| Titel: | Ueber die Braun'schen Schuhe und Stiefel. Von einem Leser dieser Zeitschrift. Aus einem Schreiben an die Redaktion derselben. | 
| Fundstelle: | Band 6, Jahrgang 1821, Nr. XI., S. 77 | 
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                        XI.
                        Ueber die Braun'schen Schuhe und Stiefel. Von einem Leser dieser ZeitschriftWir glauben dieses Schreiben unseren Lesern mittheilen zu muͤssen, um so
                                 mehr als wir die Vorzuͤge dieser Art von Fußbekleidung mit eigenen Augen
                                 gesehen haben.. Aus einem Schreiben an die Redaktion derselben.
                        Ueber die Braun'schen Schuhe und Stiefel.
                        
                     
                        
                           Erlauben Sie mir, da die nasse Jahreszeit vor der
                              Thuͤre ist, und jeder ehrliche Mann wuͤnschen muß, seinen Fuß trokener
                              zu haben, als es bei dem gegenwaͤrtigen Zustande unserer Lederbereitung und
                              Schuhmacherey nicht leicht moͤglich ist. Sie und Ihr Publikum auf eine Art
                              von Besohlung der Schuhe und Stiefel aufmerksam zu machen, welche ich durch 14 Jahre
                              als die moͤglich beste und wohlfeilstegefunden habe. Da die Erfindung
                              derselben nicht mir angehoͤrt, so werden weder Sie noch Ihre Leser an dem
                              Lobe, welches ich dieser
                              Vorrichtung an unserer gewoͤhnlichen Fußbekleidung geben muß, Verdacht irgend
                              einer Eitelkeit schoͤpfen; wenn Sie aber in dieser Mitheilung, wo Sie
                              dieselbe oͤffentlich bekannt machen sollten, mich irgend eines
                              Dankgefuͤhles fuͤr den philanthrophischen Erfinder beinzichten wollen,
                              so haben Sie hierin mir jene Ehre erwiesen, welche ich bisher noch immer verdient zu
                              haben glaube, indem ich nie dem Verdienste die Huldigung des Dankes, den ich nach
                              meinen geringen Kraͤften zu zollen vermochte, schuldig geblieben bin.
                           Der Erfinder dieser, wenn Sie wollen, nun schon alten aber doch noch immer neuen,
                              Besohlung unserer Schuhe und Stiefel ist Hr. Max Braun,
                              M. D., ein Baier aus Achdorf bei Landshut, gegenwaͤrtig aber als Stabsarzt in oͤsterreichischen Diensten zu Komorn.
                              Die vielen Krankheiten, welche durch schlechte Fußbekleidung bei den armen Soldaten,
                              zumal im Herbste, entstehen; die garstigen Diarrhoͤen und Dysenterien, die,
                              dann vorzuͤglich haͤufig erscheinen, wo der Soldat oft wochenlang
                              keinen trokenen Fuß mehr bekommt auf seinen Bivouaquen, bestimmten den
                              ehrwuͤrdigen alten Stabsarzt Braun, als er noch Bataillons-Arzt war,
                              uͤber die Weise nachzusinnen, wie man den Fuß des Kriegers gegen die
                              verderblichen Einfluͤsse der Witterung und die noch weit verderblicheren der
                              Lederlieferanten, die schlechtes Leder liefern, und der sogenannten
                              Militaͤroͤkonomie Schuster, die aus schlechtem Leder noch schlechtere
                              Schuhe verfertigen, schuͤzen koͤnnte. Wenn Camper, einer der gelehrtesten Aerzte des vorigen Jahrhundertes
                              „uͤber den besten Schuh“ geschrieben hat, so glaube
                              ich, aus 14 jaͤhriger Erfahrung, daß Braun den
                              besten Schuh gemacht hat, oder wenigstens die beste Sohle.
                           Ich will versuchen Braun's Sohlen, denn darum handelt es
                              sich eigentlich, Ihnen so kurz und gut als moͤglich zu beschreiben. Lassen Sie auf
                              ein neues, oder, wenn Sie wollen auf ein altes, nur an der Sohle noch ganzes Paar
                              Schuhe oder Stiefeln von Ihrem Schuster Querleisten, so wie sie die Fig. 48. von der Seite,
                              Fig. 49.
                              von unten gesehen darstellt, auf eben dieselbe Weise von ihrem Schuster verfertigen,
                              und annaͤhen, und mit hoͤlzernen Naͤgeln, oder wenn Sie wollen,
                              auch mit eisernen Stiften auf der unteren Seite der Sohle befestigen, wie die
                              Absaͤze gewoͤhnlich auf der Sohle aufgeheftet werden, so daß diese
                              Leisten der Sohle beinahe gleiche Hoͤhe mit dem Absaze uͤber dem Boden
                              haben, und man folglich wie auf einem Schuhe ohne Absaz, oder hoͤchstens Mit
                              einem sehr niedrigen Absaze auftritt, und Sie haben den Braun'schen Schuh, dessen
                              Vortheile Sie alsogleich einsehen werden.
