Titel: | Ueber ein verbessertes Verfahren zur Gewinnung von Anthracen; von Dr. F. Versmann. |
Fundstelle: | Band 207, Jahrgang 1873, Nr. XXII., S. 72 |
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XXII.
Ueber ein verbessertes Verfahren zur Gewinnung
von Anthracen; von Dr. F. Versmann.
Aus dem American
Chemist, October 1872, S. 121.
Versmann, Verfahren zur Gewinnung von Anthracen.
Das Anthracen (C¹⁴H¹⁰), eine
früher gar nicht benutzte chemische Verbindung, hat bekanntlich für die Fabrication
von künstlichem Alizarin ganz plötzlich die größte
Wichtigkeit erlangt.Bei der Wichtigkeit welche heutzutage das künstliche Alizarin in der
Farbenindustrie einnimmt, entschloß sich Herr G. Auerbach, die bis jetzt erschienenen Arbeiten in Form einer
Monographie zusammenzustellen, um sie den Chemikern und Fabrikanten leichter
zugänglich zu machen; seine empfehlenswerthe Schrift fuhrt den Titel:
„Das Anthracen und seine
Derivate; für Technik und Wissenschaft nach den bis jetzt
bekannten Quellen zusammengestellt von G. Auerbach, Assistent am eidgen. Polytechnicum zu Zürich. Berlin, Verlag von Oswald Seehagen. 1873.“
Dasselbe war, bevor Graebe und Liebermann (im J. 1867) ihr Verfahren zur Umwandlung des Anthracens in
Alizarin entdeckten, im Handel nicht bekannt. Allerdings wurde es bei der
Destillation des Steinkohlentheeres gewonnen, dessen letzte Fractionen in England
als ein gutes Schmieröl benutzt wurden; aber die Consumenten dieses Artikels
beklagten sich gegen die Theerdestillateure oft, daß sich in dem Oele ein sandiger Absatz bilde, welchen sie nicht verwerthen
könnten. Dieser Niederschlag bestand nun hauptsächlich aus Paranaphtalin, dem jetzt
so sehr gesuchten Anthracen.
Zuerst wurde das Anthracen im Jahre 1832 von Dumas und Laurent aus den letzten Producten der fractionirten
Destillation des Steinkohlentheeres erhalten; die ölartige Substanz wurde einer sehr
starken Kälte ausgesetzt, worauf sich eine krystallinische Substanz aus ihr ausschied, welche
abgepreßt und mit Alkohol behandelt wurde; der dabei bleibende Rückstand wurde durch
Umdestilliren, Krystallisiren und Sublimation weiter gereinigt. Dieses Product war
aber noch keineswegs reines Anthracen, wie sich aus dem niedrigen Schmelzpunkte
(180° C.) und der ihm ertheilten Formel C¹⁵H¹²
ergibt, welche das 1 1/2 fache Moleculargewicht des Naphtalins ist, aus welchem
Grunde die Entdecker den neuen Kohlenwasserstoff Paranaphtalin benannten.
Laurent machte die Verbindung zum Gegenstande neuer
Untersuchungen und stellte verschiedene interessante Abkömmlinge derselben dar. Aber
er hatte (wie Prof. Kopp in seiner im Moniteur scientifique veröffentlichten Abhandlung über
das Anthracen und dessen Derivate bemerkt) offenbar nur geringe Mengen von dem
unreinen Kohlenwasserstoffe zu seiner Verfügung und konnte deßhalb die wahre
Zusammensetzung der Substanz, welche er nun „Anthracen“ benannte, nicht bestimmen.
Fritzsche beschrieb im Jahre 1857 einen aus
Steinkohlentheer erhaltenen festen Kohlenwasserstoff, welchen er als dem Anthracen
sehr ähnlich erkannte, der indessen einen höheren Schmelzpunkt (210 bis 212°
C.) besaß und die Formel C¹⁴H¹⁰ gab.
Im Jahre 1862 veröffentlichte Anderson seine umfassenden
Untersuchungen über Anthracen und dessen Abkömmlinge; er behielt den von Laurent diesem Körper gegebenen Namen Anthracen bei, und
bestätigte Fritzsche's Formel
C¹⁴H¹⁰.
