Titel: | Ansichten verschiedener französischen Fabrikanten über den gegenwärtigen Zustand ihres Industriezweiges in Frankreich, und über die Folgen der Aufhebung des Prohibitivsystemes für ihre Fabriken. |
Fundstelle: | Band 55, Jahrgang 1835, Nr. LXXXI., S. 464 |
Download: | XML |
LXXXI.
Ansichten verschiedener franzoͤsischen
Fabrikanten uͤber den gegenwaͤrtigen Zustand ihres Industriezweiges in
Frankreich, und uͤber die Folgen der Aufhebung des Prohibitivsystemes fuͤr
ihre Fabriken.
Im Auszuge aus dem Temps und Moniteur universel.
(Fortsezung von Heft 4, S. 315.)
Gegenwaͤrtiger Zustand einiger Industriezweige in
Frankreich.
IV. Ueber die Tuch- und
Wollenwaaren-Fabrikation.
4. Aussagen des Hrn. Louis Poitevin,
Tuchfabrikanten und Abgesandten von Louviers.
Fr. Wie hoch schaͤzen Sie die
Gesammtproduction von Louviers; wie groß ist das ruhende Capital, und wie groß
jenes Ihrer Fabrik? – A. Die Gesammtproduction belaͤuft sich auf
12 bis 15,000 Stuͤke Tuch; rechnet man das Stuͤk zu 1000 Fr., so
gibt dieß eine Summe von beilaͤufig 15 Mill. Das ruhende Capital
belaͤuft sich auf 25 bis 30 Millionen. Meine gegen waͤrtige Fabrik
ist nicht mein Eigenthum; sie wird durch ein Wasserwerk von 6
Pferdekraͤften in Bewegung gesezt, und hat das Unangenehme, daß sie je
nach dem Grade der herrschenden Trokenheit 3 bis 4 Monate im Jahre an
Wassermangel leidet. Ich sehe mich also gezwungen diese Anstalt aufzugeben, und
habe bereits auch schon eine andere von 20 Pferdekraͤften gemiethet, in
der ich, wenn anders das Einfuhrverbot nicht aufgehoben wird, saͤmmtliche
Operationen meines Fabrikationszweiges zu betreiben im Sinne habe.
Fr. Wie viele Arbeiter beschaͤftigen Sie und
wie viele Arbeiter zaͤhlt ganz Louviers? – A. Ich
beschaͤftige 150 von den 6000 Arbeitern, welche Louviers
zaͤhlt.
Fr. Wie hoch ist der Arbeitslohn, und wie leben die
Arbeiter mit demselben? – A. Wir zahlen den Kindern 70 bis 80 Cent., den
Weibern 1 Fr. bis 1 Fr. 25 Cent., und den Maͤnnern 1 Fr. 60 Cent., womit
unsere Leute ziemlich gut leben.
Fr. Woher und zu welchen Preisen beziehen Sie die
Wolle? – A. Wir fabriciren nur feine Tuchwaaren und benuzen dazu Wolle
aus dem Berry und der Beauce, saͤchsische Wolle verarbeiten wir nur
wenige. Wir zahlen das Kilogramm gereinigte Wolle zu 12, 14, 16 und selbst
manchmal zu 20 Fr. Gegenwaͤrtig leiden unsere Geschaͤfte, so daß
wir kaum unsere Auslagen hereinbringen.
Fr. Welchen Ursachen schreiben Sie diesen Stand der
Dinge zu? – A. Er duͤrfte vielleicht von der Ungewißheit, die in
vielen Dingen herrscht, herruͤhren; ich schreibe ihn
hauptsaͤchlich auch den Geruͤchten zu, welche uͤber die
Folgen der gegenwaͤrtigen Untersuchung verbreitet sind, obschon ich
gestehen muß, daß dieß etwas voreilig seyn duͤrfte.
Fr. Liegt nicht auch in dem hohen Preise der Wollen
eine Ursache? – A. Gewiß mag auch dieses mitwirken; allein es
muͤssen noch andere Gruͤnde obwalten, denn wir machten zu einer
Zeit, wo der Zoll 30 Proc. betrug, weit bessere Geschaͤfte. Die
Verminderung des Einfuhrzolles der Wolle um den dritten Theil hat den Preis der
Wolle nicht bedeutend ermaͤßigt; die rohen fetten Wollen wurden jedoch zu
etwas besseren Preisen verkauft.
