Titel: | Ueber einige durch den Blitzstrahl hervorgebrachte Erscheinungen; von P. Secchi. |
Fundstelle: | Band 207, Jahrgang 1873, Nr. LXXXII., S. 307 |
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LXXXII.
Ueber einige durch den Blitzstrahl
hervorgebrachte Erscheinungen; von P. Secchi.
Aus dem Telegraphic
Journal, December 1872, S. 25.
Secchi, über einige durch den Blitzstrahl hervorgebrachte
Erscheinungen.
Vor acht Jahren wurden unter meiner Leitung einige Blitzableiter auf der Kathedrale
und dem bischöflichen Palast zu Alatri errichtet. Beide liegen auf dem höchsten
Punkte der Akropolis dieser Stadt, welche wegen ihrer hohen und einsamen Lage
häufigen Verheerungen durch Stürme ausgesetzt ist. Es war nicht lange her, daß ein
Blitzstrahl einen großen Theil des Glockenthurmes zerstört und die Orgel der Kirche
beschädigt hatte. Bei der Errichtung jener Blitzableiter ergab sich eine große
Schwierigkeit aus der Beschaffenheit des Bodens, indem man in geringen Tiefen auf
dichten Kalkfelsen stieß. Es wurde daher der in den Boden tretende Theil des
Blitzableiters über 4 Meter lang gemacht, mit einer Menge 5 Centimeter breiter und 5
Millimeter dicker, an den Kanten eingezahnter Spitzen versehen, und zwischen
denselben mit einem dicken Kupferdraht umwunden, um die Berührungspunkte zwischen
der Stange und der Kohle zu vervielfachen. Der Fuß des Blitzableiters ist ganz von
Kupfer; eben so die Stange bis 1 Meter über dem Boden, wo sie sich mit dem eisernen
Leiter in dem Kasten vereinigt, welcher gewöhnlich am Sockel des Gebäudes angebracht
wird, um ihn gegen Beschädigungen an seinen unteren Theilen zu schützen. Der Graben,
in welchen das untere Ende des Blitzableiters versenkt worden war, ist 5 Meter lang,
0,6 Meter breit; er wurde fortgesetzt, bis man auf die Wurzeln einiger benachbarter
Bäume stieß. Die Sohle des Grabens wurde dann mit einer 20 Centimeter hohen Lage von
Kohlenpulver bedeckt. Die Berührungsfläche zwischen dem Metall und der Kohle, sowie der letzteren mit
dem Boden war demnach eine solche, daß man annehmen konnte, sie sey mehr als
hinreichend, und die Gegenwart von Bäumen ließ hoffen, daß es an Feuchtigkeit nie
fehlen werde. Da das Gebäude zwei in die Höhe ragende Punkte hatte, den Glockenthurm
und den Chor, so wurden zwei Stangen mit Spitzen und Fuß angeordnet, und beide
Stangen auf dem Dache durch eine Leitung vereinigt, so daß, wenn der Blitz eine der
Spitzen traf, der Strahl auf zwei Wegen sich in den Boden verlieren konnte.
Diese Vorkehrungen hatten einen sehr befriedigenden Erfolg. Denn der Blitz hat seit
jener Zeit wenigstens viermal in den Thurm geschlagen, ohne daß das Gebäude Schaden
genommen hätte, obgleich die letzte Entladung eine furchtbare war. Dieser
Blitzschlag fand statt in der Nacht des 2. November 1872 während eines wüthenden
Gewittersturmes, welcher unter fortwährenden Blitz- und Donnerschlägen zwei
Stunden anhielt. Zweimal wurde der Glockenthurm von schwächeren Blitzen getroffen,
aber die dritte Entladung setzte die ganze Stadt in Schrecken. Doch lief Alles, mit
Ausnahme der Beschädigungen außerhalb des Gebäudes, welche ich nun beschreiben
werde, glücklich ab.
