Titel: | Hochspannung und die Hochspannungs-Prüftechnik. |
Autor: | F. A. Foerster |
Fundstelle: | Band 343, Jahrgang 1928, S. 89 |
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Hochspannung und die
Hochspannungs-Prüftechnik.
Von Oberingenieur F. A. Foerster (Berlin).
FOERSTER, Hochspannung und die
Hochspannungs-Prüftechnik.
Unter den exakten und angewandten Naturwissenschaften, der Physik und Chemie,
nimmt die Elektrotechnik noch immer eine Sonderstellung ein, weil auf einzelnen
Spezialgebieten noch zeitweilig Phänomene auftreten, die den Techniker vor neue
Probleme stellen. Das gilt besonders von der Hochspannungstechnik.
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Abb. 1. Stahl-Aluminium-Hohlseil für 220000 V.
In der praktischen Elektrotechnik unterscheiden wir zwischen Schwachstrom- und
Starkstromanlagen, je nachdem ob es sich um Signal-, Telegraphen-, Telephon- oder
ähnliche Anlagen handelt, die auch heute noch oft mit galvanischen Strömen aus
einigen Elementen betrieben werden, oder ob es sich um elektrische Beleuchtungs- und
Kraftübertragungsanlagen handelt, zu denen auch die chemisch-elektrolytischen und
galvano-technischen Anlagen zu rechnen sind.
Eine strenge Scheidung nach Schwachstrom- und Starkstromanlagen dürfte aber heute in
vielen Fällen nicht mehr durchführbar sein, weil die meisten unserer sogenannten
Schwachstromanlagen über geeignete Anschlußapparate, Umformer, Transformatoren
(Klingeltransformatoren und Reduktoren) vom Starkstromnetz aus betrieben werden. Es
ist nicht immer die höhere Gebrauchsspannung von 110 oder 220 V, die den Starkstrom
kennzeichnet, denn es gibt auch elektrolytische Anlagen, die bei einer Spannung von
nur 2–4 Volt, Stromstärken bis zu mehreren Tausend Ampere in ihren Leitungen
führen.
Sehr streng unterscheiden wir in der Starkstromtechnik aber zwischen Hoch- und
Niederspannungs-Anlagen. Nach den Erklärungen des § 2 a der „Vorschriften des
V.D.E.V.D.E. = Verband Deutscher Elektrotechniker. für die
Errichtung und den Betrieb elektrischer Starkstromanlagen“ sind als
Niederspannungsanlagen alle Anlagen mit einer effektiven Gebrauchsspannung bis
zud250 Volt gegen „Erde“ zu behandeln. Alle übrigen Anlagen gelten als
Hochspannungsanlagen.
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Abb. 2. Durchführungs-Isolator für Freiluft Anlagen 220000 V.
Die eigentliche Hochspannungs-Aera begann etwa um das Jahr 1890 mit der Entwicklung
des Drehstromsystems durch Haselwander in Offenburg. Um diese Zeit erlebten wir auch
bald die erste Hochspannungs-Kraftübertragungsanlage für eine städtische Zentrale,
bei der eine Fernleitungsspannung von 1500 V. zur Anwendung kam. Etappenweise ist
man dann fast von Jahr zu Jahr zu immer höheren Spannungen bei den
Kraftübertragungen auf weite Entfernungen übergegangen. Es mußten hierbei doch von
Fall zu Fall auch immer erst die erforderlichen Maschinen, Transformatoren,
Apparate, Isolatoren, sowie das ganze Freileitungs-Streckenbau- und Kabelmaterial
usw. für die in Aussicht genommenen höheren Spannungen entwickelt werden (vgl. Abb. 1. u. 2).
Der erheblich vergrößerte Durchmesser des in Abb.
1 dargestellten Stahl-Aluminium-Hohlseils, durch welches die bei höheren
Spannungen auftretenden Corona- und Strahlungsverluste vermieden werden, bietet dem
Winddruck und der winterlichen Schnee-, Eis- und Reiflast viel größere
Angriffsflächen als der bis zu den 100000 V.-Freileitungen verwandte massive Leiter
aus Kupfer- oder Aluminiumseil von gleichem Querschnitt.
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Abb. 3. Ringisolatorenkette für Stahl-Aluminium-Hohlseile 220000 V.
Trockenüberschlag bei 940000 V.
Dementsprechend mußten für das Hohlseil auch die
Aufhänge-Konstruktionen eine Verstärkung erfahren, (vergl. Abb. 3).
