Titel: | [Kleinere Mitteilungen.] |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, Miszellen, S. 397 |
Download: | XML |
[Kleinere Mitteilungen.]
[Kleinere Mitteilungen.]
Zuschrift an die Redaktion.
(Unter eigener Verantwortlichkeit der Einsender.)
Die Besprechung des Werkes von Herrn Professor Weyrauch:
„Grundriss der Wärmetheorie“ durch Herrn Dr. Schreber in Heft 12 d. J. hat einen Briefwechsel zwischen beiden Herren
zur Folge gehabt, den wir auf deren Wunsch nachstehend im vollen Wortlaut zum
Abdruck bringen, da er zu keiner Einigung geführt hat.
Die Redaktion.
–––––––––
Stuttgart, 27. April 1905.
Johannesstr. 47 A.
Sehr geehrter Herr Kollege!
Ihre Rezension meiner „Wärmetheorie“ in „Dinglers polyt. Journal“, über
die ich mich im allgemeinen nicht zu beklagen habe, enthält doch einige nach meiner
Ansicht unzutreffende Bemerkungen. Ich beehre mich, dies kurz wie folgt zu
begründen.
Es ist immer gefährlich zu prophezeien, und so stimmt auch nicht, dass die §§ über
kinetische Gastheorie hätten wegbleiben können, „da sie im vorliegenden Bande
nirgends Anwendung finden und im zweiten wahrscheinlich erst recht nicht“.
Die kinetische Gastheorie wird im zweiten Band allerdings Anwendung finden (bei
Begründung der Zustandsgleichungen überhitzter kämpfe), es ist selbst im ersten Band
schon auf dieselbe verwiesen (S. 130, 137 u.s.f.) und wird wieder beim Wesen des
Verdampfungsprozesses darauf hinzuweisen sein. Sie ist notwendig, um zu zeigen,
unter welchen Voraussetzungen das Boyle-Gay-Lussacsche
Gesetz, das Daltonsche Gesetz, konstante spezifische
Wärmen cp
cv usw. genau gültig
wären, und um Klarheit über die tatsächlichen Abweichungen zu gewinnen. Uebrigens
überrascht mich Ihre Ansicht, dass lediglich das gegeben werden soll, was
augenblicklich Anwendung findet; an technischen Hochschulen ist man weniger radikal.
Einen Einblick in die kinetische Gastheorie kann heutzutage jeder
Maschinen-Ingenieur brauchen; die Wärmetheorie bietet die beste Gelegenheit
dazu.
Eine Verwechslung zwischen dem „Arbeitswert einer Wärmemenge“ und der
„disponiblen Arbeit“ kann wenigstens in den Kreisen, für die mein Buch in
erster Linie bestimmt ist, niemals entstehen, weil die nicht sehr häufig vorkommende
„disponible Arbeit“ stets mit diesem Namen oder in sonst unzweideutiger
Weise bezeichnet wird, während man weit allgemeiner ebensowohl vom Arbeitswert WQ einer Wärmemenge Q als
vom Wärmewert AL einer Arbeit L spricht und zu sprechen garnicht vermeiden kann,
Auf welche Stelle meines Werkes sich ihre Bemerkungen betreffend das Boyle-Gay-Lussacsche Gesetz beziehen, vermag ich nicht
zu erkennen. Uebrigens haben die Gesetze von Boyle und
Gay-Lussac für mich und jeden Ingenieur nur
insoweit Bedeutung, als sie durch Erfahrung bestätigt sind. Ebensoweit können sie
aber auch als Erfahrungssätze bezeichnet werden. Ihr, wenn ich nicht irre, schon
anderwärts erhobener Einwand hiergegen ist mir daher unverständlich. Die von ihnen
erwähnte Daltonsche Darstellung ist nicht nur weniger
gebräuchlich als die Gay-Lustacsche, sondern sie ist
überhaupt nicht „gebräuchlich“.
Dass der Diesel-Motor
„gleich anfangs ausnahmsweise günstige Ergebnisse“ geliefert habe, ist von
mir in dieser Allgemeinheit nicht behauptet worden. Meine Bemerkung bezog sich nur
auf die Ausnutzung des Brennstoffs (S. 250, 90, 304) und auf die Zeit, als der Diesel-Motor auf den Markt kam (1897). Dass jeder neue
Motor langwierige Versuchsstadien zu durchlaufen hat, bedurfte wenigstens für
Ingenieure und Studierende technischer Hochschulen keiner besonderen Erwähnung.
