Titel: | [Kleinere Mitteilungen.] |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 127 |
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[Kleinere Mitteilungen.]
[Kleinere Mitteilungen.]
Bücherschau.
Die französischen Eisenbahnen im
deutschen Kriegsbetriebe 1870/71. Von Hermann
Budde. Berlin, 1903. E. S. Mittler u. Sohn.
Das Werk, dessen Reinertrag je zur Hälfte für die „Brandenstein-Stiftung“ beim
Grossen Generalstabe und für die Stiftung „Eisenbahn-Töchterhort“ beim
Preussischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten bestimmt ist, umfasst 500 Seiten
Text in Grossoktav mit 66 Abbildungen und 3 Karten.
Der preussische Minister der öffentlichen Arbeiten, Exzellenz Budde, bekanntlich früher in der Stellung eines Chefs der
Eisenbahn-Abteilung des Grossen Generalstabes, hat hiermit seine, bald nach dem
Kriege auf grund der Kriegsakten entstandene Studie einem grösseren Kreise
zugänglich gemacht.
Der Zweck des Buches wird in dem Vorwort gekennzeichnet: Die Vorgänge beim deutschen
Kriegsbetrieb französischer Eisenbahnen bringen als Ergänzung zur Geschichte des
grossen Krieges eine Fülle von Erfahrungen, die bei der Handhabung des Dienstes auf
den rückwärtigen Verbindungen in einem künftigen Kriege nützlich verwendet werden
können. Auch wird das Studium der geschichtlichen Darstellung zurückwirken auf das
Verständnis der Dienstvorschriften, die als unmittelbare Folge der im Kriege
gewonnenen Erfahrungen anzusehen sind. Durch wörtliche Wiedergabe vieler
Verfügungen, Depeschen und Berichte wird ein getreues Bild der tatsächlichen
Verhältnisse gegeben. Mit rücksichtsloser, kühler Sachlichkeit und Wahrheitstreue
werden auch begangene Fehler, weniger erfreuliche Vorkommnisse persönlicher oder
sachlicher Natur geschildert, „weil man an Fehlern am besten lernt.“ Vor
allem aber soll die Studie ein Lehrbuch sein für alle diejenigen, die in ihrer
amtlichen Friedenstätigkeit meist keine Gelegenheit haben, sich auf die ihnen im
Kriegsbetriebe zufallenden Obliegenheiten vorzubereiten.
Der grosse strategische Leiter des Krieges, Generalfeldmarschall v. Moltke hatte in einem 1843 erschienenen Aufsatz
„Welche Rücksichten kommen bei der Wahl der Richtungen von Eisenbahnen in
Betracht?“ auf die hohe Bedeutung hingewiesen, welche in der richtigen und
zweckmässigen Anlegung der Eisenbahnen in einem Staatsbahnnetz auch im Hinblick auf
die militärischen Interessen liegt. Und diese Erkenntnis hat ihn späterdazu
geführt, die Eisenbahnen im Kriege richtig zu verwerten. Und nicht zum geringsten
Teil sind die ersten erfolgreichen Kämpfe im Jahre 1870 durch den in kurzer Zeit
stattgehabten Aufmarsch der deutschen Truppen der durchdachten Verwendung der
Eisenbahnen zuzuschreiben. In demselben Aufsatz schreibt der junge, dem Grossen
Generalstabe zugeteilte Sekondleutnant, dass namentlich militärische Rücksichten
dafür sprechen, auch dort Eisenbahnen zu bauen, wo sie sich nicht unmittelbar
rentieren konnten und dass dies nur der Staat vermöge Dieser so frühzeitig – das
Eisenbahnwesen steckte noch in den Kinderschuhen – erkannte Wert der Eisenbahnen für
die Kriegsführung hat sich im Kriege 1870/71 gezeigt und ist nach den gemachten
Erfahrungen nicht in Vergessenheit geraten.
Der Leser des Buches wird zunächst im engeren Sinne der Offizier und der
Eisenbahnbeamte leitender Stellung sein Aber auch im weiteren Sinne würden Männer,
die als Vertreter des Volkes so oft in die Lage kommen, über Eisenbahn-Neubauten zu
urteilen, aus dem Buch Belehrung schöpfen und damit ihren Gesichtskreis erweitern.
Auch der Industrielle wird in Vertiefung der Gedanken Anregung zu Entwürfen finden,
die in konstruktiver Durchführung im Kriegsbetriebe von grösstem Nutzen sein können,
worauf wir weiter unten näher eingehen werden.