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Abb. 4. Hochspannungs-Versuchsfeld einer Elektrizitäts-Großfirma. Ueberschlag
auf einen Transformator mit 1 Million V.
Die Haupt-Etappen auf dem Entwicklungswege sind durch die
Spannung von 1500, 2000, 5000, 10000, 15000, 20000, 50000, 70000 und 110000 V
gekennzeichnet, zu der man allmählich vom Jahre 1890 bis 1920/21 gelangte.
Heute sind bereits Ausführungen für 220 000 V. im Bau.
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Abb. 5. Hochspannungs-Prüftransformator für 1 Million V.
Soweit es sich in unseren Starkstromanlagen um Niederspannungsanlagen handelt, sind
wir heute gewiß in ein Entwicklungsstadium gelangt, das man gewissermaßen schon als
ein vorläufiges Reifestadium bezeichnen kann, auf welchem es sich verlohnt, Umschau
zu halten, um das im ungestümen Vorwärtsdrängen in einem halben Jahrhundert
Errungene kritisch zu überprüfen. Dabei ist man auch dazu übergegangen, das, was
sich im Laufe der verflossenen fünf Dezennien praktisch bewährt und bis zu einem
gewissen Grade als im wesentlichen unverändert festliegend erwiesen hat, durch eine
den praktischen Verhältnissen Rechnung tragende Vereinheitlichung, Typisierung und
Normung zu stabilisieren, um damit die Grundlagen für eine systematische
Weiterentwicklung zu schaffen. Der Bau guter und preiswerter Elektromotoren und
Dynamos ist heute kein spezifisch elektrotechnisches oder konstruktives Problem
mehr, sondern lediglich ein Problem rationeller Fabrikationsmethoden.
Auf dem Gebiete der Hochspannungstechnik aber liegen die Verhältnisse noch anders.
Hier ist alles noch fortschreitende, speziell elektrotechnische Entwicklung. Allein
schon wegen der hohen und immer höheren Spannungen, die für größere
Kraftübertragungen auf weite Entfernungen gewählt werden müssen. Es ist bekannt, daß
im Rheinland bereits Freileitungen für 220000 Volt Spannung gebaut sind, die zwar
gegenwärtig noch mit 110000 Volt betrieben werden. Aber es steht in sicherer
Aussicht, daß diese Leitungen in nächster Zeit schon mit 220000 Volt betrieben
werden, weil der geplante Zusammenschluß der Nordwestdeutschen Großkraftwerke mit
den Süddeutschen
und Schweizerischen sich nicht mehr aufschieben läßt.
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Abb. 6. Wanddurchführung vom Prüftransformator (zu Abb. 5).
In den Vereinigten Staaten Amerikas sind seit vielen Jahren schon 220000-Volt-Anlagen
im Betrieb, sie arbeiten aber alle durchweg mit geerdeter Neutrale, so daß die
Spannung gegen „Erde“ nie mehr als 130000 Volt beträgt. Die Anlagen im
Rheinland werden aber ohne Erdung des Nullpunktes arbeiten. Dazu müssen
Transformatoren und Hochspannungsapparate für die volle Netzspannung von 220000 Volt
gewickelt, sowie Isolatoren und Leitungsmaterial für diese Spannung geschaffen und
geprüft werden. Und schon taucht die Frage auf nach Hochspannungsanlagen für 380000
Volt und wird technisch ernsthaft diskutiert.
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Abb. 7. Gleichspannungs-Schlagprüf-Einrichtung.
Diese Entwicklung kann – was man leicht einsieht – nur zum Teil in der Studierstube
oder am Konstruktionstisch vor sich gehen. Die Hauptinstanz, die sich mit den
einschlägigen Aufgaben und Problemen zu befassen hat, ist das Hochspannungs-Laboratorium oder das Hochspannungs-Versuchsfeld. Dieses Versuchsfeld ist gleichsam die
technische Auskunftei, die Beratungs- und Prüfungsstelle für die produktiv
schaffenden Fabrikationsbetriebe des Werkes in allen Hochspannungsfragen, sei es,
daß es sich darum handelt, die bei der Fabrikation von Maschinen und Apparaten für
Hochspannung bestehenden Sondervorschriften zu erfüllen, sei es, um die Auswahl
geeigneter Isolationsmaterialien und Rohstoffe für den Aufbau zu treffen.