                           Ehe ich Ihnen dieselben darstelle, erlauben Sie mir die Nachtheile unserer
                              gewoͤhnlichen Besohlung zu zeigen. Sie beruhen nicht bloß auf der leider so
                              oft schlechten Qualitaͤt des Sohlenleders, auf der schlechten Befestigung
                              demselben an dem Ueberleder, sondern auf der, nach der bisheriges Art die Schuhe zu
                              verfertigen, unvermeidlichen Nothwendigkeit auf der Naht
                                 gehen zu muͤssen, wodurch der Draht, aller Vorrichtungen ungeachtet,
                              die man bisher durch sogenannte Rahm- und Uebernaht sich gegeben hat, und
                              such durch die Nagelsohlen selbst, nothwendig fruͤher, als das Leder, Falls
                              dieses gut ist, abgenuͤzt werden und reißen muß.
                           Dieses radicale Boͤse aller guten und schlechten Schuhe ist durch die
                              Braun'sche Vorrichtung vollkommen beseitigt. Man geht hier nicht auf der Naht, die
                              die Sohle an den Ueberleder befestigt, sondern die Naht wird hier durch die Leisten
                              gegen jede Reibung auf dem Boden eben so geschuͤzt, als die Sohle selbst. Man
                              geht, wie Sie einsehen werden jedes mal nur die Leisten weg, wie man die
                              Absaͤze weglaͤuft man kann aber nie die Sohle durchgehen, so lang die
                              Leisten haften. Ich habe
                              noch jezt eben dieselben Sohlen, die ich vor 10 Jahren hatte, in ihrer vollkommenen
                              Integritaͤt an meinen Stiefeln, indem ich meinem Schuhmacher unter der
                              ausdruͤklichen Bedingung, die alte Sohle an meine neuen Stiefeln zu nehmen,
                              eben so viel bezahlte, als ob er mir ganz neue Sohlen genommen haͤtte. Dieß
                              geschah nur des Versuches wegen. Ich wuͤrde diese Sohle noch 10 Jahre
                              brauchen koͤnnen, wenn ich selbst Schuhmacher waͤre; allein die
                              Erfindung des Dr. Braun ist nichts weniger als vortheilhaft fuͤr Schuhmacher,
                              Lederarbeiter, und zumal fuͤr Lederlieferanten, und da alle diese Leute sich
                              eben so gut auf ihr Interesse verstehen, als Sultan und Papst, so ist es nicht zu
                              erwarten, daß diese reformirten Schuhe jemals bei ihnen mehr Beifall finden werden,
                              als die Reformation zu Rom oder die Secte des Ali zu Stambul gefunden hat. Eine
                              mittelmaͤssig gute Sohle ist bei starkem Gebrauche laͤngstens in 2
                              Monathen durch: ihre Erneuerung kommt auf einige 40 kr. An den Braun'schen Sohlen
                              laͤuft man in eben dieser Zeit hoͤchstens die Leiste b weg, und das Wiederaufsezen derselben kostet nicht
                              mehr als das Ausbessern des Absazes, das sogenannte Flekeln, 12 kr.
                           Doch dieß Ersparniß ist nicht der einzige Vortheil. Der große Vortheil besteht darin,
                              daß man auf Maͤrschen so zu sagen augenbliklich seinen Schuh ausgebessert
                              hat, wenn b weggelaufen ist, waͤhrend man, wo
                              einmal die Sohlen durch sind, Stunden lang warten muß, bis die Schuhe oder Stiefel
                              gedoppelt sind, und frisch gedoppelte Schuhe oder Stiefel bekanntlich wieder sehr
                              schnell dahin sind. Ich darf eines Versuches im Großen mit den Braun'schen Stiefeln
                              erwaͤhnen. Ich gieng vor 10 Jahren auf Braun'schen Stiefeln bis an den Fuß
                              der Pyrenaͤen, und machte in 8 Wochen an 400 deutsche Meilen zu Fuße. Meine
                              Stiefel Reparatur betrug auf der ganzen Reise ungefaͤhr 1 fl. 40 kr.,
                              waͤhrend die meiner Gefaͤhrten an 12–14 fl. betrug; meine Reparatur war in
                              hoͤchstens 2 Stunden abgethan, bei meinen Gefaͤhrten galt sie halbe
                              Tage; ja, was noch mehr ist, ich haͤtte im Nothfalle selbst mein Schuster
                              seyn, und die Leisten selbst aufnageln koͤnnen. Dieß ist eben der große
                              Vortheil dieser Vorrichtung fuͤr das Militaͤr, daß jeder Soldat hier
                              sein eigener Schuster werden, und seine Sohle durch Aufnagelung von 3 Leisten aus
                              starkem Leder fuͤr eine ganze Campagne erhalten kann. Ich hoffe, daß Sie
                              diese Vorrichtung einfach genug finden werden, um daran, wenn ich so sagen darf, den
                              ersten Schuh wieder zu erkennen, wie man ihn an den halbwilden slavischen
                              Voͤlkern Asiens und an einigen amerikanischen Voͤlkerstaͤmmen
                              noch jezt sieht: ein Stuͤk Sohlenleder mit einigen Riemenstreifen an den Fuß
                              gebunden. So fuͤhrt zuweilen die hoͤchste Verfeinerung einer Sache auf
                              den urspruͤnglichen Zustand derselben zuruͤk.
