Titel: | Die elektrischen Triebwagen der Berliner Stadtbahn. |
Autor: | Spies |
Fundstelle: | Band 343, Jahrgang 1928, S. 197 |
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Die elektrischen Triebwagen der Berliner
Stadtbahn.
Von Dipl.-Ing. Spies,
Berlin-Lichterfelde.
SPIES, Die elektrischen Triebwagen der Berliner
Stadtbahn.
Seit dem ersten ernsthaften Vorschlag für die Umstellung der Berliner Stadt- und
Ringbahn auf elektrischen Betrieb, der im Jahre 1899 von der damaligen
Union-Elektrizitäts-Gesellschaft der Eisenbahn unterbreitet wurde, sind fast 30
Jahre verstrichen, bis dieser Vorschlag Wirklichkeit wurde: Am 11. Juni 1928 sind
die ersten elektrischen Triebwagenzüge im fahrplanmäßigen Verkehr über die Berliner
Stadtbahn gerollt, und zwar auf der Strecke Potsdam–Erkner. Zahlreiche Wandelungen
hat das Projekt im Laufe der Jahre erfahren, auf die auch der Krieg nicht ohne
Einfluß blieb. Gerade vor dem Kriege hatte man die Elektrifizierung der Stadt- und
Ringbahn mittels hochgespannten Einphasen – Wechselstromes beschlossen, einer
Stromart, die sich in jenen Jahren auf den Probestrecken Mitteldeutschlands bewährte
und auch für Fernbahnen in Deutschland, Oesterreich, Schweden, Norwegen und der
Schweiz als normal festgelegt ist. Als Triebfahrzeuge sollten unter Beibehaltung des
vorhandenen Wagenparkes kleine führerstandslose Maschinen, sogenannte Triebgestelle
dienen, die von Führerständen an beiden Enden des Zuges aus gesteuert werden
sollten. Nach Kriegsende hatten sich jedoch die Grundlagen für die Elektrifizierung
wesentlich verschoben, da ein erheblicher Teil des Wagenparkes infolge der
übermäßigen Ausnutzung während des Kriegesausmusterungsreif war. Wenn aber schon ein
Ersatz der vorhandenen Fahrzeuge geboten war, erschien es zweckmäßig, an ihrer
Stelle Triebwagen zu beschaffen. Eingehende Erwägungen über die bei dieser neuen
Sachlage zweckmäßigste Stromart führten zu der Wahl von Gleichstrom, der den
Triebwagen in einer Stromschiene mit einer mittleren Spannung von 800 Volt zugeführt
wird.
Als kleinste selbständige Zugeinheit ist der Viertelzug vorgesehen, bestehend aus
einem Triebwagen und einem mit ihm kurzgekuppelten Beiwagen. Trieb- und Beiwagen
sind in ihrem mechanischen Aufbau vollkommen gleich. Jeder Wagen ist mit zwei
zweiachsigen Drehgestellen ausgerüstet und besitzt an seinem freien Ende einen
Führerstand. An elektrischer Ausrüstung enthält der Beiwagen nur die
Steuerausrüstung im Führerstand und die Einrichtung für elektrische Beleuchtung und
Heizung. Die gesamte übrige elektrische Ausrüstung ist im Triebwagen
untergebracht.
Hinsichtlich des Wagenteiles der Triebwagen ist bemerkenswert, daß für die besonders
hochbeanspruchten Konstruktionsteile im Untergestell und Obergurt des Wagenkastens
hochwertiger Siliziumstahl von 0,8 bis 0,9 v. H. Siliziumgehalt verwendet
wurde. Hierdurch wurde im Verein mit sorgfältiger Berechnung aller wichtigen
Bauteile unter voller Ausnutzung der Festigkeitswerte der gewählten Baustoffe eine
erhebliche Gewichtsersparnis gegenüber den Versuchszügen aus dem Jahre 1925 erzielt.
Das Leergewicht der neuen Wagen beträgt für einen Triebwagen im Durchschnitt 37,6 t
(früher 45,4 t), für einen Beiwagen 21 t (früher 33,9 t). Das Gewicht eines
Viertelzuges hat sich also von rd. 79 t auf rd. 65 t herabsetzen lassen. Diese
Gewichtsersparnis von 17,5 v. H. bringt eine entsprechende Herabsetzung der
Betriebskosten mit sich, da der Stromverbrauch pro Wagenkilometer ebenfalls
entsprechend abnimmt.
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Abb. 1. Fortschaltrelais.