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Abb. 8. Kabelendverschlußapparatur (zu Abb. 7)
Auch bei allen technischen Gedankengängen des Erfinders, Berechners, Konstrukteurs
muß die physikalische Natur auch stets durch das Experiment befragt wer den, ob
keine Irrwege eingeschlagen sind, denn die mathematische Behandlung dieser
Hochspannungsphänomene allein ist nicht immer so absolut zuverlässig und jeden
Irrtum mit Sicherheit ausschließend, daß man der entscheidenden Hilfe des
Experimentes entraten könnte.
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Abb. 9. Hörnerableiter als Ueberspannungsschutz bei andauernden
Ueberspannungen.
Ein Fabrikant, der sich diesem schwierigen Fabrikationsgebiet
zuwenden will, muß sich auch klar darüber sein, daß er ohne ein, den Anforderungen
angemessenes, großzügig eingerichtetes Laboratorium
oder Prüffeld nicht in die Fabrikation von Transformatoren und Apparaten für
hohe Spannungen eintreten kann. Die erforderlichen Einrichtungen für ein modernes
Hochspannungs-Laboratorium oder -Versuchsfeld, das allen Anforderungen gewachsen
ist, sind derartig kostspielig, daß man ein gutausgerüstetes
Hochspannungs-Laboratorium auch fast nur bei den Elektrizitätsgroßfirmen vorfindet,
deren Fabrikationsbereich eigentlich alles umfaßt, was bei der Ausführung von
Hochspannungsanlagen gebraucht wird.
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Abb. 10. Verlust-Meßgerät mit Luftkondensator.
Mehr oder weniger kompletierte Einzellaboratorien und
Einrichtungen für moderne Hochspannungs-Prüftechnik wird man indessen wohl auch hier
und da noch in den wenigen existierenden größeren Spezialfabriken für
Transformatoren, Hochspannungsschaltgeräte, Isolatoren, Kabel usw. antreffen. Beim
Besuch eines solchen modern eingerichteten Hochspannungs-Versuchsfeldes einer
unserer Elektrizitätsgroßfirmen wird man u.a. einen Prüftransformator für 1 Million
Volt antreffen, wie ein solcher in Abb. 5 dargestellt
ist, bei dem diese hohe Spannung gegen Erde in einem einzigen Transformator erzeugt
wird. Im allgemeinen wurden bisher so hohe Prüfspannungen nur durch
Hintereinanderschaltung von Transformatoren erreicht. Die Notwendigkeit, in einem
Hochspannungs-Laboratorium über so hohe Spannungen verfügen zu können, ergibt sich
daraus, daß – wie schon erwähnt – für unsere Hoch- und Höchstspannungs-Straßen eine
Betriebsspannung von 380000 Volt ernstlich in Betracht gezogen wird. Die
Prüfspannung für die hierzu erforderlichen Apparate und Isolatoren würde unter der
Voraussetzung, daß die bisher gültigen Regeln und Vorschriften des V.D.E, auch für
so hohe Spannungen beibehalten werden, etwa 850000 Volt betragen. Damit sind
wir dann von 1 Million nicht mehr so weit entfernt. Abb.
6 zeigt eine Wanddurchführung von dem in Abb.
5 dargestellten Transformator, die in den benachbarten Raum, den des
eigentlichen Prüffeldes führt.
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Abb. 11. Tesla-Transformator für 1 Million V.
Eine sehr interessante Apparatur auf dem Hochspannungs-Prüffeld einer unserer
Großfirmen ist die in Abb. 7 zur Anschauung gebrachte
Gleichspannungs-Schlagprüfungs-Einrichtung, zu der
noch die in Abb. 8 veranschaulichte
Kabelendverschluß-Apparatur und ein paar außerhalb des Gebäudes untergebrachte
Kabeltrommeln gehören. Mit dieser Gesamt-Apparatur können künstliche Blitzschläge
erzeugt werden, die einen auf dem Boden, inmitten des etwa 10 m hohen Prüffeldes
aufgestellten, etwa 0,5 m hohen und 0,3 bis 0,4 m dicken Hartholz-Baumstamm mit
starkem Knall zersplittern. Der eigentliche Zweck der elektrischen Schlag- oder
Stoßprüfung ist der, eine Nachahmung der Ueberspannungsvorgänge zu erzeugen, wie sie
hauptsächlich bei Gewittern durch Blitzschläge und bei Hochspannungs-Schaltvorgängen
im Leitungsnetz auftreten (vergl. Abb. 9), die den
elektrischen Betrieb und die Apparate oft in empfindlicher Weise stören. Das
Wesentlichste ist hier die Plötzlichkeit der Beanspruchung, aus der sich die
Steilheit des Spannungsanstieges ergibt, die bis zu 1 Milliarde Volt pro Sekunde
gehen kann. Die elektrische Schlagprüfung entspricht in gewissem Sinne der
mechanischen Schlagprüfung. In der technischen Mechanik ergibt die
Schlagprüfungsprobe bekanntlich ganz andere Festigkeitswerte als die allmählich
gesteigerten Beanspruchungen. So verhält sich auch das Isolationsmaterial bei
elektrischen Schlag- und Stoßprüfungen ganz anders als bei allmählich gesteigerten
Spannungen bei den normalen sinoidalen Schwingungen von 50 Perioden pro Sek. In
Abb. 10 ist ein sogenanntes Verlust-Meßgerät mit
Luftkondensator dargestellt, eine Einrichtung, die unter den Apparaten eines
komplett eingerichteten Hochspannungs-Laboratoriums in dieser oder anderer Form auch
nicht fehlen dürfte.