Es würde mich interessieren, Ihre Ansicht in bezug auf die berührten Punkte kennen zu
lernen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Weyrauch.
Greifswald, 4. Mai 1905.
Baustr. 9.
Hochgeschätzter Herr Professor!
Nach Greifswald zurückgekehrt, finde ich Ihren Brief wegen meiner Besprechung Ihres
Buches in „D. p. J.“ vor. Die kurze Verzögerung der Antwort haben Sie wohl
die Güte durch die mit Semesterbeginn notwendig werdenden Arbeiten zu
entschuldigen.
Gashypothese. Dass Prophezeien eine missliche Sache ist,
gebe ich gern zu. Falls Herr Prof. Rudeloff mir den
zweiten Band Ihres Buches zur Besprechung anvertraut, werde ich sehen, wieweit meine
Ansicht, die kinetische Gastheorie hätte aus Ihrem Buche wegbleiben können,
abgeändert werden muss. Ich bitte Sie diesen Punkt der Diskussion bis dahin
aufzuschieben.
Arbeitswert. Dass ich mir erlaubt habe, den Ausdruck
„Arbeitswert“ für eine in mechanischem Mass gemessene Wärmemenge als
unvorteilhaft zu bezeichnen, dazu ergibt einen ersten Grund Ihr Buch selbst: Sie
bezeichnen mit Recht S. 101 das Verfahren Redtenbachers, die in einer Wärmekraftmaschine gewonnene Arbeit auf die
gesamte zugeführte Wärme zu beziehen, als unberechtigt. Bezeichnet man aber die
letztere, falls sie, um Homogenität der Gleichung zu erzielen, in mechanischem Mass
gemessen ist, als Arbeitswert, so ist die Verführung zur Auffassung Redtenbachers jedenfalls so gross, dass man besser das
Wort vermeidet.
Aus Ihrem Vorwort geht hervor, dass Sie sich den Leserkreis Ihres Buches wesentlich
aus Ingenieuren zusammengesetzt denken. Gerade in Ingenieurkreisen ist nun das
Bestreben, Fremdworte zu verdeutschen, sehr gross, und es wird von vielen das Wort
„disponible Arbeit“ mit Arbeitswert übersetzt. Diese Bestrebungen habe
ich im Auge gehabt, als ich von der Möglichkeit von Verwechselungen sprach.
Einen dritten Einwand gegen die Benutzung des Wortes Arbeitswert in Ihrem Sinne gibt
mir das von Ihnen in Ihrem Brief angeführte Wort Wärmewert AL einer Arbeit L. Eine Arbeit lässt sich
stets vollständig in Wärme verwandeln, und man darf deshalb AL als Wärme schon ansehen, solange L noch
Arbeit ist und es deshalb auch als Wärmewert bezeichnen. Dagegen lässt sich Q nur teilweise in Arbeit verwandeln. Bezeichnet man
nun Q/A als Arbeitswert, so kann die Aehnlichkeit der
Wortbildung leicht zu falschen Auffassungen führen.
Zustandsgleichung. S. 68 § 21 Abs. 2 sagen Sie; „Für
möglichst vollkommene Gase hatte die Erfahrung schon vor Begründung der mech.
Wärmetheorie die Zustandsgl. ergeben:
pv = R (a
+ t) . . . .
Diese Ausdrucksweise ist unzulässig. Die Erfahrung ergibt nur,
dass pv = konst. und dass sich die Temperaturen durch
eine Zahlenreihe darstellen lassen. Wie wir zu dieser Zahlenreihe kommen, ist
ausschliesslich Sache der Uebereinkunft. Willkürlich ist die Wahl des Stoffes
(Wasserstoff); willkürlich ist die Wahl der Eigenschaft dieses Stoffes (Druck bei
konst. Volumen); willkürlich ist die Zuordnung der Zahlen der Temperaturskala zu den
Zahlen des Druckes (arithmet. Reihe); willkürlich ist die Einheit der Skala
(Schmelzpunkt bis Siedepunkt = 100°). Durch die thermodynamische Definition der
Temperaturskala treten an Stelle der beiden ersten Willkürlichkeiten andere, die
beiden letzten bleiben.
