Titel: Nekrolog.
Fundstelle: Band 138, Jahrgang 1855, Miszellen, S. 396
Nekrolog. Der Unterzeichnete hat im zweiten Maiheft den geehrten Lesern des polytechnischen Journals den Tod seines Vaters Dr. J. G. Dingler angezeigt, welcher nach kurzem Krankenlager, aber längerem Leiden unter Altersschwächen, an den Folgen der Brustwassersucht am 19. Mai d. J. verschied. Nachstehende Lebensskizze bezieht sich hauptsächlich auf die schriftstellerische Thätigkeit des Verewigten. Johann Gottfried Dingler war geboren den 2. Januar 1778 zu Zweibrücken, wohin sein Vater Christian Dingler, Leinenweber von Profession, aus Plöningen, Oberamts Stuttgart, eingewandert war. Den bescheidenen Verhältnissen der Eltern entsprechend, war er wie seine vier Brüder für ein einfaches bürgerliches Gewerbe bestimmt, daher auch sein Unterricht sich höchst wahrscheinlich auf den Besuch der dortigen lutherischen Volksschule beschränkte. Ein hoch gestellter herzogl. zweibrück. Beamter, welcher gegen die Eltern freundlich gesinnt war und in dem Knaben ungewöhnliche Fähigkeiten und geistige Regsamkeit erkannte, wirkte aber auf die Wahl eines definitiven Lebensberufes entscheidend ein und vermittelte ihm eine Lehrlingsstelle in der Officin seines Verwandten, des Apothekers Hahn zu Oppenheim am Rhein, wo der Eingetretene mit außerordentlichem Fleiße an seiner Ausbildung arbeitete. Zunächst wurde er dann als Feldapotheker bei der königl. preußischen Haupt-Feldapotheke in Minden angestellt (1793–1795). Nachdem er hierauf noch in Schmalkalden und Nürnberg conditionirt hatte, etablirte er sich im J. 1800 als Apotheker in Augsburg. Hier machte er die Bekanntschaft des seiner Zeit intelligentesten und berühmtesten Kattundruckfabrikanten Johann Heinrich Edlen v. Schüle, dessen Erzeugnisse in allen europäischen Ländern Bewunderung erregten. Die ausgezeichneten Producte der großartigen v. Schüle'schen Fabrik, welche einzig der empirischen Praxis ihre Entstehung verdankten, brachten J. G. Dingler bald zu der Ueberzeugung, daß durch Anwendung der chemischen Wissenschaft nicht nur die in den Zeugdruckereien gebräuchlichen Verfahrungsarten sicher geregelt und ökonomischer gemacht, sondern auch ganz neue Artikel erfunden werden könnten. Sein fester Entschluß, sich als ausübender Chemiker der Druck- und Färbekunst zu widmen, bestimmte ihn im J. 1804 zu einer Reise nach Mülhausen im Elsaß, wo die Fortschritte der v. Schüle'schen Fabrik schon weiter getrieben und die Druckfabriken in raschem Aufschwung begriffen waren. Von Mülhausen (wo er sich im folgenden Jahre mit seiner zweiten Gattin, geb. Anna Herbster, verband) kehrte er wieder nach Augsburg zurück, mit dem Standpunkt und den Bedürfnissen der Zeugdruckereien vollkommen vertraut, und gründete daselbst im J. 1806 eine Fabrik chemischer Producte unter der Firma Dingler und Arnold , die er später für alleinige Rechnung übernahm. In demselben Jahr erschien der erste Band seiner Zeitschrift für die Druck- und Färbekunst, welche sich einer für die damalige Zeit bedeutenden Verbreitung rühmen konnte. In den Jahren 1809 und 1810 verweilte er wieder fast beständig in Mülhausen, sich hauptsächlich mit dem Türkischrothfärben der Baumwollengewebe beschäftigend, welchen neuen Industriezweig er nach Augsburg verpflanzteGeschichte der Zeugdruckerei von Dr. Wilhelm Heinrich v. Kurrer, mit Beiträgen von Dr. K. J. Kreutzberg. Nürnberg bei Joh. Leonh. Schrag. Zweite Auflage, 1844, Seite 23 und 251., wo derselbe von den Fabriken der HHrn. Schöppler und Hartmann und der HHrn. Wohnlich und Frölich fast zu gleicher Zeit ergriffen und als