Titel: | Nekrolog. |
Fundstelle: | Band 78, Jahrgang 1840, Miszellen, S. 77 |
Nekrolog.
Als wir vor neun Jahren den Nekrolog unseres verehrten Mitarbeiters, des
koͤnigl. bayer. Hofrathes und Professors, Directors der koͤnigl.
chirurgischen Schule in Landshut etc., Hrn. Med. Dr.
Joseph August Schultes liefertenBd. XLII. S. 222 des polytechn. Journals., ahndeten wir nicht, daß wir schon so bald die traurige Pflicht zu
erfuͤllen haͤtten, die Lebensgeschichte seines nun gleichfalls
verblichenen, ihm geistesverwandten Sohnes, welcher seit dem Tode seines Vaters die
Mitredaction unseres Journals uͤbernahm, zu liefern. Nicht ohne tiefe Wehmuth
und innige Ruͤhrung uͤber den Verlust dieses Mannes, der eben so
ausgezeichnet durch seine umfassende wissenschaftliche Bildung, als durch die
vortrefflichen Eigenschaften seines Herzens, in der schoͤnsten Reife des
Lebens, inmitten seines gemeinnuͤzigen Strebens uns und der Wissenschaft viel
zu fruͤhe entrissen wurde, uͤbergeben wir hiemit den Lesern unseres
Journales einen kurzen Umriß der Lebensgeschichte desselben.
Julius Hermann Schultes wurde zu Wien den 4. Februar 1804
geboren. Bald nachdem er den ersten Elementarunterricht erhalten hatte, gab ihm sein
Vater Anleitung in der Botanik, lehrte ihn nicht bloß Pflanzen zu sammeln, zu ordnen
und zu unterscheiden, sondern zeigte ihm auch die Behandlung lebender
Gewaͤchse vom Samen bis zur Frucht, wozu sich ihm in dem botanischen Garten,
welchem er vorstand, die beste Gelegenheit darbot. Auf diese Weise wurde bei Schultes schon in fruͤhester Jugend der Grund zu
seinen botanischen Kenntnissen gelegt, so daß er in einem Alter von zehn Jahren
bereits an 6000 Pflanzen kannte, und sich selbst aus den bei seinen botanischen
Excursionen gesammelten ein kleines Herbarium angelegt hatte. Gleichzeitig
unterrichtete ihn sein Vater in der Geometrie nach Euklid, und in mehreren lebenden Sprachen; besonders betrieb er die
franzoͤsische mit Auszeichnung, und erwarb sich darin so große Fertigkeit,
daß er selbst in franzoͤsischen Gedichten sich versuchte. Nebenbei wurden
aber auch andere Sprachen nicht vernachlaͤssigt, und er betrieb außer den
classischen Sprachen des Alterthumes noch italienisch und spanisch, spaͤter
dann auch englisch und hollaͤndisch. Das Studium der neuen Sprachen, der
Geometrie und Botanik fuͤllten auch da noch seine Nebenstunden aus, als er
das Gymnasium in Landshut besuchte. Das Gymnasium mußte Schultes jedoch nach dem Willen seines Vaters bald verlassen, da dieser
nicht im Sinne hatte, seinen Sohn fuͤr den gelehrten Stand heranzubilden,
sondern wollte, daß er sich der Handlung widme. Zu diesem Behufe brachte ihn
derselbe in ein Handlungshaus nach Wien; zugleich sorgte er auch dafuͤr, daß
der begonnene Unterricht in den lebenden Sprachen, der Mathematik und Botanik
gehoͤrig fortgesezt werde.
Allein dem aufstrebenden Geiste des jungen Schultes, bei
welchem durch das Studium der Botanik bereits eine besondere Vorliebe fuͤr
Naturwissenschaft angeregt war, sagte das Einfoͤrmige seiner neuen
Berufsbestimmung durchaus nicht zu. Er folgte ihr, weil es einmal der Wille seines
Vaters war, dem er mit unbedingtem Gehorsam zu folgen gewohnt war. Er kam daher
Allem willig nach, was ihm in seinem neuen Berufe uͤbertragen wurde, erwarb
sich Kenntnisse in der Buchfuͤhrung, in der kaufmaͤnnischen
Correspondenz, und vorzuͤglich auch in der Waarenkunde; nebenbei unterließ er
aber auch nicht, seine botanischen Kenntnisse zu erweitern. Jeden Abend, wo er sich
erholen durfte, eilte er mit groͤßter Freude in den botanischen Garten, nahm
an den Arbeiten der Gaͤrtner Antheil, sammelte sich Pflanzen und
benuͤzte zur Bestimmung derselben die vorhandenen botanischen Werke. Da diese
Vorliebe fuͤr Botanik denen, welche die Aufsicht uͤber ihn
fuͤhrten, nicht entgangen war, so gab der Vater auf Anrathen derselben, den
Bitten des Sohnes, ihn wieder zuruͤk zu nehmen, und seine Studien fortsezen
zu lassen, nach, und ließ ihn im Jahre 1818 wieder in das vaͤterliche Haus
nach Landshut kommen, wo er sich dem fruͤher abgebrochenen Unterrichte in den
alten Sprachen und den uͤbrigen Lehrzweigen des Gymnasialunterrichts mit
ungemeinem Fleiße hingab, so daß er bald nach erstandener Pruͤfung das
Gymnasialabsolutorium sich erwarb.