Man darf somit den zweiten Teil der Zustandsgl. nur als Definition der
Temperaturskala bezeichnen.
Diesel-Maschine. Herr Diesel hat seine Broschüre 1893 veröffentlicht und im selben Jahre ist in
Augsburg mit dem Bau begonnen worden; als dann 1897 nach vierjährigem eifrigen
Arbeiten erfahrener Ingenieure eine, wenn auch noch nicht fertige, so doch
aussichtsvolle Maschine vorgeführt, fehlten ihr gerade die Momente, die Diesel als grundlegend hingestellt hatte und die auch
Sie S. 250 als wesentlich aus der Broschüre hervorheben: isotherme Verbrennung. Es
sind also vier Jahre nötig gewesen, die Ideen Diesels
zu modifizieren, nicht den Bau einer gleich anfangs aussichtsvollen Maschine zu
vervollkommnen. Wäre die 1897 herausgekommene Maschine die von Diesel beabsichtigte gewesen, so wäre Ihr Ausdruck
berechtigt; da das aber gerade in wesentlichen Punkten nicht der Fall ist, so halte
ich meine Kritik aufrecht.
Ich bitte meiner Versicherung, dass ich sine ira et studio geschrieben habe, zu
glauben, und bedaure, dass die Knappheit des mir zur Verfügung stehenden Platzes es
mir unmöglich gemacht hat, alle guten Seiten Ihres Buches hervorzukehren.
Mit vorzüglichster Hochachtung
Dr. K. Schreber.
–––––––––
Stuttgart, den 7. Mai 1905.
Johannesstr. 47 A.
Sehr geehrter Herr!
Für Ihre geschätzten Mitteilungen sage ich Ihnen meinen besten Dank. Leider haben mir
dieselben nicht diejenigen Aufklärungen gebracht, welche ich zur Begründung Ihrer
Kritik erwarten zu dürfen glaubte. Es genügt wohl, hierzu folgendes anzuführen.
Kinetische Gastheorie. Es ist durchaus kein Grund
vorhanden, die Diskussion über diesen Punkt bis zum Erscheinen der zweiten Hälfte
meines Werkes aufzuschieben, da ich nicht nur auf diese Bezug genommen habe, wenn
auch Sie die weiteren Bemerkungen übergehen. Wie wollen Sie überhaupt entscheiden,
was in Vorträgen für Ingenieure zweckmässig zu geben ist (vgl. den ersten Absatz
meines Vorwortes), da Sie offenbar die Verhältnisse an technischen Hochschulen
überhaupt nicht kennen. Ich kann Ihnen durch mein einstiges Kollegienheft beweisen,
dass schon Clausius in seinen Vorträgen am Züricher
Polytechnikum die kinetische Gastheorie berücksichtigt hat.
Arbeitswert. Dass eine Wärmemenge sich nicht vollständig
in Arbeit verwandeln lässt, ist für jeden studierenden Maschineningenieur eine
solche Binsenwahrheit, dass man ohne jede Gefahr ebenso WQ als Arbeitswert einer Wärmemenge Q wie AL als Wärmewert einer Arbeitsmenge L bezeichnen kann. Dass hierdurch irgend jemand zu der
alten Auffassung Redtenbachers verführt worden wäre,
die jeder als charakteristischen Fehler kennen lernt, ist mir in meiner ganzen
Praxis noch nicht vorgekommen. Wie ein Ingenieur, der fortwährend mit Nutzarbeit,
indizierter Arbeit, disponibler Arbeit zu tun, gerade die letztere mit dem
Arbeitswert WQ verwechseln soll, ist mir
unverständlich, und noch mehr, wie er „disponible Arbeit“ mit
„Arbeitswert“ anstatt mit „verfügbare Arbeit“ übersetzen könnte,
ganz abgesehen davon, dass diese Worte überhaupt niemand übersetzen will.
