Titel: | Ueber das Flavin, nebst Bemerkungen über Leeshing's und Schlumberger's Methoden zur Darstellung von Farbstoffen aus Quercitron; von Dr. Adolph Ott in New-York. |
Fundstelle: | Band 207, Jahrgang 1873, Nr. XC., S. 322 |
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XC.
Ueber das Flavin, nebst Bemerkungen über Leeshing's und Schlumberger's
Methoden zur Darstellung von Farbstoffen aus Quercitron; von Dr. Adolph Ott in New-York.
Aus dem American
Chemist, December 1872, S. 208.
Ott, über das Flavin.
Das mir zur Untersuchung übergebene Flavin stammte aus der Fabrik der Stamford
Manufacturing Company (157, Maiden Lane) in New-York. Dasselbe bildete ein leichtes,
bräunlichgelbes Pulver, welches in heißem Wasser nur wenig löslich war und sich beim
Erkalten daraus wieder ausschied, wobei die darüber stehende Flüssigkeit schwach
gefärbt blieb. Von warmem Alkohol, selbst sehr verdünntem, wurde es rasch gelöst,
von Aether dagegen nicht. Weinsaures Kupferoxydkali wurde von der wässerigen Lösung
des Farbstoffes nicht reducirt, was die Abwesenheit von Zucker beweist. Auf den Zusatz einer Leimlösung blieb die Lösung klar, sie
enthielt also kein Tannin. Natriumamalgam gab mit einer
alkoholischen, schwach angesäuerten Lösung die bekannte purpurrothe Färbung, welche
das Quercetin anzeigt; diese Reaction wurde auch, beiläufig bemerkt, mit dem Absatze
einer Abkochung von Quercitron erhalten. Die wässerige Lösung des Flavins entfärbte
übermangansaures Kali, was die Gegenwart von Gallussäure beweist (Monier's Probe). Die Abwesenheit von Tannin und das
Vorhandenseyn von Gallussäure war als Beweis zu betrachten, daß die alkalische
Abkochung der Rinde einige Zeit lang mit Schwefelsäure behandelt worden war.
Die oben erwähnten Reactionen überzeugten mich, daß die Probe ein bemerkenswerth
reines Flavin war.
Der verstorbene Professor Bolley, welcher uns mit dem
Verfahren zur Fabrication des Flavius zuerst bekannt machte,Bolley, über das Flavin, im polytechn. Journal,
1857, Bd. CXLV S. 134 und 316. entdeckte in dem von ihm analysirten Präparate Tannin und Zucker. Meine
Probe war von diesen beiden Substanzen frei, enthielt aber Gallussäure, den
Abkömmling des Tannins. Da eine Lösung von rohem Quercitrin eine schön gelbe Färbung
annimmt, wenn man Zinnchlorür zusetzt, dieß aber mit meinem Flavin nicht der Fall
war, so schloß ich daraus, daß dasselbe von Quercitrin frei sey. Auf diese Thatsache
war auch aus der Gegenwart von Gallussäure zu schließen.
Meine Nachforschungen, ob außer der von Bolley
mitgetheilten Analyse des Flavins noch andere existiren, blieben erfolglos; dagegen
fand ich einige Notizen, welche in schlagender Weise darthun, wie langsam manche
Industriezweige vorwärts schreiten, wenn sie nicht von der Wissenschaft unterstützt
werden. Nach James Napier, welcher im Jahre 1853 ein Werk
über Färbekunst herausgab, muß das Flavin ungefähr im Jahre 1850 oder um diese Zeit
Handelswaare geworden seyn. Der Verfasser beschreibt das Verhalten desselben zu
Beizen und pflanzlichen Gespinnstfasern,Aus Napier's
Manual of the Art of dyeing mitgetheilt im
polytechn. Journal, 1856, Bd. CXL S. 297. und bemerkt daß es 4,4 Proc. Asche enthält. Letztere bestand zweifelsohne
aus schwefelsaurem Natron. Nehmen wir an, daß der Farbstoff nicht ausgewaschen und
daß zur Bereitung des Decoctes dieselbe Quantität Wasser genommen worden sey, wie
sie in der Specification von Leeshing's Patent
vorgeschrieben ist, so läßt sich leicht berechnen, wie viel Natron angewendet wurde.
Die Menge desselben war ohne Zweifel sehr bedeutend.
Im Jahre 1855 nahm Leeshing in Glasgow ein Patent auf
Behandlung von Quercitron, Wau (Kraut von Reseda
luteola) und Flavin
behufs Erhöhung ihres Färbevermögens.Leeshing's Patentbeschreibung (vom 23. Mai 1855)
wurde aus dem Repertory of
Patent-Inventions, Januar 1856, im polytechn. Journal Bd.
