Titel: Seilschifffahrt auf der Wolga.
Fundstelle: Band 253, Jahrgang 1884, Miszellen, S. 213
Seilschifffahrt auf der Wolga. Es dürfte im Allgemeinen wenig bekannt sein, daſs auf der Wolga schon seit mehr als 40 Jahren eine Art Seilschifffahrt betrieben wird, während man sonst geneigt ist, die Tauerei für eine Errungenschaft der letzten 20 Jahre zu halten. Neuerdings wurde nun von Bachmann im Hannoverschen Bezirksvereine deutscher Ingenieure über diesen in mehr als einer Beziehung interessanten Betrieb ein Vortrag gehalten (vgl. Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1884 S. 522), dessen Inhalt im Folgenden kurz wiedergegeben ist. Die auf der Wolga benutzten Seilschiffe werden theils mit Pferden, theils durch Dampf betrieben. Die ersteren haben je nach ihrer Gröſse 150 bis 200 Pferde an Bord, welche in den unteren Schiffräumen untergebracht sind. Auf dem Verdecke befinden sich eine Anzahl Göpel, an deren jedem je 8 auch 10 Pferde arbeiten. Dieselben werden alle 3 Stunden ausgewechselt, was ohne Unterbrechung des Betriebes geschehen kann, indem jedesmal nur 1 Göpel ausgeschaltet wird. Alle Göpel übertragen ihre Arbeit durch eine geeignete Transmission auf eine Windetrommel, auf welcher sich das Betriebsseil aufwickelt; letzteres ist im Gegensatze zu dem bei uns üblichen Tauereibetriebe nur von beschränkter Länge (nach unserer Quelle ohne nähere Angabe 1 Meile) und etwa 125mm dick. Jeder Schlepper führt zwei solcher Seile mit sich. Während er sich an einem derselben bergauf zieht, nimmt ein kleiner Hilfsdampfer das vorhin aufgewundene Seil an Bord, fährt mit demselben voraus und verankert es eine Meile oberhalb des augenblicklich benutzten, so daſs der Schlepper dasselbe nach Ablauf des ersten ohne Fahrtunterbrechung aufnehmen kann. Alsdann nimmt der Dampfer das erste Seil in Empfang und legt es wieder eine Meile oberhalb des zweiten aus u.s.f. Genau so erfolgt der Betrieb mit Dampfschleppern. Dieselben besitzen Condensationsmaschinen von etwa 100e, welche eine zu beiden Seiten über das Deck hinausreichende Achse betreiben; auf letzterer befinden sich die Windetrommeln. Bei der Thalfahrt dagegen werden auf die über Bord stehenden Enden der Achse Schaufelräder aufgesetzt, um die Fahrt zu beschleunigen. Die Schlepper ersterer Art befördern Schiffszüge von 12 und mehr Schiffen, welche zu je 2 und 3 dicht hinter einander gehängt werden und eine Ladung von 16380t führen. Dabei machen sie während der Monate Mai, Juni und Juli im günstigsten Falle zwei Reisen von Astrachan und der Kama-Mündung bis nach Nischny-Nowgorod zur Messe. Auſser dieser Zeit fehlt es an Fracht. Die für den Betrieb nöthigen Pferde werden am Abfahrtsorte angekauft und nach vollbrachter Bergfahrt verkauft, während der Schlepper durch den Ankerdampfer zu Thal geschleppt wird. Die Dampfschleppschiffe befördern noch gröſsere Schiffszüge und fahren schneller, so daſs der Ankerdampfer kaum Zeit findet, die Seile auszulegen. Dennoch scheint sich auch der Betrieb mit Pferden unter den in jenen Gegenden obwaltenden Verhältnissen den Dampfern gegenüber immer noch zu halten.