Zustandsgleichung. Dass die Erfahrung schon vor
Begründung der Wärmetheorie die Zustandsgleichung pv =
R (a + t) ergeben hat,
ist vollkommen richtig, und niemand ausser Ihnen hat es bisher bestritten. Sie
finden die Gleichung schon 1824 bei Carnot, während die
Wärmetheorie in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch
Thomson und Clausius
begründet wurde. Die erfahrungsmässigen Grundlagen jener Zustandsgleichung sind im §
36 meines Buches eingehend besprochen, woneben sich ein Hinweis auf die kinetische
Gastheorie als zweckmässig erwies, die Sie aber für überflüssig halten. Die
Schwierigkeiten der Temperaturdefinition sind mir wohl bekannt (vgl. meinen Artikel
„Temperatur“ in „Luegers Lexikon der gesamten Technik und ihrer
Hilfswissenschaften“), das hat aber nichts mit der Herkunft obiger Gleichung
zu tun.
Diesel-Motor. Ihre Bemerkungen sind geeignet, den
vorhandenen Streitpunkt zu verdunkeln. Ihre Rezension enthält den Satz: „Die
Behauptung, dass der Diesel-Motor „gleich
anfangs ausnahmsweise günstige“ Ergebnisse geliefert habe, ist wohl
etwas zu begeistert.“ Damit haben Sie mir etwas in den Mund gelegt, was ich
nicht ausgesprochen habe, um dann Ihre Kritik daran zu knüpfen. Der betreffende
Passus lautet tatsächlich wie folgt (S. 250): „Die Ausnutzung des Brennstoffs im Diesel-Motor war gleich anfangs ausnahmsweise günstig, indem der
Petroleumverbrauch bei der 20 pferdigen Versuchsmaschine bis 0,215 kg pro
Nutzpferdestärke und Stunde herabging, was einer Ausnutzung von 30 v. H. des
Heizwertes entspricht“ (S. 89, 91). Die 20pferdige Versuchsmaschine war die
erste, welche der Oeffentlichkeit vorgeführt wurde, und die angeführte Ausnutzung
des Brennstoffs wird auch von Ihnen nicht bestritten. Was von Diesel beabsichtigt oder nicht beabsichtigt war, hat
mit obiger Bemerkung absolut nichts zu tun, es wird übrigens von mir ebenfalls
besprochen. Erst nachdem Sie an Stelle der ausnahmsweise
günstigen Ausnutzung des Brennstoffs ganz allgemein ausnahmsweise günstige Ergebnisse gesetzt hatten, wurden Ihre kritischen
Bemerkungen möglich. Wie Sie diese hiernach aufrecht erhalten können, ist mir
umsomehr ein Rätsel, als ich ausdrücklich hervorhebe, dass der Brennstoffverbrauch
allein für die Zweckmässigkeit einer Maschine nicht massgebend sei und der Diesel-Motor bis dahin die anfänglichen hohen
Erwartungen nicht erfüllt habe (S. 90, 250, 304).
Aus der in meinem ersten Briefe und oben gegebenen Beleuchtung Ihrer Besprechung
meines Buches darf ich wohl den Schluss ziehen, dass davon manches besser
weggeblieben wäre, und dass es demnach nicht ganz richtig ist, wenn Sie sagen, dass
die Knappheit des Ihnen zur Verfügung stehenden Platzes Sie verhindert habe, alle
guten Seiten des Buches hervorzuheben. Sollten unsere Ansichten sich auch jetzt noch
nicht begegnen können, so schlage ich Ihnen vor, unsern Briefwechsel den Lesern von
„Dinglers polytechnischem Journal“ zur eigenen Entscheidung
vorzulegen.
Hochachtungsvoll Weyrauch.
–––––––––
Greifswald, Baustr. 9, 12. Mai 1905.
Sehr geschätzter Herr!
Da Sie mit meinen Erklärungen nicht zufrieden sind, sehe Ich mich gezwungen, noch
einmal auf die Sache einzugehen.
Gashypothese. Lehrbücher der Wärmelehre gibt es eine
grosse Zahl, in denen das Gebiet von den verschiedensten Seiten aus aufgefasst wird.