                           Nicht unbedeutende Nebenvortheile an der Braun'schen Sohle sind es, daß der Fuß,
                              dadurch um einige Linien erhoͤht, vor der Naͤsse um so sicherer
                              geschuͤzt ist, als diese, wie sehr natuͤrlich, zuerst bei der
                              abgegangenen Naht eindringt; daß er um so viel waͤrmer steht, als Sohlenleder
                              ein schlechter Waͤrmeleiter ist, und er, durch diese Leisten, von dem Schnee
                              und Eise, auf welches er tritt, gleichsam isolirt ist: denn nur von c bis zu dem Absaͤze e ist die gewoͤhnliche Sohle, welche, fuͤr angestrengte
                              Maͤrsche, allenfalls durch einen Laͤngenstreifen von Sohlenleder d verstaͤrkt werden kann, welcher jedoch nie die
                              Hoͤhe von c oder e
                              erreichen, d.h. nie den Boden beruͤhren darf; daß endlich auf schiefen
                              Flaͤchen, sowohl auf- als abwaͤrts, der Tritt desto fester ist,
                              je mehr die 3–4 Linien breiten Zwischenraum zwischen a, b, c Reibung darbiethen durch die Kanten der Leisten abc.
                           
                           Man wird sagen, daß in diese Zwischenraͤume sich Steine etc. einlegen, und
                              dadurch das Gehen muͤhevoll machen koͤnnen. Daß dieser Einwurf mehr
                              theoretisch als praktisch ist, hat Gott der Herr an jedem Ochsenhufe bewiesen, den
                              er gespalten hat, ohne daß darob die Ochsen aufhoͤren mußten zu gehen: sie
                              gehen sogar sicherer als die schnellfuͤßigeren Pferde. Man wird ferner sagen:
                              daß Schuhe und Stiefel dadurch noch schwerer werden, als sie ohnedieß
                              gewoͤhnlich sind, wenn sie auf die Dauer, wie die
                              Schuster sagen, gemacht seyn sollen. Meine Stiefel wiegen mit dieser Vorrichtung um
                              3–4 Lothe schwerer, als gewoͤhnliche, und da man in Stiefeln keine
                              Ballets tanzt, so scheinen 3–4 Lothe mehr oder minder eben nicht von
                              Bedeutung. Der einzige gegruͤndete Einwurf, den man gegen diese
                              Sohlen-Bepanzerung machen kann, ist der, daß man damit in Zimmern etwas
                              lauter auftritt, als mit Pariser-Schuhen: da aber nicht jeder Ehrenmann
                              Ursache hat leise aufzutreten, wo er seinen geraden Gang geht, so mag dieser Tadel
                              diejenigen treffen, die zur Unzeit staͤrker auftreten, als sie es
                              sollten.
                           Sie, der Sie alles nach dem, in meiner Ansicht richtigsten, Maßstabe dem der
                              Erfahrung, pruͤfen, werden vielleicht fragen; wie kommt es, daß diese
                              Braun'schen Sohlen seit 14 Jahren noch so wenig gekannt sind? Warum sie noch bei
                              keinem Kriegs-Heere eingefuͤhrt sind? das werden Sie nicht fragen;
                              denn hieruͤber ist die Antwort zu klar vor Augen: nur ist dieß noch nicht
                              ganz klar, ob der Handel mit Ochsen- oder mit Menschenhaͤuten mehr
                              Gewinn abwirft. Sie werden, die Einfluͤsse der Lederhaͤndler mit
                              beiden obbenannten Sorten von Leder so gut wie ich kennend, hoffentlich auch mit mir
                              glauben, daß gar nicht daran zu denken ist, daß jemals einem
                              Militaͤr-Oekonomie-Inspektor es einfallen koͤnnte,
                              solche Ersparnisse bei Armeen einzufuͤhren. Indessen kann ich Sie versichern, daß ich
                              einstweilen einige Hundert Officiere in verschiedenen Armeen kenne, die solche
                              Stiefel tragen; daß alle, die sie tragen, so gut wie ich, damit zufrieden sind, und
                              daß ich hoffe, daß es mit diesen Stiefeln und Schuhen, so wie mit allem Guten, langsam vorwaͤrts gehen wird. Haben doch die
                              Erdaͤpfel uͤber 300 Jahre gebraucht, bis man sie in Europa essen
                              lernte; und noch jezt giebt es Leute in Europa, die sie als schlechte Kost
                              verachten. Lassen Sie uns bei den Fuͤßen anfangen, und wenn's auch noch so
                              langsam damit vorwaͤrts gienge, so kommt's am Ende doch noch bis zum Kopfe
                              hinan.