Titel: | Eine neue Eisenbahn in der Luft. |
Autor: | Joseph Ritter von Baader |
Fundstelle: | Band 45, Jahrgang 1832, Nr. LXXXVIII., S. 352 |
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LXXXVIII.
Eine neue Eisenbahn in der Luft.
Eine neue Eisenbahn in der Luft.
Da zwischen der Altstadt (City) von London und dem weiter
unten in der Themse gelegenen, volkreichen, und durch die von allen Theilen der Welt
ankommenden und dahin absegelnden Handelsschiffe ungemein belebten Greenwich ein
taͤglicher, außerordentlich starker Verkehr Statt findet, dessen
Beduͤrfnisse weder zu Wasser auf dem Strome, welcher dort zwischen dem
Quartier Rotherhite und Limehouse in einer großen Kruͤmmung sich windet, noch
zu Lande durch die engen, bestaͤndig gedraͤngt vollen, Straßen
fuͤr die Fußgaͤnger und Fahrenden auf eine hinlaͤnglich bequeme
und schnelle Weise befriedigt werden kann, eine auf gewoͤhnliche Art auf der
Erde liegende Eisenbahn aber unausfuͤhrbar waͤre, so ist ein
englischer Ingenieur auf den gluͤklichen (wiewohl sonderbaren) Einfall
gerathen, von der lezten oͤstlichen Bruͤke (the
London Bridge) in moͤglichst gerader Richtung bis Greenwich eine
Eisenbahn in einer so großen Hoͤhe vorzurichten, daß man darauf in der Luft,
uͤber den Koͤpfen der durch die Straßen wogenden Volksmenge, ganz
ungehindert und mit der groͤßten Schnelligkeit hin und zuruͤk fahren
kann. Nach den neuesten Nachrichten, welche die Londoner Blaͤtter und Galignani's Messenger vom Anfange dieses Monats (August)
geben, ist der Bau dieser erhoͤheten Eisenbahn wirklich beschlossen, und es
hat sich hiezu eine Gesellschaft mit einem Kapitale von 400,000 Pfund Sterling
gebildet, an welcher man mit Actien zu 20 Pfund Theil nehmen kann.
Die eisernen Geleise-Schienen werden auf Pfeilern und Boͤgen so
befestigt, daß die Straßen, uͤber welche sie gehen, ganz frei bleiben.
Die Bahn wird am suͤdlichen Ende der London-Bruͤke anfangen, von
da beinahe in gerader Linie uͤber die Maize-, die Bormondsay-
und Orange road-Straßen ziehen, dann Coney-hall-lane
uͤberschreiten, und bis zur High Street in Deptford gehen, wo sie sich zur
Linken wenden, und bei Thornton-row neben der Kirche von Greenwich enden
wird.
Die ganze Laͤnge dieser Bahn wird 4 englische Meilen oder 1 3/4 baierische
Stundenlaͤngen betragen, und da sie genau wagrecht gelegt werden kann, so
wird, mit Anwendung von Dampfwagen, dieser Weg sehr leicht in 8 Minuten
zuruͤkgelegt werden. Die fliegenden Diligencen und Gesellschaftswagen werden
wenigstens drei Mal in jeder Stunde auf derselben Bahn, ohne sich zu begegnen, hin
und zuruͤk fahren koͤnnen; und wenn man die Haͤlfte der
Menschen, welche gegenwaͤrtig zu Fuße, zu Pferde, in Wagen oder zu Wasser
zwischen der genannten Bruͤke und Greenwich sich taͤglich bewegen, wo
sie sich oft durch das staͤrkste Gedraͤnge muͤhsam
durcharbeiten muͤssen, und meistens nur sehr langsam fortkommen, dieser
neuern eben so schnellen als angenehmen und bequemen Eilpost sich bedienen, so wird,
bei einer maͤßigen Fracht, welche auf die Haͤlfte der
Fiaker-Taxe gesezt werden kann, die Einnahme so bedeutend ausfallen, daß das,
allerdings große, Kapital sich reichlich verzinset.
Als ich waͤhrend meines lezten Aufenthaltes in England, in den Jahren
1815–16, diese Idee einer erhoͤheten, uͤber alle Straßen,
Gaͤrten, Felder u. dergl. fortlaufenden Eisenbahn zuerst einigen meiner
dortigen sachverstaͤndigen Freunde mittheilte, und in die Specification des
am 14. November 1815 in London mit ertheilten Patentes aufnahm,In dieser meiner Specification kommen folgende Stellen woͤrtlich vor:
„2dly The Bails (which may be constructed of cast or wrought iron
or of any other hard and fit substance) are fixed upon and supported by a
proper foundation of stone or wood, upon pillars
or posts placed at proper distances, but a good deal more elevated
above the ground than in the usual way.“ Und weiter
unten. 6th „But in certain cases and
situations, and for particular purposes, I intend to elevate the
line of my Railways to a much more considerable height of 6 to 10
feet, or as much as will be found convenient, supporting them by
pillars or posts of wood, stone or cast iron, or in any other
suitable manner.“ – – –
„It is obvious, that, by such a
contrivance, a Railway, at least for light carriages, may be carried
a considerable length in an uninterrupted line, and often in the
shortest and most eligible direction, across Fields, meadows,
ditches and hollows, and over streets, highroads, canals or other
Railways, without stopping or hindering the usual passage of common
carriages and Travellers below, and even without occupying or taking
off any considerable surface of ground or of land from
agriculture.“
fand man dieselbe zwar kuͤhn und originell, aber
zu abenteuerlich (extravagant), um solche einer
naͤhern Aufmerksamkeit werth zu achten, und es fehlte bei einigen
ausgezeichneten Mechanikern nicht viel, daß sie mich daruͤber auslachten. Ich
hatte also hier, wie vor mir schon mancher andere Erfinder, das Ungluͤk, mit
meinen Vorschlagen um ein fuͤnftel Jahrhundert zu fruͤh aufgetreten zu
seyn, habe jedoch jezt wenigstens die Genugthuung erlebt, daß eben diese meine Idee,
von einem Anderen nach 19 Jahren in einem guͤnstigem Zeitpunkte wieder
aufgegriffen, sich dennoch nicht nur als ausfuͤhrbar, sondern selbst als
vortheilhaft bewaͤhrt. – Moͤchte mir doch dieses Gluͤk
auch mir einigen andern von meinen Erfindungen noch zu Theil werden, welche man bis
jezt, aus derselben Ursache, oder vielleicht bloß, weil sie von mir sind, so wenig
beachtet hat! –
Muͤnchen, den 15. August 1832.
Joseph Ritter von
Baader.