vielfarbiges Druckfabricat (sogenannte illuminirte Merinos) bald einem hohen Grade von Vollkommenheit zugeführt wurde. Im J. 1815 gab er nach Erwerbung einer günstigen Localität seinem chemischen Geschäft eine größere Ausdehnung. Seine Präparate, besonders festes Zinnchlorid (sogenanntes Tafeldrucksalz), oxydulhaltiges schwefelsaures Zinnoxyd (sogenannte allgemeine Composition, zum Weißätzen des türkischrothen Grundes in der Chlorkalkküpe, zur Darstellung von Fayencegrün als Druckfabricat etc.) und die Gummisurrogate fanden in den deutschen, österreichischen, böhmischen und schweizerischen Kattundruckereien guten Absatz. – Später brachte er eine fistirte Augsburger Kattundruckerei an sich, vergrößerte dieselbe durch Bauten und versah sie nach und nach mit den neuesten mechanischen EinrichtungenMan s. ebendaselbst S. 27., steigerte sie auch mit großer Anstrengung und Ausdauer zu einem bedeutenden Betriebe, den er aber wegen unzureichender eigener Mittel nicht zu behaupten vermochte. – Im J. 1845 zog er sich von den Geschäften ganz zurück, nach einem rastlos thätigen Leben der Ruhe genießend. Seine oben erwähnte Zeitschrift für den Zeugdruck und die Färbekunst erschien unter dem Titel: Journal für die Zitz-, Kattun- oder Indiennendruckerei, die Seiden- und Zeugdruckerei, auch Wollen-, Seiden-, Baumwollen- und Leinenfärberei und Bleicherei. Von Dr. Johann Gottfried Dingler.Die philosophische Facultät in Gießen ertheilte ihm am 5. December 1806 wegen seiner Schriften die Doctorwürde (in philosophia, chemia praesertim ac physica). Augsburg, in der Expedition der Allgemeinen königl. bayerischen Vaterlandskunde. Leipzig, in Commission bei Kummer. Zwei Bände. 1806 und 1807. Als Fortsetzung dieser Zeitschrift erschien: Neues Journal für die Indiennen- oder Baumwollendruckerei, die Leinen-, Seiden- und Wollenzeugdruckerei, die Türkischrothfärberei, die Wollen-, Seiden-, Baumwollen – und Leinenfärberei, und die Kunst zu bleichen. In Verbindung mit Dr. Carl Wilhelm Juch und Wilhelm Heinrich v. Kurrer herausgegeben von Dr. Johann Gottfried Dingler. Augsburg und Leipzig, in der v. Jenisch und Stageschen Buchhandlung. Vier Bände. 1815–1817. Seine Versuche mit Dampfapparaten veranlaßten die Schrift: Beschreibung und Abbildung mehrerer Dampfapparate zur Benützung der Wasserdämpfe zum Kochen und Heizen in verschiedenen öffentlichen Anstalten, in der Haus- und Landwirthschaft, in Fabriken, Manufacturen, Gewerben etc.; von Dr. J. G. Dingler. Mit 4 Kupfertafeln. Zum Besten des Augsburgischen Armenwesens gedruckt. Augsburg, in Commission bei Nicolaus Doll. 1818. Seine verbesserte Construction der Avivirkessel für Türkischrothfärbereien und sein Dampfkochofen zur Bereitung der Farbholz-Decocte (bereits im Neuen Journal für die Baumwollendruckerei etc. Bd. I S. 97 und Bd. III S. 337 beschrieben) bewährten sich als sehr zweckmäßig und verbreiteten sich bald in den Färbereien und Druckereien. Nach längeren Vorbereitungen erschien zu derselben Zeit: Neues englisches Färbebuch oder Untersuchungen über die Natur beständiger Farben und die besten Verfahrungsarten solche in der Färberei und Kattundruckerei hervorzubringen, von Dr. Edward Bancroft. Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Joh. Andrä Buchner. Herausgegeben und mit Anmerkungen und Zusätzen versehen von Dr. J. G. Dingler und Dr. W. H. v. Kurrer. Zwei Bände. Nürnberg, bei Johann Leonhard Schrag. 