Titel: | Bücherschau. |
Fundstelle: | Band 323, Jahrgang 1908, S. 352 |
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Bücherschau.
Bücherschau.
Die Entwicklung der
Dampfmaschine. Eine Geschichte der ortsfesten Dampfmaschine und der
Lokomobile, der Schiffsmaschine und Lokomotive. Im Auftrage des Vereins deutscher
Ingenieure bearbeitet von Conrad Matschoss. Berlin
1908. Julius Springer.
Ein seit langen Jahren von dem größten technischen Vereine der Welt gehegter Wunsch
ist mit der Fertigstellung des vorliegenden Werkes in Erfüllung gegangen. Fünf Jahre
widmete sich in seinem Auftrage Conrad Matschoss der
dankbaren, aber so ungemein schwierigen Aufgabe, die Geschichte unserer wichtigsten
Kraftmaschine zu schreiben, unermüdlicher Arbeit, emsiger Sammlung und
sorgfältigster Sichtung des in ungeheuerer Fülle vorhandenen und doch manchmal so
schwer zu beschaffenden Materials bedurfte es; zwar öffneten sich dem Beauftragten
des angesehenen Vereins viele sonst verschlossene Quellen, die Archive der Behörden,
die Zeichnungssammlungen und Akten der bedeutendsten Fabriken standen ihm offen,
persönliche Erinnerungen der noch lebenden Pioniere auf dem Gebiete des
Dampfmaschinenbaues wurden in stundenlangen Unterhaltungen aufgefrischt, von denen
der Verfasser selbst sagt, daß sie immer zu seinen schönsten Erinnerungen gehören
werden. Aber das Wichtigste blieb ihm doch selbst zu tun: Es galt Ordnung zu
schaffen in der Fülle der übermächtig heranströmenden Eindrücke, es galt ein
einheitliches Bild zu schaffen von der wunderbaren Entwicklung der Dampfmaschine
selbst und den Umwälzungen, die sie im Leben der Menschheit hervorgebracht hat. Und
wenn wir heute das Werk übersehen, das entstanden ist, so müssen wir sagen: wir
können dem Verfasser dankbar sein für die Art und Weise, in der er seine Arbeit
aufgefaßt und durchgeführt hat; als Menschen können wir uns freuen, daß damit ein
Werk entstanden ist, welches in bisher unerreichter Weise die kulturgeschichtliche
Bedeutung dieser wichtigsten technischen Tat ins rechte Licht zu setzen versteht,
welches bei aller Gerechtigkeit in der Verteilung von Licht und Schatten doch den
ungeheuren Fortschritt unverkümmert hervortreten läßt, den der Mensch durch die
Technik errungen hat; als Ingenieure aber wollen wir uns freuen, daß es der Unseren
einer war, der dieses Buch geschrieben hat und der dadurch schlagend die Behauptung
widerlegt hat, zur Förderung der Allgemeininteressen, zur Verfolgung idealer
Forderungen, zur Befruchtung und Vertiefung der allgemeinen Bildung besitze der
Ingenieur kraft seiner ganzen Entwicklung nicht die Fähigkeiten, wie sie Angehörigen
der anderen sogen, höheren Berufe eo ipso zu eigen sind. Im Gegenteil, welcher
Kulturhistoriker oder Nationalökonom ist denn imstande, so wie das Matschoss gelungen ist, die Einrichtungen technischer
Neuerungen auf das Wirtschaftsleben aus ihrer Natur heraus zu erklären? Dazu gehört
eben neben der Allgemeinbildung unbedingt auch gerade eine vollständige
Durchdringung der technischen Aufgabe. Aber auch für die Ingenieurarbeit im
besonderen wird dieses Werk unverkennbaren Nutzen bringen können: an dieser
Darstellung der Entwicklung eines konstruktiven Gedankens aus dem anderen wird sich
das konstruktive Gefühl auch auf anderen Gebieten bilden, aus den Fehlern der
Vergangenheit vermag die Gegenwart zu lernen. Andererseits ist es auch ungemein
reizvoll und von großem Werte zu sehen, warum gewisse Konstruktionen, die uns heute
