Titel: | Untersuchungen über den geschmolzenen Zucker; von A. Gélis. |
Fundstelle: | Band 154, Jahrgang 1859, Nr. XCVI., S. 438 |
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XCVI.
Untersuchungen über den geschmolzenen Zucker; von
A.
Gélis.
Aus den Comptes rendus, Juni 1859, Nr.
23.
Gélis' Untersuchungen über den geschmolzenen
Zucker.
Wenn man den Zucker rasch auf die Temperatur von 160° C. erhitzt, so ist es
bei großer Vorsicht möglich (wie es Berzelius gelang),
eine Flüssigkeit zu
erhalten, welche den Zucker wieder in krystallisirtem Zustande liefern kann; aber
selbst in diesem Falle hat ein beträchtlicher Theil des Zuckers eine tiefe
Veränderung erlitten. Wenn man nach dem Schmelzen die Wärme noch einige Zeit lang
einwirken läßt, so ändert sämmtlicher Zucker seinen Zustand. Bei dieser Veränderung
findet kein Gewichtsverlust statt, daher der veränderte Zucker aus denselben
Elementen und in derselben Anzahl besteht wie der krystallisirbare Zucker, nur die
Anordnung der Elemente hat sich geändert. Ich will nun angeben, worin diese
Aenderungen bestehen.
Der geschmolzene Zucker hat das Ansehen des Fruchtzuckers; er ist aber nicht bloße
Glucose (unkrystallisirbarer Zucker). Letztere Zuckerarten haben zur Formel
C¹²H¹²O¹², und ein Körper von dieser
Zusammensetzung kann sich nicht auf Kosten des krystallisirbaren Zuckers
C¹²H¹¹O¹¹ ohne äußeres Hinzukommen von
Wasser bilden, es sey denn daß das erforderliche Wasser dem Zucker selbst entzogen
wird und daß sich gleichzeitig ein niedrigeres Kohlenhydrat, als er ist, bildet.
Ich kann hier nicht auf die von mir angewandten analytischen Methoden eingehen,
sondern begnüge mich meine Resultate mitzutheilen. Ich habe gefunden:
1) daß der Zucker durch das bloße Schmelzen seine Eigenschaft zu gähren zur Hälfte
verliert;
2) daß ein gegebenes Gewicht von geschmolzenem Zucker nur halb so viel Kupfervitriol
mit Kalilösung reducirt, als für ein gleiches Gewicht von Glucose oder umgesetztem
Zucker erforderlich ist;
3) daß jedoch die verdünnten Säuren den geschmolzenen Zucker der Art modificiren, daß
er sich nach ihrer Einwirkung gegen Ferment und reducirbare Reagentien wie der
gewöhnliche Fruchtzucker (Glucose) verhält.
Der geschmolzene Zucker enthält nämlich eine neue Substanz, welche ein niedrigeres
Kohlenhydrat ist als der Zucker, die ich Saccharid
genannt habe und welche man durch die Gährung aus demselben abscheiden kann. Die
Entstehung des Saccharids ist sehr leicht zu erklären nach der Formel:
Saccharid.
Glucose.
2
(C¹²H¹¹O¹¹) =
C¹²H¹⁰O¹⁰
+
C¹²H¹²O¹².
Unter dem Einfluß der Wärme spaltet sich der Zucker, die eine Hälfte verliert Wasser,
aber dieses Wasser, anstatt sich zu entbinden, verbindet sich mit der andern Hälfte
des Zuckers und verwandelt ihn in Glucose. Durch die Gährung zerstört man die
Glucose, und das reine Saccharid bleibt in Auflösung zurück.
Wenn man eine Flüssigkeit, deren Gehalt an Saccharid man kennt, am optischen
Saccharometer prüft, so findet man: daß das Saccharid die Polarisationsebene nach
rechts dreht, daß es nur ein schwaches Drehungsvermögen hat, von beiläufig 15 Grad,
und daß es in Berührung mit Säuren ein sehr auffallendes Drehungsvermögen nach links
erlangt.
Dampft man die Auflösung des Saccharids ab, sey es über freiem Feuer oder im Vacuum,
so erhält man einen Syrup, welcher, nachdem ich ihn über ein Jahr lang an einem
trockenen Orte aufbewahrt hatte, keine Spur von Krystallisation zeigte.
Dieser Syrup besteht jedoch nicht mehr aus reinem Saccharid, denn das Wasser wirkt
nach und nach, besonders aber in der Siedhitze, auf das Saccharid in derselben Weise
wie die Säuren. Das Saccharid, welches in seiner reinen Auflösung rechtsdrehend ist,
kann sich daher unwirksam und selbst linksdrehend zeigen, wenn diese Auflösung
einige Zeit lang aufbewahrt oder wenn sie durch Aufnehmen syrupartigen Saccharids in
Wasser erhalten wurde.
Der geschmolzene Zucker zeigte am Saccharometer eine Ablenkung nach rechts, welche
der einem Gemenge von gleichen Theilen Glucose und Saccharid zukommenden sich sehr
näherte, da sie zwischen + 35 u. 38° variirte. In diesem Sinne ergab sich
auch das Drehungsvermögen des umgesetzten geschmolzenen Zuckers.
Das von mir angegebene einfache, normale Verhältniß zwischen dem Saccharid und der
Glucose findet immer statt, wenn das Schmelzen des Zuckers gut geleitet worden ist;
wurde aber die Operation zu lange fortgesetzt, oder erhielt man den Zucker
absichtlich sehr lange Zeit auf der Temperatur von 160° C., so färbt er sich
immer mehr, obgleich die Waage gar keinen Gewichtsverlust anzeigt, und es erfolgt in
der Masse eine zweite Metamorphose, diesesmal auf Kosten des Saccharids. Sie
verliert Wasser und verwandelt sich in Caramel, welcher das Product stark färbt;
dieses Wasser entbindet sich nicht, so lange es Saccharid vorfindet, welches es
hydratisiren und in Glucose umwandeln kann.
Der Zucker kann also verschiedene Verwandlungen durchmachen, bevor er die gefärbten
Producte liefert, welche den Caramel bilden.