Titel: | Ueber das Chassepot-Gewehr. |
Fundstelle: | Band 189, Jahrgang 1868, Miszellen, S. 510 |
Ueber das Chassepot-Gewehr.
Ueber die Einführung der Hinterlader und den gegenwärtigen Standpunkt der Bewaffnung
in den europäischen Armeen enthalten die „Militärischen
Blätter“ einen Artikel, welchem wir folgende Mittheilungen über das
französische Chassepotgewehr entnehmen:
Noch unter dem frischen Eindruck der gewaltigen Ereignisse in Deutschland erschien am
30. August 1868 ein kaiserliches Decret, welches die Einführung des Hinterladers von
Chassepot in die französische Armee verordnete.
Dieses Gewehr war ursprünglich von dem Zündnadelgewehr wesentlich verschieden, indem es
noch mit der Kapselzündung versehen war, und also kaum ein schnellfeuerndes Gewehr
genannt werden konnte. Auch war es wohl mehr darauf berechnet ein System für die
Umänderung von Vorderladungsgewehren in Hinterlader abzugeben, als gerade bei
Neuanschaffungen zum Muster genommen zu werden. Um dieß zu erreichen, schaffte Chassepot das Pereussionschloß und die Kapselzündung ab
und adoptirte die Zündnadel, wobei er in einigen minder wesentlichen Dingen von dem
Dreyse'schen Modell abwich. Das ward auch in
Frankreich offen anerkannt, und so heißt es z. B. in der
„Illustration“ (Nr. 142 vom 25. Oct. 1866): „Das
System Chassepot ist dem des preußischen Gewehres
fast gleich; die einzige Verbesserung ist ein kleiner Obturator von
Kautschuk.“Jetzt freilich sperrt man sich gegen eine solche
Auffassungsweise, und versichert: der Chassepot
unterscheide sich durch erhebliche Verbesserungen und Veränderungen von Dreyse's Gewehr. Von eigentlichen Verbesserungen kann
hier aber nur in einer Beziehung die Rede seyn, und das
ist das, gegen die preußische Zündnadel gehalten, so bedeutend geringere Kaliber,
11,0 Millimeter gegen 15,5; da nun beim französischen Gewehr die Pulverladung 5,5
Grm., die des preußischen nur 4,9, das Geschoßgewicht aber bei jenem 25 Grm., bei
diesem 31 Grm. beträgt, so erreicht das Chassepotgewehr eine sehr viel gespanntere
Flugbahn der Geschosse und folglich viel größere bestrichene Räume. Dieß ist
natürlich ein nicht abzuläugnender Vorzug. Minder fällt dagegen das etwas schnellere
Schießen des Chassepotgewehrs in's Gewicht. Man hat berechnet daß die
Ladegeschwindigkeit dieses Gewehres der des preußischen gegenüber sich verhalte wie
4 : 3, weil durch Vereinfachung des Mechanismus der Griff zum
„Fertigmachen“ wegfällig geworden ist. An und für sich
schon scheint uns dieses Verhältniß etwas zu Ungunsten der Zündnadel angegeben zu
seyn, und in der Praxis, wo die Schüsse doch immer langsamer gemacht werden als auf
dem Scheibenstande, wird es sich noch mehr ausgleichen. Dann aber liegt ein großer
Uebelstand bei dem Chassepotgewehr eben darin, daß der ganze Ladeproceß mit
gespanntem Schloß vorgenommen wird, was sehr leicht unfreiwillige Entladungen
hervorrufen kann. Alle anderen Verbesserungen, welche Chassepot an seinem Gewehr zur Unterscheidung von dem preußischen
vorgenommen hat, sind in Wirklichkeit keine, weder die kürzere Nadel, welche eine
sehr unzweckmäßige Ordnung der Patrone bedingt, noch der Kautschukpfropfen, welcher
die Nadel verdirbt, noch das zerbrechliche Visir etc. Dahingegen lassen sich beim
Chassepotgewehr Uebelstände nachweisen, welche bei der Zündnadel entweder gar nicht
oder nur in geringem Maaß vorhanden sind. Dahin gehört namentlich das sehr häufige
Versagen des Gewehres, welches durch die Ansammlungen von Patronenresten verursacht
wird. Um dieß zu verhüten, brachte man eine Aushöhlung an, die sogen. chambre
à
crasse, in welche die unverbrannten Rückstände der
Patrone sich ablagern sollten. Dieß erreichte man nun allerdings, allein jene
Rückstände, namentlich von der in der Patrone befindlichen Kautschukscheibe, sind so
bedeutend, daß sie schnell jene Kammer ausfüllen und nun den Gang der Nadel hemmen.
Man hat deßhalb die Frage aufgeworfen: ob es nicht besser sey jene Aushöhlung
wegzulassen, dann aber auch die Kautschukscheiben, und zwar sowohl die in der
Patrone als die am Nadelrohr zum Behuf der Obturation angebrachte, ganz
abzuschaffen. Dieß wäre ein großer Entschluß, der Ueberwindung genug kosten mag,
denn der elastische Pfropfen, welcher den hermetischen Abschluß bewirken sollte, war
ja die Pointe des ganzen Chassepot-Systems. Es ist
nach den ungeheuren Anstrengungen welche Frankreich rücksichtlich der Umformung der
Bewaffnung seiner Infanterie gemacht hat, anzunehmen daß es im Stande seyn wird im
Laufe dieses Jahres seine gesammte Armee mit dem neuen Gewehr aufzurüsten: die
französische Infanterie wird dann eine gute Kriegswaffe haben, ausgezeichnet
namentlich durch ihre verhältnißmäßige Leichtigkeit (4,045 Kilogrm. ohne, und 4,645
mit Säbel-Bajonnett; preußische Zündnadel bez. 4,980 und 5,330 Kilogrm.) und
die flache Bahn der Geschosse. Aber auch nur dadurch gewinnt es einen Vorzug vor dem
preußischen Gewehr; denn die etwas größere Feuergeschwindigkeit wird reichlich durch
die vielen Versager und andere Uebelstände die dem Chassepotgewehr ankleben, wie z.
B. das häufige Zerspringen der tête mobile aufgehoben.
Die französische Armee wird nach Durchführung der Neubewaffnung ihrer Infanterie in
dieser Beziehung der preußischen ebenbürtig, aber nicht überlegen seyn.