Titel: | Ueber die vermeintliche Rolle des sogenannten basischen Chlorcalciums bei der Chlorkalkfabrication und Aetzammoniakbereitung; von Prof. Dr. P. Bolley. |
Fundstelle: | Band 153, Jahrgang 1859, Nr. LIV., S. 202 |
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LIV.
Ueber die vermeintliche Rolle des sogenannten
basischen Chlorcalciums bei der Chlorkalkfabrication und Aetzammoniakbereitung; von
Prof. Dr. P.
Bolley.
Aus der schweizerischen polytechn. Zeitschrift, 1859, Bd.
IV S. 54.
Bolley, über die vermeintliche Rolle des basischen Chlorcalciums
bei der Chlorkalkfabrication etc.
Unter „basischem Chlorcalcium“ versteht man das durch Kochen von
wässeriger Chlorcalciumlösung mit Aetzkalk, Filtriren und Krystallisirenlassen
erhaltene Salz, welches namentlich von H. Rose näher
untersucht worden und welches nach ihm die Zusammensetzung CaCl + 3Ca O + 16HO hat.
Dasselbe ist im Rückstande von der Bereitung der Aetzammoniakflüssigkeit aus Salmiak
und gelöschtem Kalk öfter beobachtet worden, und es ist durchaus naheliegend, daß es
sich auch bei der Darstellung pulverigen Chlorkalks bilde, falls es in dem
angewendeten Kalkhydrat nicht an Wasser fehlt. Man hat in beiden Operationen dem
Auftreten dieses Salzes eine Rolle zugeschrieben: daß es nämlich Einfluß übe auf die
Ausbeute, sowohl an Chlorkalk, resp. dessen Gehalt an wirksamem Chlor, als an
Ammoniak. Ich habe den Polytechniker Hrn. Lohner von Thun
veranlaßt, diese Verhältnisse mit mir durch eine Reihe von Versuchen zu ermitteln,
deren Resultat hier mitgetheilt werden soll.
Es ist bekannt, daß die nämliche Menge Kalk, dem Chlorstrom in Form einer dünnen
Kalkmilch ausgesetzt, mehr, und nahezu die doppelte Menge Chlor aufzunehmen vermag
als der zu Pulver gelöschte gebrannte Kalk. Im Großen wenigstens wird immer nur ein
fester Chlorkalk erhalten, in welchem annähernd neben 1 Aequivalent Chlorcalcium und
1 Aequivalent unterchlorigsaurer Kalkerde noch 2 Aequivalente Aetztalk enthalten
sind.
Payen z.B., und mit ihm viele Chemiker, betrachten den
pulverigen Chlorkalk als aus 4 CaO + 2 Cl + 4 HO bestehend, während im flüssigen 2
CaO + Cl enthalten seyen. Die Richtigkeit der Ansicht, daß ein Aequivalent des
trockenen Kalkhydrats nicht mehr als 1/2 Aequivalent Chlor aufzunehmen vermöge, kann
für unsere Zwecke dahingestellt bleiben. Die ihr entsprechenden Versuche von Graham scheinen jedoch nach unserer Meinung einer
Revision zu bedürfen. Für uns handelt es sich darum: Was mag die Ursache seyn, daß
auch bei möglichst zarter Vertheilung des Kalkhydrats und möglichst langer Berührung
mit dem Chlorgas, doch immer noch fast die Hälfte des Kalks vom Chlor unangegriffen
bleibt? – Es wurde die Ansicht ausgesprochen, daß das gebildete Chlorcalcium
eben mit dem Reste des Kalkes und Wassers eine Verbindung eingehe – das
basische Chlorcalcium – welche die weitere Aufnahme des Chlors erschwere.
Um diese Annahme zu prüfen, wurde durch Kochen einer concentrirten Chlorcalciumlösung
mit gelöschtem Kalk und heißes Filtriren der Lösung und Erkaltenlassen das Salz CaCl
+ 3 CaO + 16 HO dargestellt, zuerst zwischen Fließpapier eingeschlagen, durch
Pressen, dann unter der Luftpumpe möglichst getrocknet und einige Gramme desselben
einem Strome getrockneten Chlorgases ausgesetzt. Es zeigte sich bald, daß dasselbe
feucht wurde, indem das aufgenommene Chlor Wasser verdrängte. Nachdem zum Entfernen
mechanisch anhängenden Chlors eine kurze Zeit lang trockne und kohlensäurefreie Luft
durch das Rohr geleitet worden, wurde dieß entleert und sein Inhalt auf wirksames
Chlor volumetrisch geprüft. Es zeigte sich ein Gehalt von 9 1/2 Proc. Chlor. Da
dieser Chlorgehalt noch nicht der vollständigen Umwandlung des vorhandenen CaO in
ClCa + CaO, ClO entsprach, wurde das Salz durch Pressen zwischen Papier etwas von
dem Wasser befreit und aufs Neue dem Chlorstrom ausgesetzt. Eine zweite gezogene
Probe, auf die gleiche Art untersucht, zeigte einen Chlorgehalt von 12 Proc. Das
Salz war zum zweitenmale stark feucht geworden, obschon das einströmende Chlorgas
vollständig getrocknet worden war. Der Versuch, das Chlor in demselben noch mehr
anzureichern, wurde unterlassen, da mit dem Berichteten genugsam bewiesen war, daß
das basische Chlorcalcium der Einwirkung des Chlors nicht zu widerstehen vermöge.
