Titel: | Ueber Kreis-Eintheilung nach Graden, Minuten und Sekunden. Von Ritter v. Reichenbach. |
Fundstelle: | Band 6, Jahrgang 1821, Nr. XIX., S. 130 |
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XIX.
Ueber Kreis-Eintheilung nach Graden, Minuten und SekundenAus Gilbert's
Annalen der Physik Bd. 68. mit Hinweglassung des
Geschichtlichen und Eigenthuͤmlichen dieser Erfindung.. Von Ritter v. Reichenbach.
Mit einer Abbildung auf Tab. II.
v. Reichenbach's Kreis-Eintheilungs-Methode.
Die Aufgabe der Kreiseintheilung nach Graden, Minuten und
Secunden besteht darin, einen Kreis in die entsprechende Anzahl vollkommen gleicher
Theile, als Muttereintheilung zu theilen, und eine Vorrichtung dabei anzubringen,
mittelst welcher sich diese ein fuͤr allemal gemachte Eintheilung auf die zu
verfertigenden Instrumente eben so vollkommen uͤbertragen lasse. So leicht es
auch ist, diese Aufgabe der Theorie nach aufzuloͤsen, so viele
Schwierigkeiten sind doch bei der wirklichen Ausfuͤhrung der Sache zu
bekaͤmpfen, weil man es hier nicht mit gedachten, sondern mit wirklich
sichtbaren Kreisen, Linien, und Punkten, die alle eine Breite haben, mit Metallen,
die nicht durchaus homogen sind, mit schneidenden und zeichnenden Instrumenten, mit
der Dilatation und Flexibilitaͤt der Koͤrper, und anderem mehr zu thun
hat.
Es ist hier vor allem noͤthig, auf meine fruͤher gemachten Erfahrungen,
und auf die Schluͤsse aufmerksam zu manchen, welche ich aus ihnen noch vor
der Erfindung meiner Theilmethode gezogen habe. Ich bin naͤmlich durch die
allerschaͤrfsten, mit jeder denkbaren Vorsicht angestellten und oft wiederholten Versuche
belehrt worden, daß ich mit den besten Stangenzirkeln, troz meiner scharfen und
dabei mit guten Loupen bewaffneten Augen, und ohnerachtet meiner steten Hand, die
Zirkel-Eintheilung im gelungensten Falle nicht weiter zu treiben im Stande
war, als die Gleichheit der Theile einer auf Metall wirklich vollzogenen Einteilung
hoͤchstens nur bis auf 1/3000 eines Zolles verbuͤrgen zu
koͤnnen. Ein Kreis aber, auf welchem eine Sehne von 1/3000 eines Zolles eine
Raumsecunde betraͤgt, hat 11 Fuß 5 1/2 Zoll im Durchmesser; so groß
muͤßte also eine Theilmaschine seyn, auf der sich (abgesehen von allen
uͤbrigen dabei vorkommenden Hindernissen) mit der schaͤrfsten
Stangenzirkel-Eintheilung in allen Punkten eine Genauigkeit von einer
einzelnen Secunde der Mutter, Eintheilung soll erreichen lassen. Da aber die
Veraͤnderung durch die Flexibilitaͤt und Dilatation und
uͤberhaupt durch das Materielle, bei einer so großen Maschine der Genauigkeit
in der Ausfuͤhrung sowohl bei der Bearbeitung im Allgemeinen als bei der
Austragung der Mutter-Eintheilung, und noch mehr bei der Uebertragung
derselben auf die zu fertigenden Instrumente, in einem groͤßeren Maaße
entgegenwirkt, als man sich, durch die Entfernung vom Mittelpunkte und der dadurch
bewirkten Verkleinerung des nicht zu vermeidenden Theilungs-Fehlers,
derselben naͤhern kann, so wuͤrde, (auch wenn man sich, was wohl
niemand thun wird, entschließen wollte, eine so große, kostbare und fuͤr den
Gebrauch unbequeme Maschine auszufuͤhren), doch nur eine
Zirkel-Eintheilung erhalten werden, welche wohl zufaͤllig in einigen,
aber nicht in allen Punkten bis auf die einzelne Secunde zuverlaͤssig
waͤre.
