| Titel: | Ueber die neueren Versuche, die Ziegen, aus deren Haaren die feinen orientalischen Shawls verfertigt werden, in England einheimisch zu machen. | 
| Fundstelle: | Band 6, Jahrgang 1821, Nr. LXX., S. 430 | 
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                        LXX.
                        Ueber die neueren Versuche, die Ziegen, aus deren Haaren die feinen orientalischen Shawls verfertigt werden, in England einheimisch
                           zu machen.
                        Bei Gelegenheit eines Aufsazes uͤber diesen Gegenstand von J. M'Culloch, Med. Doct., F. D. S. etc. aus dem Journal of Science, Litterature et the Arts im Repertory of Arts, Manufactures et Agriculture. September 1821. N. CCXXXII. S. 224.
                        [M'Culloch neuere Versuche, die Ziegen, aus deren Haaren die feinen orientalischen Shawls verfertigt werden, in England einheimisch
                           zu machen.]
                        
                     
                        
                           Es ist unglaublich, wie langsam das Gute in der Pflanzenwelt
                              wie in der thierischen und in der moralischen vorwaͤrts schreitet. Unkraut
                              und Giftpflanzen bringen hundert- und tausendfaͤltig Samen und
                              gedeihen auf jedem Boden, waͤhrend nuͤzliche Pflanzen mit allem Fleiße
                              gepflegt seyn wollen, und unter hundert Umstaͤnden nicht gedeihen.
                              Maͤuse, Ratten, Heuschreken und Ungeziefer aller Art vermehren sich bis zur
                              Landplage, und um die Erhaltung unserer Hausthiere muͤssen wir nicht selten
                              bangen. So macht auch in der moralischen Welt, wie in der physischen das Unkraut,
                              ein Narr, zehn
                              andere, und der verstaͤndige Mann steht nicht selten so isolirt da, wie eine
                              Palme in der Wuͤste. Es gibt gewisse Leute, die dessen ungeachtet behaupten,
                              die Welt waͤre doch die beste Welt, und vor solchen Leuten bleibt nichts
                              anderes zu thun, als was unsere Vaͤter vor den Kapuzinern thaten, den Hut
                              abzuziehen, und in Silentio weiter zu gehen.
                           Wenn wir Europaͤer, oder, wie die Amerikaner uns nennen, wir Guachupinos,
                              eingebildet auf unsere Kultur, die mehr in Papier als in That, mehr in Hadern als in
                              Stoffen, mehr auf den Lippen und zwischen den zwei Fingern der rechten Hand als in
                              dem Kopfe und in der Brust gelegen ist, die Zahl der Thiere, die wir seit ein paar
                              tausend Jahren zaͤhmten, und die Kultur, die wir diesen Thieren zu geben
                              wußten, mit der Zahl der Thiere, welche Voͤlker, die wir Wilde und Barbaren
                              nennen, zu ihrem Dienst zu zaͤhmen, und mit der Bildung, die sie diesen
                              Thieren zu geben verstanden, vergleichen, so werden wir, wollen wir anders ehrlich
                              mit uns selbst umgehen, und uns nicht taͤuschen, gestehen muͤssen, daß
                              wir Europaͤer in dieser Hinsicht weit hinter den Asiaten, Afrikanern und
                              Amerikanern zuruͤk sind. Der Amerikaner hat sich seine Voͤgel, seine
                              Parras abgerichtet, um seine Huͤhner,
                              Gaͤnse und Enten zu huͤten; wir lassen unsere Maͤdchen auf den
                              Doͤrfern die Gaͤnse weiden, damit auch sie zu Gaͤnsen werden.
                              Der Hottentotte hat sich seine Ochsen (seine Bakelars)
                              abgerichtet, um mit ihnen seine Rinder- und Schaafheerden zu huͤten;
                              wir halten um unsere Ochsen zu weiden, Ochsenjungen, nicht um daraus Bacalaurei,
                              sondern wieder Ochsen zu bekommen. Der Tatar in Asien erjagt sich sein Mittagmahl
                              mit Raubvoͤgeln, die ihm das Wild niederstoßen fuͤr seine
                              Kuͤche, wir, schießen diese Voͤgel nieder: und so koͤnnte ich,
                              wollte ich fortfahren Parallelen zu unserem Nachtheile zu ziehen, leichter einen Folianten als der
                              Teufel seine Kuhhaut voll bekommen.
                           Es sind Jahrhunderte vergangen, seit wir die Afrikaner und Amerikaner kennen lernten,
                              und wir haben noch kaum die Haͤlfte ihrer Hausthiere bei uns einheimisch
                              gemacht. Ja wir sind selbst so unwissend noch in der Kunst unsere
                              europaͤischen Thiere zu erhalten, daß ein Menagerie-Inspektor einer
                              der ersten Staͤdte Europens einen Auerstier mit einer Buͤffelkuh sich
                              wollte paaren lassen. Das Resultat dieses guten Willens des hochgelehrten Hrn. v. B.