Alle Strahlen der Gedanken des vorliegenden Buches gehen von zwei Brennpunkten aus
und kehren in sie zurück: In dem einen sammelt sich die Kriegswissenschaft, in dem
anderen der kriegsmässige Eisenbahnbau und Betrieb als der ersteren unentbehrliches
Werkzeug. Für die Leser dieser Zeitschrift wird das Eisenbahnwesen einer eingehenden
Würdigung unterzogen in seinem Zusammenhange mit der allgemeinen Technik, nachdem de
kriegsgeschichtliche Seite des Buches kurz besprochen worden ist. Ganz streng lässt
sich diese Trennung natürlich nicht durchführen.
Der erste Abschnitt enthält die Organisation des Feldeisenbahnwesens bei Ausbruch des
Krieges 1870/71, von der schon während der Mobilmachung in mannigfacher Weise
abgewichen wurde. Der zweite Abschnitt macht uns mit den im Verlaufe des Krieges
aufgestellten Feldeisenbahnbehörden und Eisenbahntruppen bekannt. Als sehr fühlbarer
Mangel machte sich das Fehlen einer einheitlichen Leitung für Bau und Betrieb der
Eisenbahnen geltend.
Im dritten Abschnitt wird das in Betrieb genommene französische Bahngebiet
eingehend geschildert, das nach und nach in deutsche Hände überging. Der achte
Abschnitt enthält die Darstellung des Dienstverhältnisses der Betriebskommissionen,
denen der Betrieb der Eisenbahnen oblag, zu anderen Behörden. Im letzten, zwölften
Abschnitt folgt die Beschreibung der Betriebsverhältnisse nach dem
Friedensschlusse.
Im neunten Abschnit, Punkt 4, werden die Eisenbahntransporte im besonderen behandelt,
die zu vier Unterabteilungen zusammengefasst werden: Heranführung jeglichen
Nachschubes an Menschen und Armeebedürfnissen aller Art, Zurückführung der Kranken
und Verwundeten sowie überflüssiger Armeebedürfnisse, Beutegegenständen, Gefangenen
usw., Bewältigung kleiner und grösserer Truppentransporte auf dem Kriegsschauplatz,
Befriedigung der privaten Bedürfnisse des Heeres und der besetzten Landesgebiete,
soweit die militärischen Interessen es gestatteten. Damit sind die Aufgaben
gekennzeichnet, die die Kriegsführung von dem Verkehrwesen forderte, und es bilden
die Schilderungen, wie diese erfüllt wurden, die lehrreichsten Abschnitte der
Studie. Insbesondere ist die Darstellung der Verschiebung grösserer Truppenverbände,
zu denen der Befehl erst kurz vor der Ausführung erfolgt, weil das Bedürfnis
plötzlich dringlich wird und so lange wie möglich geheim gehalten werden muss,
hochbedeutsam und zeigt, wie notwendig ein Ineinandergreifen militärischer Befehle
und betriebstechnischer Vorbereitungs- und Ausführungsarbeiten für das Gelingen der
Aufgabe ist: Es stellen somit die Eisenbahnen bei solchem einheitlichen
Zusammenwirken ein Kriegswerkzeug dar, das, geschickt verwendet, das Mittel für
ausschlaggebende Erfolge sein kann.
Zu den Aufgaben rein eisenbahntechnischer Natur führt uns der vierte Abschnitt.
Beschaffenheit der Eisenbahnlinien, in dem nach einer allgemeinen Darstellung des
Zustandes des vorgefundenen französischen Bahnnetzes die Wiederherstellungsarbeiten
an Brücken, Gleisen usw. und Neubauten beschrieben werden. Aus dem Abschnitt geht
hervor, welcher Wert auf die Nutzbarmachung aller nach der Heimat führenden
Schienenwege gelegt wurde. Und als eine der wichtigsten Aufgaben für die heutzutage
von so vielen Unberufenen als überflüssig erklärte Kavallerie ist es zu bezeichnen,
dass in ähnlicher Kriegslage aufklärende Kavalleriekörper durch frühzeitige
Sicherung der Eisenbahnkunstbauten deren Zerstörung durch zurückgehende feindliche
Truppen und Landeseinwohner verhindern müssen. Die Schilderung der Arbeiten an den
Kunstbauten gibt ein anschauliches Bild, wie häufig, in der einen Hand Kelle oder
Hammer, in der anderen das Schwert, gearbeitet werden musste. Und mancher
Zeitverlust hätte verringert werden können durch Vorrätigsein von hölzernen oder
eisernen sog. Kriegsbrücken verschiedener Spannweiten. Dem Ingenieur bietet sich
hier ein Feld der Tätigkeit, leicht beförderbare und zerlegbare Brücken zu
konstruieren. Auch spricht die zuweilen lange Arbeitsdauer bei Erstellung der
Kunstbauten für die Notwendigkeit guter Schulung von Pionier- und Eisenbahntruppen,
die mit zahlreichen Handwerkzeugen und leistungsfähigen Hebevorrichtungen
auszurüsten sind: auch hier eine Quelle von Anregungen für die einschlägige
Industrie.