Wenn diese Vorschule dem jungen Schultes auch in mancher
Hinsicht widerwaͤrtig war, so finden wir darin doch die Begruͤndung zu
allem demjenigen, worin spaͤter derselbe als Arzt, Naturforscher und
Gelehrter hervorragte. Das fruͤhzeitige Auf, und Zusammenfassen von Merkmalen
an Naturgegenstaͤnden, das scharfe Unterscheiden, das Zusammenstellen an sich
ungleichartiger Naturdinge nach ihren uͤbereinstimmenden Merkmalen, erwekten
in demselben die Beobachtungsgabe, verliehen ihm Schaͤrfe und Gewandtheit im
Urtheilen, und legten den Grund zu der tiefen Einsicht in das Naturleben, was ihn in
seinem spaͤteren selbststaͤndigen Wirkungskreise so sehr
auszeichnete.
Im Jahre 1819 besuchte Schultes die naturwissenschaftlichen Lehrvortraͤge
seines Vaters an der Universitaͤt zu Landshut, assistirte demselben in der
Botanik, und verlegte sich außerdem mit allem Fleiße auf Physik, Chemie und
Anatomie. Nachdem er so die naturwissenschaftlichen Lehrgegenstaͤnde mit
aller Gruͤndlichkeit erfaßt, und die uͤbrigen allgemeinen oder
philosophischen Wissenschaften nebenher mit dem besten Erfolge absolvirt hatte, ließ
ihn erst sein Vater zu dem Studium der Medicin uͤbertreten.
Sein unermuͤdeter Fleiß, so wie die ausgezeichneten Fortschritte, welche er in
allen Zweigen seines Studiums machte, erwarben ihm die Liebe und
Hochschaͤzung seiner Lehrer, denen er fortan mit der groͤßten
Ehrerbietigkeit ergeben war, so wie auch das Vertrauen seiner Commilitonen, welche an ihm die
Treuherzigkeit und Charakterfestigkeit besonders schaͤzten.
In den lezten Jahren seiner medicinischen Studien nahm er den regsten Antheil an den
gelehrten Arbeiten seines Vaters. Nachdem er viele Uebersezungen und Bearbeitungen
aus franzoͤsischen, englischen, italienischen Zeitschriften, sowohl
fuͤr Technik als fuͤr Medicin, an der Seite des leztgenannten
geliefert halte, erschien auch im Jahre 1823 eine Uebersezung aus dem
Hollaͤndischen von S. Strathing's chemischen
Handbuche fuͤr Probirer, Gold- und Silberarbeiter (Augsburg und
Leipzig in der v. Jenisch und Stage'schen Buchhandlung); dann im darauffolgendem Jahre diejenige von Vitali's Grundriß der Faͤrberei, nebst einem
Anhange uͤber die Drukerkunst (mit Zusaͤzen und einem Anhange von Dr. J. G. Dingler und Dr. W. H. v. Kurrer in der J.
G. Cotta'schen Buchhandlung, und endlich sahen wir ihn
mit seinem Vater als Mitarbeiter des fruͤher von Schultes und Roemer herausgegebenen, nun aber
von Schultes, Vater und Sohn, erschienenen Systema Vegetabilium
Linnaei Systema Vegetabilium Editio nova, speciebus
inde ab editione XV detectis aucta et locupletata. Curantibus J. J.Roemeret J. A.Schultes. (Nach Roͤmer's Tod) J. A.Schulteset Jul. Herm. Schultes. 7 Baͤnde in 9 Thl. mit 3 Baͤnden
Mantissen. und bei dem vierten Mantissenbande und dem zweiten Theile des siebenten
Bandes im Gebiete der Pflanzenkunde selbststaͤndig auftreten.
