Titel: | Die wärmewissenschaftlichen Bedingungen des Schnellbetriebes. |
Fundstelle: | Band 345, Jahrgang 1930, S. 1 |
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Die wärmewissenschaftlichen Bedingungen des
Schnellbetriebes.
Von Dr. K. Schreber.
Vorgetragen am 27. Oktober 1929 bei den
Erinnerungsfeiern an der Techn. Hochschule Aachen.
SCHREBER, Die wärmewissenschaftl. Bedingungen des
Schnellbetriebes.
1. Aufgabe. M. H.! Diejenigen unter Ihnen, welche
einmal Gelegenheit genommen haben, eine Arbeit von mir zu lesen, werden gemerkt
haben, daß ich mich bemühe, Fremdwörter möglichst zu vermeiden. Dabei bin ich
allerdings nicht immer derselben Meinung wie der Vorstand des Sprachvereins: z.B.
wegen des Wortes Entropie. Da das Wort von einem Deutschen zur Bezeichnung eines von
ihm zuerst erkannten wissenschaftlichen Begriffes gebildet und dann erst in fremde
Sprachen übergegangen ist, so nenne ich es ein deutsches Wort, trotzdem seine
Bestandteile einer fremden Sprache entnommen sind. Der deutsche Sprachverein
bestimmt aber die Zugehörigkeit zur deutschen Sprache unter anderm nach der
Reimfähigkeit und behauptet, für Entropie ließe sich kein deutscher Reim bilden. Ich
habe ihm geantwortet:
Wie vor dem neuen Tor das Vieh
Steht der Student vor Entropie.
M. H.! Wir wollen uns hier nicht über die Regeln des Sprachvereins unterhalten. Ich
habe diesen Reim hier nur angeführt, um Sie an den Anfang Ihres Studiums zu
erinnern. Ich denke, Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich behaupte, daß Sie
vor dem Wort Entropie, als Sie es zum ersten Male hörten, recht unbefriedigt
gestanden haben. Sie rechnen ja jetzt mit den Entropietafeln in den verschiedensten
Ausführungen, als wenn der Entropiebegriff etwas Selbstverständliches sei; aber wenn
Sie sich fragen, was denkt man sich eigentlich unter Entropie, so werden die meisten
antworten, daß sie sich gar nichts dabei denken. Die Entropie ist sicherlich unter
allen wissenschaftlichen Begriffen der unverständlichste. Das liegt ausschließlich
daran, daß Clausius, als er ihn schuf, für ihn nur eine Ungleichung aufstellen
konnte, welche nur unter gewissen Ausnahmebedingungen in eine Gleichung übergeht,
und man mit einer Ungleichung recht wenig anfangen kann.
Ich beabsichtige, diesen Begriff in zwei voneinander unabhängige zu zerlegen. Der
eine, die Berechnungsentropie, entspricht dem Begriff, mit welchem Sie auf den
Tafeln zu rechnen gewöhnt sind und dessen Summe unverändert den Wert 0 behält, wie
es die Ungleichung von Clausius unter den genannten Ausnahmebedingungen verlangt.
Der andere Begriff, welchen ich Betriebsentropie nenne, gibt in einer Gleichung
das, was Clausius nur durch seine Ungleichung fassen konnte. Er ist das Maß für die
Geschwindigkeit des Schnellbetriebes. Mit seiner Hilfe können Sie, falls die
wissenschaftliche Beobachtung die nötigen Zahlen geliefert hat, schon vorher
berechnen, welche Geschwindigkeit für Ihren Betrieb die günstigste ist.
2. Die Berechnungsentropie. Wie Sie sich erinnern werden,
hatte schon Carnot erkannt, daß man mit Hilfe einer Wärmemenge dann die meiste
Arbeit erzielt, wenn man dafür sorgt, daß sämtliche Wärmebewegung ohne
Temperaturunterschied vor sich geht. Wir nennen heute mit der von Clausius
geschaffenen Sprache einen Vorgang, bei welchem sich Wärme bewegt, ohne daß zwischen
den beiden Stellen, zwischen denen sie sich bewegt, ein Temperaturunterschied
vorhanden ist, einen umkehrbaren. Der Berechnung aller Wärmekraftmaschinen wird
stets ein solcher umkehrbarer Vorgang zugrunde gelegt.
Wir wollen als Beispiel an eine Kältemaschine denken, welche durch eine Dampfmaschine
angetrieben wird, und zunächst die. Bedingung Carnots auf den Uebergang der
Kälteleistung von der Sole an das Ammoniak anwenden. Hat die Maschine in einer
beliebigen Zeit die Kälteleistung dQ und ist die Temperatur von Sole und Ammoniak T,
so führt man den Begriff der Berechnungsentropie ein mit Hilfe der Gleichung ds =
dQ/T.
Da dQ für Sole und Ammoniak bis auf das Vorzeichen dasselbe und die Temperatur nach
Carnots Bedingung für beide ebenfalls die gleiche ist, so nimmt die
Berechnungsentropie der Sole um ebensoviel ab, wie die des Ammoniaks zunimmt, d.h.
die Summe der Berechnungsentropie bleibt stets O. Das ist die Eigenschaft der
Berechnungsentropie, welche schon Clausius erkannt hatte.