In dem fünften Abschnitt wird ausführlich über das Betriebspersonal berichtet.
Während des ganzen Krieges fehlte es an Fahrpersonal, namentlich an Bremsern. Das
weist darauf hin, auch für Güterzüge eine selbsttätige Leitungsbremse anzuwenden.
Alle dahin zielenden Bestrebungen kommen dem erschwerten Kriegsbetriebe erhöht
zugute. Die aus allen heimatlichen Gauen zusammengezogenen, in verschiedenen
Dienstgewohnheiten aufgewachsenen und nach mannigfachen Dienstvorschriften erzogenen
Beamten waren nicht leicht in Ordnung zu halten. Die für deutsche Eisenbahnen
gegebenen einheitlichen, zurzeit gültigen Grundzüge lassen den Einfluss der
Wahrnehmungen im Kriege erkennen. Nichtsdestoweniger wird die Leistung und
Pflichttreue unter den obwaltenden schwierigen Verhältnissen voll anerkannt.
Der sechste Abschnitt ist den Betriebsmitteln, Lokomotiven und Wagen, gewidmet.
Französische Lokomotiven wurden nur sehr wenig benutzt, die meisten Lokomotiven
waren aus der Heimat. Wegen der nur mangelhaften Pflege, der schlechten Geleislage,
des oft wenig geschulten Personals fordert der Kriegsbetrieb, von vornherein mit
geringerer Leistungsfähigkeit der Maschinen als im Frieden zu rechnen.
Maschinenmangel blieb während des ganzen Krieges bestehen und ist im wesentlichen
auf den übermässig hohen Bestand an ausbesserungsbedürftigen Maschinen
zurückzuführen. Dieser Abschnitt gibt Anregung zum Ausbau von Wagen zu sog.
fliegenden Werkstätten, in denen das notwendigste Handwerkzeug und kleine
Werkzeugmaschinen mitgeführt werden, um unerhebliche Beschädigungen von Lokomotiven
und Wagen sofort an Ort und Stelle zu beheben. Auch leicht beförderbare Hebezeuge
von verschiedener Tragkraft und geringstem Raumbedürfnis sollten nicht fehlen. Ganz
besonders werden diese beim Fortschaffen von Lokomotiven und Wagen benötigt. Und
vielleicht lassen sich zerlegbare Bockkrane von ausreichender Tragkraft
konstruieren.
Ein grosser Raum der Darstellung ist der Beförderung der Lokomotiven auf
Landstrassen gewidmet, die unsägliche Mühe gekostet hat. Besondere Wagen von grosser
Tragkraft, auf die aufzubringen die Lokomotive nur unwesentlich gehoben werden muss,
würden gute Dienste leisten und geben der Industrie zu denken auf. Vielleicht
verdient der Vorschlag des Maschinenmeisters Esser der
Feld-Eisenbahn-Abteilung No. 2 weitere Prüfung und Vervollkommnung in konstruktiver
Durchführung: „Es ist zweckmässig, wenn den Feld-Eisenbahn-Abteilungen breite
Radreifen mitgegeben werden, deren Durchmesser dem der Räder einer Lastmaschine
mittleren Kalibers entspricht. Sie werden über den Laufkranz der Bandagen
gestreift und mit Holzkeilen festgetrieben. Es würde dann die Mitgabe eines
Transportwagens entbehrlich sein und vor allem die schwierige Arbeit des
Verladens fortfallen “ Ein Wagenmangel hat kaum im Kriegsgebiet bestanden,
wohl aber machte er sich um so mehr fühlbar auf den heimatlichen Bahnen. Der Grund
wurde erst verhältnismässig spät bekannt: Die gänzlich unzureichenden
Bahnhofsanlagen, die die planmässige Durchführung der Züge nicht gestatteten, die
nicht ausreichenden Entladevorrichtungen, der über den Bedarf der Truppen erfolgende
Nachschub. Hieraus folgen für die Zukunft die Mittel, dem Uebel zu steuern: Sofort
geeignete Bahnhöfe mit ausreichenden Gleisanlagen auszubauen und hinreichende
Entladevorrichtungen herzustellen. Vielleicht gelingt die Konstruktion beweglicher,
zusammenlegbarer Rampen, die von den Zügen in bestimmter Anzahl als ständige
Ausrüstungsgegenstände mitzuführen wären. Der regelmässige Wagenumlauf, dem schon in
Friedenszeiten die grösste Aufmerksamkeit geschenkt wird, wird im Kriege zu einer
der schwierigsten und wichtigsten Aufgaben der obersten Eisenbahn-Betriebsleitung:
Schnelle Entladung und Rückführung der leeren Wagen muss ihre Losung für einen
leistungsfähigen Bahnverkehr sein.