Fr. Fuͤhren Sie Tuch aus und wohin? –
A. Ich selbst fuͤhre direct nur wenig aus, indem ich meine Fabrikate an
die Großhaͤndler abgebe. Ich mache direct nur nach Piemont Versendungen;
wohin die Großhaͤndler meine Tuͤcher versenden, weiß ich
nicht.
Fr. Sie verkaufen mit einer Praͤmie von 13 1/2
Proc. in das Ausland, und koͤnnen auf den fremden Markten Concurrenz
halten. Koͤnnten Sie auch auf den franzoͤsischen Maͤrkten
mit dem Auslande Concurrenz halten, im Falle das Einfuhrverbot aufgehoben
wuͤrde? – A. Ich glaube nicht; denn sowohl die Belgier, als die
Englaͤnder arbeiten unter Vortheilen und mit Mitteln, gegen die wir
selbst bei einem Zolle, wie hoch derselbe auch seyn mag, nicht ankaͤmpfen
koͤnnen. Ihre Fabriken sind in groͤßerem Maßstabe eingerichtet,
als die unsrigen; sie koͤnnen bei niedrigen Zinsen uͤber
groͤßere Capitalien verfuͤgen; sie kaufen die Rohstoffe zu
niedrigen Preisen; es stehen ihnen zum Transporte ihrer Fabrikate Eisenbahnen
und Canaͤle zu Gebot; und sie besizen endlich Betriebs- und
Verschleißmittel, die wir nicht haben. Demgemaͤß bin ich der
Ueberzeugung, daß wir uns gegen die Aufhebung des Einfuhrverbotes nicht genug
zur Wehre setzen koͤnnen; ich behaupte dieß nicht bloß in meinem
Privatinteresse, sondern auch im allgemeinen Landesinteresse, fuͤr
welches eine solche Maßregel, die nothwendig den Untergang unserer Wollenweberei
nach sich ziehen wuͤrde, von großem Nachtheile seyn muͤßte. Ich
vertheidige zwar meine Sache, allein ich vertheidige sie eben so gut im
allgemeinen Interesse, als im Interesse der Tuchfabrikanten. Die Landwirthschaft
erzeugt den Rohstoff, den wir verarbeiten, und eine Beguͤnstigung der
Wollenwaarenfabrikation muß folglich nothwendig auch eine Beguͤnstigung
des Akerbaues nach sich ziehen. Industrie und Akerbau muͤssen einander
gegenseitig unterstuͤzen, und man geht daher von einem ganz falschen
Principe aus, wenn man dieselben einander feindlich gegenuͤber stellt. Im
Interesse der Landwirthschaft ist es, uns mit wohlfeilen Rohstoffen zu versehen,
damit die Preise unserer Fabrikate sinken, und deren Absaz im
Verhaͤltnisse der Abnahme des Preises zunehmen koͤnne.
Fr. Sie fordern also keine Verminderung des Zolles,
der auf den Rohstoffen, die Sie in Ihren Fabriken verarbeiten, lastet? –
A. Ich fuͤhle wohl, daß die Verminderung dieses Zolles unsere Fabrikate
wohlfeiler machen wuͤrde; allein es wuͤrde sich fragen, ob hieraus
nicht fuͤr den Akerbau ebenfalls ein Nachtheil erwuͤchse; ich
verlange nur in sofern eine Ermaͤßigung der Zoͤlle, als die
Interessen anderer dadurch nicht beeintraͤchtigt werden.
Fr. Sie wuͤnschen also keine Verminderung der
Zoͤlle? – A. Ich verlange nichts, was dem Gesammtinteresse
Frankreichs entgegen waͤre. Eine Verminderung der Zoͤlle ist nur
fuͤr den Verbrauch im Inlande von Wichtigkeit, indem nur die
Zoͤlle bei der Ausfuhr ruͤkverguͤtet werden. Der auf den
fremden Wollen lastende Zoll kann daher nur in Beziehung auf die Zunahme des
Verbrauches im Inlande als ein Hinderniß betrachtet werden; in dieser Hinsicht
koͤnnte ich daher allerdings eine groͤßere Erniedrigung der
Zoͤlle verlangen, wenn ich nur mein eigenes Interesse
beruͤksichtigte.
