Titel: | Teer und seine Bedeutung. |
Autor: | Fr. W. Landgraeber |
Fundstelle: | Band 345, Jahrgang 1930, S. 44 |
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Teer und seine Bedeutung.
(Zum Jubiläum des schwarzen Gesellen.)
Von Fr. W. Landgraeber.
FR. W. LANDGRAEBER, Teer und seine Bedeutung.
Vor 25 Jahren wurde damit begonnen, den infolge rasch zunehmender Entwicklung
der Kokereibetriebe und Gasanstalten in reichlichen Mengen anfallende
Steinkohlenteer auf marktfähige Produkte zu verarbeiten. Damals war dieser schwarze
Geselle ein recht lästiges Nebenprodukt, für den sich kaum eine andere Verwertung
als die der Verheizung ermöglichte. Um jene Zeit (1905) schlössen sich eine Anzahl
Bergwerksunternehmen zusammen und gründeten eine Gesellschaft für Teerverwertung. In
rascher Folge stieg die Produktion der zu dieser Gesellschaft gehörenden Anlage von
86000 t im ersten Betriebsjahre auf 260000 t im Jahre 1915, in den weiteren zehn
Jahren auf 400000 t, und in diesem Jahre dürfte eine Steigerung der Erzeugung des
Vorjahres in Höhe von 700000 t auf 800000 t zu erwarten sein. Ebenfalls vor 25
Jahren wurde alsdann in Essen die Deutsche Teerprodukten-Vereinigung ins Leben
gerufen, aus der die Verkaufsvereinigung für Teererzeugnisse entstand, ein Syndikat,
das die gewaltige Menge von 1,5 Millionen t Teerverarbeitung kontrolliert. Das sind
85 v. H. der gesamten deutschen Teererzeugung. Dieses Syndikat spielt auf dem
Weltmarkt eine gewichtige Rolle insofern, als durch seine Vermittlung über 1 Million
Tonnen allein an Imprägnieröl ausgeführt werden. Beide Unternehmen haben in
fördersamer Arbeit den Interessen der heimischen Teerund damit auch der
Kohlenindustrie gute Dienste geleistet. Das erstgenannte Unternehmen umfaßt heute
drei große Fabriken mit 250 Angestellten und 1700 Arbeitern. Von der ursprünglichen
Verarbeitung von Rohteer auf marktfähige Produkte ging es bald dazu über, einen Teil
dieser Waren zu veredeln. Es wurden Betriebe zur Fabrikation von Dachpappe, Ruß,
Elektroden, Schmiermittel, Schmierfette u.a.m. angegliedert. Später kamen
Beteiligungen an solchen Firmen hinzu, die die Verwendung von Teer zu Straßenbauten
einführten, sowie andere, die sich die Verarbeitung von Karbolsäure zu Kunstharzen
und die Weiterverarbeitung von Kunstharzen zu Gebrauchsgegenständen zur Aufgabe
machten. Die Verkaufsvereinigung für Teererzeugnisse, die den Vertrieb der erzeugten
Teerprodukte besorgt, ist aufs engste mit jenem Unternehmen verbunden, und beide
dürften die leistungsfähigste und größte Teerdestillation in Deutschland, ja auf der
ganzen Welt sein. Außerdem gibt es noch eine ganze Anzahl von Betrieben in
Deutschland, die sich mit der Destillation von Teer sowohl aus Steinkohlen wie
Wassergas- und Oelgasteer befassen. Ihre Zahl wuchs bis zum Jahre 1915 auf etwa 100,
bis zum Jahre 1925 auf 130 und dürfte bald 150 erreicht haben. In ihnen werden
ungefähr 3500 Personen beschäftigt. Die dort verarbeiteten Teermengen stiegen von
1913 bis heute von 1,22 Millionen Tonnen im Werte von 34 Millionen Mark auf 1,5
Millionen t im Werte von 120000000 Mark. In diesen Zahlen kommt die bedeutende
Wertsteigerung deutlich zum Ausdruck, die der Teer in den letzten Jahren erfahren
hat. Während vor dem Kriege (1913) eine Tonne Steinkohlenteer rund 28 Mark kostete,
erreichte er in der Jetztzeit Preise von über 80 Mark.
Die in jenen Destillationsanlagen zur Verarbeitung gelangenden Teermengen bestehen zu
etwa 85% aus Kokereiteer und 15% aus Gasanstaltsteer. Oelgas- und Wassergasteer ist
an der deutschen Erzeugung nur in geringen Mengen beteiligt. Aus jenen Teeren werden
rd. 30000 t schwere Teeröle und 25000 t Rohbenzol gewonnen. Durch
Steinkohlenteer-Destillation werden fast 50% Teerpech und 30% schwere Teeröle
hergestellt. Letztere bestehen zu mehr als der Hälfte aus Imprägnierölen und der
restliche Teil aus Heizöl, Benzolwaschöl, Anthrazen- und Treiböl. Präparierte Tere,
die vorwiegend für Straßenbauten in Anwendung kommen, sind mit über 15% an der
Gesamterzeugung beteiligt. Sie haben gegen früher eine gewaltige Zunahme erfahren.
Ebenso kräftig zugenommen hat die Herstellung von Naphtalin, Anthrazen, Phenol und
Kreosolen. Bei der Verkokung von 100 kg Steinkohle werden 70–80 kg Koks, 30–35 cbm
Rohgas, 1 kg Benzole und 3 kg Rohteer erzeugt. Neben den Rückständen wie
Wagenschmiere, Pech und Bindemittel sind Gasolin, Karbolineum, Rohöl für Motore,
Tinte, Naphta, Aspirin, Brennöl für Schiffe, Sacharin, Explosivstoffe, Parfüm,
Carbolsäure, Backsoda, Seife, Gummiarabikum, Salvarsan, Kreosol, Kunstseide,
Kunstbernstein, Knöpfe, Pyramidon, Dieselmotoröl u.a.m. Abkömmlinge des
Kokereiteers. Aber auch die Destillationsverfahren von Braunkohlen-, Schiefer- und
Torfteer haben in letzter Zeit gute Fortschritte gemacht. In den hierfür in Frage
kommenden etwa 20 Betrieben werden annähernd 2000 Personen beschäftigt. Ihre
Produktion stieg seit der Vorkriegszeit von 80000 t im Werte von etwa 4½ Millionen
Mark auf rd. 200000 t im Werte von fast 20000000 Mark. Wenn auch die Steigerung des
Preises für eine Tonne dieses Teeres nicht in dem gleichen Maße stieg wie beim
Steinkohlenteer, war doch eine Wertsteigerung von rd. 50 Mk/t auf etwa 95 Mk/t zu
verzeichnen. Paraffinöle sind das Hauptprodukt bei der Braunkohlendestillation,
daneben werden Reinparaffin und Schmieröle hergestellt. Erhebliche Fortschritte hat
die Erzeugung von Benzin aus Braunkohlen erfahren.
Die Verfeinerung des schwarzen Gesellen Teer ist bereits soweit entwickelt, daß seine
Endprodukte den Wert der Kohle an Bedeutung weit überragen. Der Wert der zu
verarbeitenden Teermengen wird auf 50000000 Mark und der Wert der hieraus gewonnenen
Erzeugnisse auf 150000000 Mark beziffert.