben, 12 Rohölwerke, 5 Raffinerien und 2
Schwefelsäurefabriken. Außerdem besteht dort noch eine Kerzenfabrik. Mehr als 10 000
Personen finden in dieser Industrie Beschäftigung.
Nach schottischer Methode werden die Oelschieferlager in Spanien mit einem Ausbringen
von 135 l pro Tonne im Bereich von Puertollana unweit Madrid ausgebeutet.
Frankreichs Schieferölindustrie im Departement Saône et Loire und Allier besteht
seit fast 100 Jahren. Die Gesamtvorräte werden auf über 50 Millionen t geschätzt.
Eine neue Destillationsanlage verarbeitet arbeitstäglich 2000 t. Aus französischem
Schiefer wird mit gutem Erfolg Schmieröl hergestellt. Gutes Oel liefern ferner die
italienischen Lager, die zwischen Syrakus und Ragusa in Ausbeutung begriffen sind.
Weitere Vorkommen befinden sich in der Lombardei, Venetien, Basilikata und
Sizilien.
Die Oelschiefervorkommen in den Ver. Staaten befinden sich in Wyoming, Utah und
Colorado. Die besten Schiefer ergaben 15 Gallonen Oel pro Tonne und zwar aus den
dort anstehenden 15–60 Fuß mächtigen Schichten. Der Utahschiefer in Salt-Lake-City
wird zu den ölreichsten in Nordamerika gerechnet. Große Reichtümer besitzt Canada in
Neufundland, Neubraunschweig und Neuschottland. Würde Canada nicht billigeres Oel
aus Kalifornien importieren können, so wäre mit der Ausbeutung der heimischen Lager,
die den Oelbedarf zu decken imstande sind, längst in erheblicherem Maße als bisher
begonnen worden. 300 Fuß mächtige Schichten von Oelschiefer stehen in Nevada an.
Auch im Gebiete von Oregon sind neben bereits bekannten neue Vorkommen bei Bandon
festgestellt worden. Die Vorräte an Oel in den Lagern von Colorado sollen angeblich
größer sein als die Erdölschätze der Union insgesamt. Riesige Lagerstätten befinden
sich in Ohio, Kentucky und Indiana. Der ganze Komplex bildet ein ununterbrochenes
Lager, das ohne große Abbau- und Transportkosten ausgebeutet werden kann. Die
miozänen Oelschiefer von Kalifornien liegen mitten in einem Erdölgebiet. Außer
Schieferöl befinden sich in diesen Anlagerungen noch beträchtliche Mengen Rohöl.
Stellenweise stehen Schieferwände mehr als 300 Fuß hoch an. Die Verbreitung ist
ungeheuer groß. Bei Bohrungen hat man im Santa-Mariafelde noch in 2000 Fuß Tiefe
Schiefer angetroffen. Hier befindet sich eine Destillationsanlage, in der aus
Oelschiefer wasserhelles Benzin direkt, d.h. in einem einzigen Arbeitsvorgang,
gewonnen wird.
Außer in Amerika ist in anderen Kontinenten Oelschiefer in Transvaal bekannt
geworden. Das reichste Lager im Distrikt Ermele soll 25 Millionen t enthalten. Aus
einer Tonne Schiefer wurden nach dem Lamplough-Harper-Verfahren 150 Gallonen Oel
destilliert. Das ölhaltige Gestein wird mit dem Namen Torbanit bezeichnet. Seine
Ausbeutung gilt allgemein als lohnender als die Förderung von südafrikanischen
Steinkohlen. Enorme Vorkommen befinden sich in der japanischen Mandschurei, die
schätzungsweise 2 Milliarden Barrels Oel enthalten sollen. Oelschiefer und
Steinkohlen kommen bei Fuschun zusammen vor, so daß die hangenden Schichten zuerst
abgeräumt werden müssen, um an die Kohlen zu gelangen. Bauwürdige Vorkommen in
Mengen von rund 15 Millionen t stehen in Birma-Siam an. Der Ausbeutung stehen
schwierige Transportverhältnisse hemmend im Wege. Die tasmanischen Schiefermengen
werden auf 43 Millionen t geschätzt. Ihre Oelausbeute stellt sich ähnlich wie die
der vorbenannten auf etwa 35–40 Gallonen pro Tonne. Letztlich wäre noch wenig
erforschter Schiefer in Neu-Südwales zu nennen, dessen Vorräte man auf 50 Millionen
t schätzt mit einem Durchschnittsausbringen von 80 bis 120 Gallonen. Infolge der
hohen Rohölpreise lenkt auch Australien sein Interesse auf die Oelschiefergewinnung
dieser Gebiete, in denen eine amerikanische Bronder-Retorte versuchsweise
ausprobiert wird.
Aus obigen Zeilen ist zu ersehen, daß allenthalben auf der Erde
Aufschließungsarbeiten in Oelschiefergebieten vorgenommen werden. Zu den
eifrigsten Förderern dieser neuen Bergbauindustrie gehören zweifellos die
Amerikaner. Sie wissen genau, daß es mit den Erdölschätzen bald zu Ende geht.
Hieraus erklärt sich das große Interesse, das die amerikanische Regierung der
Entwicklung und richtigen Auswertung dieser Oelquelle entgegenbringt, die d.azu
berufen sein dürfte, künftig den Heizstoff für die amerikanische Flotte zu
liefern.