Augenblicklich liegt mir zur Besprechung für „D. p. J.“ ein weiterer Teil des
Werkes von Weinstein vor. In diesem Buche ist die
Hypothese die Hauptsache: W. will zeigen, wie man sie
formulieren muss. damit sie möglichst viel Erscheinungen umfasse. Es wird deshalb
niemand in diesem Werke die Gashypothese für überflüssig erklären. Anders liegen die
Verhältnisse in einem für Ingenieure bestimmten Buch. Der Ingenieur muss die
Grundsätze der Wärmelehre kennen und zwar so wie sie die Erfahrung bietet. Ob man
mit Hilfe irgend welcher Hypothesen eine besonders elegante mathematische
Darstellung dieser Erfahrungstatsachen findet, ist für ihn wertlos, weil dadurch die
Anwendbarkeit nicht erleichtert wird. Deshalb habe ich die Gashypothese in Ihrem für
Ingenieure bestimmten Buch für überflüssig erklärt.
Ich stehe mit der Ansicht, dass in einer für Ingenieure bestimmten Thermodynamik die
Gashypothese überflüssig ist, nicht allein. Z.B. bringt Prof. Mollier-Dresden in seiner Vorlesung nichts von ihr, und
ich glaube kaum, dass deshalb irgend einer seiner Schüler in der Praxis unbrauchbar
sei.
Dass Sie als Eideshelfer Clausius anrufen, ist recht
unvorteilhaft für Sie. Dass er in Zürich die Gashypothese mit vorgetragen hat, ist
sehr erklärlich; war er doch damals gerade dabei, sie zu entwickeln. Als er aber
später seine mechanische Wärmetheorie bearbeitete, hat er schon sehr scharf auf
reinliche Scheidung der auf Erfahrung beruhenden Sätze von den hypothetischen
gesehen. Es ist also sehr ungewiss, ob er auch später noch alles so vorgetragen, wie
sie es in Zürich gehört. Auch ist durchaus nicht nötig, dass das, was vor 50 Jahren
berechtigt war, noch jetzt berechtigt ist. Ich bitte Sie die Besprechung von O. E. Meyers Gastheorie durch Ostwald nachzusehen, „Zeitschr. f. physik. Chemie 15 S. 524, 1894, und
29, S. 189, 1899.
Zustandsgleichung. Es kommt mir gar nicht auf die Zeit
an, in welcher die Gleichung pv = RT [bezw. (1 + at)] aufgestellt ist, sondern darauf, dass der von der
Temperatur abhängige Teil derselben überhaupt keine Erfahrung ist, wie Sie S. 68
behaupten, sondern eine willkürliche Festsetzung. Auf S. 236 findet sich der
merkwürdige Satz: „Das Gay-Lussacsche Gesetz war
(1738) noch nicht entdeckt“. Ich bitte Sie, mir zu erklären, wie dieses
„Gesetz“ überhaupt entdeckt werden kann; wie wurde denn damals, als es
Ihrer Ansicht nach entdeckt wurde, das Mass der Temperatur festgestellt? Sie haben
vielleicht die Güte, dabei nochmals die ersten Abschnitte aus Machs Prinzipien der Wärmelehre nachzulesen.
Sie sagen übrigens selbst S. 9: „so beruhen die gebräuchlichen Temperaturmessungen
auf einzeln, willkürlich herausgegriffenen Wirkungen der Wärme auf willkürlich
gewählte Körper z.B..... auf den Druckänderungen eines Gases.“ Formulieren
wir diesen Satz mathematisch, so heisst er doch: Wir messen die Temperatur nach der
Gleichung T=\frac{p\,v}{R}. Wie Sie dann noch sagen können, pv =
RT sei eine Erfahrungstatsache, ist mir unerfindlich.
Arbeitswert. Zeuner gebraucht in seiner Thermodynamik I
S. 427 (1900) das Wort Arbeitswert für diejenige Wärmemenge, welche bei einem
vorliegenden Prozess im günstigsten Falle in Arbeit verwandelt werden kann. Das Werk
von Zeuner ist doch immerhin nicht ganz ohne Bedeutung;
es ist auch früher erschienen als das Ihre. In der von Zeuner gebrauchten Bedeutung ist eine Auffassung wie die Redtenbachers unmöglich; in der Ihren dagegen wohl. Sie
müssen es sich also gefallen lassen, wenn ihre Wahl als unvorteilhaft hingestellt
wird.