Jeder Triebwagen ist mit vier Motoren von 90 kW Stundenleistung, von denen je zwei
dauernd in Reihe liegen, und einer selbständigen Steuerung ausgerüstet. Das Wesen
einer solchen selbsttätigen Steuerung liegt darin, daß die Regelung der Motoren,
d.h. das Abschalten der Anfahrwiderstände und das bei mehrmotorigen
Gleichstromfahrzeugen übliche Reihen- und Parallelschalten der Motoren bzw.
Motorgruppen nicht durch den Führer erfolgt, sondern selbsttätig in Abhängigkeit von
einem vom Motorstrom durchflossenen Stromwächter, dem sog. Fortschaltrelais. Dieses
ist grundsätzlich ein Minimalrelais, dessen Spule vom Motorstrom durchflössen ist.
Ist der Strom groß, z.B. im Augenblick des Weiterschaltens von einer Stufe auf die
nächste, so zieht das Fortschaltrelais seinen Anker an und unterbricht somit den
Steuerstromkreis für den Antrieb der selbsttätigen Steuerung. Ist jedoch der
Motorstrom auf einer Fahrstufe infolge der zunehmenden Geschwindigkeit des
Fahrzeuges unter einen bestimmten Grenzwert gesunken, läßt das Fortschaltrelais
seinen Anker wieder abfallen und schließt
den Steuerstromkreis, in welchem der Antrieb liegt, der die Drehung der
Steuerwalze und damit das Einschalten der nächsthöheren Fahrstufe bewirkt.
Abbildung 1 zeigt das Fortschaltrelais; der Anker
trägt rechts den Steuerkontakt, links ist die aus zwei Flachkupferwindungen
bestehende Motorstromspule zu erkennen. Unterhalb von dieser ist eine weitere Spule,
die sog. Zugspule angeordnet. Sie wirkt im gleichen Sinn wie die Starkstromspule auf
den Anker und wird während des Schaltens von einer Fahrstufe auf die nächsthöhere
kurzzeitig eingeschaltet, um ein sicheres Anziehen des Ankers zu gewährleisten; denn
es ist mit einer einzigen Spule nicht möglich, zwei Grenzwerte für das Anziehen und
das Abfallen eines Relaisankers richtig innezuhalten. Die Zugspule ist aber noch aus
einem anderen Grunde unbedingt erforderlich. Es könnte nämlich nach kurzem
Abschalten der Fall eintreten, daß die Geschwindigkeit des Fahrzeuges beim
Wiedereinschalten noch so groß ist, daß der von den Motoren aufgenommene Strom
unterhalb des Abfallwertes des Fortschaltrelais liegt, das Fortschaltrelais also
seinen Anker nicht anziehen kann. In diesem Fall würde der Antrieb dauernd an
Spannung liegen bleiben und nur einen Hub ausführen können. Schließlich ermöglicht
es die Zugspule auch, die Schalteinrichtung im Schuppen, wenn also die Motoren
überhaupt nicht stromdurchflossen sind, zu prüfen; denn sie ist so stark bemessen,
daß sie auch allein den Anker des Fortschaltrelais anzuziehen vermag.
Für den eigentlichen Antrieb, der offenbar den schwierigsten Bauteil einer
selbsttätigen Steuerung darstellt, wurden bei den nach dem Kriege zuerst auf
elektrischen Betrieb umgestellten nördlichen Vorortstrecken mehrere Bauarten
eingehend erprobt, da damals in Deutschland Bau- und Betriebserfahrungen mit
selbsttätigen Steuerungen, die sich unter ähnlichen Verhältnissen in Amerika gut
bewährt hatten, noch nicht vorlagen. Auf Grund der günstigen Ergebnisse fiel die
Wahl der Reichsbahn für die Ausrüstung der gesamten reichsbahneigenen Strecken des
Berliner Nahverkehrs auf die von den Bergmann-Elektrizitäts-Werken geschaffene und
späterhin von diesen im Verein mit den Maffei-Schwartzkopff-Werken weiterentwickelte
Steuerung mittels eines elektro-pneumatischen Klinkwerkes. Dieser Antrieb ist
gewöhnlichen Druckluft- oder Elektromotoren überlegen, da er es ohne weiteres
ermöglicht, beim Schalten die bei Straßenbahnen übliche und bewährte Bewegungsart:
langsames, genau stufenweises Einschalten, schnelles Ausschalten innezuhalten.
Um diese Bewegungsart, bei der die Motoren vor Ueberlastungen geschützt sind, zu
erzielen, benötigen die anderen Antriebsarten zusätzliche Maschinenelemente, wie
Anschläge, ausrückbare Kupplungen, Anlaßeinrichtungen, Verriegelungskontakte usw.,
die bei einem Klinkwerk vollkommen vermieden sind.