CXXXIX S. 131 mitgetheilt. Das aus Quercitron dargestellte Präparat nennt er Quercitrin, das aus dem Flavin erhaltene dagegen Flavetin. Sein erstes Verfahren besteht darin, das den Farbstoff liefernde
Rohmaterial in verdünnter Schwefelsäure oder Salzsäure zu kochen und dann mit kaltem
Wasser auszuwaschen. Bei seinem zweiten Verfahren werden die Farbhölzer oder
Farbstoffe zunächst in einer schwachen Natronlösung gekocht, dann wird mit
Schwefelsäure oder Salzsäure gesättigt und noch eine halbe Stunde lang gekocht. Der
Erfinder behauptet, daß die auf diese Weise erhaltenen Producte von den
ursprünglichen Substanzen dadurch verschieden sind, daß sie kein Tannin und keinen
Kalk (!) enthalten und daß sie neue Eigenschaften erlangt haben, nämlich eine
größere Verwandtschaft zu den Beizen und eine lebhaftere und sattere Farbe. Da sie
in Wasser weniger löslich sind, so sind sie zum Färben von Geweben, welche zu diesem
Zwecke Siedhitze erfordern, vorzuziehen.
Da von Leeshing auf die Erhöhung der Intensität der Farbe
besonderes Gewicht gelegt wird, so ist anzunehmen, daß das Flavin dann eine größere
Menge Quercitrin enthielt. Der Patentträger gibt in Bezug auf diesen Punkt keine
näheren Andeutungen, meine Vermuthung wurde aber durch die Resultate der von König
König, über das Flavin, im polytechn. Journal,
1857, Bd. CXLV S. 304. ausgeführten Untersuchungen eines im Jahre 1853 nach Deutschland importirten
Flavins bestätigt. Leider besitze ich den Originalaufsatz nicht, aber nach Gmelin's Mittheilung erhielt König Quercitrin in kleinen Krystallen, indem er das Flavin mit sehr
verdünnter kochender Schwefelsäure behandelte und den abgeschiedenen flockigen
Niederschlag reinigte, also das gewöhnliche Verfahren anwandte.
Es wird jedoch stets ein streitiger Punkt bleiben, ob Leeshing mit dem Aufsatz Rigaud's über
Quercitrin bekannt war, worin derselbe zuerst die Thatsache mitheilte, daß diese
Substanz bei der Behandlung mit verdünnten Mineralsäuren sich spaltet. Rigaud's AufsatzAnnalen der Chemie und Pharmacie, Bd. XC S. 283; Liebig und Kopp's Jahresbericht über
die Fortschritte der Chemie für 1854, S. 615. erschien in der Chemical Gazette zwei Jahre vor
dem Datum von Leeshing's Patent. Ich will noch bemerken,
daß Rigaud die Thatsache, daß gebeizte Baumwolle, wenn
sie mit Quercetin gefärbt wird, ein reineres Gelb annimmt, als wenn man sie mit
Quercitrin färbt, sehr wohl kannte.
Bezüglich des Verfahrens von Leeshing zur Erhöhung des
Färbevermögens der Gelbeiche (nordamerikanischen Färbereiche) bemerkt Bolley in seiner „Chemischen Technologie der
Spinnfasern,“ dasselbe sey nicht rationell, weil das gebildete
Quercetin sich auf der Rinde ablagere. Bolley übersah
aber, daß das in Rede stehende Verfahren auch auf das Flavin angewendet wurde,
welches damals schon Handelsartikel war; auch läßt sich leicht annehmen, daß es
nicht in Leeshing's Absicht lag, den Farbstoff zu
extrahiren, theils weil die schwerwiegende Rinde mit erhöhtem Färbevermögen einen
verhältnißmäßig höheren Gewinn abwarf als der reine Farbstoff, und theils weil die
Nachfrage nach dem letzteren (dem Flavin) ohne Zweifel noch nicht bedeutend genug
war.
Nachdem die schönen Untersuchungen von Bolley und Rigaud bereits veröffentlicht waren, ist es
unbegreiflich, daß Muspratt in seiner „Theoretischen, angewandten und analytischen
Chemie“ (englische Originalausgabe von 1860) behaupten kann: die
größere Intensität der nach Leeshing's Verfahren
behandelten Färbematerialien rühre wahrscheinlich davon her, daß der Farbstoff in
Wasser löslicher geworden sey. Und doch wird auf derselben Seite des Buches bei
Mittheilung eines Auszuges aus der Specification von Leeshing's Patent erwähnt, daß die in Rede stehenden Derivate bei der
Behandlung mit heißem sowohl, wie mit kaltem Wasser, weit
weniger Farbstoff liefern, als die Materialien aus denen sie erzeugt worden
sind.
