Titel: | Untersuchungen über die Alkohol-Gährung, von Dumas. |
Fundstelle: | Band 207, Jahrgang 1873, Nr. XLIX., S. 161 |
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XLIX.
Untersuchungen über die Alkohol-Gährung,
von Dumas.
Dumas, über die Alkohol-Gährung.
In der Pariser Akademie war vor einiger Zeit der alte Streit über Gährung und
Fermente zwischen Hrn. Pasteur und seinen Gegnern wieder
lebhaft entbrannt, ohne daß neue Thatsachen und Versuche zur Stütze der einen oder
der anderen Ansicht vorgebracht wurden. Herr Dumas hat jedoch nun, durch diese
Discussionen angeregt, den Versuch gemacht, den Kampf der Hypothesen vor das Forum
des Experimentes zu bringen und berichtete in der Sitzung der Akademie vom 5.
AugustComptes rendus, t. LXXV p. 277. 1872 über einen Theil von Versuchen, die er zur näheren Erforschung des
Wesens der alkoholischen Gährung angestellt hat, speciell zur Erkenntniß der Wirkung
der Oberhefe von Bier auf Lösungen von reinem Kandiszucker bei der Temperatur von 20
bis 25° C.
Hr. Dumas unterscheidet vier Theorien der Gährung: 1) die
physiologische, welche die Gährung als eine Folge des Lebens der Bierhefezellen und
als ein Resultat der Functionen dieser Organismen auffaßt; 2) die Theorie welche das
Vermögen der Zerstörung des Zuckers localisirt, und dasselbe der Flüssigkeit
zuerkennt, welche die Hefezellen enthalten und in die Zuckerlösung hinein austreten
lassen; 3) die Theorie von Berzelius, welche in der
Gährung eine Contactwirkung sieht, und 4) die Theorie des Hrn. Liebig, der die Gährung als eine chemische Zersetzung auffaßt, welche
durch Influenz veranlaßt wird, im Moment wo dieses Ferment in Fäulniß übergeht.
Zunächst wendet sich Hr. Dumas zur Prüfung der Liebig'schen Theorie. Da nach dieser Theorie die Gährung durch Influenz in
Folge von Zerfall des Fermentes vor sich geht, sucht Dumas durch den Versuch zu entscheiden, ob die
Gährung sich auf eine Entfernung hin mittheilen kann; ob also die chemische
Erschütterung, welche gährender Zucker erzeugt, sich auf eine Entfernung hin auf
gährungsfähigen Zucker übertrage.
Eine U-förmige Röhre mit zwei weiten Schenkeln und
einem capillaren Verbindungsstücke wurde auf der einen Seite mit Zuckerlösung und
frischer Bierhefe, auf der anderen mit reiner Zuckerlösung gefüllt, während das
capillare Verbindungsstück mit verschiedenen Flüssigkeiten gefüllt war, welche die
chemische Erschütterung vom gährenden Zucker zum reinen Zucker fortpflanzen sollten.
Als solche verbindende Flüssigkeiten wurden geprüft: Lösungen von Glucose,
Kandiszucker, Glycerin, Chlorkohlenstoff, Chloroform, Schwefelkohlenstoff, concentrirte Lösungen von
Chlorcalcium, schwefelsaurem Natron, salpetersaurem Kali, essigsaurem Kali,
kohlensaurem Natron, caustischem Kali und endlich auch metallisches Quecksilber. In
keinem Falle übertrug sich die Gährung des einen
Schenkels auf den Zucker im anderen Schenkel.
Da in diesen Versuchen die capillare Flüssigkeit, welche die chemische Bewegung
fortpflanzen sollte, eine bestimmte Dicke hat, die das Resultat beeinträchtigen
könnte, so wurden die Versuche dahin geändert, daß zwischen den gährenden und den
reinen Zucker oder zwischen eine Zuckerlösung und verdünnte Bierhefe ein
Collodiumhäutchen von nicht 1/10 Millimeter Dicke gebracht wurde. In einer dritten
Versuchsreihe endlich wurden die beiden Flüssigkeiten, verdünnte Hefe mit
Zuckerlösung und reine Zuckerlösung einfach mit Vorsicht in einer Röhre übereinander
geschichtet. Aber auch in diesen beiden Versuchsreihen blieb der reine Zucker unverändert.