Der siebente Abschnitt behandelt die militärische Sicherung der Bahnlinien, die
vielfach nicht genügend war, so dass schwere Verluste und Unglücksfälle eintraten.
Es ist eine der vornehmsten Aufgaben der Etappenbehörden, die sichere Erhaltung der
Eisenbahnlinien zwischen Operationsbasis der Armeen und dem Vaterland, da sie die
Lebensader moderner Kriegsführung darstellen. Es sei an dieser Stelle daran
erinnert, wie weit wir noch von einer allgemeinen Einführung elektrischen Betriebes
mit Oberleitung mit Rücksicht auf militärische Interessen entfernt sind: Ein
Bahnnetz, welches durch einen Büchsenschuss auf viele Kilometer unfahrbar gemacht
werden kann. Welche unbedingte Betriebssicherheit gewährt dagegen die unabhängige
Dampflokomotive, die Energie-Erzeugungund-Abgabe in sich vereint.
Der neunte Abschnitt behandelt genau die Einrichtung des Betriebes und seine
technische Sicherung gegen Unglücksfälle. Es würde zu weit führen, auf alle die
Einzelheiten einzugehen, die für den Eisenbahnbetriebstechniker eine Fundgrube von
Studienmaterial darstellen, das zu verarbeiten und in die Praxis zum Teil wenigstens
umzusetzen, die Truppenbeförderungen während der Manöver grösserer Truppenverbände
Gelegenheit bieten,
Der zehnte Abschnitt behandelt den telegraphischen Verkehr.
Der elfte Abschnitt schildert die Eisenbahnzerstörungen und Unfälle, die namentlich
durch Verschulden der eigenen Beamten entstanden sind. Schnelles Uebersehen der
Sachlage, tatkräftiges, zielbewusstes Handeln der leitenden Beamten sind die erste
Bedingung für eine gute Durchführung der Wiederherstellungsarbeiten. Eine Fülle
theoretischer Aufgaben, die die Praxis der Eisenbahnunfälle ergibt, lässt sich aus
dem Abschnitt entwickeln. Wir führen nur das Einfangen entlaufener Wagen durch eine
nacheilende Lokomotive oder die Bergungsarbeiten dreier gleichzeitig in die Maass
hinuntergestürzten Lokomotiven an. Die bei den Aufräumungsarbeiten an Unfallstätten
gewonnenen Erfahrungen stellen ein Material dar, das systematisch zu verarbeiten und
in Taschenbuchform zum Handgebrauch herauszugeben wäre: Es wird eine Sammlung von
Unfällen sein, die die Anleitung zur schnellen Beseitigung der Verkehrsstörung bezw.
zur Aushilfe mit den dürftigsten Mitteln gibt. Zwar sind die Eisenbahnunfälle von
Fall zu Fall zu behandeln, indessen kehren grundlegende Gesichtspunkte bei allen
Aufräumungsarbeiten wieder und nicht immer sind erfahrene Beamten zur Stelle.
Wir haben aus dem inhaltreichen Buch weniger einen Auszug gegeben, als an einigen
Stellen hier und da angeknüpft, um an ihnen zu zeigen, wie sich die niedergelegten
Gedanken fortentwickeln und zu gänzlich neuen führen lassen, und wie dadurch das
Buch, weiteste Kreise interessierend, segensreichen Nutzen zum Wohle des Vaterlandes
stiften kann. Aus diesem Grunde wünschen wir dem Buche die weiteste Verbreitung in
allen Kreisen des deutschen Volkes. Dazu kommt, dass es die Taten von Männern
schildert, die nicht die berauschende Glorie des Schtachtfeldes umgab, die aber in
unermüdlicher, aufreibender Tätigkeit ihr Redliches dazu beigetragen haben, dem
Sieger auf dem Schlachtfelde den Lorbeer zu reichen und ihm denselben zu erhalten.
Und in diesem Sinne reiht sich das Buch, von berufenster Seite geschrieben, als
würdiges Glied an die Kette der historischen Werke über den Krieg 1870/71 und somit
der Geschichte unseres Vaterlandes an.
Hans A. Martens.