Titel: | Kleinere Mitteilungen. |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, Miszellen, S. 93 |
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Kleinere Mitteilungen.
Kleinere Mitteilungen.
Drehscheibe mit Stoßrand.
Wie bekannt, haftet den polygonalen Lokomotivschuppen ein schwerwiegender Nachteil
an, nämlich der Umstand, daß die verschiedenen Lokomotivstände nur mittels einer
Drehscheibe erreichbar sind. Muß diese durch irgend einen Unfall außer Betrieb
gestellt werden, so ist auch der Lokomotivschuppen jeder Gleisverbindung beraubt.
Daß ein derartiges Vorkommnis zu höchst unliebsamen Betriebsstörungen Anlaß geben
kann, braucht kaum erwähnt zu werden.
Textabbildung Bd. 322, S. 92
Fig. 1.
Oft recht langwierige Außerdienststellung einer Drehscheibe wird dadurch verursacht,
daß eine Lokomotive in die Drehscheibengrube stürzt. Durch besonderen Bau der
nachstehend beschriebenen Scheibe ist der Versuch gemacht, solchen Unfällen
vorzubeugen. Dieselbe ist in Gebrauch auf der kürzlich errichteten
holländisch-belgischen Grenzstation Baarle-Nassau, deren Anlagen vom bauleitenden
Ingenieur G. W. van Heukelom in „De Ingenieur“,
1906, No. 35, besprochen wurden.
Die Bewegung der Lokomotiven geschieht in der Nähe der Drehscheibe nur mit sehr
beschränkter Geschwindigkeit; im allgemeinen wird gewartet, bis die Scheibe in den
gewünschten Stand gebracht worden ist, obwohl es leider auch vorkommt, daß der
Lokomotivführer seine Maschine langsam vorwärts bewegt, während der Heizer noch
damit beschäftigt ist die Drehscheibe umzulegen. Ist der Heizer nicht schnell
genug fertig, erreicht die Lokomotive zu bald den Grubenrand, oder hat der Führer
sich infolge glatter Gleise verrechnet in dem Abstand, über welchen er meinte halten
zu können, so ist das Unglück geschehen.
Die abgebildete Drehscheibe ist deswegen mit einem kreisförmig gezogenen eisernen
Stoßrande ausgerüstet, welcher durch die Enden der Hauptträger und zweier Querträger
unterstützt wird. Der Stossrand wird in wagerechtem Sinne durch ein eisernes
Gitterwerk gestützt, dessen Hauptbalken in ungefähr radialer Richtung verlaufen.
Dieser mit Eichenholz verkleidete Stoßrand reicht bis etwa 35 cm über die
Gleisoberkante und ist nur bei den Mündungen des Drehscheibengleises, unterbrochen.
Ist die Drehscheibe also auf ein bestimmtes Zufuhrgleis eingestellt, so sind alle
anderen nach der Scheibe führenden Gleise durch den Stoßrand gesperrt.
Sowohl der Drehzapfen wie der Zapfenkragen sind in außergewöhnlicher Weise
zusammengesetzt und verstärkt, um etwaige auf den Rand ausgeübte Stöße ohne Schaden
aufnehmen zu können.
An den Enden der Haupt- und Querträger sind Laufräder und außerdem an vier Stellen
unter dem Stoßrande Stützen mit Stoßkissen angebracht, welche nur wenig Raum über
dem Laufgleise der
Grube freilassen, um grosse Verbiegungen des Randes nach unten infolge etwaiger
starker Stöße zu verhindern.
Durch den allgemeinen Bau der Drehscheibe ist das Eigengewicht verhältnismäßig hoch
geworden, und zwar 67000 kg. Das ganze ist mittels eines Stahldeckels an zwei
Hängebolzen aus weichem Stahl aufgehängt.
Die Drehscheibe ist für die größte Lokomotivgattung der holländischen
Staatsbahnen berechnet, deren Gesamtgewicht etwa 110000 kg beträgt. Bei der Probe
konnte die mit einer solchen Maschine belastete Scheibe ohne Anstand von einem Manne
bewegt werden.