Im Sinne Zeuners habe ich das Wort Arbeitswert gebraucht
D. p. J. 319, S. 113, 1904.
Diesel-Maschine. Nachdem ich nochmals wiederholt alle
Stellen Ihres Buches durchgesehen, in denen Sie von der Diesel-Maschine sprechen, kann ich noch immer nicht finden, dass ich an
meinen Worten etwas ändern muss. Für mich ist es selbstverständlich, dass in einem
Lehrbuch der Wärmetheorie der Einfluss des Brennstoffpreises, der Anschaffungskosten
usw. (siehe Schreber, Kraftmaschinen, S. 299 ff.) auf
die praktische Bedeutung einer Wärmekraftmaschine nur angedeutet werden kann, und
dass im wesentlichen nur von der Ausnutzung des durch den Brennstoff gegebenen
Heizwertes die Rede ist. Für mich ist also in einer Besprechung eines Grundrisses
der Wärmetheorie der Ausdruck: „dass der Diesel-Motor gleich anfangs ausnahmsweise günstige Ergebnisse gehabt
hat“, identisch mit dem von Ihnen gebrauchten „Die Ausnutzung des
Brennstoffes im Diesel-Motor war gleich anfangs
ausnahmsweise günstig“.
Sie beschreiben S. 250 die Maschine, wie sie Diesel sich
in seiner Broschüre gedacht hat; diese Maschine hat überhaupt nicht zu einer
Ausnutzung des Brennstoffes geführt, sie hat niemals Leerlauf erzielt. Die Maschine,
welche die von Ihnen gerühmte günstige Ausnutzung erzielt hat, und deshalb Hoffnung
auf eine marktfähige Maschine gab, ist erst nach vierjährigen, eifrigen Bemühungen
wohlerfahrener Ingenieure einer leistungsfähigen Fabrik unter Aufgabe der
Fundamentalgedanken Diesels geschaffen worden. Ehe sie
wirklich marktfähig wurde, hat noch eine Weile gedauert. Deshalb erkläre ich Ihre
Ausdrucksweise für zu begeistert.
Sehr geschätzter Herr! Sollten Sie auch jetzt noch darauf bestehen, unseren
Briefwechsel den Lesern von „D. p. J.“ zu unterbreiten, so bin ich gern damit
einverstanden.
Ergebenst Dr. K. Schreber.
––––––––
Stuttgart, den 16. Mai 1905.
Johannesstr. 47 A.
Sehr geehrter Herr!
Aus Ihrem letzten Schreiben entnehme ich Ihr Einverständnis, unseren Briefwechsel in
D. p. J. mit Genehmigung der Redaktion zu veröffentlichen. Ich darf Sie demgemäss
bitten, meine drei Briefe an letztere zu übersenden; ich werde die Ihrigen
überreichen. Sollten Sie auf die folgenden Zeilen innerhalb einiger Tage eine
Antwort geben, so bin ich bereit, dieselbe beizufügen.
Kinetische Gastheorie. Dass der Ingenieur die Grundsätze
der Wärmetheorie so kennen lernen soll, wie sie die Erfahrung bietet, ist vollkommen
richtig und danach ist in meinem Buche verfahren. Dass aber deshalb eine kurze Skizze der
kinetischen Gastheorie überflüssig wäre (bei mir sind es 9 Seiten), ist irrtümlich,
da Anschauungen und Resultate dieser Lehre in Vorträgen und Schriften über
Wärmetheorie häufig herangezogen werden. So findet sich denn auch die kinetische
Gastheorie nicht nur bei Clausius, sondern auch in den
Lehrbüchern über technische Thermodynamik von Grashof
(1875), Gross, Lorenz (1904) und selbst in den nur 128
Seiten umfassenden Grundzügen von Birven (1905)
berücksichtigt. Sodann ist im Gegensatze zu der Begründung des Einwandes in Ihrer
Rezension auf die Resultate der Gastheorie bereits im ersten Teil meines Werkes
hingewiesen und wird noch im zweiten Teil davon Gebrauch zu machen sein. Wenn der
von Ihnen als Eideshelfer angerufene Herr Prof. Mollier
in seinen Vorträgen die kinetische Gastheorie nicht berücksichtigt, so kann ich dies