                              war, daß der Auerstier die armen Buͤffelbraͤute, die ihm zugedacht
                              waren, mit seinen Hoͤrnern durchbohrte, waͤhrend er mit der
                              naͤchsten besten Kuh von einem Dorfe herein in Anubis vergnuͤgt
                              gewesen und eine Raçe erzeugt haben wuͤrde, die auch des Anubis
                              wuͤrdig gewesen waͤre. Es steht, um die Wahrheit zu gestehen, mit
                              unseren zoologischen Kenntnissen, in so fern sie die Zucht der Hausthiere betreffen,
                              auf dem festen Lande von Europa, die Insel England, und die Halbinsel, Spanien,
                              ausgenommen, schlecht, und es bedarf eines neuen von
                                 Fugger
                              Moͤchten die jezt fuͤrstlichen Enkel dieses großen deutschen
                                    Mannes das unsterbliche Werk ihres Urgroßvaters uns wenigstens in einer
                                    neuen des alten von Fugger Auflage schenken., der uns ein Gestuͤtbuch schreibt, und uns
                              unsere Hausthiere ziehen lehrt, damit unsere Oekonomie-Verwalter nicht, wie
                              Beispiele bekannt sind, Hengstfohlen edler Raçe entmannen, und sogar
                              spanische Widder zu Hammeln umstalten lassen, um feine Wolle von denselben zu
                              erhalten.
                           Doch wir wollen zu den neuesten verungluͤkten Versuchen zuruͤk, die
                              Ziegen aus Thibet in England, oder vielmehr in Schottland, einheimisch zu machen,
                              und die Ursachen zeigen, warum sie dort verungluͤken mußten. Aus eben dem Grunde, warum sie
                              dort zu Grunde gehen mußten, muͤßten sie bei uns gedeihen, und in Tirol, in
                              der Schweiz und in jedem Lande, welches Alpen besizt, deren Gipfel mit ewigem Schnee
                              bedekt sind, und wo diese Thiere an der Schnee-Graͤnze weiden und auf
                              den Felsen umherklettern koͤnnen, wie in ihrer urspruͤnglichen
                              Thibetanischen Heimath.
                           Es waͤre zu langweilig die Geschichten der traurigen Paare dieser edlen
                              Thiere, die nach und nach von den thibetanischen Schneegebirgen herab zuerst in das
                              sengende Klima von Bengalen, und dann zu Schiffe um das Vorgebirg der guten Hoffnung
                              nach England geschleppt wurden, um dort in den nassen Wiesen zu sterben. Die armen
                              Thiere mußten, wie ihre, von Hrn. Dr. M'Culloch nur zu genau geschriebenen,
                              Todesgeschichten beweisen, nothwendig in England in Folge einer solchen Reift zuerst
                              die Raude, und dann die Auswuͤchse an den Klauen bekommen (die auch junge
                              Gemse bei uns bekommen, wenn man sie in den tiefen Thaͤlern zaͤhmt und
                              eingesperrt haͤlt, so daß sie nicht frey klettern koͤnnen) und in
                              Folge derselben zu Grunde gehen. Nie koͤnnen in dem niedrigen England, und
                              selbst nicht in dem nassen nebeligen Schottland, wenn es gleich einzelne unseren
                              Alpen an Hoͤhe kommende Berge besizt, diese edlen Alpenthiere gedeihen, die
                              nur bei uns an der Alpenkette vom Watsmann bis an den Bodensee hin, und auf den
                              uͤbrigen Alpenlaͤndern des festen Landes ihr heimisches Klima wieder
                              finden.
                           Wenn es uns Continental-Europaͤern ernstlich darum zu thun ist, diese
                              edle Thierraçe zu uns zu verpflanzen, und die Tausende zu sparen, die wir
                              jaͤhrlich fuͤr feine Shawls nach dem Oriente schiken, (denn daß auch
                              wir aus solcher wunderfeinen Wolle, wie diese Thiere sie liefern, eben so feines
                              Garn, wie die Orientalen, spinnen, und eben so feine Gewebe, wie ihre Shawls, weben
                              koͤnnen, hat Hr. Main,
                              in Bow-lane, Cheapside, wie Hr. M'Culloch bezeugt, erwiesen) so muͤssen wir eilen
                              diese Thiere, sie moͤgen um das Vorgebirge der guten Hoffnung, oder vom
                              Kaukasus her uͤber das schwarze Meer nach Trieft oder Genua kommen, so
                              schnell als moͤglich, und wenn es auch Winter waͤre, auf unsere
                              hoͤchsten Alpendoͤrfer zu bringen, und sie dort so behandeln, wie sie
                              in Thibet behandelt werden, d, h., bis auf reichliches Darreichen des Salzes, was
                              man in England uͤbersah, und bis auf das Scheeren, der
                                 Natur uͤberlassen.
                           Wir glaubten diese Zeilen unseren Landsleuten schuldig zu seyn, damit sie nicht aus
                              den in Frankreich lind England mißlungenen Versuchen mit diesen Thieren sich
                              abschreken lassen, dieselben zu pflegen, wenn Se. thibetanische Herrlichkeit, der
                              Dalai-Lama, ihnen einst einige Paͤrchen derselben bescheren sollte,
                              und damit sie nicht, wie derselbe Menagerie Inspektor, von dem wir oben meldeten,
                              und der die Rennthiere, die sein Hof vom Koͤnige von Schweden erhielt, im
                              Stalle zu Tode fuͤtterte, statt sie auf die Alpen in der Naͤhe der
                              Hauptstadt, wo er wohnte, und wo diese herrlichen Thiere Rennthier-Flechten
                              genug gefunden haben wuͤrden, treiben zu lassen, so die thibetanische Ziege
                              mit fettem Grase und Hafer zu Tode maͤsten, statt sie ihr Futter selbst auf
                              den Alpen suchen zu lassen. Ein jeglich Thier nach seiner Art; so will's die alte
                              Regel: der Floh zur alten Jungfer und der Steinbok auf die Ferner, sagt der
                              Tiroler.