Titel: | Kleine Beiträge zur Gährungschemie, insbesondere zur Chemie und Technik des Weines; von E. Friedr. Anthon, technischer Chemiker in Prag. |
Autor: | Ernst Friedrich Anthon [GND] |
Fundstelle: | Band 153, Jahrgang 1859, Nr. LXXXIII., S. 303 |
Download: | XML |
LXXXIII.
Kleine Beiträge zur Gährungschemie, insbesondere
zur Chemie und Technik des Weines; von E.
Friedr. Anthon, technischer Chemiker in Prag.
Anthon, Beiträge zur Chemie und Technik des Weines.
So wie sich häufig Extreme zu berühren pflegen, so war dieß auch der Fall bei der
Bereitung des Weines. Während Jahrhunderten blieb es bei diesem Industriezweig im
Allgemeinen hübsch beim Alten und nur bei Einzelnen fanden rationelle Verbesserungen
die gebührende Aufnahme. Anders verhält es sich in der neuesten Zeit, wo eine
Verbesserung die andere zu verdrängen sucht. Gall's
Herstellung eines Normalmostes von bestimmtem Säuregehalt durch Wasser- und
Zuckerzusatz und seine Aufbesserung junger Weine, – Leuchs' Erfindung „Wein aus Wasser ohne Trauben zu
machen“ – Petiot's Methode aus
einer und derselben Traubenmenge 3, 4 ja 5 mal so viel Wein zu machen als es seither möglich war, u.a.
– liefern den Beweis für das Gesagte. – Aehnlich gieng es in den
anderen Zweigen der Gährungschemie, als in der Bierbrauerei und Branntweinbrennerei.
– So erfreulich nun auch ein solches Streben nach vorwärts ist, so hat es
doch auch seine Schattenseite, und nur zu leicht gibt dasselbe dazu Veranlassung,
daß des Guten zu viel geschieht, und auf falsche Voraussetzungen basirte
Verbesserungen nur zu leicht – dem der sie anwendet – Schaden bringen
und der Verbreitung werthvoller Erfindungen großen Abbruch thun können.
Dieses veranlaßte mich nun die neuen Erfindungen auf dem in Rede stehenden Gebiete,
so weit als es mit die Verhältnisse gestatten, einer näheren Prüfung zu unterwerfen,
deren Resultate ich von Zeit zu Zeit in diesem Journal mittheilen, und dabei
besonders auf die Berichtigung von verbreiteten Irrlehren und andere hierher
gehörige Untersuchungen Rücksicht nehmen werde.
I. Wirkung eines Zusatzes von
Weinsteinsäure bei der Weingährung.
Es ist bekannt daß Gall bei seiner Methode der
Most- und Wein-Verbesserung von der Ansicht ausgieng, daß ein Wein,
– um ein guter Wein zu seyn, – einen bestimmten, weder zu großen noch
zu geringen Säuregehalt besitzen dürfte, und gab die Gränze nach abwärts mit 5 pro mille, die Gränze nach aufwärts mit 7 pro mille an.
Petiot dagegen nimmt auf den Säuregehalt als solchen
keine Rücksicht, und es unterliegt keinem Zweifel, daß in den meisten, –
vielleicht in allen – Fällen sein zuerst von den Trestern abgelassener (also
ohne Zuckerwasser-Zusatz erlangter) Wein mehr als 7 pro mille, folglich zu viel Säure besitzen muß, während seine durch die
verschiedenen Zuckerwassernachgüsse erzielten Weine in dem Verhältniß immer weniger
Säure enthalten werden, als der Zuckerwassernachguß ein späterer war, so daß sein
vierter und fünfter Nachguß oft ein Product liefern wird, welches kaum 1 pro mille, folglich viel zu wenig Säure enthält, und
dennoch behauptet Petiot, daß die durch die
Zuckerwassernachgüsse erzielten Weine viel lieblicher, angenehmer, bouquetreicher,
– kurz unbedingt besser gewesen seyen, als der aus dem Naturmost erhaltene
Wein.