sehr wohl verstehen. Auch ich vermag wegen der Zunahme des Stoffes seit Jahren im
Vortrag nicht mehr darauf einzugehen, um so erwünschter ist mir, auf das in den
Händen der meisten Zuhörer befindliche Buch verweisen zu können. Auf Ihre Bemerkung,
dass ein Ingenieur auch ohne kinetische Gastheorie in der Praxis brauchbar sei,
erwidere ich, dass dies selbst ohne Wärmetheorie der Fall sein kann. Ihr Hinweis auf
die reinliche Scheidung der auf Erfahrung und auf Hypothesen beruhenden Sätze bei
Clausius ist geeignet, irrtümliche Auffassungen zu
erwecken. Es muss Ihnen doch bekannt sein, dass bei mir ganz besonders auf reinliche
Scheidung gesehen und schon im Vorwort betont ist: „Auch die Gliederung des
Stoffes erweist sich im Interesse der Klarheit und Verfügbarkeit desselben sehr
wichtig, wie es z.B. nicht angemessen erscheint, Ergebnisse, welche bestimmte
Anschauungen voraussetzen (Molekulartheorie, Bewegungsnatur der Wärme,
kinetische Gastheorie) mit den auf der Erfahrung allein beruhenden ohne weiteres
zusammenzuwerfen“ (vergl. auch den Eingang zum VI. Abschnitt-Zustandsgleichung. Ich habe das Boyle-Gay-Lussacsche Gesetz
pv = R(a + t)
in demselben Sinne als Erfahrungssatz eingeführt, wie dies in
den Lehrbüchern der Physik und Wärmetheorie gebräuchlich und jedenfalls auch Ihnen
bekannt ist. Ich verweise beispielsweise auf das ausführliche Handbuch der Physik
von Winkelmann, I. Mechanik 1871, S. 503 und II. Wärme
1896, S. 106. Gay-Lussac hat im Jahre 1802 auf Grund
umfassender Versuche den Satz aufgestellt: „Alle Gasarten, gleichviel welches
ihre Dichtigkeit sei... werden durch gleiche Grade von Wärme um gleichviel
ausgedehnt“. Dieser Satz in Verbindung mit dem auch von Ihnen als
Erfahrungssatz anerkannten Boyleschen Gesetz ergibt
obige Zustandsgleichung (§ 35). Dass Gay-Lussac dabei
das gebräuchliche Temperaturmass benutzte, ändert nichts an der erfahrungsmässigen
Grundlage seines Gesetzes und damit der obigen Zustandsgleichung. Diese tritt bei
mir wie in anderen Lehrbüchern der Wärmetheorie darin hervor, dass die durch
Versuche festgestellten Werte der Konstanten R und
a=\frac{1}{\alpha} angeführt und das Gültigkeitsbereich auf Grund der Erfahrung kontrolliert
wird. Durch dies allgemein übliche und historisch begründete Verfahren wird der
Kritik des Temperaturbegriffes nicht vorgegriffen. Mit anderen Begriffen wird ganz
ähnlich verfahren. Da Gay-Lussac und der von ihm
erwähnte Charles im Jahre 1738 noch nicht lebten, so
ist es offenbar ganz richtig, dass das oben zitierte Gay-Lussacsche Gesetz in diesem Jahre noch nicht entdeckt war.
Arbeitswert. Wenn der erste Hauptsatz der Wärmetheorie
feststellt, dass Arbeit und Wärme aequivalent sind, so
ist es selbstverständlich, dass man vom Arbeitswert WQ
einer Wärmemenge Q wie vom Wärmewert AL einer Arbeit L sprechen
kann. Diese Bezeichnungen sind schon der Kürze halber kaum zu vermeiden. Allerdings
empfiehlt es sich dann, den Namen Arbeitswert einer Wärmemenge nicht noch in
speziellerer Bedeutung zu verwenden, was auch bei mir nicht geschehen ist. Dass
Ingenieure den Arbeitswert WQ mit der disponiblen
Arbeit verwechseln könnten, halte ich auf Grund meiner Erfahrung für ebenso
ausgeschlossen, als dass sie ihn mit der indizierten Arbeit oder Nutzarbeit
verwechseln.