Das Hinderniß, daß der trockne Chlorkalk, im Großen dargestellt, nie den möglichen
vollen Chlorgehalt erreicht, ist darum wohl meist mechanischer Natur, daneben aber
freilich zuweilen in den chemischen Unreinheiten des Kalkes begründet.
Ueber die Rolle des „basischen Chlorcalciums“ bei der Salmiakgeistbereitung verbreitet sich namentlich Mohr in seinem Commentar zur preußischen Pharmatopoe,
Artikel: liquor ammonii caustici. Derselbe bespricht nach einander die dem
Zweck am besten entsprechenden Mengen von Wasser und von Kalk, die zum Salmiak und
zu dessen vollständiger Zerlegung hinzuzusetzen sind. In Betreff des erstem ist
gewiß ganz richtig, daß von seiner Quantität zwei Erscheinungen abhängen, die des
Uebersteigens bei einer gewissen dicklichen
Beschaffenheit der Mischung und die des Uebergehens von
Wasserdampf mit dem Ammoniakgas, wodurch eine Erwärmung der Vorlagen
bewirkt wird, die bei bloßer Absorption des Ammoniakgases nicht vorkommen
könnte.
Mohr sagt ferner: „Die Bildung dieses Salzes
(des basischen Chlorcalciums) veranlaßt, daß bei Gegenwart von viel Wasser der
Salmiak von dem überschüssigen Kalk nicht zersetzt wird, indem letzterer mit dem
Chlorcalcium zusammentritt. Bei einer höheren Temperatur und bei Verlust von
Wasser tritt von Neuem eine Wechselwirkung ein und es wird nochmals Ammoniak
entwickelt, im Verhältniß als das Wasser entweicht“; und weiter:
„Aus diesen Ursachen geht aufs Bestimmteste
hervor, daß in einer verdünnten Flüssigkeit basisches Chlorcalcium neben
Salmiak enthalten seyn könne, ohne daß sich beide durch bloßes Kochen
zerlegen; daß die Einwirkung mit dem Verluste des Wassers und der
Eintrocknung des Gemenges und der dadurch gesteigerten Temperatur aber wieder
eintrete u.s.w.“
Wir wollen vorerst näher untersuchen, wie etwa diese Sätze zu verstehen seyen. Das
basische Chlorcalcium enthält auf 55,5 Gewichtstheile Chlorcalcium 84 Kalk (CaO) und
144 Wasser; es bildet sich aber nur beim Erkalten einer heißen, ganz gesättigten
Chlorcalciumlösung, die mit Kalkhydrat gekocht worden war. Nimmt man die Existenz
des Salzes in der Lösung an, so wäre wohl Mohr's Meinung so zu deuten, daß in einer Lösung, in
welcher das obige Verhältniß von Wasser, Chlorcalcium und Kalkerde eingetreten ist,
sich überschüssiger Salmiak befinden könne, der schwieriger durch den Kalk zerlegt
werde als bei größerer oder kleinerer Wassermenge. Diese Ansicht ist von vornherein
unwahrscheinlich, und noch dazu etwas undeutlich wird die Sache durch die Stelle,
„daß in einer verdünnten Flüssigkeit
basisches Chlorcalcium neben Salmiak enthalten seyn könne, ohne daß sich beide
durch bloßes Kochen zerlegen.“
– Es wurde krystallisirtes „basisches Chlorcalcium“ mit
Salmiakpulver zusammengemengt und schon bei gewöhnlicher Temperatur entwickelte sich
starker Ammoniakgeruch.
Eine Mischung von gepulvertem Salmiak mit krystallisirtem Chlorcalcium, im Verhältniß
von 1 Theil des erstem zu 3 Theilen des letztern, wurde in einem Kölbchen erhitzt
und die entwickelten Dämpfe verdichtet aufgefangen. Der Ammoniakgehalt der
Flüssigkeit entsprach bis auf äußerst Weniges demjenigen des angewandten Salmiaks. Es wurde 1
Theil Salmiak mit 2 Theilen krystallisirten „basischen
Chlorcalciums“ und 2 Theilen Nasser in einem Kölbchen gemischt und
eine Zeit lang zum Kochen erhitzt. Die entweichenden Dämpfe wurden in titrirter
Lösung von Oralsäure sorgfältigst aufgefangen und so das übergegangene Ammoniak
bestimmt. Die Menge, welche erhalten wurde, entsprach 80 Proc. des Kalkgehaltes des
„basischen Chlorcalciums“, d.h. 80 Proc. des Kalkgehaltes
dieses Salzes dienten zur Zerlegung des Salmiaks, unter der Annahme, daß ein
Aequivalent Kalk ein Aequivalent Salmiak zersetze. 58 Procent der vorhandenen
Kalkerde wären nöthig gewesen, um allen Salmiak zu zerlegen. Es fehlte hier an
hinreichender Fortdauer des Kochens. Ein anderer Versuch, in welchem Salmiak,
krystallisirtes basisches Chlorcalcium und Wasser in ähnlichem Verhältniß gemischt
wurden, ergab, daß nach längerem Kochen der Rückstand keinen Salmiak mehr
enthielt.
Aus diesen Versuchen geht wohl unzweifelhaft hervor, daß das Salz CaCl + 3 CaO + 16
HO weder an und für sich, noch mit Wasser gemischt (wobei es übrigens auch wieder
zerfällt), ein Hinderniß für die Zerlegung des Salmiaks bieten könne.