Titel: | Nachtrag zu Hrn. Dubuc's Abhandlung über Schlichten. |
Fundstelle: | Band 37, Jahrgang 1830, Nr. XVI., S. 54 |
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XVI.
Nachtrag zu Hrn. Dubuc's Abhandlung uͤber
Schlichten.
Dubuc's Nachtrag uͤber Schlichten.
Wir haben bereits vor neun Jahren (im J. 1821, VI.
Bd. S. 82. des Polytechn. Journales) aus dem
Journale de Pharmacie die herrliche Abhandlung Dubuc's uͤber Schlichten geliefert, die, wenn sie
gehoͤrig beachtet wuͤrde, vieler Menschen Leben retten koͤnnte,
welche jezt, in nassen Kellern webend, vor der Zeit wassersichtig in das Grab ihrer
Vaͤter steigen muͤssen. Der Bulletin d. Scienc. technol. Maͤrz
1830 liefert jezt dieselbe Abhandlung wieder aus den Annal. de l'industr.
Nov. 1829. Wir finden jedoch in derselben einen Zusaz, den wir vor neun
Jahren im Journal de Pharmacie nicht fanden, und den wir
der Vollstaͤndigkeit wegen hier nachtragen zu muͤssen glauben, wenn
auch diese Art von Schlichte in Deutschland weniger gebrauchtgrbraucht werden kann.
„Schlichte aus Reiß.“
„Man nimmt ein Kilogramm sehr fein gepuͤlverten indischen Reißes,
verduͤnnt es mit 8 Liter reinem (nicht gypshaltigem oder truͤbem)
siedenden Wasser, und laͤßt es drei Stunden lang in einer maͤßigen
Waͤrme weichen; ruͤhrt die Mischung oͤfters auf, damit die
Fluͤssigkeit desto kraͤftiger auf die Reißtheilchen einwirken
kann, und kocht sie endlich bei einem schwachen Feuer 20 Minuten lang zu einem
Breie unter bestaͤndigem Umruͤhren, damit sie sich nicht anlegt
und braͤunt, und zieht sie dann vom Feuer.
Durch das Erkalten wird die Schlichte etwas diker, wird sehr zaͤhe, und klebt
stark an den Fingern. Der Weber kann ihr jedoch sehr leicht die Consistenz und das
Markige der gewoͤhnlichen Schlichte verschaffen, indem er sie entweder in dem
Augenblike, wo er sie auftraͤgt; stark abschlaͤgt, oder ihr etwas
Wasser zusezt. Fuͤr sich allein troknet sie jedoch immer zu schnell. Hr. Dubuc versuchte daher dieselbe markiger und weniger troknend zu machen. Er
wußte aus fruͤheren Beobachtungen, daß man bei dem Puͤlvern des Reißes
zwei ganz verschiedene Arten von Mehl erhaͤlt; die Schwierigkeit lag nur in
der Weise, diese beiden Mehlarten abzuscheiden. Er entschloß sich endlich zu
folgendem Verfahren.
Man troknet den Reiß bei einer Temperatur von 25 bis 30° R., stoͤßt ihn
dann in einem Moͤrser zu einem groͤblichen Pulver und laͤßt ihn
durch ein Sieb laufen, um beilaͤufig die Haͤlfte desselben zu
erhalten, die man bei Seite legt: dieß ist das Kern- oder Markmehl des
Reißes. Wenn man mir dem Puͤlvern fortfaͤhrt, so erhaͤlt man
ein Mehl, welches, Statt matt weiß und in siedendem Wasser beinahe gaͤnzlich
aufloͤsbar zu seyn, und sich sanft anzufuͤhlen, schnulzig weiß in's
Gruͤnliche ziehend, etwas scharf und herb schmekend, und nur zum Theile im
warmen Wasser aufloͤsbar ist, mit welchem es nie eine gleichfoͤrmige
Schlichte bildet. Die Schlichte aus der ersten Art Mehles gab alle Resultate einer
guten Schlichte, und gestattete an jedem Orte zu weben. Indessen werden die Weber
dieser Schlichte nie den Vorzug geben, indem sie theuer zu stehen kommt. Bereiten
die Indier aus diesem Kernmehle des Reißes ihre Reißschlichte, oder sezen sie dem
gemeinen Reißmehle noch etwas zu, was die Schlichte immer feucht haͤlt?
