Titel: | Der Stahlguß auf der Werkstoffschau |
Autor: | H. Kalpers |
Fundstelle: | Band 343, Jahrgang 1928, S. 5 |
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Der Stahlguß auf der Werkstoffschau
Von Dr.-Ing. H. Kalpers.
KALPERS. Der Stahlguß auf der Werkstoffschau.
Die Abteilung Stahlguß auf der Werkstoffschau war im Vergleich zum Eisenguß und
Temperguß insofern äußerlich benachteiligt, als mit Rücksicht auf den knappen zur
Verfügung stehenden Raum von einer Aufstellung besonders schwerer und daher
wirkungsvoller Stahlgußstücke abgesehen werden mußte. Was gerade diesen schweren Guß
anbetrifft, so mußte man sich damit begnügen, diesen durch eine größere Anzahl von
Lichtbildern dem Besucher zu veranschaulichen. Die Abteilung Stahlguß selbst zerfiel
in 2 Gruppen: in eine belehrende und in eine allgemeine Abteilung. Der Gedanke der
Angliederung einer belehrenden Abteilung hat sich, wie sich nach dem Abschluß der
Werkstoffschau übersehen ließ, als überaus glücklich erwiesen. Nicht allein Männer
der Praxis, sondern auch Studierende und Anfänger brachten gerade den „falsch und
richtig“ konstruierten bzw. gegossenen Stücken ein auffallendes Interesse
entgegen. Nach den gemachten Beobachtungen darf wohl die Ansicht zum Ausdruck
gebracht werden, daß derartige Stücke, so alltäglich und so selbstverständlich sie
an sich sein mögen, für den heutigen Anschauungsunterricht an den technischen Hoch-
und Mittelschulen fast unentbehrlich sein dürften. Denn gerade diese
Gegenüberstellung von „falsch und richtig“ an praktischen Stücken weist in
einfacher und klarer Weise darauf hin, wie die zu gießenden Stücke nicht konstruiert
bzw. nicht gegossen werden sollen, und bringt den Konstrukteur mit dem Gießer
zusammen, eine Erscheinung, die heute nicht immer vorzutreffen ist.
An einer Achsbüchse für Güterwagen z.B., an der die Führungen zu scharfkantig
ausgeführt waren, hatten sich Lunker und Seigerungen gebildet, während auf dem
entsprechenden richtigen Gegenstück die Führungen ausgespart und dadurch
Materialanhäufungen und Lunker vermieden wurden. Eine an sich einfache
Zughakenführung mit einer zu scharfkantig angesetzten Nabe zeigte rißartige
Ausseigerungen und Lunker: das richtige Stück aber mit ausreichend großen Hohlkehlen
war lunkerfrei. Ein Achstrichter für Kraftwagen besaß in seinem überteil
ungleiche Wandstärken; die Folge waren Lunker in den Uebergängen. Zu ihrer
Vermeidung war das Stück stehend mit reichlichen Bearbeitungszugaben zwecks
Erzielung eines dichten Gusses, namentlich an den Stoffanhäufungsstellen zu gießen.
An einem Kugelglühkopf im Schnitt mit und ohne verlorenen Kopf war sowohl die Tiefe
der Lunkerbildung als auch die Größe des verlorenen Kopfes, der größer war als das
ganze Gußstück, deutlich zu verfolgen. Erwähnenswert ist ferner der Werdegang eines
Zugstangenmittelstückes, nämlich sein Aussehen nach dem Gießen vom Formsand befreit
und mit Trichtern, dann ohne Trichter, sein Aussehen nach dem Glühen und schließlich
das versandfertige Stück, wobei die Zeiten für Formen und Abgießen, Putzen, Absägen
der Trichter, für die Anheiz-, Glüh- und Abkühldauer, dann für das Entzundern
angegeben wurden. An einer falsch konstruierten Riemenscheibe wurde gezeigt, welchen
Einfluß ein zu dünner Querschnitt des Scheibenkranzes auf die Lunkerbildung ausübt:
eine richtige mit etwas Zugabe bemessene Scheibendicke dagegen war fehlerfrei.