Nachdem er schon im Jahre 1822 in Gesellschaft seines Vaters und des
Begruͤnders dieses Journals (Dr. J. G. Dingler) eine Reise gemacht hatte, wobei fast alle
Universitaͤts- und groͤßeren Staͤdte Deutschlands
besucht wurden, indem der Zwek hauptsaͤchlich darin bestand, diebie persoͤnliche Bekanntschaft ausgezeichneter Maͤnner jedes
Faches zu machen, unternahm er im Jahre 1824 mit seinem Vater noch eine zweite Reise
durch Frankreich, England, Holland, Belgien, und machte nach seiner Ruͤkkehr
dann sein Examen pro gradu bei der medicinischen
Facultaͤt in Landshut, bestand dasselbe mit ganz besonderer Auszeichnung und
erlangte (am 26. Februar 1825) nach vorausgegangener Vertheidigung seiner Thesen sine praeside, die Doctorwuͤrde. Seine
Inaugural-Dissertation: „De nosocomiis
quibusdam belgicis, britannicis, gallicis commentariolum“
Landshut, bei Franz Seraph. Storno, 1825. 4. 38 S., welche in sehr gutem, fließendem
Latein abgefaßt ist, und die er zugleich mit seinen Streitsaͤzen druken ließ,
enthaͤlt sehr schaͤzenswerthe Bemerkungen uͤber die innere
Einrichtung und Verwaltung jener Spitaͤler, welche er auf seiner Reise zu
sehen Gelegenheit hatte, so wie uͤber Krankenpflege und
Mortalitaͤtsverhaͤltnisse in denselben etc., und wurde mit großem
Beifalle aufgenommen.
Von nun an arbeitete Schultes emsig mit seinem Vater
theils fuͤr Zeitschriften, theils fuͤr das Systema Vegetabilium, unterstuͤzte denselben vom Jahre 1826 an, wo
er zum Direcror der chirurgischen Schule zu Landshut ernannt wurde, im
Spitaldienste, hielt in Erkrankungsfaͤllen oder in Abwesenheit der
Professoren der Geburtshuͤlfe, Chirurgie und Therapie mit Wissen der
vorgesezten Kreisstelle unentgeldlich deren Lehrvortraͤge, und war
uͤberdieß im vaͤterlichen Hause fuͤr seine Geschwister der
wachsamste und sorgfaͤltigste Bruder. Diese Tugenden des Sohnes erfreuten und
staͤrkten das Herz des Vaters, welcher 1830 zu kraͤnkeln anfing und im
darauffolgenden Jahre nach einer langwierigen und hoͤchst schmerzhaften
Krankheit in Landshut starb. Auch waͤhrend dieser Krankheit zeigte sich der
treffliche Charakter des jungen Schultes im
schoͤnsten Lichte; unermuͤdet pflegte er bei Tag und Nacht mit der
groͤßten Sorgfalt seinen Vater, besorgte die Klinik und die
Lehrvortraͤge, so wie die literarischen Arbeiten fuͤr denselben. Vom
Augenblike des Todes seines Vaters an war er der zweite Vater fuͤr seine
Geschwister. Mit verdoppelter Thaͤtigkeit und mit der groͤßten Strenge
gegen sich selbst erfuͤllte er hier seine Pflicht, einzig fuͤr das
Wohl seiner Geschwister bedacht.
Schultes hatte anfangs nicht im Sinn, von der praktischen
Medicin Nuzen zu ziehen; seine Vorliebe fuͤr die Naturwissenschaften, und
insbesondere fuͤr Botanik, hatte in ihm schon laͤngst den Wunsch rege
gemacht, dereinst sich ganz dem Lehrfache zu widmen, um ungestoͤrt sein
Lieblingsstudium betreiben zu koͤnnen; allein die Sorge fuͤr seine
fuͤnf unversorgten Geschwister, welche damals um ihn waren, machten es nothwendig,
vor der Hand seinen Plan zu aͤndern, und sich mit der Ausuͤbung der
Medicin zu befassen. Er entschloß sich demgemaͤß, seine aͤrztliche
Proberelation und den Staatsconcurs zu machen, welche beide er 1831 mit Auszeichnung
bestand, und sich sodann zu Ende desselben Jahres als praktischer Arzt in
Muͤnchen niederließ.