Ich muß zunächst bemerken, daß vier Jahre nach der Errichtung des Blitzableiters die
Trinkwasserleitung für die Städte Alatri und Ferentino vollendet und daß das
Wasserwerk nahe an dem Glockenthurm, nur einige Meter von dem Blitzableiter
entfernt, aufgebaut worden war. Der Blitzableiter war nicht mit der
Wasserleitungsröhre in Verbindung gesetzt worden, weil er nach den vorgängigen
Beobachtungen seinen Dienst ganz gut versah und die Nähe des Wasserwerkes, sowie ein
benachbarter Brunnen, der Stelle wo der Blitzableiter in den Boden versenkt war,
viel Feuchtigkeit mittheilte. Die Frage wurde gar nicht aufgestellt, ob die
Herstellung einer solchen Verbindung nothwendig sey, und wenn ich gefragt worden
wäre, so würde ich es selbst vielleicht für überflüssig gehalten haben. Es verdient
bemerkt zu werden, daß drei gußeiserne Röhren in dieses Wasserwerk einmünden: die
eine, von der Quelle kommend, hat einen Durchmesser von 15 Centimetern und eine
Länge von 15 Kilometern; die andere hat einen Durchmesser von 18 Centimetern, ist 12
Kilometer lang und führt nach Ferentino. Diese Röhren liegen in dem Wasserwerk neben
einander und berühren sich an verschiedenen Punkten. Die dritte Röhre führt nach
Alatri.
Bei der dritten enormen Entladung in jener Nacht sprang der Blitz von dem Fuß des
Blitzableiters des Thurmes nach der Röhre von Ferentino und nach der von Alatri über,
und brachte folgende Wirkungen hervor:
1) Er riß in die Erde einen vollkommen geraden, ungefähr 10 Meter langen und 70
Centimeter tiefen Graben von dem unteren Ende des Blitzableiters bis zur Röhre von
Ferentino im Wasserwerk, durchschlug die Mauer und zerstörte die Ecke des Gebäudes.
Die Erde dieses Grabens zeigte sich rechts und links ganz symmetrisch
aufgeworfen.
2) Der Blitz fuhr in die genannte Röhre, zerschmetterte sie vollständig und
schleuderte die Stücke auf eine Entfernung von ungefähr 80 Centimeter. Das Blei an
den Röhrenfugen zeigte sich geschmolzen. In Folge dieses Bruches hörte das Wasser in
der Leitung nach Ferentino zu fließen auf, und ergoß sich in das Wasserwerk.
3) Ein anderer Zweig des Blitzstrahles fuhr in die nach Alatri hinabführende
Röhrenleitung, durchsetzte das Reservoir und schleuderte einige mit großer Kraft
eingetriebene Holzpfropfen weit hinweg. Er langte in der Stadt in einen:
Wasserbehälter an, worin er eine Bleiplatte beschädigte und auf eine seltsame Weise
verdrehte, sowie einige andere kleinere Zerstörungen anrichtete, und fand endlich an
den Ausgußröhren des öffentlichen Brunnens seinen Ausgang.
4) Man untersuchte die Spitze des Blitzableiters, und fand sie ganz abgestumpft; sie
war nicht loszuschrauben und konnte, ohne die Schraube abzubrechen, nicht entfernt
werden. Ein mehr als 3 Centimeter langes Stück war abgeschmolzen; die Schmelzstelle,
deren Durchmesser ungefähr 1 Centimeter betrug, zeigte sich flach, wie
abgeschnitten. Die Vergoldung war beinahe gänzlich verschwunden. In der Kirche und
ihrem Anbau wurde keine Beschädigung entdeckt.
