Titel: | Ueber die Behandlung des Weines mit Luft bei der Vergährung; von Dr. Adolph Ott. |
Fundstelle: | Band 207, Jahrgang 1873, Nr. XLVIII., S. 155 |
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XLVIII.
Ueber die Behandlung des Weines mit Luft bei der
Vergährung; von Dr. Adolph Ott.
Vorgetragen in der polytechnischen Section des American Institute am 17. Mai 1872.
Aus dem Engineering and Mining Journal, Juli 1872, S. 24.
Ott, über Behandlung des Weines mit Luft bei der
Vergährung.
Unter „Behandlung des Weines mit Luft“ (Aeration) verstehen wir
das Hindurchpressen fein zertheilter atmosphärischer Luft durch Most oder Jungwein
während des Gährungsprocesses. Der Most wird auf einer Temperatur von 26 bis
27° C. erhalten, und die Luft wird am ersten Tage ungefähr eine halbe Stunde
lang durch ihn kräftig hindurchgepreßt; diese Operation wird an jedem folgenden Tage
jedesmal einige Minuten lang wiederholt, bis die Gährung vollständig erfolgt ist,
wozu fünf bis vierzehn Tage erforderlich sind. Einige Tage später kann dann der Wein
von den Hefen abgezogen werden. Einen oder zwei Monate nach dem Keltern oder dem
Auspressen aus den Trauben ist der auf die angegebene Weise behandelte Wein
vollkommen klar und besitzt, einen angenehmeren Geschmack, als der auf gewöhnliche
Weise vergohrene; auch erleidet er keine Nachgährung und gleicht wirklich einem
bereits zwei oder mehr Jahre gelagerten Weine.
Aus dem trefflichen Werke Pasteur's: „Etudes sur le vin“ erfahren wir, daß
französische Weinproducenten die günstige Wirkung eines vermehrten Zutrittes von
Luft zum Moste schon seit langer Zeit gekannt haben, und vor mehr als dreißig Jahren
sprach sich auch Liebig zu Gunsten der offenen Gährung
des Weines aus. Obgleich sich dieses letztere Verfahren nicht in allen Fällen
erfolgreich erwies, so sind doch deren zahlreiche bekannt, welche beweisen daß die
mittelst offener Gährung erzeugten Weine rascher reifen, als Weine welche in einem
geschlossenen Fasse vergohren. Im Meurthe-Departement, besonders in der Nähe
von Nancy, wird ein außerordentlich angenehmer Wein, der sogenannte „Vin la pelle“ oder „Vin de pelle“ von reinem, reifem
Geschmacke auf die Weise producirt, daß man den Most achtundvierzig Stunden lang mit großen eisernen
Schaufeln durcharbeitet. Während dieser Zeit ist die Gährung natürlich unterbrochen,
nachher aber vergährt der Most um so rascher, so daß nach ungefähr zwölf Stunden die
Schalen auf seiner Oberfläche schwimmen. Nach E. Sommer
ist ein auf diese Weise behandelter Wein um einen 20 Procent höheren Preis
verkäuflich, als ein in gewöhnlicher Weise vergohrener Wein von demselben Jahrgange
und Gewächse.Württembergisches Gewerbeblatt, 1867 S. 380; polytechnisches Journal Bd.
CLXXXVI S. 335.
Hr. d'Heureuse in San Francisco ist der Erfinder eines
neuen Verfahrens zur Behandlung der Weine mit atmosphärischer Luft (nach der
Eingangs dieser Mittheilung angedeuteten Methode),Eine Notiz über dieses (californische) Gährungsverfahren wurde im polytechn.
Journal, 1871, Bd. CC S. 246 mitgetheilt. welches nicht nur von amerikanischen Weinproducenten eingeführt worden ist,
sondern auch in Süddeutschland jetzt so allgemein angewendet wird, daß man keinen
nicht mit Luft behandelten Most mehr in die Gährkufe gelangen läßt (?). So z.B. wird
das Verfahren für die edlen Johannisberger Weine ausschließlich angewendet.
