Titel: | Dünger aus den Rauchgasen der Industrie. |
Autor: | A. Lion |
Fundstelle: | Band 346, Jahrgang 1931, S. 135 |
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Dünger aus den Rauchgasen der
Industrie.
Dünger aus Rauchgasen.
Schon Liebig, der Begründer der Agrikulturchemie, hat die Bedeutung des
Kohlenstoffs für den Aufbau der Pflanze erkannt, hat gewußt, daß er aus der
Kohlensäure stammt, wenn er auch noch angenommen hat, daß die Kohlensäure nur zum
Teil durch die Blätter aus der Luft aufgenommen wird, zum andern Teil aber durch die
Wurzeln aus der Erde (Chemische Briefe, 1844). Heute wissen wir zwar, daß die
Kohlensäure der Luft die einzige Quelle des Pflanzen-Kohlenstoffs ist, aber wie die
„Assimilation“ durch die Blätter, die Aufspaltung der Kohlensäure in den
aufgenommenen Kohlenstoff und den wieder abgegebenen Sauerstoff erfolgt, welche
Rolle insbesondere dabei das Blattgrün, das Chlorophyll, spielt, darüber ist man
sich auch bis heute noch nicht klar geworden. Hingegen scheint die schon von Liebig
vertretene Ansicht richtig zu sein, daß der geringe Kohlensäuregehalt der Luft (3
Liter auf 10000 Liter Luft) nicht zur dauernden Versorgungder Pflanzenwelt mit
Kohlenstoff ausreicht, sondern daß ununterbrochen Kohlensäure nachgeliefert wird
durch die im Erdboden, im natürlichen Dünger, Verwesungsarbeit leistenden Bakterien,
daß also die, für die Pflanzenwelt unentbehrliche Kohlensäure aus der Erde stammt.
Erst in den letzten Jahren haben Untersuchungen bestätigt, daß die Pflanzen letzten
Endes also nicht von Luftkohlensäure leben, sondern daß die alte, jahrzehntelang zu
den Akten gelegte Theorie doch richtig ist: verwesende Pflanzen liefern die
Kohlensäure. Man hat festgestellt, daß in Sommernächten – nur unter dem Einfluß des
Tageslichts nimmt die Pflanze Kohlensäure auf – der Kohlensäuregehalt über einem
Felde auf das Zehnfache und mehr des Normalen steigen kann. Die Untersuchungen haben
aber auch gezeigt, daß die Pflanzen gerade unter den günstigsten
Wachstumsverhältnissen, nämlich bei Sonnenschein und ruhiger Luft, unter
Kohlensäuremangel leiden, daß unter Umständen der Kohlensäure-Gehalt zeitweilig auf die Hälfte des
Normalen heruntergehen kann. Wenn also sowieso ununterbrochen eine natürliche
Kohlensäuredüngung stattfindet, so liegt der Gedanke nahe, den Erdboden der
Kulturpflanzenfelder künstlich mit Kohlensäure zu begasen, dadurch auch
vorübergehenden Kohlensäuremangel auszuschließen und so Wachstum und Erträgnisse der
Pflanzen zu steigern.
Und dieser Gedanke ist in den letzten Jahren mehrfach ausgeführt worden. Denn es
stehen riesige Mengen Kohlensäure dauernd zur Verfügung in den Rauchgasen der
Industrien und Kraftwerke. Die erste Großanlage dieser Art ist vom Kraftwerk
Wiesmoor ausgeführt worden, mit 10 Morgen überdachter Fläche. Die Rauchgase des
Kraftwerkes werden mit Hilfe einer Saugleitung einer Reinigungsanlage zugeführt, in
der ihnen, über Füllstoffen mit großer Oberfläche, Wasser entgegenfließt, so daß sie
von Staub und schwefliger Säure, die die Pflanzen schädigen könnten, befreit werden.
Dann werden sie, unterirdisch, gelochten Rohrleitungen im Boden der Gewächshäuser
zugeleitet und gelangen von dort in die Umluft der Anpflanzungen.