Limpricht machte im Jahre 1866 die von ihm entdeckte
Erzeugung des Anthracens mittelst Zersetzung des Benzylchlorids durch Wasser (in
verschlossenen Röhren) bei 180° C. bekannt. In demselben Jahre begann Berthelot seine glänzenden Untersuchungen über die
Wirkung höherer Temperaturen auf die Kohlenwasserstoffe, über deren Entstehung,
Eigenschaften und Zusammensetzung; er wies die Umstände nach, unter denen durch die
Wirkung von Hitze auf verschiedene einfachere Kohlenwasserstoffe Anthracen sich
bildet und fand daß Toluol, sowie Gemische von Styrol und Benzol, von Benzol und
Aethylen, wenn sie durch ein rothglühendes Rohr geleitet werden, Anthracen liefern.
Auch beschrieb er das Verfahren zur Gewinnung von Anthracen aus Steinkohlentheer,
sowie die Reinigung und die Eigenschaften dieses Productes, und bestätigte die von
Anderson erhaltenen Resultate.
Im Jahre 1867 begannen Graebe und Liebermann ihre wichtigen Untersuchungen über Anthracen, Anthrachinon und
künstliches Alizarin zu veröffentlichen, welche den Ausgangspunkt der in Deutschland
und England
betriebenen, höchst wichtigen Alizarinfabrication bilden.
Wenn auch Berthelot den Weg zur künstlichen Erzeugung des
Anthracens angegeben hat, so ist es doch nicht wahrscheinlich, daß dieses Verfahren
jemals mit Erfolg in größerem Maaßstabe zur Ausführung kommen wird, daher der
Steinkohlentheer stets die Basis der Anthracenfabrication bleiben wird.
Bei der Destillation des Steinkohlentheeres werden die letzten 10 bis 15 Procent der
Destillationsproducte gesondert aufgefangen; dann läßt man sie einige Zeit ruhig
stehen, worauf sich ein krystallinischer Niederschlag von festen Kohlenwasserstoffen
abscheidet, welcher durch Filtriren und Auspressen vom anhaftenden Oele befreit
wird. Die auf diese Weise erhaltene Menge ist jedoch eine im Verhältnisse zu der
starken Nachfrage nur geringe; deßhalb brachten, sobald sich das Verfahren von Graebe und Liebermann als
praktisch und sehr lohnend erwiesen hatte, andere Chemiker verschiedene Methoden zur
Gewinnung von Anthracen in Vorschlag, welche sämmtlich in Europa patentirt wurden,
und die Nachfrage nach Anthracen steigerte sich rasch. Es kann daher nicht
überraschen, daß der Preis des reinen Anthracens in
Europa im Zeitraume von zwei Jahren von 50 Pfd. Sterling per Tonne auf 500 Pfd. Sterl. und darüber gestiegen ist.
Es ist auch natürlich, daß Chemiker und Fabrikanten sich bestrebten neue Quellen
dieser werthvollen Substanz zu entdecken. Nun ist der bei der Destillation des
Steinkohlentheeres in der Retorte bleibende Rückstand Pech, und bisher glaubte man
daß nach dem älteren Verfahren der ganze Anthracengehalt aus dem Theer extrahirt
werden könne. Fenner und Versmann machten aber die Entdeckung, daß durch Fortsetzung der Operation
bei höher gesteigerter Temperatur, welche bis zu dem Punkte getrieben wird wo das
Pech vollständig zerstört oder in Kohks verwandelt wurde, weit mehr Anthracen
gewonnen werden kann. Ihre sowohl in den Vereinigten Staaten als in Europa
patentirte Erfindung besteht in der Gewinnung des Anthracens aus dem Steinkohlenpech
als einer besonderen Operation, und in der Verbindung dieses Processes mit dem
gewöhnlichen Verfahren zur Destillation des Steinkohlentheeres, wodurch noch ein
beträchtlicher Antheil Anthracen gewinnbar wird, welcher sonst verloren ginge.
Das nach jeder dieser Methoden erhaltene Product ist mit einer beträchtlichen Menge
Schweröl (todtem Oele, dead oil) gemischt, von welchem
es wie bereits angegeben wurde, durch Filtriren und Pressen möglichst befreit wird;
der verbleibende, mehr oder weniger trockene, grünlichgelb gefärbte Preßkuchen enthält 30 bis 60 Proc.
reines Anthracen und bildet den gewöhnlichen Handelsartikel, dessen Preis nach
seinem Procentgehalte an reiner Substanz normirt wird.