Es findet fuͤr jede Groͤße der Graͤnze nicht zu vermeidender
Theilungs-Fehler bei irgend einer Theilmethode, auch ein Maximum fuͤr
die Groͤße der Theilmaschine statt, durch welche mit derselben Theilmethode
die moͤglichste Genauigkeit in den Eintheilungen zu erreichen ist. Denn die physischen
Hindernisse gegen die Genauigkeit der Eintheilungen wachsen mit der
Vergroͤßerung der Theilmaschine in steigendem Verhaͤltnisse,
waͤhrend die Genauigkeit der Eintheilungen durch die Verminderung des
Einflusses eines und desselben Theilungs-Fehlers, mit der Entfernung vom
Centrum, das ist mit der Groͤße der Theilmaschine, nur im einfachen
Verhaͤltnisse zunimmt. Es muß demnach bei jedem, nach irgend einer
Theilmethode nicht zu vermeidenden Theilungs-Fehler eine Grenze fuͤr
die Groͤße der Theilmaschine statt finden, bei deren Ueberschreitung die
Nachtheile groͤßer als die Vortheile werden. Aus gleichen Gruͤnden
wird auch, durch die Vergroͤßerung der Instrumente uͤber diese
Graͤnze der dabei angewandten Theilmethode, an Genauigkeit mehr verloren als
gewonnen.
Wo aber in jedem speciellen Falle diese Graͤnze liege, solches haͤngt
vorzuͤglich ab von der Bauart der Theilmaschine oder der Instrumente, kann
also nicht allgemein bestimmt werden, und muß dem Augenmaaße des Kuͤnstlers
uͤberlassen bleiben.
Durch solche von Jugend auf von mir angestellte und nach und nach berichtigte
Betrachtungen, wurde es mir endlich klar, daß weder der menschliche Fleiß, noch die
Vergroͤßerung der Werkzeuge, sondern nur eine verschaͤrfte
Theil-Methode, verbunden mit einer zwekmaͤßigen Bauart der
Instrumente, die Instrumental-Astronomie ihrer Vollkommenheit naͤher
zu bringen vermoͤgen. Man denke sich zwei KreiseDen Quadranten war ich von jeher feind. v. R. von vollkommen aͤhnlicher Bauart, den einen von zehn, den andern von
zwei Fuß Durchmesser; der zweifuͤßige sey nach einer fuͤnfmal
schaͤrferen Theilmethode als der zehnfuͤßige eingetheilt, habe
fuͤnfmal feinere Linien, sey in allen Theilen, welche auf die Genauigkeit Bezug haben,
fuͤnfmal feiner gearbeitet, und uͤberdem mit fuͤnfmal
schaͤrferen Ablese-Mikroskopen versehen. Der Vorzug eines solchen
zweifuͤßigen gegen den zehnfuͤßigen Kreis, unter Voraussezung gleich
vergroͤßernder Fernroͤhre, stellte sich mir immer lebhaft dar, so oft
ich diese Ueberlegung anstellte; denn es ist jener kleinere Kreis erstens den
Veraͤnderungen durch die Dilation und Flexibilitaͤt ungleich weniger
als der große unterworfen, und zweitens ist er nicht so kostspielig, und eben
deswegen zu einem ausgebreiteteren Gebrauche fuͤr die Befoͤrderung der
Wissenschaft mehr geeignet. Allein so etwas ausgefuͤhrt zu sehen war damals
nur Wunsch, welcher mich indeß zum Nachdenken uͤber eine vollkommene
Theilmethode und uͤber verbesserte Bauarten der Theilmaschine und der
Instrumente anfeuerte.
Nach langem Nachdenken (denn bei dergleichen Gegenstaͤnden pflegt uns das
Einfachste gewoͤhnlich am spaͤtesten einzufallen) abstrahirte ich
endlich den Grundsaz, daß eine vollkommene Eintheilung nur dann erreicht werden
koͤnne, wenn man sie ohne alle vorgaͤngige, den Theilstrichen zwischen
den gegebenen Graͤnzen aufgezeichnete, sichtbare Marke vollfuͤhre, sie
also gleichsam in der Luft mache ehe die Theilungslinien gezogen werden: und in der
Aufstellung dieses Graͤndsazes liegt eigentlich schon das
Haupt-Princip meiner neuen Theilmethode. Mit einem dreißig mal
vergroͤßernden guten Mikroskope koͤnnen zwei aͤußerst zarte,
auf Silber gezogene und eingeschwaͤrzte Linien, (die eine auf dem Limbus, die
andere an der Alhidade) mit gesundem Auge und bei der erforderlichen Aufmerksamkeit
immer so scharf auf einander gestellt werden, daß der Felder nie uͤber
0,00004 eines Zolles betraͤgt; eine Groͤße, welche auf einem Kreise
von 49 Zoll Durchmesser ungefaͤhr 1/3 Secunde ausmacht, und daher eine
uͤber acht mal groͤßere Schaͤrfe als die giebt, bis zu welcher eine
Stangenzirkel-Einteilung mit dem groͤßten Fleiße und allen dazu
erforderlichen Huͤlfsmitteln auf ihm gebracht werden kann.
Nachdem dieses vorausgeschikt worden, gehe ich nun zur Beschreibung meiner im Jahre
1800 zu Cham erfundenen Theilmethode uͤber.
