Titel: Ueber chinesische Gelatine; von A. Lipowitz.
Fundstelle: Band 156, Jahrgang 1860, Miszellen, S. 318
Ueber chinesische Gelatine; von A. Lipowitz. Unter obigem Namen kommt eine sehr leichte, weiße Substanz in zusammengefalteter Röhrenform von Fußlänge in den Handel, welche wie trockene, starke Federseelen aussieht. Die Eigenschaften, welche dieser Stoff besitzt, versprechen ihn zu einem bedeutenden Handelsartikel zu machen. In kaltem Wasser erweicht diese sogenannte Gelatine unter Aufquellen ohne wahrnehmbare Lösung, und stellt dann eine nicht klebende, röhrenförmige Masse dar, welche unter dem Mikroskope keine Structur zeigt Bis zum Sieden erhitzt, löst sie sich in 95 bis 99 Proc. Wasser viel leichter als Hausenblase, schwerer jedoch als wirkliche Gelatine auf Sind nur 1 bis 2 Proc. dieser chinesischen Gelatine in Auflösung, so läßt sie sich leicht durch Papier filtriren oder durch Leinwand gießen, und stellt erkaltet eine sehr feste, weiße geruch- und geschmacklose Gallerte, klar und durchscheinend wie Eis, dar. Eine, aus einem halben Procent chinesischer Gelatine bereitete Gallerte ist fester als eine aus 4 Proc. weißer französischer Gelatine bereite Gallerte, hält sich auch längere Zeit consistent und erträgt Wärme bis zu 30 und 50° C., ehe sie sich zu verflüssigen anfängt. Bei der chemischen Prüfung blieb eine Auflösung, Gallussäure-, Jod- und Bleizuckerlösung gegenüber, indifferent, wurde hingegen von Alkohol und Bleiessig (drittel basisch essigsaurem Bleioxyd) gefällt. Auf Platinblech verbrannt, ergab sich kein Geruch stickstoffhaltiger Producte, und eben so wenig mit Natronkalk verbrannt, eine Spur von Ammoniak. Es ist somit diese chinesische Gelatine nicht mit der des Handels zu vergleichen welche letztere animalischen Ursprungs ist und reichliche Mengen Stickstoff enthält. Gegen die Wirkung des polarisirten Lichts verhält sich die Lösung unempfindlich. Diese chinesische Gelatine ist pflanzlichen Ursprungs, und soll auch von einer nicht näher bekannten Pflanze, welche in ihrem Vaterlande Aja Aja genannt wird, herstammen. Die größte Aehnlichkeit hat das physikalische und chemische Verhalten der Gelatine mit der Moosstärke (Lichenin), nur daß ihre Gallerte durch Jod nicht blau gefärbt wird. Die Eigenschaften dieses Stoffes sind geeignet, ihn in Küche, Krankenstube und in die Gewerbe einzuführen. In dem Haushalte dürfte die chinesische Gelatine die bisher zu Gelees und Conserven aller Art verwendete französische (Knochen-) Gelatine bald verdrängen, von welcher letzteren 4 Procent, oft noch mehr, angewendet werden müssen, um eine in der Stubenwärme fest bleibende Gallerte zu bilden, während von der chinesischen Gelatine 1/2 Proc. ausreicht, um die schönste, weiße, durchscheinende Gallerte darzustellen. Außerdem ertheilt die thierische Gelatine den Speisen meistens einen leimigen Geschmack und macht sie klebrig. Die chinesische Gelatine hingegen gibt weder Geschmack noch Geruch und es treten in der damit bereiteten Gallerte die verwendeten Gewürze, Wein, Fruchtsäfte u. dgl in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit auf. Da außerdem der Zweck der meisten Gelees Cremes und ähnlicher Speisen ist, nicht zu sättigen und den Magen zu überfüllen, sondern nur den Geschmackssinn zu befriedigen, so dürfte sich deßhalb schon die fast substanzlose von jeder Klebrigkeit freie Gallerte aus chinesischer Gelatine besonders empfehlen. Ferner gehen die aus leimgebenden Stoffen, wie Kalberfüßen, Hirschhorn, Haufenblase, französischer Gelatine erzeugten Gallerten sehr bald in eine unangenehme Fäulniß über, während die aus der chinesischen Gelatine hergestellten Gelees ihr Verderben durch Verflüssigung und Säuerung andeuten, ohne ekelhaft zu riechen und zu schmecken, und ohne ganz ungenießbar zu werden. In diätetischer Hinsicht wird diese Gallerte vollständig die isländische Moosflechte ersetzen können, und ist billiger und leichter als diese herzustellen. Die große Festigkeit der Gallerte bei geringem Substanzgehalt, und daß sie erkaltet von jedem Körper mit der größten Leichtigkeit abzunehmen ist, da sie gar keine Klebrigkeit besitzt, macht sie geeignet, von zarten und feinen Modellen die besten Formabdrücke zu liefern. Eine Gallerte, welche nur 1 1/2 Procent Substanz enthält, liefert von den zartesten Blattformen, Medaillen u. dgl. die subtilsten Formabdrücke, in welchen schnell hintereinander wiederholt Gypsabdrücke gemacht werden können, ohne daß sich die Form verändert. Da sie in kaltem Wasser unlöslich ist, so können die Formen damit mit zartem Pinsel gewaschen und dann getrocknet werden Da eine Gelatineform wie Kautschuk biegsam ist, so rathe ich, dieselbe vor dem Abnehmen vom Modell auf der Rückseite, nachdem darin einige Vertiefungen gemacht sind, mit Gypsbrei zu übergießen, um sie in der natürlichen Lage zu erhalten Auf einige andere interessante Eigenschaften der chinesischen Gelatine soll später noch einmal zurückgekommen werden. (Polytechn. Intelligenzblatt, 1860 S. 28.)