Die verunreinigenden Beimischungen dieses Productes bestehen hauptsächlich in todtem
Oel, Naphtalin und Chrysen, und da die Fabrikanten von künstlichem Alizarin ein fast
reines Anthracen verarbeiten müssen, so ist ihnen sehr daran gelegen, die
Theerdestillateure zur Lieferung eines Productes von möglichst großer Reinheit zu
bewegen. Dr. Gessert, einer
der frühesten und erfolgreichsten Alizarinfabrikanten, bemerkt bezüglich dieses
Punktes: „Es ist sehr zu bedauern, daß die Theerdestillateure bei der
Fabrication des rohen Anthracens nicht mit größerer Sorgfalt zu Werke gehen. Dem
Alizarinfabrikanten stehen die zur Reinigung eines solchen rohen Anthracens
erforderlichen Einrichtungen nicht zu Gebot; auf jeden Fall verliert er mit dem
Raffiniren viel Zeit und hat für die dabei entstehenden Rückstände keine
Verwendung.“
Die Theerdestillateure dagegen können ihre Nebenproducte stets mit den übrigen Oelen
benutzen; sie sollten es sich angelegen seyn lassen, das gut filtrirte und durch
Abtropfenlassen möglichst von Oel befreite Anthracen mittelst kräftiger
hydraulischer Pressen erst kalt, dann heiß, so stark als möglich auszupressen. Ein
gut gepreßtes Rohanthracen läßt sich leicht pulvern, durch ein Sieb schlagen und in
diesem fein zertheilten Zustande mit Petroleumspiritus, dessen Siedepunkt zwischen
70 und 90° C. liegt, behandeln; nach diesem Auswaschen kann das Product
nochmals stark gepreßt werden.
Bei sorgfältigem Arbeiten dürfen nicht mehr als zwei Procent von dem Petroleum
verloren gehen. Verschiedene Steinkohlensorten geben verschiedene Mengen Anthracen;
im Durchschnitte beträgt die bei der Destillation des Steinkohlentheeres erhaltene
Menge ungefähr ein halbes Procent des Theeres, während man bei der Anwendung des Fenner-Versmann'schen Verfahrens ungefähr zwei
Proc. Anthracen aus dem Peche erhält. Ein werthvolles Nebenproduct bei der
Verarbeitung des Peches bilden die zurückbleibenden sehr dichten und natürlich ganz
schwefelfreien Kohks, welche so fest sind daß sie dem stärksten Gebläse widerstehen
und daher für Schmelzoperationen sich gut eignen.
Dieses neue Verfahren zur Fabrication von Anthracen ist von großer Wichtigkeit,
insofern durch dasselbe der aus der Verarbeitung des Steinkohlentheeres erzielte
Ertrag auf etwa das Fünffache erhöht wird. Dasselbe ist in England bereits in die
Praxis eingeführt und einer der Patentträger, Dr. Versmann, ist gegenwärtig in den Vereinigten Staaten mit
der Anlage einiger großen Fabriken beschäftigt, so daß unter den von Amerika nach Europa
ausgeführten Waaren binnen kurzer Zeit sich auch Anthracen befinden wird.
Zur Werthprüfung des im Handel vorkommenden Anthracens wird von demselben stets die
gleiche Quantität mit Alkohol gekocht; nach dem Erkaltenlassen bringt man das Ganze
auf ein Filter, wäscht es auf demselben mit Alkohol aus, und trocknet und wägt dann
den Rückstand; schließlich bestimmt man dessen Schmelz- und Erstarrungspunkt,
welcher bei ungefähr 210° C. liegen muß.
Das durch das beschriebene Verfahren erhaltene und durch Auswaschen mit
Petroleumspiritus und Alkohol gereinigte Anthracen ist zu Fabrikzwecken genügend
rein, keineswegs aber chemisch rein; die vollständige Reinigung desselben ist ein
ziemlich umständlicher Proceß, welcher in einem nachfolgenden Aufsatz mitgetheilt
werden soll.
New-York, 27. September 1872.