Ferner wurde eine richtig konstruierte Vorderradnabe für Lastkraftwagen einer falsch
konstruierten gegenübergestellt, bei welcher letzteren eine vorgesehene Rippe zuviel
Spannungen an der Kreuzungsstelle hervorgerufen und infolgedessen einen tiefen
Lunker verursacht hatte. Im richtig konstruierten Stück fehlte diese Rippe durch
entsprechende Umkonstruktion der empfindlichen Stelle. Die zur Schau gebrachten
Fehler sind nun nicht immer der Schuld des Konstrukteurs zuzuschreiben; auch der
Former und Gießer trägt mitunter schuld daran, wenn sich ein ungesunder Guß ergibt.
An einem Ventilgehäuse für Schlammablaß z.B. konnte man sehen, daß bei Anbringen
eines verlorenen Kopfes am Steg das Stück einwandfrei ausfiel, während es ohne
verlorenen Kopf undicht und fehlerhaft war. Neben der Gegenüberstellung von
„falsch und richtig“ waren in der belehrenden Abteilung auch solche
Stücke ausgestellt, die die besonderen Eigenschaften von Stahlguß zum Ausdruck
bringen
konnten, z.B. ein zusammengedrückter Ring ohne Rißbildung an den Biegestellen,
ein Radstern mit eingeschlagenem Kranz, dann andere Teile wie ein eingedrückter
Ventilfänger, ein eingedrücktes Motorgehäuse. Ein bemerkenswertes Stück war eine
Lagerschale aus Stahlguß mit eingegossenem Kupfer, welche beiden Metalle innig
miteinander verschweißt waren. Es handelte sich dabei um einen Stahl mit 70–80
kg/mm2 Zerreißfestigkeit und 10–12 %
Dehnung.
Die über 150 Stück aus Stahlguß der allgemeinen Abteilung lassen sich an dieser
Stelle nicht einzeln aufführen. Den Verwendungszwecken nach gehörten sie dem
Lokomotivbau, Kraftwagenbau, Turbinenbau, dem Bau elektrischer Maschinen,
landwirtschaftlicher Maschinen, Dampfmaschinen, Gasmaschinen, dem Schiffbau und dem
allgemeinen Maschinenbau. Aus all diesen Gußstücken konnte man den Eindruck
gewinnen, daß man nicht unbedingt zum Elektrostahl greifen muß, um dünne Wandstärken
zu erhalten. Die Stahlgießereien haben in dieser Beziehung doch solche Fortschritte
gemacht, daß der Maschinenbau dieser Tatsache in Zukunft doch mehr Aufmerksamkeit zu
schenken haben wird. Verschiedene Stücke legten Zeugnis von schweren Kernarbeiten
ab, wie z.B. das Pelton-Schaufelrad von 1,50 m Durchmesser und 1300 kg Gewicht, das
nach den Vorschriften des Lloyd Register of Shipping gebaut war. Dieses Wasserrad
wird horizontal geformt, schabloniert und von einem geübten Former in 14 Tagen
fertiggestellt, wobei das Einsetzen der Kerne eine besondere Fertigkeit erfordert.
Von der Kunst des Stahlgießers zeugte ferner eine aus einem Stück gegossene
Francis-Turbine, wobei ebenfalls die große Geschicklichkeit des Formers zur
Erhaltung der eigenartigen Schaufeln in die Erscheinung trat. Zu nennen sind dann
ein Zylindergehäuse für Gasmaschinen, verschiedene Ventile, Pflugkörper, eine Weiche
für Hängebahnen, stocklose Anker gemäß den Bedingungen des Germanischen Lloyds und
des Lloyd Register of Shipping, ein Zahnrad für einen Straßenbahnmotor aus
verschleißfestem Sonderstahl mit gehärtetem Ritzel, ein Gleitstangenträger von über
600 kg und ein Achslagergehäuse von 430 kg Gewicht für Lokomotiven. Für viele
Besucher bildeten auch die Ketten aus Stahlguß etwas Neues; es waren dies eine
zweigliedrige Kette von 24 mm Gliederstärke mit 24,5 t verlangter und 38,7 t
erzielter Bruchbelastung, ferner Ankerstegketten von 38 und 52 mm Gliederstärke mit
verlangter Bruchbelastung von 60,3 bzw. 107,6 t und erzielter Bruchbelastung von
87,4 bzw. 146,3 t. Ein Motorgehäuse für Bahnwagen von 440 kg Gewicht war mit einem
Fallbären von 1 t Gewicht aus 3 m Höhe durch 15 Schläge zertrümmert worden. Sowohl
die Wirkung der Zertrümmerungsarbeit an dem Stück selbst als auch der Bruch waren
erkennbar. Von dem in letzter Zeit öfters genannten Siliziumstahl waren verschiedene
Stücke zu sehen. Dem Siliziumstahlguß werden bessere Festigkeitseigenschaften
gegenüber dem gewöhnlichen Stahlguß nachgerühmt; so steigt die Dehnung um 30 %,
ferner steigen die Zerreißfestigkeit und Streckgrenze und, was mitunter von großer
Wichtigkeit sein kann, auch die Kerbzähigkeit. Solche Stücke aus Siliziumstahl waren
u.a. mehrere Schaufelräder, Stahlarme, ein Düsensegment u.a.m. Von auffallend
schönem Aussehen waren Gußstücke aus Elektrostahl wie ein Auspuffrohr,
Cardangehäuse, Zylinderkopf, Ueberhitzerkappen, Nabenbüchse für Lastwagen, eine
Traverse. Wenn bei hochbeanspruchten dünnen Stücken der Preisunterschied zwischen
gewöhnlichem Stahlguß und Elektrostahlguß keine zu große Rolle spielt, kann der
Konstrukteur in dem Elektrostahl einen zuverlässigen hochwertigen Werkstoff finden.