Vorstehende Thatsachen scheinen mir sowohl in praktischer als auch in theoretischer
Hinsicht wichtig; in theoretischer Hinsicht, weil sie von der Quantität und der
immensen Gewalt der elektrischen Entladung einen Begriff geben. Das Abschmelzen der
Spitze bis zu einem Durchschnitt von 1 Centimet. Durchmesser beweist, daß sie bei
geringerer Dicke noch viel weiter niedergeschmolzen wäre. Es ist daher nicht
rathsam, sich sehr schlanker Spitzen zu bedienen; am besten ist es, wenn die Spitze
rasch an Dicke zunimmt. Der von dem Fuß des Blitzableiters ausgehende Graben konnte
nicht die Folge einer directen Wirkung der Elektricität seyn, sondern dürfte der
plötzlichen Verdampfung der Erdfeuchtigkeit, welche wie eine Pulvermine wirkte,
zugeschrieben werden. Der Bruch der Röhre ist höchst eigenthümlich. Ich glaube kaum,
daß er dem mechanischen Stoße der Elektricität zugeschrieben werden kann. Da das
Blei an der Fuge der geborstenen Röhre geschmolzen war, so muß dasselbe an der Stelle wo es vom Blitz
getroffen wurde, trotz des in dieser Röhre fließenden Wassers, bis zu einer enormen
Temperatur erhitzt worden seyn, und wahrscheinlich war es die augenblickliche
Verdampfung des Wassers im Inneren der Röhre, welche den Bruch derselben veranlaßte.
Die sonderbarste Erscheinung aber wurde an dem nach Alatri hinabführenden
Röhrenstrang beobachtet, nämlich die Formveränderung der Bleiplatte. Die kleine
Unterbrechung, welche in jenem Wasserbehälter zwischen der Leitungsröhre und dem
metallenen Behälter nothwendig besteht, gab offenbar zu einem Ueberspringen des
elektrischen Fluidums und in dessen Folge zu einer Dampfexplosion Anlaß. Wir können
aber zugleich daraus entnehmen, daß die von dem Gebäude bis zu der Bleiplatte mehr
als 200 Meter betragende Strecke, auf welcher die Röhre unterirdisch gelegt war, für
den Blitzstrahl nicht hinreichte, sich in den Boden zu verlieren, obgleich er
während des Durchganges das Reservoir zu passiren hatte und sich dort vertheilen
konnte. Unsere Ueberraschung ist noch größer, wenn wir bedenken daß es sich hier nur
um einen Theil der Entladung handelt, indem der größere Theil durch den nach
Ferentino führenden Röhrenstrang seinen Weg zu nehmen hatte. Die Quantität der
Elektricität muß eine ganz enorme gewesen seyn, um bis zum öffentlichen Brunnen noch
weitere 300 Meter zurücklegen und hier ihre Spuren hinterlassen zu können. Ein
Umstand, welcher Beachtung verdient, ist der, daß dieser Gewittersturm nach langer
und anhaltender Trockenheit losbrach. Die Erde war daher weniger feucht und nicht
geeignet, die Zerstreuung des Fluidums zu befördern. – Diese Fälle sind bei
uns nicht so selten, als man annehmen möchte. Vor nicht sehr langer Zeit zerstörte
in Lavinia ein Blitzstrahl einen großen Theil des Glockenthurmes. Er nahm seinen Weg
nach der Glocke, und zertrümmerte und schmolz sie dergestalt, daß das Metall wie
Wachs ablief. Ich glaube nicht, daß dieses Zerschlagen der Glocke einer mechanischen
Wirkung des Blitzes in strengem Sinne zuzuschreiben ist; die Glocke konnte auch
durch die plötzliche Ausdehnung in Folge der Erhitzung an der Uebergangsstelle
geborsten seyn, einer Ausdehnung welche nicht Zeit hatte sich zu vertheilen, wie ein
gläsernes Gefäß zerbricht, wenn man es mit einem rothglühenden Eisen berührt.
Mögen nun vorstehende Thatsachen einen Grund haben welchen sie wollen, sie weisen uns
immer auf die Nothwendigkeit hin, der Errichtung von Blitzableitern große
Aufmerksamkeit zu widmen, und denselben insbesondere eine möglichst bedeutende
Entladungsfläche zu geben. Diese Fläche war am Fuß unseres Blitzableiters gewiß
größer, als diejenige welche Matteucci für die Entladung
von Telegraphen-Blitzableitern für genügend hält, und dennoch war sie nicht hinreichend.
Jene Thatsachen bestätigen ferner die Nothwendigkeit, benachbarte Metallmassen,
insbesondere Wasser- oder Gasleitungsröhren mit dem Blitzableiter in
Verbindung zu setzen.