Petiot ist demnach in Bezug auf Säuregehalt gerade der
entgegengesetzten Ansicht, wie Gall, dürfte aber mit
derselben von der Wahrheit entfernter stehen als letzterer, wenigstens sprechen
nicht nur die von mit bis jetzt erlangten Resultate dafür, sondern es wird dieses
auch von Andern bereits als feststehend angenommen und demzufolge auch an
verschiedenen Orten ein
Zusatz von Weinsteinsäure bei der Weinbereitung nach Petiot empfohlen und bereits auch im Großen angewendet. Auch sogar früher
schon, wurde als bestes Mittel gegen das Umschlagen des Weines (s. Babo's Weinbau, 1855, S. 528) ein Zusatz von
Weinsteinsäure empfohlen.
Ein solcher Zusatz scheint auf den ersten Anblick nichts Bedenkliches an sich zu
haben, besonders wenn man der vorherrschenden Ansicht huldigt, daß die
Weinsteinsäure es sey, welche unter den Säuren des Mostes und Weines als solche
vorwalte, wodurch man sich für berechtigt halten kann, dem Moste die fehlende
Weinsteinsäure so zuzusetzen, wie man ihm den fehlenden Zucker zusetzt. Bei näherer
Prüfung verhält sich die Sache aber anders, indem in den meisten Fällen keineswegs
die Weinsteinsäure die vorwaltende Säure des Mostes ist, und dieselbe auch, wie kaum
zu bezweifeln, in einem andern Zustand im Moste und Weine enthalten ist, als wie sie
im chemischen Laboratorium aus dem Weinstein frei ausgeschieden wird.
Ohne nun von theoretischem Gesichtspunkte aus, den Gegenstand weiter zu besprechen,
will ich die wesentlichsten der Gährungsversuche mittheilen, die ich über den
Einfluß eines Zusatzes von Weinsteinsäure, bei der weinigen Gährung fähigen Stoffen,
angestellt habe.
Erster Versuch. Es wurden 70 Gewichtsth. Traubenzuckerlösung von 26 Proc.
Saccharometer mit 5 Gewichtsth. ganz unreifen zerquetschten Stachelbeeren in Gährung
versetzt, welche bei 18–24° R. so schön verlief, daß binnen 5 Wochen
die Vergährung bis unter 0 vorgeschritten war.
Zweiter Versuch. Derselbe Versuch, jedoch mit dem Unterschied gleichzeitig
angestellt, daß der angewendeten Zuckerlösung 6 pro
mille Weinsteinsäure zugesetzt worden war, gab eine so träge und
unvollständige Vergährung zu erkennen, daß nach 10 Wochen die Flüssigkeit noch 14
1/2 Proc. Saccharometer zeigte.
Dritter Versuch. 70 Gewichtsth. Traubenzuckerlösung von 26 Proc. Saccharometer mit 5
Gewichtsth. ganz unreifen Johannisbeeren vergährten bei 18–24° R.
binnen 6 Wochen bis auf 1 Proc. Saccharometer.
Vierter Versuch. Als derselbe Versuch unter gleichen Umständen, jedoch mit Zusatz von
6 pro mille Weinsteinsäure zur Zuckerlösung angestellt
wurde, vergährte die Flüssigkeit binnen 8 Wochen nur auf 14 Procent
Saccharometer.
Fünfter Versuch. 38 Gewichtsth. Traubenzuckerlösung von 25 Proc. Saccharom. wurden
mit 6 Gewichtsth. zerquetschten reifen Johannisbeeren versetzt und bei
18–24° R. vergähren gelassen.
Binnen 6 Wochen sank die Dichtigkeit auf 0 Saccharom.
Sechster Versuch. Derselbe Versuch, gleichzeitig unter gleichen Umständen, jedoch
unter Mitanwendung von 6 pro mille Weinsteinsäure vom
Gewicht der Zuckerlösung vorgenommen, lieferte binnen derselben Zeit eine Vergährung
bloß auf 8 1/2 Proc. Saccharom.