In einem Briefe an Dr. Blankenhorn, den Herausgeber einer dem Weinbau und der Weinbereitung
ausschließlich gewidmeten deutschen Zeitschrift, sagt Hr. d'Heureuse:
„Auf den Gedanken, den Wein mit atmosphärischer Luft zu behandeln, kam ich
nach mehrjährigem Nachdenken über die Mittel zur Erzeugung von Weinen welche
bald zur Verschiffung bereit wären, nachdem ich die Ueberzeugung gewonnen hatte,
daß Californien sich eine hervorragende Stelle unter den weinerzeugenden Ländern
zu sichern im Stande sey.“
„Eine beim Brodbacken in der Wildniß gemachte Beobachtung führte mich zur
ersten Anwendung der Behandlung des Weines mit Luft. Ich fand nämlich, daß durch
tüchtiges Kneten des Teiges, gewissermaßen durch Einpressen der Luft in
denselben, eine kräftige Gährung vermittelt wurde, und daß das so behandelte
Brod sehr porös und schmackhaft ausfiel. Später machte mich Prof. Whitney, der Staatsgeolog, mit einer neuen von Pasteur angegebenen Methode zur Conservirung des
Weines durch Erhitzen desselben bekannt, und beim Durchlesen eines ausführlichen
Berichtes über das betreffende Wert des französischen Chemikers erkannte ich zu
meiner großen Ueberraschung daß derselbe, obgleich ihm wohl bekannt war daß
erkrankte Weine durch Behandlung mit atmosphärischer Luft wieder hergestellt werden
können, diese Beobachtung nicht weiter verfolgt hat, während es nunmehr
festgestellt ist, daß das Erhitzen des Weines bei
zweckmäßiger Behandlung mit Luft wegfallen kann.“
„Fast stets in der Wildniß mit der Ausmessung noch unerforschter
Landstriche beschäftigt, fand ich erst im April 1868 in San Francisco einen
deutschen Weinhändler, welcher zur Anwendung meines Verfahrens bereit war.
Demnach behandelte ich im November des genannten Jahres circa 80,000 Gallons Wein nach der von mir ersonnenen Methode und das
Verfahren erwies sich als so erfolgreich, daß ein Theil des demselben
unterworfenen Weines nach einem Seetransporte von 160 Tagen (vom Februar bis zum
August) in New-York in ganz vortrefflichem Zustande ankam, wohingegen
Sendungen von zwei- bis dreijährigem, nicht mit Luft behandeltem Weine
bei ihrer Ankunft daselbst stets eine keineswegs gute Beschaffenheit
zeigten.“
Hinsichtlich der Theorie der Luftgährung lassen sich drei
Ansichten aufstellen:
1) entweder ist es der Sauerstoff allein, welcher auf das Wachsthum der Hefe günstig
wirkt; oder
2) es findet eine Oxydation albuminöser Substanzen statt, welche Körper in ihrem
nicht oxydirten Zustande die Gährung in nachtheiliger Weise beeinflussen; oder
3) die Wirkung der in den Most eingetriebenen Luft beschränkt sich auf die Aussaat
einer größeren Menge von Keimen; in diesem Falle würde ein unmittelbarer Zusatz von
reiner Hefe ungefähr dasselbe Resultat hervorbringen.
Nun entsteht die Frage: wirken alle diese. Ursachen zusammen und, wenn dieß der Fall
ist, welche von denselben muß als die hauptsächlichste betrachtet werden? Es kann
nicht bezweifelt werden, daß während der Behandlung mit Luft ein Theil des Albumins
unlöslich gemacht und daher aus der Flüssigkeit ausgeschieden wird. Daß dieses
wirklich der Fall ist, wurde von Sachs und v. Babo nachgewiesen, indem dieselben in den Hefen
coagulirtes Albumin neben Fragmenten von Zellen, Krystallen von oxalsaurem Kalk und
umgewandeltes Tannin fanden.Annalen der Oenologie, 1869. Bd. I S. 17. Auf diesem Wege wird jedoch nur eine geringe Menge von albuminöser und
glutinöser Substanz entfernt, indem, wie nunmehr feststeht, der größere Theil
derselben von der Hefenpflanze zur Bildung von Protoplasma assimilirt und so aus der
Flüssigkeit beseitigt wird.
