Titel: | „Sonnengas“ und seine Gewinnung. |
Autor: | Landgraeber |
Fundstelle: | Band 342, Jahrgang 1927, S. 222 |
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„Sonnengas“ und seine
Gewinnung.
Von Bergwerksdirektor Landgraeber.
„Sonnengas“ und seine Gewinnung.
Vor etwa 20 Jahren gelang es der Wissenschaft erstmalig, einen Stoff, der bis
dahin nur auf der Sonne bekannt war, auf der Erde nachzuweisen. Es war das Helium,
auch „Sonnenstoff“ genannt. Seitdem gewinnt Helium wegen seiner
Unbrennbarkeit und anderer vorzüglicher Eigenschaften immer größere Bedeutung. Es
gehört zu den begehrten Stoffen der Technik und wissenschaftlichen Institute. Zum
Nachweis auf der Erde verwandte man erhitzten uranhaltigen Cleveit. Das entweichende
unbekannte Gas erwies sich identisch mit dem Sonnengas. In Erdgasen wurde Helium
erstmalig im Jahre 1907 entdeckt. Helium vermag mit keinem chemischen Stoff in
Verbindung zu treten. Es ist das am schwersten lösliche von allen Gasen. Der
Gefrierpunkt liegt unterhalb – 272° C. Festes Helium hat man erst kürzlich
herstellen können. Es ist erwiesen, daß es beim radioaktiven Zerfall entsteht, d.h.
Helium ist das letzte Umwandlungsprodukt des Radiums. In den Wiesbadener
Thermalquellen fand man 0,71%, in Neuengamme 0,004% und in den ungarischen
Methanausströmungen bei Kissarmas nur 0,0014% Helium. Man hat berechnet, daß bei
Kissarmas während 134 Jahre etwa 12000 cbm Helium unausgenützt in die Luft
entströmten. In den stickstoffhaltigen Erdgasen Nordamerikas ist Helium bis zu 2%
nachgewiesen. Die Gase der Vulkane enthalten manchenorts ebenfalls diesen wertvollen
Stoff. (Italien 0,02%.) In der atmosphärischen Luft ist nur verschwindend wenig
enthalten. Auf 100 cbm kommt ungefähr ein Zehntel ccm. Zur Darstellung eignen sich
die Mineralien Clevéit, Fergusonit, Euxenit und Bröggerit. Anfangs hatten die
Heliumfunde lediglich wissenschaftliche Bedeutung. Die Gewinnung des damals geradezu
unerfaßbaren Heliumgases war sehr kostspielig und kostete etwa 500–700 Dollar pro
cmb. Bis zum Kriege betrug die Gesamtproduktion nicht mehr als 3 cbm. Eine Prüfung
verschiedener Erdgasquellen ergab vielenorts Heliumgehält. Man baute verschiedene
Versuchsanstalten zur praktischen Erprobung der Gewinnungsverfahren. Die
angestellten Versuche führten allmählich zu dem Erfolge, daß der Preis ganz gewaltig
zurückging. In der Fabrik von Fort Worth können täglich an die 10000 cbm Heliumgas
hergestellt werden. Die dortige Betriebsanlage arbeitet nach R. B. Moore
mittels Lindescher Kälteanlagen folgendermaßen: Das heliumhaltige, natürliche Gas
enthält 0,93% Helium, 0,25% Kohlensäure, 0,54% Sauerstoff, 56,85% Methan, 10,30%
Aethan und schwere Kohlenwasserstoffe und 31,13% Stickstoff. Zunächst muß
Kohlensäure durch Kalkwasser entfernt werden. Das geschieht in Waschtürmen. Alsdann
erfolgt eine lebhafte Abkühlung durch Kompressions- und Kühlanlagen. In einem
Kohlensäurekühler scheidet sich ein erheblicher Teil des Wasserdampfes aus dem
komprimierten Gas durch Ausfrieren ab. In Wärmeaustauschapparaten kühlt sich das von
dem Destillationsapparat zurückkehrende kalte Gas soweit ab, daß es dem
Joule-Thomson-Effekt bei der Expansion gibt. Die Einrichtung dieser Apparate ist
dergestalt, daß das Kühlen schrittweise ausgeführt wird und zwar zunächst durch die
zurückführenden Dämpfe der schweren Kohlenwasserstoffe und schließlich durch den
Stickstoff, der in dem oberen Teil der Destillieranlage verflüssigt wird. Von den
Wärmeaustauschern wird das Gas durch ein Expansionsventil teils flüssig, teils
gasförmig in den unteren Teil der dreiteiligen Destillationskolonne mit je einem
Kondensator oben und einem Aufnahmegefäß unten expandiert. Das unten eintretende Gas
wird in jedem dieser drei Abschnitte der Destillierkolonne verflüssigt und zwar je
nach Gehalt des Gases. Zur Erzielung eines hochwertigen Erzeugnisses mit 70% Helium
muß der Stickstoff möglichst verflüssigt werden. Das geschieht in dem oberen Teil
der Destillierkolonne, in der die Temperatur entsprechend der des flüssigen
Stickstoffs gehalten wird. Erreicht wird dieses dadurch, daß im oberen Teil der
Destillieranlage durch flüssigen Stickstoff aus einer besonderen
Stickstoffkühlanlage gekühlt wird. Den benötigten Stickstoff erhält man bei der
schließlichen Fraktion von Stickstoff und Methan in dem oberen Teil der
Destillierkolonne. Die ausgewerteten Gase werden gemischt und in Gasleitungen zur
Versorgung der Städte gedrückt. Dem Gas wird also nur das Helium und ein Teil des
Stickstoffs entzogen, der Rest wird für Heiz- und Leuchtzwecke benutzt.
