Titel: Das Werder'sche Rückladungsgewehr vom technischen Standpunkt aus betrachtet.
Fundstelle: Band 190, Jahrgang 1868, Miszellen, S. 337
Das Werder'sche Rückladungsgewehr vom technischen Standpunkt aus betrachtet. Die Mechanik hat in Construction von schnellladenden Gewehrsystemen seit dem Jahr 1866 erstaunliche Fortschritte gemacht, und es ist wirklich sehr bewundernswerth, mit welcher Virtuosität das vorgesteckte Problem zu lösen versucht worden ist. Vor Allem drängt sich die Frage auf: warum man das preußische Zündnadelgewehr nicht allenthalben adoptirte, und trotz dessen glorreicher Vergangenheit neue Gewehrprincipien aufzustellen trachtete, und damit der Grundsatz der Kaliber- resp. Munitionseinheit der deutschen Truppencontingente ein für allemal aufgegeben wurde. Die Beantwortung liegt dermalen klar vor Augen. Man wollte kurzweg die Vorzüge des preußischen Zündnadelgewehrs mit anderen neueren vortheilhaften Principien vereinigen, und so durch die Leichtigkeit der neuen Waffe, sowie durch innere Constructionsvereinfachungen das Zündnadelprincip so steigern, daß es der rascheren Gefechtsweise der Neuzeit angepaßt würde. Nach einigen vorausgehenden Versuchen von Dörsch und Baumgarten, Borse, Spangenberger und Sauer in Suhl wurde in Chassepvt's Zündnadelmechanismus obiges Ziel insofern erreicht, als dadurch die Leichtigkeit und Treffsicherheit, sowie die rasante Flugbahn der Geschosse bei dieser Waffe als entschiedene wesentliche Verbesserungen zur Thatsache wurden. Gleichzeitig trat jedoch eine andere Partei von Constructeuren auf, welche nebst anderen Fehlern die Hauptnachtheile des preußischen Zündnadelsystemes in dessen ungleichmäßigen Functionen, sowie auch die Unregelmäßigkeit der Treffresultate constatirte, und deßwegen direct auf andere neue Ziele lossteuerte. Diese Partei verlangte vor Allem: die Leichtigkeit der Waffe, vollständigen Gasabschluß nach rückwärts, Vereinfachung des Mechanismus, erhöhte Treffsicherheit, Billigkeit der Herstellung, Unabhängigkeit der Waffe von der Geschicklichkeit des Soldaten. Das schon lange vorher bestehende System Lefaucheux mit seinen starken Patronenhülsen und der Zündung in deren Boden, mochte den Weg vorzeichnen welcher zu betreten war, indem man das Zündnadelgewehr aufgab. Die Constructeure Henry, Peabody, Spencer, Remington, Snider, Wänzl, Amsler, Wörndl, Werder u. A. adoptirten diese Idee, und es ist unläugbare Thatsache, daß diese Constructeure mit mehr oder weniger Erfolg ihren Zweck erreichten, nur kam es dabei darauf an, auch hierin wieder das Vollkommenste zu erreichen. Der Privat-Industrie namentlich war somit ein ergiebiges Feld geboten, welches auch sofort von ihr betreten wurde, nachdem mehrere europäische Staaten eine förmliche Concurrenz in diesem Zweig eröffnet hatten. Die Abänderung der bayerischen Podewils-Gewehre in Rücklader gab dem damit betrauten technischen Director des v. Cramer Klett'schen Etablissements in Nürnberg die Idee eine Construction zu ersinnen, welche von allen schon vorhandenen Constructionen abstrahirte, und auf einem neuen bisher nicht befolgten Wege das Möglichste zu erreichen versprach. Nur ein in der Mechanik gründlichst erfahrener Meister vermochte nach den schon vorhandenen sinnreichen Constructions-Ideen noch Neues auf diesem Gebiete zu ersinnen, und so war es Werder, welcher in der That das Vollendetste schuf, das mit den zur Zeit gebotenen Hülfsmitteln erreicht werden konnte. Seine Construction enthält dieselben scharfsinnigen Combinationen und die mehrfache Functionsthätigkeit einzelner Theile, wie sie in anderer Art bei Dreyse's Zündnadelmechanismus vorkommen: daher die Einfachheit des Ganzen und der große Effect mit so wenig Mitteln. Während Peabody, Snider, Sharps, Martini, Berdan, Amsler, Wänzl, Wörndl etc. mittelst des alten aus 7 Theilen und mehreren Schrauben bestehenden Gewehrschlosses, Henry, Cochrane, Remington etc. mittelst eines mehrtheiligen alten Mittelschlosses die Waffe zur Entzündung bringen, erreicht Werder diese Function nebst dem Verschlußtheile mittelst 5 so einfacher und specifisch leichter Theile und mittelst dreier gewöhnlichen Stahlblechfedern, daß diese Construction nur unsere gerechteste Bewunderung verdient. Es würde hier zu weit führen, die mechanische Functionsfähigkeit und Dauerhaftigkeit der einzelnen Theile des Werder'schen Mechanismus näher zu beschreiben. Dafür dürfte uns allein schon die langjährige Erfahrung eines in der Mechanik erprobten Technikers bürgen, welcher in Construction der schwierigsten Maschinen fast täglich Probleme zu lösen hat, und dessen Ruf in der maschinen-technisch gebildeten Welt ein längst anerkannter ist. Es bleibt nur noch zu erwähnen, daß alle Theile des Werder'schen Gewehrmechanismus, wie sie ineinandergreifen und functioniren, vom mechanischen Standpunkt aus mit der größten Richtigkeit construirt sind, und daß besonders die Leichtigkeit hervorzuheben ist, mit welcher die einzelnen Theile gleichwie die Theile des bekannten Geduldspiels auseinander zu nehmen sind, ohne die Anwendung eines Instrumentes oder Schraubenschlüssels, ebenso das Zusammensetzen des Mechanismus. Die Patronenhülse, wohl einer der wichtigsten Theile des Systems, ist eine geprägte Kupferhülse — vergleichsweise ein sehr großes Zündhütchen, in dessen aufgeprägtem Bodenrand ursprünglich das Knallpräparat lag, welches durch den Zündstift getroffen explodirte und somit die Zündung der Ladung bewirkte; allerdings wäre die so beschaffene Patrone die einfachste gewesen, jedoch zugleich die unzuverlässigste, da die Einbringung des Zündsatzes in den Bodenrand dem Auge des Arbeiters gänzlich entzogen ist, überdieß der Bodenrand nur zu häufig aufplatzte und die Gase in jeder Weise störend nach rückwärts entströmten. Wer überdieß weiß, mit welchen Hindernissen die Anfertigung solcher scheinbar einfachen Hülsen zu kämpfen hatte, wer weiß mit welchen Fatalitäten die Schießproben mit denselben begleitet waren, so daß die Praxis jede Theorie Lügen strafte, wem ferner bekannt ist mit welcher Einfachheit und Billigkeit die nunmehrige Patrone (wegen der oftmaligen Benutzung der Patronenhülsen), sowie deren jetzt erreichte Sicherheit die vielen Bemühungen glänzend belohnte, der wird sicherlich nur für Werder's Princip stimmen. (Nürnberger Correspondent.)