Zur Darstellung von Hochfrequenz-Erscheinungen dient der in Abb. 8 veranschaulichte Tesla-Transformator.
Hochfrequenz-Erscheinungen treten im Betriebe von Hochspannungs-Anlagen auf bei
atmosphärischen Störungen. Auch dieser Transformator übersetzt auf 1 Million Volt,
aber bei einer Frequenz von 50000 Perioden statt der im normalen Licht- und
Kraftbetriebe üblichen 50 Perioden pro Sek. Dabei treten naturgemäß ganz andere und
meist sehr eindrucksvolle Erscheinungen auf. Vor Jahren ging einmal durch die
technische Fachpresse ein Bild, auf dem Tesla, der Erfinder dieses nach ihm
benannten Hochfrequenz-Transformators, in dem Ueberschlagfeuer eines solchen
Apparates saß und eine Widmung zu diesem Bilde an Professor Slaby schrieb. Von
diesem seinen Vorgänger unterscheidet sich der in Abb.
11 dargestellte Tesla-Transformator durch seine Größe und durch die
gewaltigen und imponierenden Kraftäußerungen seines Entladungsfeuers.
Außer diesen und noch mancherlei anderen Hochspannungs-Prüfeinrichtungen, auf die
hier nicht mehr näher eingegangen werden kann, wird man bisweilen aber noch auf den
Hochspannungs-Versuchsfeldern oder aber in mittelbarer Nähe derselben einen starken
Maschinensatz antreffen, welcher lediglich dem Zwecke dient, die Festigkeit von
Transformatorenwicklungen gegen Kurzschlüsse und die Ausschaltleistungen von
Oelschaltern zu untersuchen (Abb. 9). Bei
Transformatoren und Oelschaltern ist die gefährliche Beanspruchung nicht in der
betriebsmäßigen Erwärmung zu suchen – diese ist leicht vorher zu berechnen und zu
beherrschen – sondern in den im Betriebe vorkommenden Kurzschlüssen. Die
Beanspruchung eines Oelschalters im Kurzschluß ist nach dem heutigen Stande der
Technik nicht berechenbar, sie ist nur durch das Experiment zu ermitteln. Dazu
braucht man aber die kostspielige, den gewaltigen Anforderungen entsprechende
Einrichtung eines solchen Maschinenaggregates. Das in Abb.
12 dargestellte Aggregat, das eine Leistung von 15 kW besitzt, hat sich
auf dem Prüffelde einer unserer Großfirmen schon als zu klein erwiesen, so daß
bereits als Ersatz eine neue größere Maschine für eine Leistung von 100 kW in Bau
genommen wurde. Hierzu wird auch ein Transformator von gleicher Größe gebaut, der
bis auf 150000 Volt umschaltbar sein wird. Mit diesem Aggregat können dann
Kurzschlußleistungen bis etwa eine Million Kilovoltampere (kVA) erreicht werden. Der
Eisenkern des Transformators wiegt allein 65 To.
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Abb. 12. Maschinen-Aggregat zu Kurzschlußversuchen.
Wer je Gelegenheit hatte, solchen Hochspannungs- und Kurzschlußprüfungen beizuwohnen,
der wird den durch Auge, und Ohr unter mehr oder minder starker Nervenanspannung
empfangenen gewaltigen Eindruck, den ihm die imposanten Entladungsfeuer und
sonstigen Kraftäußerungen der hier wirkenden Naturkräfte aufzwingen, gewiß nicht so
bald vergessen.