Pasteur war meines Wissens der Erste, welcher auf den
engen Zusammenhang zwischen dem Sauerstoffe der Luft und dem Wachsthum der
Hefenpflanze aufmerksam machte. Er fand, daß wenn Hefe der Luft ausgesetzt wird,
dieselbe sehr kräftig wächst, indem sie wenig Zucker zersetzt, wogegen bei Ausschluß
der Lufteinwirkung mehr Zucker zersetzt, aber weniger neue Hefe gebildet wird.
Es ist jedoch einleuchtend, daß die specifisch schwereren Hefezellen, welchen auf
diese Weise kein Sauerstoff dargeboten wird, denselben entweder aus der in der
Flüssigkeit aufgelösten Luft aufnehmen müssen, oder aus Körpern welche die
Eigenschaft besitzen, Sauerstoff in großer Menge zu absorbiren und ihn auf die
Hefenzelle zu übertragen.
Die Gegenwart derartiger Körper in Pflanzensäften ist durch Bialoblocki und Rösler zur Evidenz erwiesen.
Sie fanden, daß der Most durch diese Körper die Eigenschaft erhält, leicht und rasch
in die sogenannte freiwillige Gährung zu gerathen, indem dieselben der jungen
Hefenpflanze genügende Nahrung darbieten. Bei der Behandlung des Mostes mit Luft
wird diesen Sauerstoffträgern mehr Sauerstoff dargeboten, wodurch sie in den Stand
gesetzt werden, ihre Functionen kräftiger zu verrichten. Was die Einführung von
Keimen in den Most betrifft, so betrachten sie dieselbe nur als einen secundären
Factor.Annalen der Oenologie, Bd. I S. 225.
Die Thatsache, daß die Hefe in ihrem ersten Entwickelungsstadium einer großen
Sauerstoffmenge bedarf, steht mit wohlbekannten Thatsachen aus der
Pflanzenphysiologie in Uebereinstimmung. So bemerkt Dr. Fitz: „Keimende Samen, sowie in raschem Wachsthum begriffene
Pflanzentheile, wie Knospen und Blüthen, bedürfen großer Mengen von Sauerstoff.
So lange als die Fortpflanzung der Hefe bei ungehindertem Luftzutritt
stattfindet, ist die Gährung schwach; die Hefenzelle verzehrt den Zucker, um
Zellsubstanz zu bilden; ein Theil der organischen Substanz wird dadurch, indem
er sich mit dem vorhandenen Sauerstoff verbindet, in Kohlensäure umgewandelt.
Nachdem der von der Flüssigkeit absorbirte Sauerstoff verzehrt ist, entzieht die
Hefenzelle den ihr nöthigen Sauerstoff dem Zucker und veranlaßt dadurch die
Zersetzung des Zuckers, damit aber wird der Impuls zur Gährung
gegeben.“
Daselbst Bd. I S. 440.
Dr. Fitz ist gleich mir der
Ansicht, daß die glutinösen Substanzen (Kleber) von der Hefe aufgenommen und so aus
der gährenden Flüssigkeit entfernt werden. Daß Weine, welche mit Luft behandelt
worden sind, weniger
stickstoffhaltige Substanzen enthalten, als nach dem älteren Verfahren behandelte,
wird durch die Thatsache erwiesen, daß sie, wenn sie nach Pasteur's Methode erhitzt werden, völlig oder beinahe ganz klar bleiben,
während die nicht mit Luft behandelten mehr oder weniger trüb werden.
Nachdem ich nun die vorherrschenden Ansichten über die
„Luft-Gährung“ mitgetheilt habe, will ich noch auf
die neuesten Untersuchungen von Dr May Reeß über die Hefenpilze aufmerksam machen.
Eine von ihm entdeckte interessante Thatsache besteht in der Beobachtung, daß,
während die Gährung von Malzaufgüssen durch einen und denselben Pilz – Saccharomyces cerevisiae – vermittelt wird, die
Gährung des Weines durch wenigstens drei oder vier Species von Pilzen, welche Pilze
ihre Functionen entweder abwechselnd oder zusammen verrichten, hervorgebracht
wird.