Siebenter und achter Versuch. 38 Gewichtsth. Traubenzuckerlösung mit 6 Gewichtsth.
zerquetschten reifen Stachelbeeren vergährten bei 16–24° R. binnen 5
Wochen bis auf 2 Proc. Saccharom. – bei Mitanwendung von 6 pro mille Weinsteinsäure aber nur auf 8 1/2 Proc.
Saccharom. binnen 10 Wochen.
Neunter und zehnter Versuch. 37 Gewichtstheile Traubenzuckerlösung vergährten durch
Zusatz von 4 Gewichtsth. zerquetschten, entblätterten Weinrebentrieben bei
18–22° R. binnen 5 Wochen auf 1 Proc. Saccharom. wenn keine
Weinsteinsäure angewendet wurde, dagegen während 10 Wochen nur auf 6 1/2 Proc. wenn
5 pro mille (vom Gewicht der Zuckerlösung)
Weinsteinsäure zugesetzt wurde.
Aus diesen Versuchen ergibt sich nun auf das Deutlichste:
a) daß ein Zusatz von Weinsteinsäure zu einer mit
unreifen Stachelbeeren oder deßgleichen Johannisbeeren versetzten
Traubenzuckerlösung die Gährung derselben nicht nur sehr verlangsamt, sondern auch
viel früher unterbricht, als wenn keine Weinsteinsäure zugesetzt wird, und somit
eine sehr unvollständige Vergährung zur Folge hat;
b) daß dasselbe der Fall ist, wenn man dieselben
Beerenfrüchte im reifen Zustand anwendet und
c) daß ebenfalls das Verhalten dasselbe ist, wenn man
eine mit zerquetschten grünen Weinrebentrieben versetzte Traubenzuckerlösung
anwendet.
Ferner stellte sich bei diesen Versuchen auf das Unzweideutigste noch heraus:
d) daß in allen Fällen, wo Weinsteinsäure angewendet
wurde, die Gährung später eintrat, als wenn keine Säure zugesetzt worden war;
e) daß bei Anwendung von Weinsteinsäure Schimmelbildung
sowohl, als wie Eintritt der sauren Gährung, besonders vor Beginn der geistigen
Gährung, beschleunigt wurde.
Endlich glaubte ich auch einigemal bemerkt zu haben, daß
f) die Entwicklung des Bouquets durch Zusatz von
Weinsteinsäure erschwert werde, – doch bedarf diese letztere Beobachtung noch
der weiteren Bestätigung.
In praktischer Beziehung haben uns diese Versuche also gelehrt, daß es bei Ausübung
des Petiot'schen Verfahrens eine sehr bedenkliche Sache
bleibt, Weinsteinsäure zuzusehen, und daß es, so lange die Nützlichkeit und
Zulässigkeit eines solchen Zusatzes noch nicht entschieden erwiesen ist, – mindestens
räthlich erscheinen dürfte, die Weinsteinsäure nicht vor der Gährung, sondern nach
deren theilweisem oder beendigtem Verlauf zuzusetzen.
Allerdings wurden die mitgetheilten Versuche nur mit Stachelbeeren und Johannisbeeren
sowie mit Weinrebentrieben angestellt, während die Versuche mit Weintrauben noch im
Zuge sind, aber ich glaube annehmen zu können, daß das Resultat der letzteren nicht
wesentlich verschieden ausfallen wird.
II. Ueber Saftdichte, Säuregehalt und
andere Eigenschaften verschiedener Johannisbeerarten.
Die sich allmählich verbreitende, so nutzbringende Bereitung der Beerenweine gab
Veranlassung, daß mehrseitig der Wunsch ausgesprochen wurde, es möchten die
verschiedenen Arten Johannisbeeren in Bezug auf ihren Werth zur Weinbereitung
untersucht werden.
Ich habe mich dieser Untersuchung unterzogen und theile in Folgendem das erlangte
Resultat mit. Die Früchte waren im Jahre 1856 (welches bekanntlich dem Gedeihen des
Obstes günstig war) in meinem pomologischen Versuchsgarten zu Prag gezogen, ohne daß
ihnen dabei eine besondere Pflege zu Theil geworden wäre. Die Ernte fand nach
gehöriger Reife statt.
