Titel: | Ueber selbstfahrende Fuhrwerke. |
Fundstelle: | Band 55, Jahrgang 1835, Nr. III., S. 13 |
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III.
Ueber selbstfahrende Fuhrwerke.
Ueber selbstfahrende Fuhrwerke.
Unter dieser Benennung verstehen wir hier nicht Automate, sondern uͤberhaupt
Fuhrwerke, deren Motor mitfaͤhrt. In diese Classe gehoͤren also alle
Arten von Dampfwagen mit lokomotiver Maschine, und namentlich die
Chausseedampfwagen. Wir fassen indessen in Folgendem nur solche Fuhrwerke in's Auge,
die durch Menschen oder Pferde in Bewegung gesezt werden sollen, und zwar indem
dieselben nicht vorgespannt werden, sondern auf dem Wagen selbst mitfahren.
Bekanntlich hat man fruͤher schon oͤfters versucht leichte Fuhrwerke
herzustellen, in denen man, eine Kurbel etwa drehend, sich selbst fortkutschiren
koͤnnte; und in neuerer Zeit hat man auch wohl große Wagen ausgedacht, die
nicht durch vorgespannte, sondern durch auf dem Wagen selbst arbeitende Pferde in
Bewegung kommen sollten. Und in der That muß seit der Erfindung der Dampfwagen die
Angabe solcher Vorrichtungen nicht die mindeste Schwierigkeit haben; denn wie durch
Dampfkolbenstangen muß die Achse, an der die Wagenraͤder sizen, mittelst
einer Kurbel oder Treten, durch einen Goͤpel oder ein Laufrad umzutreiben,
und so das Fuhrwerk in Gang zu bringen seyn. Zudem sind bereits und mit Vortheil
aͤhnliche Mechanismen auf Schiffen (den bateaux zooliques)
angewendet worden. Dergleichen selbstfahrende Wagen unterscheiden sich von solchen
Schiffen nur darin, daß dort Wagenraͤder, hier Ruderraͤder umgetrieben
werden.
Nichts desto weniger haben alle Vorschlaͤge oder Erfindungen dieser Art bis
dahin kein Gluͤk gemacht; sie moͤgen vielmehr alle als mehr oder
weniger abenteuerliche Ausgeburten muͤßiger Genie's betrachtet worden seyn.
Nicht Alles jedoch, was laͤcherlich erscheint, und unter gewissen
Umstaͤnden wirklich unbrauchbar ist, ist es auch unter anderen, oder bei
reiflicherer Betrachtung; und so leicht man daher zugeben mag, daß dergleichen
selbstfahrende Wagen zur Befahrung gewoͤhnlicher Straßen untauglich sind, so
duͤrfte doch, wie uns scheint, ihre Anwendbarkeit auf Eisenbahnen oder mit
Platten belegten Wegen alle Aufmerksamkeit verdienen.
Denken wir uns zuerst einen Wagen, der durch einen Menschenarm, und zwar vermittelst einer Kurbel in Gang gebracht werden
soll; es sey, daß die Bewegung von dieser durch einen Riemen oder auch durch
verzahnte Raͤder auf die Achse der Wagenraͤder uͤbertragen
werde. Damit wir den groͤßten Effect erlangen, muß der Arm mit der
angemessensten Geschwindigkeit, d.h. mit der von 2–2 1/2' per Secunde arbeiten. In diesem Falle kann der Nuzeffect
zu 40 angenommen werden, d.h. der Mensch wird einen Widerstand von 20 Pfund mit der
Geschwindigkeit von 2'; einen von 10 Pfd. mit der von 4' u.s.w. bewegen
koͤnnen.Das Moment eines Mannes wird meist zu 60–70 angenommen, wenn er 8
Stunden taͤglich arbeitet; und der Nuzeffect an der Kurbel nur zur
Haͤlfte oder zu 30–36. Wir koͤnnen diesen jedoch
fuͤglich auf 40 festsezen, da hier nicht leicht eine taͤgliche
Arbeitszeit von 8 Stunden vorkommt.
Soll der Wagen per Stunde 1 Wegstunde (von 12,000')
zuruͤklegen, so ergibt dieß eine Geschwindigkeit von 3 1/3' per Secunde, und es wird also eine Geschwindigkeit von 6
2/3' per Sec. erfordert, damit er 2; und eine von 10'
per Sec., damit er 3 Poststunden in 1 Stunde
mache.