Der häufigste von diesen Weingährungspilzen ist Saccharomyces
ellipsoideus (Pasteur's
„ferment alcoolique ordinaire du
vin“). In einer gährungsfähigen Flüssigkeit vermehren sich diese
Zellen durch Knospen. Bei niedriger Temperatur (+ 5° bis 10° C.)
findet eine langsame Reproduction statt. Mutterzellen und Tochterzellen trennen
sich, bevor neue Knospen entstehen, und die Zellen sinken zu Boden (Gährung von
unten).
Bei höherer Temperatur pflanzen sich Mutter- und Tochterzellen fort, wenn sie
noch ungetheilt sind. In diesem Falle werden sie durch die Blasen von Kohlensäure
oft an die Oberfläche der Flüssigkeit geführt und bilden hier eine Hefedecke
(Gährung von oben).
Wird Weinhefe auf abgekochten Mohrrüben (gelben Rüben, Möhren) cultivirt, so werden
einige von den Knospen Reproductionsorgane, indem sich in ihrem Inneren mittelst
einer Zertheilung ihres körnigen Protoplasma-Inhaltes neue Zellen bilden.
Werden diese eingeschlossenen Zellen in Jungwein zurückgebracht, so reproduciren sie
sich, wie früher. In Malzflüssigkeiten behält die Weinhefe ihre specifische Form,
ihre Größe und die Art ihrer Entwickelung bei.
Ein anderer von Dr. Reeß
bestimmter Weinpilz ist Saccharomyces apiculatus. Die
Knospen dieser Species nehmen die Form einer Citrone an, und die Reproduction findet
nur an den Gelenken statt; ihre Stellung ist eine solche, daß ihre Längsachsen mit
der Achse der Mutterzelle rechte Winkel bilden.
Es scheint, daß bei der Gährung von Weißweinen die Hauptgährung mit Saccharomyces apiculatus beginnt und hernach in
Verbindung mit S. ellipsoideus weiter verläuft. Allmählich verschwindet
die erstere Species, während die letztere zunimmt und an der Nachgährung den
Hauptantheil hat. In der Regel treten bei dem Gährungsprocesse noch andere
Pilzspecies auf, doch scheinen dieselben von geringerer Wichtigkeit zu seyn.
Früher war man der Ansicht, daß die Hefenkeime von der Luft des Vergährungsraumes
herrühren. Diese Annahme muß man aber aufgeben. Nach Reeß
kommen die Hefenkeime, mehr oder weniger reichlich, an der Oberfläche der
Weintrauben, besonders an verletzten oder angefaulten Theilen vor. Fremdartige Keime
werden im Moste nach der Behandlung desselben mit Luft nicht aufgefunden; die in
einem solchen Falle gebildete Hefe ist vielmehr ungewöhnlich rein, so daß es
wirklich scheint daß alle jene Keime, welche für eine kräftige Gährung nicht
wesentlich sind, unnütz werden.
Hinsichtlich der von d'Heureuse mit seiner
Behandlungsmethode der Weine erzielten Resultate sagt Prof. Chandler im American Chemist, August 1871:
„Wir haben uns von den vortheilhaften Wirkungen des Verfahrens von d'Heureuse mehrfach überzeugt. Die weißen Weine von
Sonoma in Californien, welche nach seiner Methode behandelt wurden, sind von dem
unangenehmen, den californischen Weinen in der Regel eigenthümlichen
Erdgeschmacke ganz frei, und besitzen nach mehrmonatlichem Lagern die Qualität
von Weinen welche drei Jahre lang gelagert haben und vollkommen reif geworden
sind.“
Schließlich will ich bemerken, daß d'Heureuse seine
Methode mit gleichem Erfolge für das Keimen des Malzes und für die Reinigung von
Wasser, Pflanzenölen und zuckerhaltigen Pflanzensäften angewandt hat; auch empfiehlt
er sein System für den Transport des Fleisches, um das Verderben desselben zu
verhüten.
Die sämmtlichen mitgetheilten Thatsachen lassen sich in Folgendem zusammenfassen:
Oberflächenberührung organischer Substanz mit stagnirender, eingeschlossener oder
langsam bewegter Luft begünstigt zerstörende Fäulniß in Organismen; aber innige
Berührung mit rasch sich bewegender Luft verhindert Fäulniß und Verderben, und
begünstigt die Conservirung der organischen Substanzen.