Fr. Arbeiten Sie mit Steinkohlen? – A. Nein;
denn wir haben ein Wasserwerk, welches vortheilhafter ist. Weil ich gerade auf
diesem Thema bin, so muß ich bemerken, daß einer der groͤßten Vortheile
Frankreichs in seinen hydraulischen Kraͤften gelegen ist, und daß wir
diesen Vortheil, der uns gegen so manche Vortheile des Auslandes schadlos halten
koͤnnte, nicht genug zu schaͤtzen wissen.
Fr. Wie groß koͤnnen Sie den Unterschied
zwischen ihren Gestehungspreisen und jenen des Auslandes angeben? – A.
Ich bin nicht im Stande hieruͤber Aufschluß zu geben. Wir fuͤhren
etwas Tuch aus, allein man huͤte sich hieraus gleich zu schließen, daß
wir mit dem Auslande den Wettstreit auszuhalten vermoͤgen. Unsere
Fabrikate sind in verschiedenen Gegenden des Auslandes aus bestimmten
Gruͤnden gesucht; so z.B. sucht man in Piemont, wohin ich
ausfuͤhre, unsere Fabrikate theils aus Gewohnheit, theils der
Nachbarschaft wegen; in anderen Laͤndern haͤngt dieß von der Mode
ab. Uebrigens darf man hiebei nicht außer Acht lassen, daß wir da, wo die
Englaͤnder einen Gewinn von 20 bis 25 Proc. machen, nur 10 Proc.
gewinnen, und daß unsere Ausfuhr im Vergleiche mit England so gering ist, daß
uns England leicht auch dieses wenige entreißen koͤnnte, wenn es
wollte.
Fr. Woher kommt es denn, daß uns die
Englaͤnder nicht verdraͤngen? – A. Weil es sich
unmoͤglich ganz verhindern laͤßt, daß wir nicht dennoch irgendwo
Verbindungen anknuͤpfen. In Turin z.B. ist man so sehr an die
franzoͤsischen Tuͤcher gewoͤhnt, daß die dortigen
Verkaͤufer, um ihren Abnehmern zu entsprechen, gezwungen sind,
Vorraͤthe davon zu halten. Die franzoͤsischen Fabrikate haben
einen eigenthuͤmlichen Charakter, an dem sie diejenigen, die sie suchen,
wohl erkennen koͤnnen.
Fr. Sie koͤnnen also nicht angeben, worin der
Vortheil, den das Ausland vor uns voraus hat, besteht? – A. Dieser
Vortheil, dessen Ursachen ich eben vorher angegeben habe, muß sehr bedeutend
seyn. Ich bemerke nur noch, daß der Arbeitslohn in Belgien beinahe um den
dritten Theil wohlfeiler ist.
Fr. Sie glauben also nicht, obschon sich dieß mit
vielen beobachteten Thatsachen zusammenreimt, daß Sie die fremde Concurrenz
auszuhalten im Stande sind? – A. Nein; ich bin im Gegentheile der
Ansicht, daß die Aufhebung des Einfuhrverbotes eine der ungluͤcklichsten
Maßregeln fuͤr Frankreich seyn wuͤrde, indem uns nicht dieselben
Betriebsmittel zu Gebot stehen, wie den Belgiern und Englaͤndern. Ich bin
dessen ungeachtet aber kein Freund des Monopolienwesens, als dessen
Anhaͤnger uns die Journalisten verschreien; auch ist die Tuchfabrikation
bei uns vollkommen frei, so daß im Inlande jeder concurriren kann. Wenn wir
gegen die Ersezung des Einfuhrverbotes durch einen Schuzzoll sprechen, so
geschieht dieß deßhalb, weil wir glauben, daß dieser Zoll umgangen und unsere
Maͤrkte mit englischen oder belgischen Producten uͤberschwemmt
werden wuͤrden. Die Zoͤlle, welche statt des Einfuhrverbotes
eingefuͤhrt werden sollen, wuͤrden entweder dem Verbote
gleichkommen, und dann sehen wir nicht ein, warum man das System aͤndern
will; oder die Zoͤlle waͤren nicht hinreichend, um die Einfuhr
fremder Zeuge zu verhindern, und dann wuͤrden unsere Maͤrkte
uͤberschwemmt werden.