Hat das Rad 10' Umfang, so wird es hiemit 20, 40 oder 60 Mal per Minute umgehen muͤssen, wenn es per
Stunde 1, 2 oder 3 Stunden Weges zuruͤklegen soll. Und sehr leicht werden
ohne Zweifel diese Modificationen der Geschwindigkeit zu vermitteln seyn, wenn
gleich die Kurbel mit unveraͤnderter umgedreht wird. Es fragt sich also nur,
welche Last obige Kraft eines Menschen alsdann fortzuschaffen vermag.
Bei einer Geschwindigkeit von 1 Wegstunde per Stunde
(oder von 3 1/3' per Sec.) mag die Kraft einen
Widerstand von 40/3⅓ oder von 12 Pferden uͤberwinden; und da auf einer gewoͤhnlichen guten und ebenen Straße der Widerstand (die Achsenreibung etc.) nur 1/20
oder 1/24 der Laͤst betragt, so wuͤrde diese oder der Wagen nebst dem
darin Fahrenden 20 – 24 × 12 oder 240 – 288 Pfd. wiegen
duͤrfen. Gesezt nun auch, es waͤre ein so sehr leichter Wagen
herzustellen, so sieht man doch, daß ein Mensch, der sich selbst darin
fortkutschirte, kaum 1 Wegstunde per Stunde machte, und
dabei sicherlich mehr sich ermuͤdete, als wenn er zu Fuß ginge. Wuͤrde
derselbe aber viel schneller fahren wollen, so waͤre eine anhaltende Bewegung
offenbar unmoͤglich, da die angenommene Menschenkraft bei einer doppelten
Geschwindigkeit bereits nur eine Last von 120–144 Pfd. fortschaffen kann;
oder kaum das Gewicht eines erwachsenen Menschen allein. Dergleichen Fuhrwerke
moͤchten also bloß Lahmen etwa dienen.
Zu einem anderen Resultate gelangen wir jedoch, nehmen wir an, daß ein solcher Wagen
auf einer Eisenbahn zu fahren habe; denn auf solchen
betraͤgt der Widerstand nur 1/200 oder 1/240 der Last. Reicht der Menschenarm
also hin, einen Widerstand von 6 Pferden mit der Geschwindigkeit von 6 2/3' per Sec. (2 Stunden per St.)
zu bewegen, so wird er mit dieser hier eine Last von 6 × 200 oder 240, d.h.
eine Last von 1200–1440 Pfd. forttreiben koͤnnen, und mit der von 3
Stunden per Stunde sogar noch eine Last von
800–960 Pfd.
Laͤßt sich demnach annehmen, daß Fuhrwerke von hinlaͤnglicher
Soliditaͤt herzustellen sind, deren Gewicht nicht 600 Pfd.
uͤberstiege, so muͤßte ein Mensch fuͤglich im Stande seyn, auf
einem solchen sich und 3–4 Reisende, und zwar mit einer Schnelligkeit von
wenigstens 2 Stunden per Stunde fortzuschaffen.
Unschwer wuͤrde ferner ein solches Fuhrwerk zu lenken seyn; eben so
wuͤrden Steigungen, wie sie auf Eisenbahnen vorkommen, keine besonderen
Schwierigkeiten darbieten, da man in der Gewalt hat die Kurbel bei groͤßerem
Widerstande langsamer zu drehen, und lebende Kraͤfte sich auf kurze Zeit
bedeutend erhoͤhen lassen; es wuͤrden endlich beim
Abwaͤrtsfahren auf geneigten Streken kaum besondere Sperr- oder
Bremseapparate noͤthig seyn.
Nach diesen Bemerkungen laͤßt sich also kaum bezweifeln, daß solche
Handfuhrwerke, so wenig sie fuͤr gewoͤhnliche Straßen taugen, doch auf
Eisenbahnen in vielen Faͤllen anwendbar und bequem seyn koͤnnten,
zumal auf Bahnen, die nicht von großen Dampfwagenzuͤgen befahren werden, und
wo die Gefahr von diesen etwa uͤberrumpelt zu werden wegfaͤllt.
Reden wir nun 2) noch von dergleichen Fuhrwerken, die durch Pferde in Bewegung gesezt werden sollen.