Seine wissenschaftliche Bildung, die gluͤkliche Behandlung der Kranken, die
sich ihm anvertrauten, verbunden mit seinem aͤußerst collegialen,
freundlichen und offenen Benehmen am Krankenbette, so wie sein hoͤchst
bescheidenes und anspruchloses Wesen, erwarben ihm in kurzer Zeit Eingang zu den
hoͤheren und gebildeten Staͤnden und verschafften ihm solches
Zutrauen, daß er bald zu den ausgezeichnetsten Aerzten Muͤnchens gerechnet
wurde. Seine aͤrztliche Wirksamkeit war unuͤbertrefflich. Mit der
zaͤrtlichsten Theilnahme, mit beispielloser Uneigennuͤzigkeit ließ er
Allen, die seine Huͤlfe nachsuchten, die liebreichste Behandlung zu Theil
werden. Des Zutrauens seiner Patienten hatte er sich in einem hohen Grade zu
erfreuen; ja in den meisten Familien, bei denen er als Hausarzt aufgenommen war,
wurde er nicht nur als Arzt, sondern zugleich auch als Freund geliebt und
geschaͤzt. Er konnte sich ruͤhmen, wie vielleicht nur wenige Aerzte,
daß waͤhrend der neun Jahre, in denen er Praxis in Muͤnchen
ausuͤbte, ihm nie eine Familie, die seine Dienste einmal in Anspruch
genommen, untreu wurde. Sein aͤrztlicher Wirkungskreis vergroͤßerte
sich auch in den lezten Jahren seines Lebens sehr bedeutend.
Neben seiner ausgedehnten zeitraubenden Praxis befaßte sich Schultes in den freien Stunden noch mit wissenschaftlichen Arbeiten, auch
im Gebiete der Botanik. Die Fortsezung des Systema mußte
aber leider unterbleiben, da es ihm an Zeit gebrach, das Begonnene zu vollenden.
Er war ein sehr fleißiger Mitarbeiter des polytechnischen Journals, auf welches er
taͤglich mehrere Stunden verwendete; er lieferte dafuͤr nicht nur
Uebersezungen aus englischen, franzoͤsischen, italienischen und
hollaͤndischen Zeitschriften, sondern dasselbe verdankt ihm auch mehrere
schaͤzbare Originalaufsaͤze. Wir erinnern in dieser Beziehung unter
andern nur an jenen gediegenen Bericht uͤber die im Oktober 1835 in
Muͤnchen gehaltene Industrieaufstellung (Bd. LVIII. S. 322), woruͤber
sich selbst Seine Majestaͤt der Koͤnig in sehr schmeichelhaften
Ausdruͤken auszusprechen geruhten. Mehrere kleinere Aufsaͤze
uͤber verschiedene, theils botanische, theils medicinische
Gegenstaͤnde, ließ er in englische und franzoͤsische Journale
einruͤken.
Seine wissenschaftlichen Leistungen im Gebiete der Botanik fanden allgemeine
Anerkennung, und sicherten ihm einen ehrenvollen Plaz unter den
vorzuͤglichsten Botanikern. Er war Mitglied mehrerer gelehrten
Gesellschaften, und stand mit einigen der ausgezeichnetsten Gelehrten des In-
und Auslandes in Verbindung.
Als der fruͤher bestandene aͤrztliche Verein in Muͤnchen wegen
Mangels an reger Theilnahme seiner Mitglieder sich gewissermaßen von selbst
aufgeloͤst hatte, trug Schultes im Jahre 1832 zur
Begruͤndung des juͤngeren aͤrztlichen Vereins wesentlich bei.
Auf seine Vermittlung hin geschah es, daß dieser spaͤter mit dem
aͤltern vereinigt wurde. Seine Geschaͤftsfuͤhrung als
Secretaͤr des Vereins kann hinsichtlich der Ordnung und Puͤnktlichkeit
als Muster aufgestellt werden.
Schultes biederer Charakter, sein offenes heiteres Wesen,
sein treffliches Herz hatten ihm viele Freunde erworben, von denen die meisten ihm
mit inniger Liebe bis an sein Ende treu geblieben sind, so wie Schultes hinwiederum mit ganzer Seele und seltener Hingebung an seinen
Freunden hing.
Von Jugend auf gewohnt seine Zeit zwekmaͤßig zu benuzen und damit
haushaͤlterisch umzugehen, war er fast taͤglich vom fruͤhesten
Morgen bis zum spaͤter Abend unausgesezt beschaͤftigt, so daß er sich
haͤufig nur wenige Stunden Ruhe goͤnnte. Aber leider mochte diese
außerordentliche Anstrengung bei der eben in Muͤnchen herrschenden
Schleimfieber-Epidemie dazu beigetragen haben, daß er selbst von dieser
Krankheit befallen wurde, welche auch sein Ende herbeifuͤhrte, dem er vom
Anfange der Kranheit an ungescheut und mit kaltem Verstande entgegensah, einzig und
allein fuͤr das Schiksal seiner hinterlassenen Geschwister besorgt, die durch
seinen Hintritt ihrer groͤßten Stuͤze beraubt wurden.
Er starb nach dreiwoͤchentlichem Krankenlager am 1. Sept. dieses Jahres in
einem Alter von 36 Jahren.