„Man darf daher behaupten, daß man bis jetzt keine Thatsache kennt, welche
die Ansicht stützt, daß die Gährung von Bewegungen herrühre, die von einem in
Zersetzung befindlichen Körper ausgehen und auf den Zucker übertragen werden. Im
Gegentheil scheint das Experiment zu beweisen, daß durch die kürzesten
Flüssigkeitsschichten, durch die dünnsten Häute hindurch, ja selbst ohne
Zwischenglied, die zuckerhaltigen Flüssigkeiten keine Einwirkung vom Fermente
erfahren, und daß die unmittelbare, directe Berührung nothwendig
ist.“
Weiter hat Hr. Dumas durch die mannichfachsten Experimente
in Gegenwart von Zucker eine chemische Thätigkeit hervorzurufen versucht, in der
Erwartung, daß durch diese der Zucker in Alkohol und Kohlensäure zerfällt werden
sollte; aber alle derartige Versuche waren erfolglos.
Wasserstoffsuperoxyd wurde in einer Zuckerlösung durch Mittel, welche auf den Zucker
selbst ohne Wirkung sind, in Wasser und Sauerstoff zerlegt, ohne daß der Zucker sich
änderte. Ebenso wenig hat andererseits gährende Zuckerlösung hindurchgeleiteten
Sauerstoff in Ozon verwandelt, was doch nach Schönbein
bei langsamen Verbrennungen geschieht.
Nachdem diese Fragen negativ entschieden waren, ging Hr. Dumas an die Ermittelung des Einflusses, welchen verschiedene chemische
Agentien auf die Alkoholgährung ausüben. Vorher jedoch suchte er festzustellen, ob
die Gährung ein derartig regelmäßig verlaufender Proceß sey, daß man Störungen
desselben mit Genauigkeit eruiren könne. Es zeigte sich nun in der That, daß die
einfache Gährung einer Zuckerlösung durch verdünnte Bierhefe eine große
Regelmäßigkeit hat, daß die Menge Zucker, welche von derselben Hefe in derselben Zeit zersetzt wird,
stets gleich bleibe, und daß mit dem Verhältniß der zu vergährenden Zuckermenge auch
die Zeiten, welche hierzu erforderlich sind, wachsen. Hr. Dumas berechnet aus seinen Versuchen daß bei den von ihm angewandten
Materialien 20 bis 30 Milliarden Hefezellen in der Minute 1 Centigramm Zucker
zersetzt und etwa 5 Milligramme Alkohol erzeugt haben.
Es würde uns zu weit führen, wollten wir die weiteren Versuche über die Einwirkung
der verschiedenartigsten Substanzen auf die Alkoholgährung in ähnlicher Weise
unseren Lesern vorführen, wie die bisher erwähnten. Die Art, wie die Versuche in
ihrem chemischen Detail ausgeführt wurden, bietet kein besonderes allgemeines
Interesse; wir wollen uns daher mit dem Resumé des Hrn. Dumas begnügen, in welchem er die Resultate aller dieser Experimente,
sowie die der bereits hier angeführten kurz zusammenfaßt.
„Keine in einer zuckerhaltigen Flüssigkeit angeregte, chemische Bewegung
schien fähig, die Umwandlung von Zucker in Alkohol und Kohlensäure
herbeizuführen.
Die durch die Gährung selbst erzeugten Bewegungen werden nicht auf merkliche
Entfernungen übertragen, weder durch irgend eine wässerige, ölige oder
metallische Flüssigkeit, noch durch die dünnsten Membranen, und sie gehen selbst
zwischen zwei übereinander liegenden Flüssigkeiten nicht von einer Schicht zur
anderen.
Der Ansicht von Berzelius widerspricht die Thatsache,
daß in einer großen Anzahl von Fällen und unter der Einwirkung bestimmter Salze,
die Hefe, der Zucker und das Wasser neben einander existiren können, ohne daß
Gährung eintritt, obwohl der Zucker anfangs wie gewöhnlich invertirt worden.
Die einfache Gährung, wie sie zwischen Zucker, Hefe und Wasser stattfindet,
bildet wegen der unendlichen Anzahl von Wirkungscentren, welche sie veranlassen,
ein Phänomen das nach Art einer chemischen Reaction regulirt und gemessen werden
kann.
Ihre Dauer ist genau proportional der Menge des in der Flüssigkeit enthaltenen
Zuckers.
Sie erfolgt langsamer im Dunkeln; und ebenso im luftleeren Raum.
Bei der Gährung entsteht keine Oxydation. Im Gegentheil, der Schwefel verwandelt
sich in Schwefelwasserstoff (es haben also Reductionen stattgefunden).
Die neutralen Gase modificiren die Kraft der Hefe nicht.
