Titel: | Ueber Abnutzung und Dauer der Eisenbahnschienen. |
Fundstelle: | Band 207, Jahrgang 1873, Nr. LXXV., S. 282 |
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LXXV.
Ueber Abnutzung und Dauer der
Eisenbahnschienen.
Ueber Abnutzung und Dauer der Eisenbahnschienen.
Die Zeitschrift des österr. Ingenieur- und Architektenvereines (Jahrgang 1872,
Heft 13 und 14) enthält unter obigem Titel eine Abhandlung von Franz Stockert, Centralinspector der a. pr. Kaiser
Ferdinands-Nordbahn, der wir Folgendes entnehmen.
Unter den bei den Eisenbahnen verwendeten Materialien nehmen die Schienen einen
hervorragenden Rang ein, da sie einen nicht unwesentlichen Theil der Anlagekosten
beanspruchen und der Werth derselben bei den sämmtlichen Eisenbahnen sich nur nach
vielen hundert Millionen Gulden schätzen läßt.
Sie beanspruchen die Aufmerksamkeit des Eisenbahn-Technikers aber noch mehr
deßhalb, weil wenige Verbrauchsmaterialien bei den Eisenbahnen in gleichem Maaße der
Abnutzung unterliegen, so daß die Erneuerungskosten derselben jedes Jahr abermals
viele Millionen Gulden verschlingen.
Ueber die Abnutzung und Dauer der Eisenbahnschienen und die Factoren welche darauf
Einfluß haben, ist aber noch wenig Positives bekannt. Als Beweis dafür mag gelten,
daß fast bei allen Lieferungen eine Haftzeit bedungen wird, während welcher
unbrauchbar gewordene Schienen ersetzt werden müssen, aber darauf gar keine
Rücksicht genommen wird, daß auch die während der Haftzeit nicht zerstörten Schienen
in ihrer Qualität sehr verschieden seyn können.
Diese mangelhafte Kenntniß über Abnutzung und Dauer der Schienen rührt wohl
hauptsächlich daher, daß gleichzeitig so viele Factoren darauf von Einfluß sind. Das
zur Erzeugung der Schienen verwendete Material, die Art der Fabrication der
Schienen, das Gewicht und der Querschnitt derselben, die Construction des Oberbaues,
die Instandhaltung desselben, die Anlageverhältnisse der Bahn (Steigung, Richtung,
Einschnitte), endlich die Inanspruchnahme der Schienen nach Zahl und Belastung der
Fuhrwerke, sind von wesentlichem Einfluß auf die längere oder kürzere Dauer, und es
ist sehr schwierig, die Wirkung jedes einzelnen Factors getrennt für sich zu
ermitteln. Daher bieten die genaueste Ueberwachung der Fabrication, die
sorgfältigsten Bruch-, Belastungs- und Fallproben keine Garantie für
die Dauer der Schienen, wie man sich auch keine genaue Rechenschaft darüber geben
kann, ob durch Verwendung von Stahl die dadurch erwachsenen Mehrkosten ökonomisch
gerechtfertigt sind. Der ökonomische Werth des verwendeten Materiales kann nur dann richtig beurtheilt
werden, wenn es möglich ist, die Dauer der verwendeten Schienen unter einer
bestimmten Inanspruchnahme zu ermitteln.
Als verlässigste Vergleichsbasis für die Inanspruchnahme erscheint die transportirte
Bruttolast, und es wird daher die Qualität der Schienen bei gleicher darüber
transportirter Bruttolast nach der größeren oder kleineren Anzahl unbrauchbar
gewordener Schienen zu beurtheilen seyn. Die transportirten Bruttolasten und die
durch dieselben zerstörten, also aus der Bahn entfernten Schienen bringen demnach
die Qualität verschiedener Schienen zur Anschauung, wenn die Beobachtungen lange
genug fortgesetzt worden sind.
Bei der Kaiser Ferdinands-Nordbahn war es möglich, für viele Bahnstrecken,
also für eine große Anzahl von Schienen, solche Erfahrungsresultate zu erlangen.
Diese Resultate wurden graphisch dargestellt und es hat sich daraus ergeben, daß
die, die Zerstörung der Schienen darstellende, nach aufwärts gekrümmte Linie sehr
annähernd einen Theil einer Ellipse bildet, deren eine Achse die Summe der bis zur
gänzlichen Zerstörung aller Schienen über dieselbe bewegten Bruttolast, die andere
Achse die Summe aller in der betreffenden Bahnstrecke liegenden Schienen
darstellt.