Auch der Gedanke der Kohlensäuredüngung ist nicht neu; schon vor einem halben
Jahrhundert hat man ähnliche Versuche mit künstlich zugeführter Kohlensäure gemacht,
die praktische Anwendung scheiterte aber an der Unmöglichkeit, ausreichende
Kohlensäuremengen zu beschaffen, wie sie die moderne Industrie in ihren Abgasen
liefern kann. Schon damals stellte man fest, daß die Erträgnisse der Kulturen durch
Steigerung der Kohlensäurezufuhr außerordentlich verbessert werden konnten. Der
erste Versuch mit Hochofengasen ist in der Versuchsgärtnerei eines Hochofenwerks der
Deutsch-Luxemburgischen Bergwerks- und Hütten-A.-G., mit gereinigten Hochofengasen
gemacht worden, mit großem Erfolg, was Schnelligkeit des Wachstums und
Ernteergebnisse betrifft; durch die auf diese Weise erreichte Vorverlegung des
Erntetermins sind natürlich höhere Frühgemüse-Preise erzielbar. Im Anschluß an die
günstigen Ergebnisse in Gewächshäusern machte man anschließend Begasungs-Versuche
auch in Kontrollfeldern, die besonders gute Erfolge brachten. Man hatte eigentlich
geglaubt, daß Wind und Luftströmungen die ausgeblasene Kohlensäure alsbald verteilen
würde, so daß das begaste Feld wenig Vorteil von der Anlage hätte; es ergab sich
aber, daß offenbar der unbehinderte Lichtzutritt im Freien den Kohlensäurehunger der
Pflanzen verstärkte, daß infolgedessen die Aufnahme des wichtigen Nährmittels in
größerer Menge erfolgte als inüberdachten Gewächshäusern, so daß trotz der
Luftbewegung entsprechende Mehrerträge erzielt wurden.
Die Steigerung des Kohlensäuregehaltes durch Kohlensäuredüngung ist dabei gar nicht
so beträchtlich, wie man vielleicht meint; sie übersteigt nicht das Zwei- bis
Dreifache des Normalen bei bewegter Luft. Auch braucht die Begasung nicht etwa
ununterbrochen stattzufinden, sondern manchmal weniger als je eine Stunde vor- und
nachmittags. Man hat Tomaten. Kartoffeln, Gurken, Bohnen und andere Gemüse auf diese
Weise im Wachstum angeregt und damit frühere und bessere Ernten erzielt, hat junge
Kiefern und Fichten in einem Jahr zur Größe von zweijährigen herangezüchtet. Auch
größere landwirtschaftliche Flächen sind begast worden, unter denen die Anlage
derart eingerichtet war, daß man die Ausblasestutzen für die Kohlensäure vor dem
Pflügen und vor der Ernte entfernen konnte, so daß der landwirtschaftliche Betrieb
in keiner Weise durch die Anlage gestört wurde. Besondere kleine Anlagen sind für
Gartenbau und kleine Gewächshäuser gebaut worden, mit deren Hilfe der Gärtner die
Kohlensäure selbst aus Verbrennungsgasen gewinnen kann.
Zum Teil sind das erst vorbereitende Versuche, und man tappt bei all dem noch
manchmal im Dunkeln. Sicher ist, daß sich durch diese Zusammenarbeit von Industrie
und Landwirtschaft große Möglichkeiten ergeben. In doppelter Beziehung: Einmal durch
den Mehrertrag und die gesteigerte Gewinnung von Frühgemüse, für das alljährlich
Riesensummen ins Ausland gehen. Dann muß man aber auch berücksichtigen, daß die
Industrien und Kraftwerke durch die wertschaffende Ausnutzung ihrer Abgase von einer
großen Last befreit werden. Sind sie doch verpflichtet, für die Abführung ihrer
Abgase durch hohe Schornsteinen usw. zu sorgen, damit unmittelbar über der
Erdoberfläche keine Schäden angerichtet werden können, sondern die Rauchgase sich
ausreichend verdünnen und ausbreiten. Dabei ist das ganze Gebiet der Abgas-Schäden
noch sehr umstritten; in vielen Fällen ist man vielleicht übertrieben ängstlich oder
macht die Industrie für Schäden verantwortlich, die sie gar nicht verursacht hat. in
anderen Fällen wiederum reichen die behördlich vorgeschriebenen
Sicherheits-Maßnahmen nicht aus. Durch weitgehende Anwendung der Kohlensäuredüngung
kann aus der Not eine Tugend gemacht, können aus einem lästigen Abfallerzeugnis
Werte gewonnen werden, die in einer wirtschaftlich ungünstigen Zeit doppelt hoch
einzuschätzen sind.
Dipl.-Ing. A. Lion, Berlin.