Die Bedienung der selbsttätigen Klinkwerksteuerung im Betrieb ist außerordentlich
einfach. Der Führer hat bei Fahrtantritt am Führerschalter die Fahrtrichtung und die
gewünschte Beschleunigung einzustellen und sodann zum Einschalten der Motoren einen
entsprechend kräftig gehaltenen Druckknopf am Führerschalter niederzudrücken.
Weitere Handgriffe sind nicht erforderlich, so daß der Führer seiner eigentlichen
Aufgabe, der Beobachtung der Strecke und der Signale volle Aufmerksamkeit widmen
kann. Das Weiterschalten von einer Fahrstufe zur nächsten besorgt das
Fortschaltrelais stets im richtigen Augenblick, so daß unter voller Ausnutzung der
Motoren unzulässige Strom- und Zugkraftspitzen und damit Schleudergefahr oder eine
Ueberlastung der Motoren nicht auftreten können.
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Abb. 2. Prinzip des Klinkwerkes.
Das elektropneumatische Klinkwerk (Entwurf der Bergmann-Elektrizitäts-Werke) besteht
im wesentlichen aus zwei Druckluftzylindern, dem „Arbeits-“ und dem
„Rückzugszylinder“. Abbildung 2 zeigt das
Prinzip des Klinkwerkes. Jeder der beiden Zylinder ist mit einem Magnetventil
ausgerüstet, und zwar der Arbeitszylinder mit einem „positiven“ Magnetventil,
das im spannungführenden Zustand Druckluft in den
Zylinder eintreten läßt, der Rückzugzylinder mit einem „negativen“
Magnetventil, das im spannungslosen Zustand den
Lufteintritt in den Zylinder öffnet. Drückt der Führer den Druckknopf nieder, so
bekommen beide Magnetventile Spannung. Das
negative Ventil am Rückzugszylinder schaltet also diesen von der
Druckluftleitung ab, das positive dagegen läßt Druckluft in den Arbeitszylinder
eintreten. Dessen Kolben macht einen Hub und dreht das Klinkrad und somit auch die
mit dessen Welle gekuppelte Schaltwalze um eine Zahnteilung entsprechend einer
Schaltstufe vor.
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Abb. 3. Anordnung von Klinkwerk und Schaltwalze unter dem Triebwagen.
Gleich nach Beginn des Arbeitshubes schaltet ein von der
Vorschubklinke gesteuerter Kontakt die Zugspule ein, so daß das Fortschaltrelais
seinen Anker anzieht und den Stromkreis des positiven Magnetventils unterbricht. Um
aber die Beendigung des Hubes sicherzustellen, schließt ein weiterer Hilfskontakt
einen Stromkreis, der im Nebenschluß zu den Kontakten am Anker des Fortschaltrelais
liegt. Dieser weitere Hilfskontakt wird von einer Sperrklinke gesteuert, deren
Hauptaufgabe es ist, eine Rückwärtsdrehung des Klinkrades zu verhüten, wenn der
Arbeitskolben seinen Rückwärtshub macht. Sie eilt daher der Vorschubklinke vor; in
dem Augenblick, in dem sie in die folgende Zahnlücke einfällt, ist der Hub des
Klinkwerkes beendet. Das positive Magnetventil wird spannungslos, da beim Einfallen
der Sperrklinke auch der von ihr gesteuerte Nebenschlußkontakt unterbricht, so daß
der Kolben des Arbeitszylinders in seine Ruhelage zurückgeht. Beim Rückwärtsgang
unterbricht die Vorschubklinke den Stromkreis der Zugspule, so daß der Anker des
Fortschaltrelais nur noch unter dem Einfluß der Motorstromspule angezogen bleibt.
Sinkt der Motorstrom infolge der zunehmenden Geschwindigkeit des Fahrzeuges unter
den Grenzwert, so fällt der Anker ab: der Stromkreis zum positiven Magnetventil wird
wieder geschlossen, das Klinkwerk macht den zweiten Hub. Dieses Spiel wiederholt
sich bis zur letzten Fahrstufe. Schaltet der Führer durch Loslassen des Druckknopfes
ab, so läßt das spannungslos gewordene negative Magnetventil Druckluft in den
Rückzugzylinder eintreten. Dessen Kolbenstange ist gezahnt und steht mit einem auf
der Klinkradwelle aufgekeilten Ritzel in Eingriff. Bei jedem Arbeitshub wird also
der Kolben des Rückzugzylinders um einen entsprechenden Weg mitgenommen; für eine
ganze Umdrehung des Klinkrades macht er einen ganzen Hub. Strömt beim Abschalten
Druckluft in den Rückzugzylinder ein, geht der Rückzugkolben in die Nullage und
nimmt das Klinkrad mittels der Zahnradübersetzung mit. Vor der Rückwärtsbewegung des
Klinkrades müssen jedoch die beiden Klinken ausgehoben werden. Zu diesem Zweck ist
in die Verbindungsleitung vom negativen Magnetventil ein „Aushebezylinder“
angeordnet, dessen Kolben gegenüber dem Rückzugkolben mit Voreilung arbeitet und die
Klinken aushebt. Um ein weiches Arbeiten zu erzielen, sind der Arbeits- und der
Rückzugzylinder mit je einem koaxial zu ihnen liegenden Dämpfungszylinder
ausgerüstet. Mit Rücksicht auf die in der Stromschiene zu erwartenden
Spannungsabfälle müssen die Grenzen, innerhalb deren das Klinkwerk arbeitet, recht
groß gesetzt werden; es ist daher vorgeschrieben und auch erreicht worden, daß das
Klinkwerk zwischen 45 und 90 Volt (bei normal 75 Volt) und zwischen 3 und 6 at
einwandfrei arbeitet.