SchlumbergerSchlumberger, über die mit Schwefelsäure
behandelte Quercitronrinde; aus dem Bulletin de la
Société industrielle de Mulhouse von 1856 mitgetheilt
im polytechn. Journal Bd. CXLIII S. 213. behandelt (nach Grothe) die Rinde der Gelbeiche
(das Quercitron) in folgender Weise: 100 Kilogrm. des gemahlenen Holzes werden mit
280 Liter Wasser gemischt, welche mit 25 Kilogrm. Schwefelsäure (Vitriolöl)
angesäuert sind. Das Gemisch wird zwei Stunden lang gekocht, wornach die Rinde
ausgewaschen, gepreßt und getrocknet wird. Für dieselbe Menge Rinde (Quercitron)
nimmt Schlumberger das Vierfache der Säuremenge welche
Leeshing anwendet (jedoch nur vom dritten Theil ihrer
Stärke), verlängert aber die Dauer ihrer Einwirkung auf das Zweifache. Dieß sind die
einzigen Punkte, in denen die beiden Methoden von einander abweichen. Indem Grothe in seinem „Katechismus der Bleicherei,
Färberei und des Zeugdruckes“ dieses Verfahren bespricht, bemerkt er:
„da durch die Behandlung der Rinde mit Schwefelsäure alles Tannin
abgeschieden worden ist, so sind die mit Quercetin
So nennt Schlumberger das von ihm dargestellte
Product. erzeugten Farben viel reiner und feuriger, als die mit Flavin
erhaltenen.“ Offenbar muß aber die gemahlene Rinde, wenn sie direct
mit Säuren behandelt wird, stets eine größere Menge von intermediären Producten
enthalten als Flavin, selbst wenn letzteres nicht gehörig ausgewaschen wurde. Grothe bemerkt ferner: „Farbextracte aus
Quercitron, welche hauptsächlich Quercitrin enthalten, liefern mit Alaun ein
sehr schönes Gelb.“ Dieß wäre aber nicht möglich, wenn sie noch
Tannin enthielten, welches nach Grothe nachtheilig
wirkt.
In Bezug auf das Verhalten der besonderen Art von Gerbsäure welche in der Rinde von
Quercus tinctoria enthalten ist, scheinen noch
zahlreiche irrige Ansichten zu existiren. So bemerkt z.B. Bolley in seinem oben erwähnten Werke (über Spinnfasern), es sey
wahrscheinlich daß das Flavin ein reineres Gelb liefert als die Quercitronrinde,
weil es vom größeren Theile der Gerbsäure befreit worden ist. Das Flavin erzeugt
aber offenbar eine reinere Farbe, weil es hauptsächlich aus Quercetin besteht (wie Bolley nachgewiesen
hat), während die Rinde nur das weniger färbende Quercitrin enthält. Es ist mir überdieß nicht ganz klar, in welcher Weise
das erwähnte Tannin (Gerbsäure) nachtheilig wirken kann, da zum Gelbfärben die Waare
nicht mit Eisensalzen gebeizt wird. Auch gibt die Gerbsäure aus Quercitron, nach Schloßberger, Grün, nicht Schwarz, wenn sie mit
Eisenoxydsalzen zusammenkommt. Diese Thatsache war bereits Dr. Bancroft bekannt, welcher in seiner vom
Jahre 1775 datirenden Patentspecification sagt: „diese Rindenspecies läßt
sich von allen anderen dadurch unterscheiden, daß sie mit Alaun eine schön gelbe
Farbe gibt, und sich auf Zusatz von Eisenlösung nicht schwarz färbt.“
Nach Grothe (Katechismus, S. 103) liefert Flavin mit
Eisen, oxydulsalzen einen dunkeln, grünlichschwarzen Niederschlag, und mit
Zinnoxydulsalzen einen citrongelben. Diese Angabe wird dadurch erklärlich, daß Grothe bei Bearbeitung seines „Katechismus der
Färberei etc.“ das oben erwähnte Buch von Napier benutzte, welcher offenbar eine viel Gerbsäure enthaltende
Flavinsorte untersuchte. Reines Flavin liefert mit Eisenoxydulsalzen eine, in's
Olivenfarbige ziehende grüne Farbe; mit Zinnsalz nimmt die Flüssigkeit bloß eine
lebhaftere Farbe an. Eine Abkochung von Gelbeichenrinde dagegen, aus welcher das
Quercitrin bereits abgeschieden ist, erzeugt mit Eisenoxydulsalzen ein grünliches
Schwarz; mit Zinnsalz einen hellgelblichen Niederschlag. Im letzteren Falle wird die
über dem Niederschlage stehende Flüssigkeit röthlich.
Beim Färben mit einer Abkochung von Quercitron wirkt der von Chevreul entdeckte braune Farbstoff ohne
Zweifel weit nachtheiliger als das Tannin.
Will man daher mit Bolley das reinere Gelb des Flavins der
Abwesenheit einer fremden Substanz zuschreiben, so wäre es sicherlich weit
richtiger, den Grund dieser Thatsache in der Abwesenheit von Chevreul's braunem Farbstoffe zu suchen. Jeder Färber weiß, daß beim
Färben mit Quercitronrinde höhere Temperaturen zu vermeiden sind, weil sonst der
erwähnte braune Farbstoff von der Faser absorbirt wird, gerade wie beim Färben mit
Anilinviolett das in demselben enthaltene Roth bei einem hohen Wärmegrade an die
Faser übergeht.