geradezu unbegreiflich scheinen, bei der damaligen Werkstattstechnik so und
nicht anders ausgeführt werden konnten; wir finden auch durch Betrachtung
dieser geschichtlichen Entwicklung den ja heute immer wieder betonten und doch in
der Praxis noch immer nicht überall befolgten Grundsatz bestätigt, daß nur durch die
lebendige Wechselwirkung zwischen Werkstatt und Konstruktionsbureau wirklich
wirtschaftliche Werte geschaffen werden. Alle jene großen Männer, durch deren Wirken
die Dampfmaschine entstand und langsam ihrer heutigen Vollkommenheit entgegengeführt
wurde, waren sich ja über diesen Zusammenhang bewußt oder unbewußt klar und
leisteten das Große, was sie geschafft haben, in weiser Beschränkung auf die ihnen
eigentümlichen Fähigkeiten. Ich erinnere nur an das Beispiel des genialen Erfinders
und Konstrukteurs, des eigentlichen Vaters der Dampfmaschine, James Watt, seines unermüdlichen Kompagnons, des
hervorragenden Organisators und Geschäftsmannes, Matthew
Boulton, und ihres mit zäher Ausdauer und ungewöhnlichem praktischen Blick
begabten Betriebsingenieurs William Murdock, von deren
Zusammenwirken wir ein solch anschauliches Bild erhalten. So glaube ich kaum, daß es
irgend einen Ingenieur gibt, auf welchem Felde unseres vielseitigen Berufes er sich
auch im besonderen betätigen mag, der das Buch von Matschoss ohne wahren Genuß aus der Hand legen wird.
Mit Absicht versage ich es mir auf Einzelheiten des Werkes hier näher einzugehen. In
seinen zwei starken Bänden von zusammen über 1500 Seiten, mit über 1800 Textfiguren
und 48 Bildnissen der Männer, die durch ihre Arbeit die Dampfmaschine auf die
heutige hohe Stufe der Entwicklung gebracht haben, umschließt es einen zu reichen
Inhalt, als daß die mir an dieser Stelle mögliche knappe Aufzählung einen Begriff
davon geben könnte. Außerdem möchte ich auch, so wertvoll das Tatsächliche in dem
Buche ist, meinerseits die größere Bedeutung der Art und Weise beilegen, wie diese
Tatsachen berichtet sind. Es ist der Geist, der das Werk durchweht, welcher es für
mich so überaus anziehend macht: überall singt und klingt darin das hohe Lied von
der Technik, man fühlt den freudigen Stolz des Ingenieurs auf die Großtaten der
Vergangenheit, auf die hohe Vollendung der Gegenwart, den Stolz einem Stande
anzugehören, ohne dessen zähe unermüdliche Arbeit unsere heutige, so viel geschmähte
und doch über die Vergangenheit so turmhoch emporgewachsene Kultur undenkbar wäre.
Und darum meine ich, sollte man insbesondere auch den jungen Berufsgenossen, die
erst eben in den Stand eingetreten sind oder sich zu diesem Eintritt vorbereiten,
das Werk von Matschoss in die Hände geben; zur Pflege
eines berechtigten Standesbewußtseins ohne die Gefahr, gleichzeitig Ueberhebung und
Eitelkeit auf noch nicht vorhandene eigene Leistungen zu züchten, dürfte ein
derartiges Vorgehen in hervorragender Weise beitragen.
Der Verein deutscher Ingenieure hat durch seine tatkräftige Unterstützung, durch die
er dem Verfasser seine Arbeit erst ermöglichte, zu seinen vielen Verdiensten um die
Technik ein neues und sicherlich ein hochbedeutendes hinzugefügt. Indem er dafür
sorgte, daß der Verlag von der mit ihm ja in engster Geschäftsverbindung stehenden
Firma Julius Springer übernommen wurde, war von
vornherein die Sicherheit gegeben, daß auch die Ausstattung nichts würde zu wünschen
übrig lassen. Es genügt diesen Namen zu nennen, um zu wissen, daß dieses
„standard work“ auch im Aeußeren würdig der Oeffentlichkeit übergeben
ist.
Friedrich Meyenberg.