Dieselmotor. Ich habe unsere Differenz über diesen
Punkt in meinem letzten Briefe sehr scharf dargelegt. Sie haben in Ihrer Antwort
nicht bestritten, dass Sie mir in der Rezension einen Ausspruch in den Mund legten
und eine Kritik daran knüpften, der in meinem Buche nicht vorkommt, dass ich im
Gegenteil auf die Faktoren, welche neben der Ausnutzung des Brennstoffes für die
Zweckmässigkeit eines Wärmemotors in Betracht kommen, gerade mit Bezug auf den Diesel-Motor ausdrücklich hingewiesen habe (S. 90, 250,
304). Wenn Sie sich nun trotzdem zu der Behauptung versteigen, der Ausdruck „die Ausnutzung des Brennstoffes im Diesel-Motor war gleich anfangs ausnahmsweise
günstig“ sei identisch mit der Aussage „der Diesel-Motor habe gleich anfangs ausnahmsweise günstige Ergebnisse geliefert“, so muss ich jede weitere
Diskussion über diesen Punkt für aussichtslos halten.
Hochachtungsvoll Weyrauch.
––––––––
Sehr geschätzter Herr Professor!
Ihrem Wunsche entsprechend werden gleichzeitig mit diesem Briefe Ihre drei Schreiben
vom 24. 4., 7. 5., 16. 5. an Herrn Prof. Rudeloff
abgehen. Dass Sie mir zugeben, dass Sie die kinetische Gashypothese in Ihren Vorträgen nicht bringen, genügt mir zum Beweiss,
dass auch Sie die für entbehrlich, d.h. überflüssig halten. Gerade weil Sie in Ihrem
Buche im allgemeinen sehr auf die reinliche Scheidung zwischen Tatsache und
Hypothese gehalten haben, ist eine solche Hypothese sehr gefährlich, denn es wird
ein nicht sehr aufmerksamer, nichtkritischer Leser dadurch leicht verführt,
Folgerungen aus der Hypothese mit Folgerungen aus Tatsachen zu verwechseln. Deshalb
habe ich die Hypothese für Ihr Buch für überflüssig erklärt. In einem Buch wie z.B.
Weinsteins weiss jeder Leser von vornherein, dass
die Hypothese überall zugrunde gelegt ist, da kommt er also nicht zu falschen
Vorstellungen.
In bezug auf die Zustandsgleichung haben Sie meine
Fragestellung umgangen: Gay-Lussac und Dalton haben gleichzeitig: festgestellt, dass pv = f(t) wo f(t) eine für
alle Gase gleiche Funktion der Temperatur ist; welcher Art diese Funktion ist;
konnten sie nicht feststellen, weil noch kein Mass der Temperatur scharf definiert
war. Ich frage nochmals ausdrücklich: wie war das von Gay-Lussac benutzte „gebräuchliche Temperaturmass“ definiert?Ich antworte, dass es das Temperaturmass nach
Reaumur war. (Weyrauch).
Das von Zeuner benutzte Wort Arbeitswert gibt die Arbeit, welche in einem bestimmten, von einer
Maschine ausführbaren Prozess im günstigsten Falle gewonnen werden kann.
Der Zeunersche Arbeitswert sagt also, wieviel eine
Wärmemenge für einen Wärmekraftmaschinenbauer wert ist. Wir haben hier einen sehr
scharf definierten Begriff, welcher nie zu Verwechselungen Anlass geben kann. Der
von Ihnen eingeführte Begriff kann zu Verwechselungen in der Art Redtenbachers führen, er ist deshalb zu gunsten des
älteren Zeunerschen zu vermeiden.
Da es mir trotz vielfacher Bemühungen nicht möglich geworden ist, unter dem „Diesel-Motor“ des Satzes: „Die Ausnutzung
des Brennstoffes im Diesel-Motor war gleich anfangs
ausnahmsweise günstig“ eine andere Maschine gemeint zu sehen, als die
unmittelbar vorher auf Grund der Dieselschen Broschüre
beschriebene,Sie ist auf Grund
der zitierten Aufsätze von Diesel und Schröter in der Zeitschrift des „Vereins
Deutscher Ingenieure von 1897 beschrieben. (Weyrauch). die überhaupt niemals in Gang gekommen ist,
so ist allerdings eine weitere Diskussion hierüber unnötig.
Mit dem Ausdruck des Bedauerns, dass es mir nicht gelungen ist, Sie von der
Berechtigung der kleinen Ausstellungen an Ihrem sonst so wertvollen Buch zu
überzeugen, zeichne
Hochachtungsvoll und ergebenst
Dr. K. Schreber, Professor,
z. Zt. Dresden-A. 3, Struvestr. 27.
20. Mai 1905.