Titel: | Die Straßen-Locomotive, ihre Bedeutung für die Industrie und für den Krieg; von Ludwig Weinrich. |
Autor: | Ludwig Weinrich |
Fundstelle: | Band 207, Jahrgang 1873, Nr. CXVIII., S. 444 |
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CXVIII.
Die Straßen-Locomotive, ihre Bedeutung für
die Industrie und für den Krieg; von Ludwig Weinrich.
Weinrich, über Verwendbarkeit der Straßenlocomotive.
An dem Problem, die Dampfkraft zum Transport auf gewöhnlichen Straßen zu verwerthen,
haben sich schon Viele den Kopf zerbrochen. Ob es je gelingen wird, mit der
Straßenlocomotive Personen in der dem Weltbürger des neunzehnten Jahrhunderts
angemessenen Geschwindigkeit zu befördern, mag dahin gestellt seyn. Vor der Hand hat
die wichtigere Frage des Gütertransportes mittelst der Straßen-Locomotive
bereits eine sehr befriedigende Lösung gefunden. In England weiß man dieß längst und macht
ausgiebigen Gebrauch davon. Dagegen hat in Deutschland die Straßen-Locomotive
nur ganz vereinzelt Eingang erlangt, und so kommt es, daß die für meine
ZuckerfabrikDer Herr Verfasser dieses Artikels hat die erste großartige Zuckerfabrik in
der Uckermarck (in Prenzlau) errichtet.A. d. Red. beschaffte Maschine noch eine der ersten war, welche in regelmäßigem Betrieb
die großen Vortheile dieses Transportmittels darlegte. Sie ist von der berühmten
Dampfpflug-Fabrik John Fowler und Comp. in Leeds (England) gebaut (deren
Straßen-Locomotiven vor vielen anderen den bedeutenden Vorzug haben,
Zahnräder von Stahl und andere wichtige Theile
gleichfalls von Stahl zu haben), hat nominell 8
Pferdekräfte und wiegt leer 180 Centner. Ihr Zweck ist zunächst die Anfuhr von
Zuckerrüben zur Fabrik; gewöhnlich sind ihr sechs Wagen, welche mit Ladung je circa 100 Centner wiegen, angehängt. Damit ist jedoch
das Maximum ihrer Leistungsfähigkeit nicht erreicht; auf horizontaler Straße
schleppt sie 1000 Centner und im langsamen Tempo 1200 Centner und darüber. Hier aber
ist das Terrain sehr hügelig und die Chaussee hat stellenweise auf Strecken von
1500–2000 Fuß eine Steigung von 1 in 21 bis 1 in 17. Diese Hügel schleppt die
Maschine ihre 600 Centner noch mit Leichtigkeit im schnellen Tempo hinauf. Sie ist
leicht zu lenken und die Züge nehmen noch Ecken mit 15 Fuß Radius ohne Anstoß.
Hindernisse für den Verkehr bieten die Transportzüge keinerlei; sie haben die
lebhaftesten Straßen Prenzlau's einige siebenzig Mal passirt, auch an Markt-
und Meßtagen, wo die Straßen dicht mit Fuhrwerk besetzt waren, ohne daß eine Störung
entstanden wäre. Auch das Scheuen der Pferde ist nicht so schlimm, als man erwarten
könnte; dadurch, daß der Zug sofort angehalten werden kann und daß ihn zwei Mann
begleiten, welche scheuende Pferde vorbeiführen, ist nicht leicht ein Unglück
möglich.
In allen diesen Punkten bietet der Betrieb der Straßen-Locomotive keine
Schwierigkeiten. Nur die Frage nach dem Einfluß auf die Straßen rief mehrfache
Bedenken hervor. In Folge dessen sandte die königl. Regierung in Potsdam eine
Commission, bestehend aus den Herren Regierungs-Baurath Trepplin und Regierungs-Assessor v. Schaper hierher, um zu prüfen, welche Wirkung die Locomotive auf die
Straßen habe. Der Bericht dieser Commission war durchaus günstig, und der eine Zeit
lang sistirte Betrieb wurde sofort wieder gestattet.
Das Kohlenquantum, welches die Maschine verzehrt, ist sehr gering; es stellt sich auf
ca. 3 Centner gute Stückkohle per deutsche Meile mit Last, und ohne Last entsprechend niedriger.
Das Einnehmen von Wasser kann mittelst eines Injectors mit langem Lederschlauch aus
jedem Graben etc. bewirkt werden. Der Tender hält ein Quantum, welches für ca. 1 deutsche Meile Fahrt mit Last, ausreicht.
Zum Anhängen an die Locomotive können gewöhnliche Wagen verwendet werden, an welchen
eine einfache Kuppelung angebracht ist; die Deichsel (Stange) wird in die Höhe
geschlagen oder ganz herausgenommen. Da wo die Wagen nur mit der Locomotive
gebraucht werden, empfiehlt es sich solche von der Construction der Eisenbahnlowries
anzuwenden, weil diese per Achse doppelt so viel tragen
können als ein gewöhnlicher Kastenwagen.