Es sey in der auf Taf. II. Fig. 1. befindlichen Fig. ABC
der zu theilende Kreis, welcher, sammt den Speichen, in horizontaler Lage aus
dem Centrum in einem Stuͤke gegossen wirdUm eine homogene Masse zu erhalten. v. R., und den man mit einer kegelfoͤrmigen (einige Zolle uͤber die
Ebene des Limbus hervor ragenden ) staͤhlernen Axe versehen habe. Er sey
horizontal aufgestellt, ruhe auf einem festen, von dem Stubenboden auf dem man geht
isolirten Stativ, und koͤnne um eine an der unteren Flaͤche desselben
befestigten 15 Zoll langen Achse nach Belieben oder Bedarf umgedreht werden. Auf der
obern kegelfoͤrmigen staͤhlernen Achse ruhen unmittelbar uͤber
einander zwei Alhidaden, die untere abcd, in
Gestalt eines Dreieks, mit dem Bogen cd, und die
obere efgh, welche zugleich den Linienreißer ikl, und den Schnabel mn traͤgt. Beide Alhidaden sind von einander unabhaͤngig um
die Achse beweglich, und durch Hebel und Gegenwichte so equilibrirt, daß sie zwar in
leiser Beruͤhrung mit dem Limbus und der kegelfoͤrmigen Achse bleiben,
auf ihnen aber keinen schaͤdlichen Druk ausuͤben, welcher eine Beugung
veranlassen koͤnnte. An der obern Alhidade efgh befindet sich innerhalb des Bogens gh eine vorn schneidenartig zugeschliffene silberne Lamelle op, welche auf ihren aͤußersten Punkten
zwischen zwei kegelfoͤrmig zugespizten Schrauben beweglich ist, und wenn sie
auf den Limbus niederlegt wird, sich mit demselben in einerlei Ebene befindet. Der
Schnabel mn ist vorn bei n mit einer schneidenartig zugeschliffenen Lamelle versehen, auf der, bis
zur vorderen Schneide heraus, eine aͤußerst zarte Linie gezogen ist. Endlich
hat auch der Bogen cd zwei Schieber qq und rr,
welche auf ihm in jeder beliebigen Entfernung von einander, durch unten angebrachte
Stellschrauben befestigt werden koͤnnen; sie tragen auf ihrer obern
Flaͤche silberne Plaͤttchen mit eben so zarten Linien, die mit der
unteren Flaͤche der Lamelle n genau in einer
Ebene liegen. Sowohl die auf Stahlspizen bewegliche Lamelle an der oberen Alhidade
efgh, als die Lamelle n am Schnabel mn, sind mit sehr guten
zusammengesezten Mikroskopen versehen, und jede der beiden Alhidaden hat ihre eigene
Hemmung am Kreise, D und E,
so wie ihre eigene damit verbundene Mikrometer-Schraube.
Da auf dem Kreise jeder Punkt Anfang und Ende zugleich ist, so faͤngt man
damit an, auf irgend einer beliebigen Stelle des Kreises die obere Alhidade efghmn fest zu stellen, und bei
zuruͤkgelegter Lamelle op mit dem
Linienreißer ikl eine aͤußerst zarte Linie
auf dem Limbus zu ziehen; alsdann wird diese Lamelle op auf den Limbus niedergelegt, und auf ihr bis zu ihrer Schneide eine
eben so zarte Linie mit demselben Linienreißer gemacht. Der Bart der beiden Linien
wird mit einer feinen Kohle abgeschliffen. Die Linie der auf den Limbus
niedergelegten Lamelle op zeigt alsdann, so lange
der Linienreißer unveraͤndert bleibt, immer den Punkt an, wo die Spize des
Grabstichels auf den Limbus auftrifft.
Die Eintheilung des Kreises mit dieser Vorrichtung geschieht nun auf folgende
Art:
1) Die obere Alhidade efgh wird fest gestellt, und
man bringt dann durch ihre Mikrometer-Schraube die Linie der Lamelle op genau auf die erste Linie des Limbus.
2) Hierauf wird, bei unberuͤhrter oberer Alhidade, die untere Alhidade abcd nach der Seite geruͤkt, bis die Linie
auf dem Silberplaͤttchen r unter die Linie der
Lamelle n zu stehen kommt; man befestigt sie dann und stellt mittelst
ihrer Mikrometer-Schraube die Linie n mit der
Linie auf r genau ein.
3) Ist dieses geschehen, so wird, bei unberuͤhrter unterer Alhidade, die
Hemmung der oberen Alhidade efgh
losgeloͤst, diese Alhidade nach der Seite geruͤkt, bis die Linie auf
der Lamelle n uͤber der Linie auf dem
Silberplaͤttchen q einsteht, die Alhidade alsdann
wieder gehemmt, und nun durch ihre Mikrometer-Schraube die Linie auf n scharf auf die Linie q
gestellt.