A. Weiße Johannisbeeren.
a. Gemeine weiße.
Saftdichte 1047. – Säuregehalt 21,5 pro mille.
– Saft ziemlich dünnflüssig.
b. Französische, süße, weiße.
Saftdichte 1051. – Säuregehalt 20,5 pro mille.
– Saft ziemlich dünnflüssig.
c. Weiße mit rothen Streifen.
Säuregehalt 26,5 pro mille. – Saft so dickflüssig
und schleimig, daß das spec. Gewicht nicht zu ermitteln war.
Die Beeren dieser Sorte sind so klein, und ihre Fruchtbarkeit ist so gering, daß sie
ganz werthlos erscheint.
B. Rosenrothe Johannisbeeren.
a. Fleischfarbige.
Saftdichte 1048. – Säuregehalt 22 pro mille.
– Saft dünnflüssig.
b. Englische rosenrothe.
Saftdichte 1050. – Säuregehalt 22,5 pro mille.
– Saft dünnflüssig.
C. Rothe Johannisbeeren.
a. Gemeine rothe.
Saftdichte 1053. – Säuregehalt 19 pro mille.
– Saft dünnflüssig.
b. Précose de Tours.
Saftdichte 1042. – Säuregehalt 23 pro mille.
– Saft am dünnflüssigsten.
c. Gondouin.
Saftdichte 1050. – Säuregehalt 34,5 pro mille.
– Saft ziemlich dünnflüssig.
d. Frey's Sämling.
Saftdichte 1043. – Säuregehalt 21,5 pro mille.
– Saft mäßig dünnflüssig.
e. Grosellier de Cerise. (Kirschen- oder
Riesen-Johannisbeere.)
Saftdichte 1043. – Säuregehalt 23,5 pro mille.
– Saft dünnflüssig.
Wegen der Größe der Trauben und Beeren und ihrer Fruchtbarkeit die
empfehlenswerthesten, da ihr Lesen dadurch rasch vom Flecke geht.
Die Größe dieser Sorte ergibt sich recht auffallend durch einen Vergleich ihres
Gewichtes mit dem der gemeinen Johannisbeere.
Bei einem vorgenommenen Versuch wogen
2 Träubchen
der Kirsch-Johannisbeere mit
25 Beeren
380 Gran und
2 „
„ gemeinen Johannisb. mit
22 „
83 Gran.
D. Johannisbeeren welche dem Geschlecht der schwarzen
(Ribes nigrumLinn.) angehören.
a. Impérial noir oder schwarze, große von
Neapel.
Saftdichte 1052. – Säuregehalt 37 pro mille.
– Saft so dick und schleimig daß er nicht mehr flüssig erscheint, wodurch das
Auspressen im höchsten Grad erschwert wird.
b. Cassis à fruits jaunes.
Saftdichte 1052. – Säuregehalt 35 pro mille.
– Saft so dick und schleimig als wie bei der vorhergehenden.
Als wesentlichstes Resultat dieser Versuchsreihe stellt sich die größere Saftdichte
und der größere Säuregehalt bei denjenigen Johannisbeerenarten heraus, die dem
Geschlecht der schwarzen angehören und bei ihnen scheinen diese beiden Eigenschaften
– den zum Geschlecht der rothen Johannisbeere (Ribes
rubrum
Linn.) gehörigen Arten gegenüber, wozu alle von
A bis C angeführten zu
zählen sind – charakteristisch zu seyn. In wiefern aber die Verschiedenheit
in der Saftdichte und dem Säuregehalt bei den dem letzteren Geschlecht angehörenden
Sorten diesen eigenthümlich oder von klimatischen, Boden- oder
Culturverhältnissen abhängig ist, muß durch weitere Versuche entschieden werden.
III. Ueber die Messung des Gähreffectes
der Hefe, der verschiedenen Obstarten u.s.w.