Die Kosten der Heliumgewinnung betrugen noch im Herbst 1922 17,80 Mk. je Kubikmeter
ohne Abschreibung und Verzinsung der Anlagekosten.
Die Anlage arbeitete zwar glatt und dauernd, die Ausbeuten waren damals jedoch
noch nicht befriedigend. Inzwischen sind die Kosten für Gas mit durchschnittlich 93%
Helium im Jahre 1925 auf 4,45 Mk. je cbm bei einer monatlichen Erzeugung von 35310
bis 42370 cbm gemindert. Bei der halben Leistung steigen die Selbstkosten auf 5,93
Mk. je cbm. Das Gasfeld, von dem die Anlage in Fort Worth ihr natürliches Gas
bezieht, ist bald erschöpft. Eine rund 100 Meilen lange Rohrleitung verbindet die
Anlage mit einem anderem heliumhöffigen Oelfeld (Petroliafeld) in Texas (Montague)
und führt ihr neues Rohmaterial zu. Da aber auch das Petroliagas nachläßt, soll eine
rund 70 Meilen lange Rohrleitung mit dem Naconafeld hergestellt werden. Um den
Sauer- und Stickstoffgehalt der heliumhöffigen Erdgase abzusondern, hat man einen
neuen, auf Eisenbahnwaggons montierbaren Apparat geschaffen, der tiefgekühlte
Holzkohle enthält. Das durch die Holzkohle geleitete Gas gibt seinen Gehalt an
vorbenannten Stoffen an diese ab. Der Apparat kann bequem an alle Fundpunkte von
Heliumgas gefahren werden.
Außer als Füllgas hat die Massenerzeugung von Helium dazu geführt, daß es für andere
Zwecke, so beim Tiefbau unter Wasser (Caissonverfahren) für Taucherzwecke in
Verbindung mit Sauerstoff verwandt wird. Das Gemisch beider Gase gibt eine
Atmosphäre, die den sich darin aufhaltenden Personen bedeutend zuträglicher ist als
gepreßte Luft. Helium als Ersatz für Stickstoff bewahrt die betreffenden Arbeiter
vor der sogenannten Taucherkrankheit. Das gewonnene Heliumgas wird in Stahlflaschen
unter einem Druck von 150 at aufbewahrt. Im Kansas und dem nördlichen Texas
befinden sich die heliumhöffigen Gase geologisch an die sog. mittlere und obere
Pensylvan-Horizonte gebunden. Der Gehalt schwankt zwischen 0,2 und 2%. Die reichsten
Gase befinden sich in den oberen Teufenabschnitten. Das Gebiet von „Petrolia“
mit rund 28 Milliarden Kubikmeter ist das bislang heliumreichste der Welt. Das
neuentdeckte Naconafeld soll so ergiebig sein, daß es Amerika auf 20 Jahre mit
Helium versorgen kann. In Oklahoma ist eine neue Quelle bei Cushing erbohrt, die
angeblich 10 Millionen Kubikfuß liefern soll. In den kanadischen Feldern von Alberta
(Calgary) können. rund 500000 cbm jährlich gewonnen werden. In der Nähe von Toronto
(Kanada) ist von der Bergbau-Abteilung der kanadischen Regierung kürzlich ein
reiches Vorkommen festgestellt, aus dem jährlich über 100000 Kubikfuß Heliumgas
gewonnen werden können. Deutschland ist arm an Helium liefernden Quellen. Die
Ausbeutung der vorhandenen würde sehr kostspielig sein. Infolgedessen ging man zur
Herstellung aus der Luft über. Durch Lindesche Kälteanlagen gelingt es, aus einem
Neon-Heliumgemisch durch Ausfrieren von Neon monatlich etwa 100 l reines Heliumgas
zu erhalten. Eine andere Methode besteht darin, aus radioaktivem Monazitsand durch
Ausglühen mit Temperaturen von 1000° C Helium zu erhalten. Ein Kilogramm dieses
Sandes mit durchschnittlich 6% Thoriumoxyd ergibt einen Liter Helium. Deutsche
Thoriumfabriken (Gasglühlicht) können auf diese Weise bis zu 500 cbm Heliumgas als
Nebenerzeugnis jährlich liefern.