Bei diesen stellt sich natuͤrlich die Frage: ob oder in wie fern es je
vortheilhafter seyn kann, das Pferd auf den Wagen selbst zu bringen, als es
vorzuspannen? Auf den ersten Anblik scheint das Pferd, wenn es sich selbst mitfahren
soll, nothwendig verlieren zu muͤssen. Denken wir uns naͤmlich (von
sonstigen Schwierigkeiten absehend), dasselbe arbeite an einer auf dem Wagen
befindlichen Roßkunst, so wird es an der Deichsel mit der gleichen Kraft ziehen, als
wenn es an den Wagen vorgespannt waͤre, im ersteren Falle aber offenbar eine
weit groͤßere Last zu ziehen haben. Betrachtet man aber, daß wenn das Pferd
auf dem Wagen arbeitet, eine beliebige Geschwindigkeit des lezteren erhalten werden
kann, waͤhrend bei vorgespannten die des Pferdes stets jener des Wagens
gleichkommen muß; und daß im ersten Falle also das Pferd zuweilen mit der
Geschwindigkeit ziehen kann, bei der es am meisten Zugkraft ausuͤbt,
waͤhrend diese bei vorgespannten mit der Beschleunigung sehr bedeutend
abnimmt, so ist begreiflich, daß bei einer gewissen Geschwindigkeit gar wohl dieser
Gewinn jenen Verlust mehr als aufwiegen mag. Klar ist uͤberdieß, daß mit
vorgespannten Pferden die Geschwindigkeit nicht uͤber einen gewissen Grad
gesteigert werden kann.
Betrachten wir sogleich die moͤgliche Leistung eines solchen Fuhrwerkes auf
einer guten und ebenen Eisenbahn.
Der Nuzeffect eines an einem Goͤpel arbeitenden Pferdes mag zu 500 (150
× 3 1/3) Cntr. zu nehmen seyn. Es vermag also einen Widerstand
von 1 1/2 Cntr. mit der Geschwindigkeit von 3 1/3' per Sec. oder von 1 Stunde per Stunde,
von 3/4 Cntr. mit der von 2 St. per
St., und
von 1/2 Cntr. mit der von 3 St. per
St.
zu bewegen; und betraͤgt hiemit der Widerstand auf
einer Eisenbahn nur 1/200 der Last, so kann ein Pferd mit obigen Geschwindigkeiten
300, 150 oder 100 Cntr. fortschaffen; und nehmen wir fuͤr das Gewicht des
Wagens und Pferdes 50 und 40 Cntr. an, so wuͤrde immerhin eine Last von 100
Cntr. mit der Geschwindigkeit von 2 Stunden, und eine von 60 Cntr. mit der von 3 St.
per Stunde transportirt werden koͤnnen.
Gesezt also auch, ein Pferd koͤnne bei obiger Leistung nur 6 Stunden
taͤglich arbeiten, so waͤre doch der taͤgliche Nuzeffect
bei 2facher Geschw. = 6 . 2 . 100 = 1200, und
bei 3facher Geschw. = 6 . 3 . 60 = 1080.
Vergleichen wir diese Leistung mit der von vorgespannten Pferden.
Bei 2 Stunden Geschwindigkeit kann auf guten Straßen ein Pferd taͤglich
hoͤchstens 18 Cntr. 6 Stunden weit ziehen, und bei 3 St. Geschw. kaum 15
Cntr. 4 St. weit; und auf einer Eisenbahn etwa das 10fache.
Rechnet man also 1/2 fuͤr das Gewicht der Wagen ab, so findet sich der
taͤgliche Nuzeffect eines vorgespannten Pferdes
bei 2facher Geschw. = 120 . 6 = 720, und
bei 3facher Geschw. = 100 . 4 = 400.
Dieser Effect ist hiemit weit kleiner, als wenn das Pferd auf dem Wagen an einem Goͤpel arbeitet, und noch weit geringer
waͤre er bei noch groͤßerer Geschwindigkeit, da dann beinahe alle
disponible Zugkraft verloren geht.
Auch selbstfahrende Pferdewagen scheinen daher Vortheile zu versprechen, und es fragt
sich bloß, ob nicht die Herstellung solcher Wagen sonstige Schwierigkeiten
darbietet.
Allerdings laͤßt sich nun kaum denken, daß ein ordentlicher Goͤpel auf
einem Fuhrwerke angebracht werde, denn die Kreisflaͤche, auf der das Pferd
liefe, muͤßte wenigstens 32 bis 36' im Durchmesser haben. Eben so
wuͤrde ein schiefes oder ein vertikales Tretrad aus demselben Grunde
schwerlich anwendbar seyn. Es duͤrfte daher kaum ein anderes Mittel
zulaͤssig seyn, als daß man das Pferd auf einem uͤber 2 Walzen
geschlagenen, endlosen Laufbande arbeiten ließe, und ohne Zweifel wuͤrde die
Leistung desselben in diesem Falle um ein Bedeutendes vermindert seyn.
Immerhin ergibt sich wohl aus Vorstehendem, daß die Idee solcher selbstfahrenden
Fuhrwerke alle Beachtung verdient, und daß sie wenigstens nicht von Vorn herein
fuͤr ein mechanisches Hirngespinnst erklaͤrt werden darf.