Titel: | Ueber sogenannte Waldwolle und daraus gewonnene Fabricate. |
Fundstelle: | Band 188, Jahrgang 1868, Miszellen, S. 343 |
Ueber sogenannte Waldwolle und daraus gewonnene
Fabricate.
Wenn man die frischen, zähen Nadeln des Kieferbaumes zerquetscht und in Wasser kocht,
so entweicht der aromatische, flüchtige Theil der Nadeln, welcher fast nur aus
Terpenthinöl besteht, und in dem Wasser löst sich ein bitterlich schmeckender,
zusammenziehender Stoff auf, der im Wesentlichen Gerbsäure ist. Der von diesen
Stoffen befreite unlösliche Bast, aus feineren und gröberen Fasern bestehend, stellt
die sogenannte Waldwolle dar. Diese Fasern sind in chemischer Hinsicht derselbe
Körper, wie der Flachs und die Baumwolle. Von beiden unterscheiden sie sich darin,
daß sie viel gröber sind; von ersterem noch dadurch, daß sie ganz kurz, und von
letzterer, daß sie nicht gekräuselt sind. Einen Faden und ein Gewebe von Waldwolle
herzustellen, erscheint hiernach unmöglich; was uns unter diesem Namen vor Augen
gekommen, war entweder gewöhnliches Baumwoll- und Wollfabricat, in welches
etwas Kiefernadelfaser eingemengt war, wodurch der Stoff aber nur eine grobe uud
rauhe Fläche erhielt; oder es bestand ausschließlich aus Baumwolle und Wolle in
einem dichten filzigen Gewebe sowie als Watte, gefärbt durch die sogenannten Extractivstoffe der
Nadeln, d. h. die im Wasser gelöste Gerbsäure, gelb bis braun. Im frischen Zustande
besitzen die Fabricate einen ätherischen, nadelartigen Geruch, der wahrscheinlich
vom Benetzen derselben mit dem beim Kochen der Nadeln verjagten und in besonderen
Verdichtungsgefäßen wieder aufgefangenen Terpenthinöl herrührt. Beim Liegen der
Waare an der Lust geht der Geruch bald fort.
Dem so präparirten Stoff wird von den Fabrikanten, unterstützt durch zahlreiche
ärztliche und andere Atteste, eine heilsame Wirkung bei Gicht und Rheumatismus
zugeschrieben. Wenn dieß der Fall ist — was übrigens außerordentlich schwer
zu beweisen —, so ist jedenfalls die Waldwolle, mit deren Namen eine so
starke Reclame getrieben wird, unschuldig dabei und nur das Terpenthinöl kommt in
Betracht. Dann kann man sich aber selbst jeden Wollstoff in wirksamer Weise
präpariren, ohne das doppelte und dreifache Geld dafür hinauswerfen zu müssen. Auch
lautet gerade die Vorschrift der Fabrikanten dahin, daß man den Waldwollstoff, wenn
er seinen Geruch verloren, mit etwas Waldwollöl tränke. Es ist übrigens durchaus
nicht unwahrscheinlich, daß die angeblich Schmerzen lindernde Eigenschaft der
Waldwollstoffe nur von ihrem dichten warmhaltenden Gefüge herrührt, und daß jedes
andere Fabricat von ähnlich gearteter Beschaffenheit die gleichen Dienste leistet.
Man hat die reine Waldwolle auch als Polsterstoff für Möbel empfohlen; eben so gut
könnte man die Gerberlohe, nachdem sie aus den Gruben gekommen und getrocknet,
verwenden, denn in ihren elastischen Eigenschaften stehen sich beide Stoffe sehr
nahe. Das Seegras hat in dieser Hinsicht einen weit höheren Werth. — Die
Waldwolle ist bis jetzt vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich, in einem kleinen
Oertchen Thüringens, Namens Remda, von zwei Firmen: H. Schmidt und L. und E. Lairitz fabricirt worden;
dieselben stritten sich, gleich den Cölner-Wasser-Fabrikanten,
jahrelang in den Blättern um die Ehre, wer der allein ächte und wahre Verfertiger
sey. Die Geschichte von der Waldwolle spielt seit etwa 10 Jahren; in weiteren zehn
wird sie wohl begraben und vergessen seyn. (Badische Gewerbezeitung, 1867 S.
200.)