Kommen wir nun auf Groschen und Pfennige, so stellt sich die Rechnung so: Preis der 8
pferdigen Maschine in Deutschland Thlr. 4100. – Davon 25 Proc. für
Amortisation, Zinsen und Reparaturen
= Thlr. 1025, auf 200 Arbeitstage vertheilt
Thlr.
5
4
Sgr.
Löhne per Tag
„
3
15
„
Koblen
„
4
15
„
Oel etc.
„
–
26
„
–––––––––––––––
Summa per Tag
Thlr.
14
–
Sgr.
Die Locomotive verrichtet die Arbeit von mindestens 9 Paar schweren Pferden; den
Arbeitstag einschließlich Lohn für den Fuhrmann per Paar
zu Thlr. 3 gerechnet, kosten diese 9 Paar täglich Thlr. 27, also beinahe doppelt
soviel wie die Straßen-Locomotive.
Die übrigen Vortheile der Maschine gegenüber den Zugthieren sind so allgemein und in
die Augen springend, daß sie kaum der Erwähnung bedürfen. Bemerkt sey nur, daß sie
Menschen spart und zwar mit Bezug auf obige Zusammenstellung von 9 Mann 5. Sie
bekommt weder Druse noch Influenza, sie frißt nur wenn sie arbeitet und bedarf weder
Ruhe noch Nachtquartier. Die Unbilden der Witterung rühren sie nicht; das einzige
was ihr zuwider, ist der Schnee.
Außer als Transportmittel ist eine Straßen-Locomotive in der mannichfachsten
Weise verwendbar. Ganz besonders nützlich ist sie beim Chausseebau; sie schleppt die
Steine heran, zerkleinert sie durch einen Steinkauer, und zieht schließlich die
Walze über den Steindamm. Natürlich kann sie auch überall eine gewöhnliche
Locomobile ersetzen.
Neben ihrer ausgedehnten Verwendbarkeit in der Industrie
dürfte die Straßen-Locomotive auch zur Zeit eines Krieges von erheblicher Bedeutung seyn. Im deutsch-französischen
Kriege ließ das preußische Kriegsministerium Versuche mit zwei ähnlichen Maschinen
anstellen, welche von Herrn Richard Toepffer geführt
wurden, und obwohl sie nicht reine Transport-Locomotiven, sondern combinirte
Straßen- und Winde-Locomotiven waren und für Operationen auf längere
Strecken in Feindesland sich als zu schwer erwiesen, so machten sie sich doch sehr
nützlich. In der That kann ein großer Theil der für Zwecke des Trains zu
requirirenden Gespanne durch Straßen-Locomotiven ersetzt werden. Vor allen
Dingen dürfte ein organisirter Betrieb mit Straßen-Locomotiven für wichtige
Belagerungen zum Heranschaffen des schweren
Geschützparkes und des Belagerungs-Materiales von sehr großer Bedeutung
werden. Ich weise nur auf einen speciellen Fall hin. Die Beschießung der südlichen
und westlichen Forts von Paris konnte erst sehr spät begonnen werden, da die
Heranschaffung des Belagerungs-Materiales auf der zum Theil sehr schlechten
Straße von Nanteuil sur Marne, dem Endpunkte für den Bahntransport, bis
Villa-Coublay bei Versailles, eine Entfernung von ca. 10 deutschen Meilen, aus Mangel an Pferden und Wagen anfänglich nur
sehr langsam von Statten gehen konnte. Später fuhren auf dieser Strecke für den
Belagerungspark allein 6 bis 8000 Pferde. Berechnet man die Schwierigkeiten eines
solchen Pferdetransportes im Winter, die Anlage von großartigen Stallungen, das
Herbeischaffen guten unverdorbenen Futters, die kolossale Anzahl der für diesen
Betrieb der Armee entzogenen Menschenkräfte u.a.m., so dürfte dem gegenüber ein
Locomotiv-Park von etwa 20 bis 30 Straßen-Locomotiven, die für den
Transport von Nanteuil bis Villa-Coublay genügt hätten, gut organisirt mit
Relais arbeitend, eine große Verbesserung seyn. Das Herbeischaffen von Kohlen,
welche nicht verderben, bietet weitaus nicht die Schwierigkeiten, wie das des
Hafers, Strohes und Heues. – Jede Maschine hatte 4 Mann Bedienung, wovon 2
bei Tag und 2 bei Nacht fahren. Sie führt einen Schlafwagen mit sich, in dem sich
zugleich Reservestücke und das nöthige Handwerkszeug zu kleinen Reparaturen etc.
befindet. Ferner ist ein Satz Kuppelungen beigegeben, womit 6–8 Wagen, je
nach ihrer Ladungsfähigkeit, ausgerüstet werden. Dieß kann von den 4 Mann in wenigen
Stunden bewerkstelligt werden und der Zug steht zur Abfahrt bereit.
Nicht minder werden sich die Straßen-Locomotiven im Kriege zur Entlastung der
Eisenbahnen von einem Theil des Gütertransportes verwenden lassen, besonders
derjenigen Linien auf die sich Alles zusammendrängt. Doch das sey den militärischen
Fachleuten und der Zukunft überlassen. Wir wünschen nur, daß die
Straßen-Locomotive recht bald ihren richtigen Platz ungestört in den
friedlichen Zwecken der Industrie einnehmen möge.
Prenzlau, im März 1873.