Die Säuren, die Basen, die Salze können einen beschleunigenden, verlangsamenden, störenden
oder vernichtenden Einfluß haben, aber die beschleunigende Wirkung der Kraft der
Hefe ist selten.
Die sehr schwachen Säuren verändern sie nicht; aber in hoher Gabe vernichten sie
dieselbe.
Die sehr schwachen Alkalien verzögern die Gährung, in größerer Menge unterdrücken
sie dieselbe.
Die kohlensauren Alkalien verhindern sie nur in sehr hoher Dosis.
Die kohlensauren Erden verhindern sie nicht.
Die neutralen Salze des Kalis und die einiger anderen Basen lassen ihr den
gewöhnlichen Gang.
Das kieselsaure Kali, das borsaure Natron, die Seife, die schwefligsauren und
unterschwefligsauren Salze, das neutrale weinsteinsaure Kali, das essigsaure
Kali machen die physiologische Analyse der Hefe und ihrer Wirkungsweise möglich,
ganz so wie bestimmte neutrale Salze die physiologische Analyse des Mutes und
seiner Functionen ermöglichten.
Die alkoholische Gährung kann somit untersucht werden, wie irgend eine andere
chemische Thätigkeit. Die gewöhnlichen chemischen Agentien oder Kräfte können,
wenn nicht sie entstehen lassen, wenigstens ihre Resultate modificiren und ich
werde an einer anderen Stelle die Veränderungen zeigen, welche diese störenden
Einflüsse in der Menge und Beschaffenheit der Producte der alkoholischen Gährung
einführen.
Diejenigen aber, welche die alkoholische Gährung der Wirkung eines Organismus
zuschrieben, der durch die Bierhefe repräsentirt ist, haben niemals geläugnet,
daß die Umwandlung des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure eine chemische
Erscheinung sey. Nur sehen sie hierin ein chemisches Phänomen, welches durch die
Lebenskräfte erzeugt wird, und nicht eine Reaction, die nur durch physikalische
und chemische Kräfte veranlaßt wird. Uebrigens mag man den Zucker in Alkohol und
Kohlensäure verwandeln durch eine chemische Reaction oder durch die Wirkung der
Elektricität, die Frage bleibt dieselbe: daraus, daß Hr. Bechamp mittelst langsamer Verbrennung dahin gelangte, Eiweiß in
Kohlensäure und Harnstoff zu zerlegen, schließt man nicht, daß diese
Erscheinung, wenn man sie bei Thieren beobachtet, ohne die Mitwirkung eines
organisirten und lebenden Wesens erfolgt. Dasselbe gilt von der Gährung und der
Hefe. Diese Meinung, zu der ich mich seit lange bekenne, und welche die schönen
Untersuchungen des Hrn. Pasteur mir ganz außer
Zweifel gestellt zu haben scheinen, würde, wenn es nöthig wäre, ihre Bestätigung
finden in der aufmerksamen Prüfung der Veränderungen welche die Zellen der
Bierhefe erleiden, wenn sie der Wirkung der Verschiedenen Agentien
ausgesetzt werden, deren ich mich in meinen Versuchen bediente.
Diese Veränderungen können keinen Zweifel lassen über die Rolle der Hefe. Wenn
die Gährung durch das Eingreifen des doppelt-weinsteinsauren Kalis z.B.
beschleunigt wird, sind die Hefezellen scharf, deutlich umschrieben, mit einer
plastischen Masse erfüllt, welche sehr bewegliche glänzende Körperchen enthält;
sie senden zahlreiche Knospen aus. Ist die Gährung träge, was unter der
Einwirkung der Eisen- und Mangansalze z.B. eintritt, so erscheinen die
Hefezellen zusammengezogen himbeerartig, körnig, runzelig ohne junge Knospen.
Ist keine Gährung vorhanden, wie dieß der Fall ist bei Cyankalium oder einer
starken Dosis von Säure oder Alkali, dann sind die Wände der Zellen verdünnt,
ihr Inneres ist verschwommen, die glänzenden Punkte unbeweglich und keine Knospe
hat sich entwickelt.
Indem ich so vorgreifend einen Theil meiner rein physiologischen Studien
resumire, habe ich feststellen wollen, daß, wenn ich heute die alkoholische
Gährung als eine chemische Erscheinung aufgefaßt habe, die gemessen und durch
chemische Kräfte und Einflüsse modificirt werden kann, ich nicht minder mir in
jedem Moment ihrer strengen Abhängigkeit von dem Vorhandenseyn, den Functionen
und mit einem Worte vom Leben der Hefezellen bewußt geblieben.“ (Aus
dem Naturforscher, 1872, Nr. 43.)