Der dritte im Bunde unter den wesentlichen Bestandtheilen der, der geistigen Gährung
fähigen Flüssigkeiten ist das Ferment. – Unsere immer noch sehr mangelhafte
Kenntniß über das Wesen desselben wird um so fühlbarer, als hierdurch in manchen
Gewerben, bei verschiedenen Processen noch immer ziemlich empirisch zu Werke
gegangen werden muß.
Vor Allem erscheint es in dieser Beziehung wünschenswerth ein Mittel zu besitzen, um
den Gähreffect irgend eines als Ferment dienenden Stoffes zu ermitteln, und dieses
wurde auch schon mehrseitig erkannt und ausgesprochen. So sagt z.B. Roberts in seiner Anleitung zur Beerenweinbereitung:
„Ein wichtiger Punkt ist es, die Quantität Stachelbeersaft zu finden,
die erforderlich ist, um eine bestimmte Menge Zucker bis auf 0 zu vergähren.
Dieses würde mit anderen Worten heißen, wie viel Stachelbeersaft ist auf eine
mit 1 Pfd. Zucker versüßte Menge Wasser (z.B. einen Gallon) erforderlich? Wäre
dieses entdeckt, so besäßen wir Anhaltspunkte, nach welchen wir in diesem Theil
des Processes (Bemessung der rechten Menge Beeren gegen Zucker) mit der größten
Schärfe verfahren könnten.“
Auch Gall spricht sich dahin aus, daß es wohl das
rationellste Verfahren bei der Verbesserung eines Mostes wäre, die vorhandene
Fermentmenge als Ausgangspunkt zur Bestimmung der nöthigen Mengen Wasser, Zucker und
Säure zu benutzen, daß aber die Durchführung eines solchen Verfahrens an dem Mangel
eines Mittels zur Bestimmung der vorhandenen Hefemenge scheitere.
Bei näherer Prüfung des Gegenstandes ergibt sich aber bald, daß ein solches Mittel
nicht ferne liegt, denn wenn man wiederholt Methoden in Vorschlag bringen konnte, um
Zucker dadurch quantitativ zu bestimmen, daß man ihn mit einem Ueberschuß von
Ferment vergähren läßt, so muß es auch umgekehrt möglich seyn, eine vorhandene Menge
Ferment dadurch zu messen, daß man ihre Kraft durch in Ueberschuß dargebotenen
Zucker erschöpft und nach der verzehrten Menge Zucker dann näher bezeichnet.
Als wesentlicher Unterschied wird hierbei jedoch der auftreten, daß bei dem erwähnten
Verfahren zur quantitativen Bestimmung des Zuckers, dessen wirklich vorhandene Menge
nachgewiesen wird, während bei dem angeregten Verfahren zur Bestimmung des
Fermentes, es sich natürlich nicht darum handeln kann, dessen Menge nachzuweisen,
sondern dessen Effect zu messen, indem es bekannt ist, daß die Wirkung einer und
derselben Fermentmenge, je nach der Temperatur, der Concentration der Zuckerlösung, der Gegenwart von
Stoffen welche die Gährung befördern oder erschweren u.s.w., sehr verschieden
ausfallen kann. Aber eben diese Effectmessung ist es, welche dem Techniker von
Wichtigkeit ist; die wirklich vorhandene Hefenmenge, welche im rein ausgeschiedenen
Zustand so gut als gar nicht bekannt ist, hat für ihn kein Interesse.
Um nun in der angedeuteten Weise die Kraft irgend eines als Ferment dienenden Stoffes
zu messen, bringe man eine beliebige aber abgewogene Menge desselben mit einer
überschüssigen Menge reinen Traubenzuckers in Berührung, den man in einer passenden
Menge Wasser aufgelöst hat, und setze diese Mischung einer mehr oder weniger
erhöhten Temperatur aus. Den Grad derselben hat man so zu wählen, daß die Gährung
eine möglichst lebhafte ist, ohne jedoch dieselbe so zu steigern, daß ein
Uebersteigen möglich wird. Durch eine aufmerksame Regelung der Temperatur kann man
die zur Durchführung des Versuches nöthige Zeit sehr abkürzen.