Es sei nun in der Gesamtanlage Th die heiße
Temperatur des Kessels, Ta die Temperatur der
Atmosphäre und Tk die kalte Temperatur der Sole, so
daß Δ TD = Th – Ta der Temperaturunterschied der Dampfmaschine und Δ
TK = Ta – Tk der der Kältemaschine ist. Nimmt dann der Dampf
aus den Heizgasen die Berechnungsentropie sD auf, so
leistet die Dampfmaschine die Arbeit sD × Δ TD Das ist der Carnotsche Satz. Sie sind gewohnt, ihn
anders zu
schreiben, für sD schreiben Sie dQ/Th. Es ist aber vorteilhafter, bei der Benutzung der
Berechnungsentropie zu bleiben.
Auch die Kälteleistung schreiben wir nicht in Kalorien auf, sondern mit Benutzung der
Berechnungsentropie sK; dann hat die Kältemaschine
die Arbeit sK Δ TK
nötig. Beide Arbeiten sind, weil die Maschinen mit einander gekuppelt sind, einander
gleich; also bekommen wir den einfachen Satz: sD × Δ
TD = sK × Δ Tk.
Das aber, m. H., ist die bekannte Hebelgleichung: Weg × Kraft der einen Seite = Weg
× Kraft der anderen Seite. Hier heißt es Berechnungsentropie × Temperaturunterschied
der einen Maschine = Berechnungsentropie × Temperaturunterschied der anderen
Maschine.
Sie sehen, wenn Sie bei allen Ihren Berechnungen den Begriff Wärme überhaupt
weglassen und überall den der Berechnungsentropie benutzen, wird alles viel
einfacher und verständlicher. Im Grunde ist das aber nur eine andere Schreibweise
Ihnen längst bekannter Sachen, auf welche man nicht gekommen ist, weil der Begriff
der Entropie so unverständlich war.
3. Die Betriebsentropie. Nun wollen wir dazu übergehen,
die Ungleichung von Clausius, welche der Grund für diese Unverständlichkeit ist,
durch eine Gleichung zu ersetzen.
So, wie wir die Kälteanlage eben berechnet haben, kann sich die Berechnungsentropie
sowohl von der heißen und der kalten Temperatur nach der atmosphärischen bewegen –
das ist die gewünschte Bewegungsrichtung –, wie auch von der atmosphärischen nach
der heißen und der kalten. Es ist bei der Berechnung nirgends ein Grund vorgesehen,
welcher eine bestimmte Bewegungsrichtung bedingt. Der der Berechnung zugrunde
gelegte Vorgang ist eben, wie Clausius sagt, ein umkehrbarer, es sind beide
Bewegungslichtungen gleich möglich.
Der wirkliche Vorgang ist aber nicht umkehrbar. Es bewegt sich in der Wirklichkeit
die Berechnungsentropie nicht, wie Carnot und Clausius voraussetzen, ohne
Temperaturunterschied, sondern es muß ein endlicher Temperaturunterschied vorhanden
sein, und dann bewegt sich die Berechnungsentropie stets von der heißen zur kalten
Temperatur. So muß, damit die Kälteleistung von der Sole in das Ammoniak übergehen
kann, das Ammoniak kälter sein als die Sole. Ist z.B. die Sole – 10°, so muß das
Ammoniak vielleicht – 15° sein.
Ist die Kälteleistung in der Zeiteinheit Q und die Temperatur der heißen Seite der
Heizfläche, also der der Sole zugekehrte TS, die der
kalten, der Ammoniakseite TA, und TS – TA = Δ T, so
könnte, wenn man die Heizfläche vermeiden dürfte, die Wärme Q die Arbeit Q × Δ
T/TS leisten. Diese Arbeit wird nicht als
Nutzarbeit im gewöhnlichen Sinne gewonnen, sondern sie wird aufgewendet, damit die
der Kälteleistung Q zugehörige Berechnungsentropie mit der vom Schnellbetrieb
verlangten Geschwindigkeit durch die Heizfläche hindurchgeht. Roh verglichen: Sie
entspricht der Arbeit, welche eine Flüssigkeit durch ein Filter preßt. Indem
sie diese Geschwindigkeitsarbeit leistet, wird sie in Wärme zurückverwandelt und
erscheint bei der Temperatur TA wieder als Wärme.
Wie Zeuner schon in der ersten Auflage seiner Wärmelehre betont hat, ist der
Arbeitswert einer Wärmemenge von der Temperatur abhängig, so daß Wärmemengen nicht
ohne weiteres zusammengezählt werden dürfen. Wir machen uns von dieser Beschränkung
frei, indem wir die bei TA erscheinende Wärme durch
diese Temperatur teilen; wir erhalten dann eine Größe
\Delta\,\tau=Q\,\times\,\frac{\DElta\,T}{T_S\,T_A}
welche ich als Betriebsentropie bezeichne, weil sie dieselben
Abmessungen wie die Berechnungsentropie hat, aber für die Schnelligkeit des
Betriebes maßgebend ist. Je größer sie ist, desto schneller verläuft der Betrieb,
desto mehr Berechnungsentropie geht in der Zeiteinheit durch die Heizfläche
hindurch.