Die von dem Klinkwerk angetriebene Schaltwalze kann von beliebiger Bauart sein, etwa
wie eine Kontrollerwalze mit Schaltringen und Kontaktfingern. Für die Berliner
Stadtbahn wurde jedoch eine Nockenschaltwalze (Entwurf der
Maffei-Schwartzkopff-Werke) gewählt. Bei dieser werden die einzelnen
Schaltverbindungen des Motorstromkreises durch Druckschalter hergestellt, die von
auf der Welle sitzenden Nockenscheiben ein- und von entsprechenden Kurvenscheiben
ausgerückt werden. Jedoch sind die Kurvenscheiben nur auf denjenigen Schaltstufen
vorgesehen, auf denen das Hängenbleiben eines Druckschalters zu Beschädigungen der
Motoren führen könnte. Auf den Widerstandsstufen z.B. sind sie weggelassen. Abbildung 3 zeigt die Anordnung des Klinkwerkes
(links) und der Schaltwalze (rechts) unter dem Triebwagen.
An Fahrstufen sind 14 vorgesehen, nämlich:
8 Reihenstellungen,
1 Ueberschaltstellung,
5 Parallelstellungen.
Auf der Uebergangsstellung ist es wünschenswert, um große
Stromspitzen zu vermeiden, bei einem tieferen Grenzwert als auf den anderen Stufen
weiter zu schalten. Diesem Zweck dient die oberhalb der Motorstromspule am
Fortschaltrelais (s. Abb. 1) vorgesehene Spule. Sie
wird auf der Uebergangsstufe von einem auf der Klinkradwelle angeordneten kleinen
Nockenschalter geschlossen und wirkt in gleichem Sinn wie die Motorstromspule, so
daß der Anker erst bei niedrigerer Stromstärke abfallen kann.
Am Führerschalter sind für die Fahrtrichtungs- und Beschleunigungseinstellung
folgende Stellungen vorgesehen:
Rückwärts-Rangier,
Null,
Vorwärts-Rangier,
Vorwärts ½,
Vorwärts 1/1.
Auf den Rangierstufen macht das Klinkwerk nur den ersten Hub. Die Motoren liegen in
dieser Fahrstellung in Reihe mit sämtlichen Widerständen. Für die Stufe Vorwärts
½, entsprechend einer mittleren Beschleunigung von
etwa 0,4 m/sec2 wurde der Schaltvorgang oben
erklärt. Auf der Stufe Vorwärts 1/1
, entsprechend einer mittleren Beschleunigung von etwa
0,52 m/sec2 wird die rechts am Fortschaltrelais
angeordnete Spule miteingeschaltet. Sie wirkt der Motorstromspule entgegen, bewirkt
also ein Abfallen des Relaisankers und somit ein Weiterschalten stets bei höherer
Stromstärke.
Der Führerschalter läßt sich mit Rücksicht darauf, daß er außer dem Druckknopf nur
die Kontakte für die Fahrtrichtungs- und Beschleunigungseinstellung und außerdem nur
noch einige Kontakte für die Luftpumpeneinschaltung zu enthalten braucht, in recht
kleinen baulichen Abmessungen halten, wie es der Blick in den Führerstand (Abb. 4) zeigt.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß die Anwendbarkeit der beschriebenen
selbsttätigen Steuerung sich nicht auf Gleichstrom 800 Volt beschränkt;
vielmehr ist nach geringen Abänderungen, die sich auf Verwendung höherwertiger
Isolation und Aenderung der Schaltwalzenabwickelung erstrecken, die Steuerung auch
für Gleichstrom höherer Betriebsspannung oder Wechselstrom geeignet.
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Abb. 4. Blick in den Führerstand.