Sobald die Gährung vorüber ist, bestimmt man mittelst des Saccharometers den Grad der
Vergährung und folgert von diesem auf den ausgeübten Effect des geprüften Fermentes.
Ist die Vergährung bis unter 0 vorgeschritten, so hatte man wahrscheinlich zu wenig
Zuckerlösung angewendet, und man muß den Versuch mit einer größeren Menge
Zuckerlösung wiederholen.
Um hierbei das Resultat verschiedener Prüfungen in bestimmten, den ausgeübten Effect
angebenden Zahlen bezeichnen zu können, ermittele ich die Anzahl der vergohrenen
Procente, wie sie vom Saccharometer angezeigt werden, berechne hiernach das Gewicht
der scheinbar zersetzten Zuckermenge, und bringe dieses in Verhältniß zu 10
Gewichtstheilen des geprüften Fermentes. Die so erlangte Zahl bezeichnet dann die
Kraft des untersuchten Fermentes unter den stattgehabten Verhältnissen. – Ein
Beispiel mag dieses verdeutlichen. – Nehmen wir zu diesem Behufe also
beispielweise an, daß eine Mischung aus 50 Loth Zuckerlösung von 24 Procent
Saccharometer und 3 Loth Stachelbeeren auf 4 Proc. vergohren sey, so betrug die
scheinbar verzehrte Menge Zucker 20 Proc. oder auf Gewichtstheile berechnet 10 Loth.
Diese auf 10 Loth Stachelbeeren berechnet geben 33,3, welche Zahl die Größe des
ausgeübten Gähreffectes der geprüften Stachelbeeren bezeichnet.
Um die jedesmalige Berechnung zu vereinfachen, kann man stets 100 Gewichtstheile
Zuckerlösung und 5 Gewichtstheile des zu prüfenden Fermentes anwenden, in welchem
Falle man weiter nichts zu thun hat, als die scheinbar vergohrenen Zuckerprocente
mit 2 zu multipliciren. Noch einfacher wäre es zwar auf 100 Gewichtstheile
Zuckerlösung stets 10 Gewichtstheile des zu prüfenden Fermentes anzuwenden, was aber deßwegen nicht
thunlich ist, weil dann in vielen Fällen nicht genug Zucker vorhanden wäre, um die
Kraft des Fermentes zu erschöpfen.
Ich lasse nun eine Reihe von Bestimmungen über den Gähreffect verschiedener Stoffe
folgen, welche in vorbeschriebener Weise vorgenommen worden sind. Die beigefügten
Zahlen bezeichnen den ausgeübten Gähreffect.
AusgeübterGähreffect.
1.
Preßhefe des Handels in Traubenzuckerlösung mit7 pro mille Weinsteinsäure
78,0
2.
Ganz unreife am 21. Mai (1858) gesammeltezerquetschte
Stachelbeeren
27,3
3.
Saft von unreifen am 26. Juni gesammeltenStachelbeeren
11,6
Bei einer andern Menge
13,6
4.
Reife zerquetschte Stachelb. am 12. Juli gesammelt.
15,4
5.
Saft von reifen am 15. Juli gesammelten Stachelb.
5,5
6.
Ueberreife zerquetschte Stachelbeeren am 20. Augustgesammelt
9,3
7.
Ganz unreife am 1. Juni gesammelte Stachelbeerenim zerquetschten
Zustand, in Traubenzuckerlösungund 6 pro
mille Weinsteinsäuregehalt
18,6
8.
Saft von ganz unreifen am 29. Juni gesammeltenStachelbeeren mit
Traubenzuckerlösung, welcher 6 pro
mille Weinsteinsäure zugesetzt worden war
8,3
9.
Reife am 14. Juli gesammelte und zerquetschteStachelbeeren mit
Traubenzuckerlösung, welche mit 6 pro
mille Weinsteinsäure versetzt worden war
9,0
10.
Ganz unreife schon am 21. Mai gesammelte undzerquetschte
Johannisbeeren
26,0
11.