1817 und 1818. Die beiden Herausgeber ergänzten Bancroft's Werk in ihren Anmerkungen und Zusätzen mit allen auf dem Continent bis 1817 in der Färberei und dem Zeugdruck gemachten Fortschritten. Als Fortsetzung des Neuen Journals für die Baumwollendruckerei etc., nach erweitertem Plan, erschien das Magazin für die Druck-, Färbe- und Bleichkunst und die damit verwandten Hülfswissenschaften. Herausgegeben von Dr. J. G. Dingler. Augsburg und Leipzig, Verlag der v. Jenisch und Stageschen Buchhandlung. Drei Bände. 1818–1820. Später erschien als besonderes Werk über die Färberei und den Zeugdruck noch: Grundriß der Färberei auf Wolle, Seide, Leinen, Hanf und Baumwolle, nebst einem Anhange über die Druckerkunst, von J. B. Vitalis. Aus dem Französischen von J. H. Schultes, mit Anmerkungen, Zusätzen und einem Anhange von Dr. J. G. Dingler und Dr. W. H. v. Kurrer. Mit drei Kupfertafeln. Stuttgart und Tübingen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1824. (Eine zweite, von dem Unterzeichneten umgearbeitete Auflage von Vitalis' Grundriß der Färberei und des Zeugdrucks erschien i. J. 1839.) Diejenigen Arbeiten, durch welche Dr. J. G. Dingler zu den Fortschritten der Färbekunst und des Zeugdrucks wesentlich beitrug, sind folgende: 1) Wie bereits erwähnt wurde, war in Frankreich Daniel Köchlin der Erste, welcher gewebte Baumwollenstoffe türkischroth färbte. Seine ersten Versuche wurden in Dingler's Gesellschaft im J. 1810 in der Färberei des Siamoise- (Chagrin-Taft-) Fabrikanten Weber in Mülhausen gemacht. Dingler verpflanzte dann das Türkischrothfärben der Baumwollengewebe, womit er sich viel beschäftigte, nach Augsburg.Bancroft's Färbebuch, Bd. II S. 439. Anfangs wurden diese rothen Zeuge bloß mit schwarzen Mustern bedruckt. Nach der Entdeckung des Chlors und dessen Anwendung zum Bleichen, versuchte man in England mit dem Chlorwasser türkischroth gefärbte Zeuge örtlich zu entfärben, indem man dieselben zwischen zwei, mit Ausschnitten versehenen Platten einpreßte und das Chlorwasser durch die correspondirenden Ausschnitte trieb (Bandanos-Fabrication). Auf diese Weise konnten jedoch nur sehr einfache Muster ausgeführt werden. Daniel Köchlin in Mülhausen entdeckte zuerst im J. 1811 ein Verfahren um türkischroth gefärbte Baumwollenzeuge mit Mustern, nicht nur in Weiß, sondern in allen Farben zu bedrucken. Er druckte nämlich auf den rothen Zeug Weinsteinsäure auf, und brachte denselben dann in eine Küpe mit aufgelöstem Chlorkalk; die neutrale Chlorkalklösung hat keine Wirkung auf den rothen Grund, aber an den bedruckten Stellen findet ihre Zersetzung statt und das frei werdende Chlor bleicht dieselben in wenigen Minuten völlig weiß; wird daher z.B. mit der Weißätze gemischtes Berlinerblau aufgedruckt, so kommt der Zeug an diesen Stellen mit blauer Farbe aus der Küpe etc. Dingler, welcher in Verfolgung desselben Zieles seinen eigenen Weg gieng, erreichte den Zweck, indem er als Weißätze schwefelsaures Zinnoxyd anwandte, welches er mit Traganthschleim und Pfeifenerde zur Druckfarbe verdickte.Neues Journal für die Druck- und Färbekunst, Bd. I S. 175 und 289; Bd. III S. 225. Bancroft's Färbebuch, Bd. II S. 471. – Die Darstellung der mit farbigen Mustern bedruckten türkischrothen Baumwollenzeuge, des schönsten und lebhaftesten Artikels der Kattundruckerei, ist einzig das Resultat wissenschaftlicher Forschung, Zufall und empirisches Probiren trugen dazu nichts bei. 2) Im J. 1809 stellte Dingler in der Kattunfabrik von Dollfus Mieg zu Mülhausen zuerst das Fayencegrün als Druckfabricat auf Baumwollenzeugen dar. Er versetzte zerriebenen Indigo mit möglichst neutralem, oxydulhaltigem schwefelsaurem Zinnoxyd und verdickte die Mischung mit Gummi zur Druckfarbe. Die mit derselben bedruckten Zeuge wurden in