Fr. Auf welche Weise glauben Sie, daß der Zoll
umgangen werden koͤnnte? – A. Durch Angabe eines Werthes, der
unter dem wirklichen Werthe waͤre; denn es waͤre nichts leichter,
als die Mauthbeamten in dieser Hinsicht zu hintergehen. Ich bin der Sohn eines
Tuchhaͤndlers, zaͤhle bereits 56 Jahre, trieb mich mein ganzes
Leben lang in Tuchgeschaͤften herum, und irre mich dessen ungeachtet noch
manchmal in Hinsicht auf die Qualitaͤt der Tuͤcher. Und nun wollen
Sie, daß ein Mauthbeamter sich nicht irren koͤnne?
Fr. Dieser Einwurf trifft bloß den nach dem Werthe
bestimmten Zoll; wuͤrde der Zoll nach dem Gewichte festgesezt, so
waͤre kein Betrug moͤglich? – A. Es gibt auch hier eine
Menge Mittel zu betruͤgen; man aͤnderte das System schon mehrere
Male, und dennoch war der Betrug nicht zu verhuͤten.
Fr. Glauben Sie, daß das Einfuhrverbot fuͤr
immer beibehalten werden muͤsse? – A. Dieß ist etwas zu viel, ich
bin kein Anhaͤnger des Prohibitivsystemes; ich will die Freiheit, aber
eine gute. Wenn es sich z.B. um einen Handelsvertrag mit ganz Europa oder mit
der ganzen Welt handeln wuͤrde, so waͤre ich alsogleich
fuͤr die allgemeine Freiheit, indem Frankreich als ein Land, welches
sowohl in landwirthschaftlicher als industrieller Hinsicht weit fortgeschritten
ist, am Ende uͤber andere Laͤnder den Vorrang behaupten
wuͤrde. Allein, wenn es sich bloß um einen Vertrag mit zwei
Maͤchten handelt, die uns keinen Gewinn versprechen, wohl aber großen
Verlust zuziehen koͤnnen, so bin ich gaͤnzlich fuͤr die
Aufrechthaltung des Einfuhrverbotes. Bei einem so beschraͤnkten
Geschaͤftskreise duͤrfen wir uns nur mit groͤßter Vorsicht
und Behutsamkeit vorwagen, wenn wir unsere franzoͤsischen Fabriken nicht
der Gefahr aussezen wollen von einer kolossalen Productivkraft der Nachbarn
erdruͤkt zu werden. Ich kann es daher nicht oft genug wiederholen, daß
die Regierung doch eine Maßregel, die uns nur hoͤchst
zuruͤkschrekende Katastrophen fuͤr die Zukunft voraussehen
laͤßt, zuruͤkweisen moͤge; ich hoffe um so sicherer
hierauf, als ich sie fuͤr unausfuͤhrbar halte.
Fr. Sie glauben also, daß die franzoͤsische
Industrie es nie dahin bringen werde, daß sie des Einfuhrverbotes entbehren
koͤnne? – A. Ich behaupte dieß nicht; allein wenn man den
Englaͤndern die Concurrenz eroͤffnet, so darf ich verlangen, daß
man uns auch unter gleiche Umstaͤnde mit ihnen verseze. Man lasse sie in
Frankreich Fabriken errichten, gleiche Auflagen mit uns bezahlen, und unter
denselben Verhaͤltnissen arbeiten, wie wir, und wir werden ihre
Concurrenz nicht fuͤrchten. Wie koͤnnen wir aber zugeben, daß sie
unseren Gewinn theilen, ohne unsere Lasten mit zu tragen? Sie, meine Herren,
werden nicht in den Ruin Frankreichs willigen! –
(Fortsezung folgt.)