Die Widerstandsfähigkeit von hartem Stahl mit 14 % Mangan wurde durch ein
Federgehänge nach einer Belastung von 30 t und einer Bruchbelastung von 32 t im
Vergleich zum ursprünglichen Körper bewiesen. Von Hartmanganstahl sind weiter zu
nennen eine Brechbacke und eine Einlage für Steinbrecher und ein Koksbrechring. An
zahlreichen Zerreiß-, Biege- und Kerbschlagproben, bei denen die verschiedenen
Festigkeitswerte angegeben waren, konnte man das Bruchaussehen verfolgen, ferner an
Proben von geglühtem und ungeglühtem Stahlguß. Wie sehr die mechanischen
Eigenschaften vom Gefügeaufbau abhängen, ergab eine Gegenüberstellung von Proben
eines Werkstoffes mit 0,21 % Kohlenstoff, 0,77 % Mangan, 0,26 % Silizium, 0,09 %
Phosphor und 0,034 % Schwefel, mit folgenden Eigenschaften:
Streck-grenzekg/mm2
Zerreiß-festigkeitkg/mm2
Dehnung%
Ein-schnürung%
Kerb-zähigkeitmkg
im gewöhnl. Zustand
20,6
44,3
14,8
21,4
1,1
Glühung über die wandlungstempe- ratur mit
folgen- der langsamer Ab- kühlung
26,8
46,7
32,5
54,2
2,3
Glühung über die Umwandlungstem- peratur mit
nach- folgender schneller Abkühlung im
Fer- rit-Perlit-Kristalli- sationsgebiet, da- nach wieder
lang- samer Abkühlung
30,8
47,0
31
61,3
13,7
Auf die besonders hohe Kerbzähigkeit im letzten Falle sei
hingewiesen.
Für die Hinzuziehung von Stahlguß zu Stücken, die hohen Temperaturen ausgesetzt sind,
ist die Kenntnis des Verhaltens der mechanischen Eigenschaften von Stahlguß bei den
verschiedenen Temperaturen von Bedeutung. Ueber diese Frage gab eine Schaulinie
Auskunft über einen Stahl I (von 37–44 kg/mm2
Zerreißfestigkeit), einen Stahl II (45–50 kg/mm2),
einen Stahl IV (55–56 kg/mm2) und einen
Nickelstahl. Demnach ergibt sich, daß die Zerreißfestigkeiten bei etwa 250° ein
Maximum erreichen, bei etwa 300° wieder die Werte von Normaltemperatur annehmen und
von da ab schnell fallen. Sicherem Vernehmen nach werden z. Zt. umfangreiche
Versuche über diese wichtigen Fragen angestellt, die in einigen Monaten zum Abschluß
gelangen sollen. Falls diese Versuche zugunsten des Stahlgusses ausfallen, ist damit
zu rechnen, daß dem Stahlguß als Werkstoff angesichts der neuzeitlichen Entwicklung
auf dem Gebiet des Hochdruckdampfes, der hohen Temperaturen usw. ein weites und
wichtiges Verwendungsfeld eröffnet werden wird.