Titel: | Bedürfnisstände mit Oelverschluss in Wien. |
Fundstelle: | Band 292, Jahrgang 1894, Miszellen, S. 167 |
Bedürfnisstände mit Oelverschluss in Wien.
Auf öffentlichen Strassen und Plätzen Wiens befinden sich seit 3 Jahren
Bedürfnissanstalten, deren Geruchlosmachung ohne Wasserspülung mittels Oeles
erfolgt. Ihre Leistungsfähigkeit wird allgemein als eine gute anerkannt, denn sie
sind nicht nur vollständig geruchlos, sondern es findet in ihnen auch noch eine
Desinfection des Urins statt. Diese Wirkungen werden durch Einbau eines Oelsiphons
im Fussboden – oder in Wandmuscheln – und Verwendung einer Oelcomposition erreicht.
Der nebenstehend abgebildete Siphon besteht aus einem Behälter a, dessen Ablaufstutzen b
mit dem Entwässerungsrohr verbunden wird. In diesem Behälter steckt ein mit
Abschlussdeckel d versehenes Rohr c von geringerem Durchmesser und in diesem ein noch
engeres Rohr e. Der Deckel d ist mit einer Anzahl Einlauföffnungen d1d1, das Rohr c am unteren und das Rohr e am oberen Ende mit Umlauföffnungen c1c1 bezieh. e1e1 versehen.
Textabbildung Bd. 292, S. 167 Beim Gebrauch wird der Siphon zunächst mit einer beliebigen Flüssigkeit,
am besten mit Wasser gefüllt. Das Füllen erfolgt, indem man die Flüssigkeit auf den
Deckel d schüttet, von wo sie durch die Oeffnungen d1 in den Siphon
gelangt und die Zwischenräume zwischen a und c bezieh. c und e ausfüllt. Ist die Flüssigkeit zur Ruhe gelangt, so
giesst man so viel Oel nach, dass die Schicht f
mindestens 1 cm beträgt. Wird der Stand nunmehr benutzt, so wird der Urin durch die
Löcher d1 im Deckel d in den Siphon einfliessen und bei der
Ueberfallöffnung e1 so
viel Wasser bezieh. Urin verdrängen und zum Abfliessen bringen, als bei d1 in den Siphon
eingetreten ist. Die Oelcomposition aber, welche leichter als Wasser und Urin ist,
schwimmt als Schicht auf der schwereren Flüssigkeit und bildet dadurch einen sehr
guten Geruchverschluss.
Alle Theile der Stände, welche durch Urin beschmutzt werden, werden nicht mit Wasser
gereinigt, sondern täglich einmal mittels eines harten Pinsels oder Lappens mit der
Oelcomposition abgerieben. Diese hat die Eigenschaft, dass genannte Theile so viel
von ihr aufnehmen, als erforderlich ist, um die Haftung des Urins zu verhindern,
diesen gewissermaassen von sich zu stossen, so dass er gezwungen wird, in den Siphon
und unter die Oelschicht zu verschwinden. Da also der Luft zugänglicher Urin so gut
wie nicht vorhanden ist, kann eine Fäulniss desselben nicht eintreten, schlechte
Gase und Gerüche können sich nicht bilden, die Anstalt ist mithin vollständig
geruchlos. Auch eine Desinfection des Urins findet statt, denn aller Urin muss durch
die Oelschicht, welche Desinfectionsstoffe enthält, hindurchgehen, und hierbei
werden alle seine Ansteckungskeime vernichtet; ebenso erfolgt dadurch, dass ein
Theil der Oelcomposition verdunstet, eine Desinfection der Luft in den
Anstalten.
Das Stadtbauamt und der Magistrat in Wien haben ihr Gutachten über diese
Bedürfnisstände dahin abgegeben, dass sie sich vorzüglich bewährt haben und besser
als die mit Wasserspülung und Wasserverschluss sind. Auch hat insbesondere Baurath
Kyllmann, den die Stadt Berlin zur Prüfung des
neuen Verfahrens nach Wien gesandt hatte, in der Sitzung der Berliner
Stadtverordnetenversammlung am 10. März 1892 die geölten Becken als das
vollkommenste, was man in dieser Beziehung leisten könne, bezeichnet.
Die Herstellungskosten eines Oelstandes sind billiger als die eines Wasserstandes.
Ein solcher mit fünf Plätzen kostet in Wien im Durchschnitt 1350 fl., ein Oelstand
nur 1000 fl., weil die Wasserzuführung und der Bespülungsapparat fortfallen. Aber
auch der Betrieb und die Unterhaltung sind weit billiger.
Der Director Wilhelm Beetz, Erbauer und Patentinhaber
der Oelstände in Wien, hat der dortigen Stadtverwaltung das Anerbieten gemacht, dass
er bereit sei, alle Wasserstände nach seinem Oelsystem auf seine Kosten umbauen,
reinigen und desinficiren zu lassen, auch alle Ausbesserungen zu tragen, wenn ihm
die Stadt dafür als Entschädigung den Selbstkostenpreis des ersparten Wassers
bewillige. Wien hat in den zehn alten Bezirken 122 Bedürfnissanstalten mit 583
Ständen. Diese beanspruchen an Spülwassermengen täglich für den Stand 2,5 cbm,
mithin 1457,50 cbm, welche für das Jahr zum Selbstkosten- oder normalen Preise von
30 fl. den Betrag von 43725 fl. und zum aussergewöhnlichen bezieh. Verkaufspreise
von 45 fl. den Betrag von 65587,50 fl. darstellen.
Beetz scheint der erste zu sein, welcher einen
ausführbaren Weg gefunden hat, den Wasserbedarf zu vermindern, die Abwässer zu
verringern und dadurch Kanäle und Rieselfelder zu entlasten. Weit wichtiger aber als
alle financiellen Vortheile ist der Dienst, welcher der Gesundheitspflege geleistet
wird. Einen Nachtheil besitzt das neue Oelverfahren nach keiner Richtung, die
Oelcomposition ist in nur ganz kleinen Mengen erforderlich, verdunstet meist, so
dass wenig in die Kanäle kommt, und sollten selbst einige Rückstände hineinkommen,
so sind dieselben leichter als Wasser und können ein Verstopfen der Kanäle nicht
herbeiführen.
Es wird nicht mehr lange dauern und das ganz verkehrte Princip, Bedürfnisstände nur
mit Wasser geruchlos halten zu wollen, wird zu den überwundenen Dingen gehören.
(Nach Dr. W. May in Centralblatt der Bauverwaltung 1893 S. 28.)