Saft von ganz unreifen am 3. Juni gesammeltenJohannisbeeren
14,0
12.
Saft von halbreifen rothen Johannisbeeren, am 27.
Junigesammelt
11,8
13.
Reife, rothe am 20. August gesammelte
zerquetschteJohannisbeeren
14,4
14.
Ganz unreife zerquetschte Johannisbeeren (am 1. Junigesammelt) mit
Traubenzuckerlösung, welcher 6 pro
mille Weinsteinsäure zugesetzt worden war
14,3
15.
Bei einem ganz ähnlichen Versuch, bei welchem aber
die
Johannisbeeren um 14 Tage später gesammelt worden waren
14,3
16.
Saft von halbreifen am 29. Juni gesammeltenJohannisbeeren, mit
Traubenzuckerlösung, welcher 6 pro
mille Weinsteinsäure zugesetzt worden war
9,5
17.
Reife, am 14. Juli gesammelte, rothe, zerquetschteJohannisbeeren in
Traubenzuckerlösung von 6 pro
mille Weinsteinsäure
11,6
18.
Am 17. Juli gesammelte Weinrebenschnittlinge (Stengel,Blätter und
Ranken) zerquetscht
20,5
19.
Die Blätter allein angewendet
22,5
20.
Die entblätterten Stengel sammt Ranken
24,4
21.
Rosinen unter Mitanwendung von 6 pro
milleWeinsteinsäure (vom Gewicht der Zuckerlösung)
18,7
22.
Weinbeeren (kleine, schwarze Rosinen) ebenfalls unterMitanwendung von
6 pro mille Weinsteinsäure
20,9
23.
Reife, zerquetschte Gartenerdbeeren beiMitanwendung von 6 pro mille Weinsteinsäure(vom Gewicht des
Zuckers)
9,9
24.
Unreife am 25. Juni abgenommene Aepfel, gutzerquetscht unter
Mitanwendung von 5 pro milleWeinsteinsäure,
sammt den Trestern vergohren
20,0
25.
Unreife Birnen unter ganz gleichen Umständenangewendet (also mit
Anwendung von Weinsteinsäure)
20,0
26.
Unreife am 17. Juli abgenommene Aepfel, ohneMitanwendung von
Weinsteinsäure
14,6
27.
Unreife am 17. Juli abgenommene Birnen, ohneMitanwendung von
Weinsteinsäure
18,6
28.
Aprikosen im reifen Zustand zerquetscht, zweimal mitWasser ausgezogen
und die gemischten Säfte durchTraubenzuckerzusatz auf 32 Proc.
gebracht
5,0
29.
Reife halbsaure Kirschen (Belle de Chatenay)
ganzebenso behandelt
5,0
30.
Unreife Pflaumen, ebenso behandelt
3,4
31.
Unreife Birnen, deßgleichen
3,4
32.
Unreife Aepfel, deßgleichen
4,3
Bei den vorstehenden fünf Versuchen kam nur der bloßeSaft, nach
Absonderung der Trester in Anwendung.
33.
Unreife Weintrauben von 33 pro mille
Säuregehalt,nach Absonderung der Kämme, aber unterMitanwendung der
Hülsen
20,1
34.
Weintrauben im Beginn der Reife mit 18 pro
milleSäure (die Beeren sammt Hülsen, aber ohne Kämme)
15,5
35.
Völlig reife Gutedeltrauben von 7,5 pro
milleSäuregehalt (die Beeren allein, ohne Kämme)
9,0
36.
Die Kämme derselben Trauben ohne Beerenangewendet
30,0
37.
Beeren von reifen Burgundertrauben, sammt denHülsen, aber ohne die
Kämme
9,0
38.
Saft von völlig reifen Gutedeltrauben
7,8
39.
Eßbare Schwämme im frischen Zustand
75,0
40.
Halbreife Hollunderbeeren
14,5
41.
Halbreife Berberitzbeeren
23,4
42.
Fast völlig reife Vogelbeeren
10,0
43.