Durch diese bestimmte Form der Ausnutzungslinie ist uns ein Mittel gegeben, nach
einem, zur Gesammtdauer der Schienen verhältnißmäßig kurzen Zeitraum, die weitere
successive Zerstörung aller Schienen einer Lieferung zu beurtheilen und das
Bruttogewicht zu berechnen, welches bis zur gänzlichen Zerstörung aller in einer
Bahnstrecke liegenden Schienen über dieselben transportirt werden kann.
Der Vergleich der Ausnutzungsfähigkeit verschiedener Schienengattungen nach der
darüber transportirten Bruttolast ist aber nur dann zulässig, wenn alle anderen auf
die Zerstörung der Schienen einwirkenden Umstände gleich sind, also bei gleichen
Steigungs- und Richtungsverhältnissen, bei gleicher durchschnittlicher
Radbelastung und wenn insbesondere die Schienen nicht durch die Bremsen der
Fahrzeuge mehr oder weniger in Anspruch genommen werden. Die Bewerthung des
Einflusses der Anlageverhältnisse der Bahn auf die frühere oder spätere Zerstörung
der Schienen ist mit großen Schwierigkeiten verbunden, und können bestimmte
Coefficienten dafür nur als Annäherungszahlen anzusehen seyn, welche erst durch
sorgfältige statistische Nachweisungen der Wirklichkeit näher gebracht werden
müssen.
Der Verf. hat versucht, für die auf der Kaiser Ferdinands-Nordbahn vorkommenden Steigungen,
Gefälle, Curven und Einschnitte diese Coefficienten zu ermitteln und hat sie in
Tabellen zusammengestellt.
Von größter Wichtigkeit für die Dauer der Schienen ist noch die Radbelastung, da
dieselbe Bruttolast, auf eine kleinere Zahl von Rädern vertheilt, unter sonst
gleichen Verhältnissen eine schnellere Zerstörung der Schienen herbeiführen wird,
als wenn die Last auf eine größere Anzahl von Rädern vertheilt ist. Die bei der
Ferdinands-Nordbahn gemachten Beobachtungen haben ergeben, daß die Differenz
der Ausnutzungsfähigkeit bei gleicher beförderter Bruttolast umgekehrt dem Quadrate
der Radbelastung entspricht.
Wenn die hier mitgetheilten Erfahrungen schon den Vortheil gewähren, die Einflüsse
welche die Zerstörung der Schienen herbeiführen, beurtheilen und bemessen zu können,
so setzen sie uns weiter in den Stand, für eine bestimmte Zeit ein genaues
Präliminare für den Schienenbedarf zu verfassen. Weit wichtiger ist aber der durch
sie erzielte Nachweis, daß die bisher fast allgemein angewendete Garantieleistung
für die gute Qualität der Schienen vollständig unzulänglich ist, wie auch der Preis
der Schienen ohne gehörige Kenntniß der Qualität derselben sich nicht beurtheilen
läßt. Richtig wäre es, den Schienenpreis immer erst nach der Ausnutzungsfähigkeit
der Schienen zu bemessen, wobei natürlich die Anlageverhältnisse der Bahn und die
durchschnittliche Radbelastung mit in Rechnung gezogen werden müssen. Die
Lieferungsbedingnisse wären auf die Beförderung einer bestimmten Bruttolast auf
horizontaler, gerader Bahn bei Dämmen und einer mittleren Radbelastung zu beziehen;
da diese Verhältnisse in Wirklichkeit aber nicht vorkommen, so muß zur Beurtheilung
der Erfüllung der Haftpflicht die entsprechende Reduction vorgenommen werden.
Schließlich wünscht der Verfasser, daß durch seine Mittheilungen die Aufmerksamkeit
der Fachgenossen auf den für die Oekonomie der Eisenbahnen hochwichtigen Gegenstand
geleitet und daß durch eine Reihe von sorgfältigen Beobachtungen auf Bahnen mit den
verschiedensten Anlageverhältnissen und Radbelastungen successive der Wahrheit näher
gekommen werde. (Zeitung des Vereines deutscher Eisenbahn-Verwaltungen,
November 1872, S. 1295.)