So geht die Operation welchelsweise, einmal mit der untern und dann mit der obern
Alhidade schrittweise auf dem Kreise fort, (indem man die ganze Maschine nach jedem
Schritte sanft herumdreht, um immer gleiche Beleuchtung zum Ablesen zu haben ), bis
der ganze Umfang durchlaufen ist. Diese Operation durch den ganzen Umfang wird so
oft wiederholt, (wobei man nach jedem durchlaufenen Umfang des Kreises die Schieber
q und r auf dem Bogen
cd nach Bedarf einander naͤhert oder
von einander entfernt, versteht sich durch angebrachte Mikrometer-Schrauben),
bis mit der verlangten Anzahl von Schritten der obern Alhidade der Umfang des
Kreises genau durchlaufen ist, so daß die Linie auf der Lamelle op die erste Linie auf dem Limbus, sowohl am
Anfang, als am Ende der Operation scharf schneidet. Auf solche Art wird der Kreis,
ohne vorhergezeichnete Marke, in eine beliebige Anzahl gleicher Theile getheilt
seyn. Mit der so aufgefundenen Eintheilung wird die Operation noch ein mal, mit
zuruͤkgelegter Lamelle op wiederholt, und
bei jedem Schritte der obern Alhidade mit dem Linienzieher und Grabstichel, welche
waͤhrend des ganzen Hergangs unveraͤndert so bleiben, als da die Linie
auf der Lamelle op gemacht wurde, die Eintheilung
auf dem Limbus durch eben so zarte Linien wirklich vollzogen. So ist alsdann der
Kreis in seine Haupttheile eingetheilt, und zwar, da ich die Zahl dieser Haupttheile
zu 20 angenommen habe, von 18 zu 18 Grad. Die Unterabtheilungen werden, mit
naͤher zusammengeruͤkten Schiebern q und
r auf dem Bogen cd
der untern Alhidade, auf aͤhnliche Art gemacht u.s.f.
Dieses warwur im Allgemeinen das zuerst erfundene Haupt-Princip meiner
verbesserten Eintheilungs-Methode. Obwohl hierdurch schon eine
vorzuͤgliche Theilung zu Stande gebracht werden koͤnnte, so fand ich
doch bei der wirklichen Ausfuͤhrung meiner Theilmaschine noch sehr viele
Schwierigkeiten zu bekaͤmpfen, um eine vollkommen fehlerfreie Eintheilung zu
erhalten, wodurch meine Theilmethode mit Beibehaltung des Haupt-Princips,
viele Zusaͤze zu jener ersten Erfindung erhielt. Den Radius fuͤr den
Bogen cd der untern Alhidade dachte ich mir
anfaͤnglich doppelt so groß, als den des Kreises selbst, um dadurch die
Fehler beim Einstellen der Linien bei der Uebertragung auf die Theilmaschine um die
Haͤlfte zu vermindern; allein die dadurch entstehenden neuen Fehler (durch
die Flexibilitaͤt und die Dilatation u.s.w.) wiegen den beabsichtigten
Vortheil bei weitem auf, daher ich es fuͤr vorzuͤglicher halte, den
Bogen cd so nahe als es die uͤbrigen
Einrichtungen erlauben an den Kreis zu bringen. Um aber den dadurch verlorenen
Vortheil der Verkleinerung der Sehefehler wieder zu ersezen, verfiel ich endlich auf
den Gedanken, die Schritte der Alhidaden mittelst zusammengesezter
Fuͤhlhebel, anstatt durch die Einstellung von Linien, zu begraͤnzen,
wodurch diese Graͤnzen, ohne außerordentliche Anstrengung, eine Sicherheit
bis auf 0,000003 eines Zolles erlangen. Ferner wurde der Bogen cd mit einem Pyrometer versehen, auch eine
Vorrichtung gemacht, daß die von dem menschlichen Koͤrper
ausstroͤmende und die durch den Athem bewirkte Waͤrme, nicht auf die
Maschine wirken konnte etc. Hierdurch erreichte denn endlich meine Theilmaschine ihre
gegenwaͤrtige Vollkommenheit, so daß bei den mit derselben
ausgefuͤhrten Theilungen kein Theilstrich um eine Viertel-Secunde
fehlt.
Allein, ohnerachtet aller hier beschriebenen, nach und nach erfundenen
Huͤlfsmittel, werden, um eine solche Vollkommenheit in der
Kreis-Eintheilung zu erreichen, doch noch eine Menge von Kunstgriffen
erfordert, die aus selbst gemachter Erfahrung geschoͤpft, und durch lange
Uebung erreicht werden muͤssen.