Beinahe sollte man Lezteres vermuthen; die Temperatur Indiens und der Ort, wo ihre
Weberstuͤhle aufgeschlagen werden (unter Baͤumen in freier Luft)
wuͤrden ihnen kaum erlauben sich des Reißes fuͤr sich allein zu
bedienen.Der vortreffliche Hr. Verfasser konnte im J. 1820 die interessante Notiz des
Hrn. Devrac uͤber die Cultur der Baumwolle und
die Mußline von Dacca nicht kennen, die sich in den Annales de l'industrie, Maͤrz, 1825 S.
225. befindet, und die jezt im Maͤrzhefte des Bulletin d. Sciences technol. 1829 noch ein Mal abgedrukt ist. Er
wuͤrde sonst wissen, daß der arme Hindu in
Gruben in der Erde arbeitet, wie der Battist- und
Feinmußlin-Weber bei uns in nassen Gewoͤlbern und Kellern; daß
der Weberstuhl aus Bambusrohr, auf welchem drei Hindu vier Monate lang
gemeinschaftlich arbeiten, um ein Stuͤk Mußlin von 80
Vorderarmlaͤngen (vom Elbogen bis zur Spize des Mittelfingers,
ungefaͤhr 1 1/2Fuß) und von 2 1/4 Vorderarmlaͤnge Breite auf
die Welt zu bringen, kaum Einen Fuß hoch uͤber die Erde aus der
Grube, in welcher er steht, emporragt; daß man, um in dieser feuchten Grube
die Kettenfaden, die bloß mit Reißschlichte geschlichtet werden,
gehoͤrig feucht zur Arbeit zu halten, Gefaͤße mit heißem
Wasser unter den Stuhl stellt, dessen Dampfe dem armen Hindu diese Grube zur
wahren Hoͤlle machen, in welcher er hoͤchstens 6 Stunden des
Tages uͤber zu arbeiten vermag; daß uͤberdieß die Kette auf
dem Stuhle durch eine eigene Vorrichtung an demselben mit einem gewissen
Theile derselben immer unter Wasser gehalten wird, um die uͤbrigen
Theile derselben immer gehoͤrig feucht zu halten. Die Reißschlichte,
die die Hindu Kahnsch nennen, ist ein Reißwasser,
das bis zur Consistenz der Milch eingekocht und dann durch ein dikes Tuch
durchgesieben wird. Man traͤgt sie mit aͤußerst feinen
Buͤrsten aus langem Ziegenhaare auf die Kette auf. So unvollkommen
und unbehuͤlflich auch der Weberstuhl der armen Hindu war und noch
ist, so weben sie doch auf demselben Mußline, die sogenannten Molmol, die vor 30 Jahren noch um 150 bis 200
Rupien das Stuͤk verkauft wurden; heute zu Tage findet man nur mehr
Mußline von 50 bis 60Rupien Werth in Ostindien. Die alte indische
Industrie wird von der englischen zu Grade getragen, und lebendig begraben
wie die guten Frauen in Indien sich einst lebendig verbrannten, wenn ihr
Mann vor ihnen starb. A. d. Ue.
Ein anderes Verfahren, eine treffliche Schlichte aus dem gewoͤhnlichen
Reißmehle zu bereiten, ist Folgendes: Man kocht nach und nach und vier Mal hinter
einander jedes Mal Eine Stunde lang ein Kilogramm Reiß in 4 Liter Wasser. Die
ausgedruͤkten abgegossenen Abkochungen werden zusammegeschuͤttet, und
dann bei einem schwachen Feuer so weit eingekocht, daß die Fluͤssigkeit bei
dem Erkalten die Consistenz einer Gallerte annimmt. Auf diese Weise erhaͤlt
man aus obiger Menge Reißes ungefaͤhr 5 Pfund außerordentlich weißer
Staͤrke, die die Zeuge sehr glatt macht. Wenn man noch eine Unze
kochsalzsauren Kalk zusezt, so erhaͤlt man eine Staͤrke, die in
Hinsicht auf ihre herrlichen Eigenschaften, jeder anderen Starke aus Rokenmehl, aus
Staͤrkmehlarten aller Art etc. weit vorzuziehen ist.Wenn auch unsere bayerschen Weber bei dem hohen Preise des Reißes in
Deutschland nie mit Reißschlichte weben koͤnnen, so koͤnnen
dieß doch unsere guten reichen Nachbarn, die Niederlaͤnder und die
Italiaͤner, da erstere den herrlichen Reiß der Molukken zu ihrem
Gebote haben, und leztere Reiß an den Ufern des Po bauen. A. d. Ue.