Nach den Gesetzen der Wärmeleitung ist Q = λF Δ T; setzen wir das ein, so erhalten
wir
\Delta\,\tau=\lambda\,F\,\frac{\Delta\,T^2}{T^2}
wenn wir im Nenner Δ T neben TS vernachlässigen, wie es den Verhältnissen der Wirklichkeit
entspricht.
Die Gleichung zeigt, daß Δ τ stets positiv ist.
In derselben Weise können wir für jeden nichtumkehrbaren Vorgang die Betriebsentropie
berechnen. Bei der Kälteanlage haben wir noch an den drei anderen Heizflächen, für
die beiden Verdampfungsvorgänge und für verschiedene Drosselungen eine solche
Rechnung auszuführen. Aus Rücksicht auf die Zeit unterlasse ich das hier.
Alle so erhaltenen Betriebsentropien einer Anlage lassen sich, weil wir uns durch das
Teilen mit der Temperatur vom Arbeitswert der Wärme freigemacht haben,
zusammenzählen, und so erhält man für jeden mit endlicher Geschwindigkeit gehenden
Betrieb einen ganz bestimmten, ihm eigentümlichen Betrag der Betriebsentropie,
welcher ein Maß der Geschwindigkeit dieses Betriebes ist.
4. Die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu. Dieses Δ
τ, welches, wie eben gefunden, stets positiv ist, ist der Betrag, welcher bei
Clausius das Ungleichheitszeichen bedingt. Clausius hat nicht den Weg zu diesem
Begriff gefunden und daher der so geheimnisvoll und deshalb so wichtig klingende
Satz: Die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu.
Dieser Satz ist mathematisch vollständig richtig. Da Δ τ stets positiv ist, so erhält
man durch das Zusammenzählen der Betriebsentropien der verschiedenen Vorgänge eine
ständig zunehmende Größe. Aber physikalisch ist er vollständig sinnlos. Es ist
durchaus nicht alles, was mathematisch richtig ist, physikalisch brauchbar.
Ich habe hier als Beispiel die Betriebsentropie einer Kälteanlage berechnet, weil
sich das leicht machen läßt. Ebenso können wir auch die Betriebsentropie des
Vorganges auf einer Walzenstraße berechnen und die Betriebsentropie eines durch die Luft schwimmenden
Zeppelinluftschiffes usw. usw.
Gewiß darf der Mathematiker alle diese Betriebsentropien zusammenzählen und dann
erhält er den Satz von Clausius. Aber schon wenn man an diese drei Beispiele denkt,
erkennt man, daß es sinnlos ist, sie zusammenzuzählen. Was haben die
Betriebsentropien der Kältemaschine, der Walzenstraße, des Zeppelinluftschiffes mit
einander zu tun? Der Betriebsingenieur der einen wie der anderen Anlage kann seine
Betriebsgeschwindigkeit ganz beliebig einstellen, wie es gerade sein Betrieb verlangt, und braucht sich um die anderen
gar nicht zu kümmern; ja er kann sich auch gar nicht um sie kümmern, denn er weiß
nichts von ihnen. Es erhält jeder Betriebsingenieur einen Betrag der
Betriebsentropie, welcher von dem eines anderen vollständig unabhängig ist. Sie
zusammenzuzählen ist zwecklose Spielerei.
Der Wert des Begriffes Betriebsentropie liegt in ganz anderer Richtung: Die der
Betriebsentropie zugrunde liegende Geschwindigkeitsarbeit verursacht wie jede andere
Arbeit Kosten. Berechnet man sie für verschiedene Geschwindigkeiten des
Betriebes und vergleicht diese Kosten mit den anderen, so kann man die günstigste
Geschwindigkeit erkennen, d.h. die Geschwindigkeit, welche die geringsten
Gesamtkosten verursacht.
Um diese Rechnung ausführen zu können, muß man für die in der Gleichung für die
Betriebsentropie vorkommenden Begriffe Zahlenwerte haben. Für den Durchgang der
Berechnungsentropie durch die Heizflächen sind die Zahlen einigermaßen bekannt, aber
schon nicht mehr für den Uebergang von der Heizfläche an die Flüssigkeit und noch
viel weniger für andere, gerade für die Betriebsentropie wichtige Erscheinungen. Ich
hatte beim vorgesetzten Ministerium beantragt, mir in den durch das Umziehen des
physikalischen Institutes frei werdenden Räumen ein Laboratorium für technische
Wärmelehre einzurichten, damit ich die fehlenden Zahlen beschaffen kann. Das
Ministerium hat diese geringen Mittel verweigert; also muß noch weiterhin der
Betriebsingenieur die Geschwindigkeit seines Betriebes einstellen, ohne nachrechnen
zu können, ob sie die günstigste ist.