den Fayence-Küpen (Kalk-, Eisenvitriol- und Alkaliküpe) eben so wie für Blau behandelt, nur mit dem Unterschiede, daß statt der caustischen Kaliküpe eine solche mit kohlensaurem Alkali (Potasche oder Soda) in Anwendung kam. Die Zeuge wurden dann mit schwacher Schwefelsäure gesäuert und gewaschen, wodurch man eine blaue Farbe erhielt, welche im Waubade sich in Grün verwandelte, indem das gelbe Pigment sich mit dem auf dem Zeuge befestigten Zinnoxyd verbindet und die grüne Farbe bildet.Neues Journal für die Druck- und Färbekunst, Bd. I S. 105. Bancroft's Färbebuch, Bd. I S. 275. Zur Darstellung des möglichst neutralen, oxydulhaltigen schwefelsauren Zinnoxyds vermischte er eine concentrirte Zinnchlorürlösung mit Schwefelsäure, dampfte die Mischung in einer Glasretorte im Sandbad ab, und erhitzte den Rückstand. 3) Im J. 1816 veröffentlichte er seine Versuche über die Anwendbarkeit des Catechus zum Drucken und Färben der Baumwollenzeuge.Neues Journal für die Druck- und Färbekunst, Bd. II S. 7. Dieses Farbmaterial, welches später im Zeugdruck eine große Rolle spielte, wurde zuerst in der ausgezeichneten Kattunfabrik der HHrn. Schöppler und Hartmann zu Augsburg als braune Eindruckfarbe neben Krappfarben verwendet. Seine zwei letzten Abhandlungen, die Färbekunst betreffend, waren: Verfahren die Decocte der geringen Rothholzsorten von ihrem falben Farbstoff (mittelst säuerlicher Milch) zu reinigen, um sie anstatt Fernambukabsud in den Färbereien und Druckereien verwenden zu könnenPolytechn. Journal, 1821, Bd. V S. 85.; Verfahren, Wollentuch mit Lac-Dye scharlachroth zu färben.Polytechn. Journal, 1822, Bd. VII S. 199. Bevor der letzte Band seines „Magazins für die Druck- und Färbekunst“ erschien, entwarf Dr. J. G. Dingler den Plan einer das ganze Gebiet der Polytechnik umfassenden Zeitschrift, woran es bis dahin in Deutschland gefehlt hatte. Er begann mit dem J. 1820 die Herausgabe des Polytechnischen Journals, ein zu jener Zeit schwieriges Unternehmen, welches der verewigte Frhr. v. Cotta, damaliger Chef der Verlagshandlung, mit regem Eifer förderte. Den ersten Jahrgängen dieses Journals wendeten nur persönliche Freunde des Herausgebers Originalbeiträge zu; hauptsächlich lieferten solche: Dr. v. Kurrer, Regierungsrath Dr. Wirschinger (nationalökonomische Abhandlungen), Kreis-Bauinspector Voit und Stadtbrunnenmeister G. Hävel in Augsburg; Professor Marechaux und Oberbergrath Joseph v. Baader in München; Prof. Petri in Erfurt und Prof. Ch. Bernoulli in Basel. Ein Hauptzweck des polytechn. Journals war natürlich, das deutsche Publicum mit dem wichtigsten Inhalt der technischen Literatur des Auslandes bekannt zu machen, was dem Herausgeber durch seine Verbindung mit dem Professor der Universität Landshut Dr. Joseph August Schultes ermöglicht wurde, welcher ihm zahlreiche Uebersetzungen aus den englischen, französischen etc. technischen Zeitschriften und Werken lieferte. Nach dem Tode dieses Gelehrten (1831), betheiligte sich dessen Sohn Dr. Julius Hermann Schultes, praktischer Arzt in München, an der Redaction, welcher im J. 1840 im kräftigsten Mannesalter der damals in München herrschenden Schleimfieber-Epidemie erlag.Man sehe den Nekrolog des Dr. Schultes sen. im polytechn. Journal Bd. XLII S. 222; denjenigen seines Sohnes in Bd. LXXVIII S. 77. Der Unterzeichnete, welcher sich seit 1831 (Bd. XXXIX) der Redaction des Polytechnischen Journals gewidmet und seit 1840 (Bd. LXXVIII) dieselbe in seine alleinige Hand genommen hat, wird diese Zeitschrift in bisheriger Weise fortsetzen. Augsburg, den 12. December 1855. Dr. Emil Dingler.