Reife Birnen (Bonne ChrétienneWilliams)sammt Schale und Kernhaus zerrieben
und so in dieZuckerlösung gebracht und mit vergähren lassen
10,8
44.
Unreife am 13. September abgenommene Birnen(Diel's Butterbirnen) ebenso behandelt
16,3
Vergleiche hiermit Nr. 25 u. 27.
45.
Reife Aepfel (Edelkönig), zerrieben und den Breiin die Zuckerlösung
gebracht, und während derGährung darin gelassen
11,2
46.
Unreife am 13. September abgenommene Aepfel ebensobehandelt
13,7
47.
Unreife Pfirsiche zerrieben, in die Zuckerlösunggebracht und mit
vergähren gelassen
11,7
48.
Reife Pfirsiche ebenso behandelt
12,0
Zu allen diesen Versuchen wurde, wo nichts anderes angegeben ist, Traubenzuckerlösung
von 23–25 Proc. Gehalt angewendet und die Vergährung bei 18–26°
R. bewerkstelligt.
Als besonders beachtenswerthe Resultate erlaube ich mit aus vorstehenden Bestimmungen
folgende hervorzuheben:
a. Je unreifer die Stachelbeeren sind, desto mehr
Ferment enthalten dieselben und zwar in dem Grad, daß dieselben im ganz unreifen
Zustand nahe dreimal so viel Ferment enthalten, als wie im reifen Zustand.
b. Aehnliches findet auch bei den Johannisbeeren statt,
jedoch in geringerem Verhältniß, so daß die unreifsten Beeren nicht ganz doppelt so
viel Ferment enthalten, als wie die reifen Beeren.
c. Bei Stachelbeeren sowohl als bei Johannisbeeren ist
der Gähreffect des bloßen Saftes ein geringerer als der der zerquetschten
Beeren.
d. Bei beiden Beerengattungen vermindert sich der
Gähreffect bei Gegenwart von Weinsteinsäure.
e. Die Abfälle des Weinstocks, nämlich die Triebe, sammt
Blättern und Ranken, enthalten viel Ferment, so daß sie zur Belebung träger
Vergährungen angewendet werden können.
f. Weinbeeren enthalten etwas mehr Ferment als
Rosinen.
g. Unreife Aepfel und Birnen enthalten mehr Ferment als
reife.
h. Steinobst ist viel ärmer an Ferment, als Kern-
und Beerenobst.
i. Der Gähreffect des bloßen Saftes von Aepfeln und
Birnen ist viel geringer, als der der zerriebenen Früchte.
k. Unreife Weintrauben enthalten doppelt so viel und
noch mehr Ferment als reife.
l. Die bloßen Kämme enthalten dreimal so viel und noch
mehr Ferment als die Beeren.
m. Die eßbaren Schwämme besitzen nahezu so viel Ferment,
als wie Preßhefe.
n. Ein Zusatz von Weinsteinsäure befördert die
Vergährung bei Anwendung von Aepfeln und unreifen Birnen.
In Betreff der oben angeführten Zahlen ist noch zu bemerken, daß dieselben nicht bloß
die Größe des ausgeübten Gähreffectes, sondern auch die Zuckermenge bezeichnen,
welche scheinbar durch 10 Gewichtstheile des untersuchten Körpers zersetzt worden
ist, wornach sich leicht die wirklich zur Zersetzung gelangte Zuckermenge berechnen
läßt.
Daß sich weiter hieran oft sehr wichtige Folgerungen knüpfen lassen, liegt auf der
Hand. – Um nur ein Beispiel aufzuführen, will ich auf die Bestimmung Nr. 2
verweisen, aus welcher ersichtlich ist, daß 10 Gewichtstheile ganz unreifer
Stachelbeeren im Stande sind 27,3 Gewichtstheile Zucker zum Vergähren zu bringen und
somit mehr als ihr dreizehnfaches Gewicht Zuckerlösung von 20 Procent Gehalt in Wein
umzuwandeln vermögen.
(Die Fortsetzung folgt im nächsten Heft.)