Titel: | Theoretische Betrachtungen über lenkbare Luftballons; von Prof. Dr. H. Helmholtz. |
Fundstelle: | Band 207, Jahrgang 1873, Nr. CXXVIII., S. 466 |
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CXXVIII.
Theoretische Betrachtungen über lenkbare
Luftballons; von Prof. Dr. H. Helmholtz.
Aus den Verhandlungen des Vereines zur Beförderung
des Gewerbfleißes in Preußen, 1872 S. 289.
Helmholtz, theoretische Betrachtungen über lenkbare
Luftballons.
Obgleich wir die Bewegungsgesetze von tropfbaren und gasartigen Flüssigkeiten in Form
von Differentialgleichungen ausdrücken können, sind wir doch nicht im Stande, diese
Gleichungen so weit zu integriren, daß wir daraus den Widerstand berechnen könnten,
welchen Luft oder Wasser einem sich durch sie hinbewegenden Körper von complicirter
Gestalt entgegensetzen.
Die Frage nach der Größe dieses Widerstandes kommt aber sehr wesentlich in Betracht,
wenn es sich darum handelt, sey es ein Schiff, sey es einen Ballon zu construiren,
welche durch Vermittelung irgend welcher Bewegungsapparate fortbewegt werden sollen. In
solchen Fällen gibt der Widerstand der Luft gegen die Ruder, Schaufeln, Schrauben
oder andere Bewegungsorgane, welche man anwendet, die forttreibende Kraft, derselbe
Widerstand gegen den Körper des Schiffes oder des Ballons die widerstehende Kraft.
Von dem Verhältnisse beider Kräfte zu einander wird schließlich die Geschwindigkeit
der Fortbewegung abhängen, die man erreichen kann.
Für eine Classe dieser Apparate, nämlich für die Schiffe, liegt aber eine große Menge
empirischer Erfahrungen vor, und zwar bei sehr mannichfach abgeänderten
Constructionsformen gewonnen. Wir wissen, wie viel Arbeit wir verwenden müssen, um
durch Ruder, Schaufelräder oder Schrauben einem Boot oder Schiff eine gewünschte
Geschwindigkeit zu ertheilen. Auch läßt sich annehmen, daß nahezu die
vortheilhaftesten Formen sowohl für den Schiffskörper selbst, als für die Größe und
Form der genannten Bewegungsorgane schon gefunden sind. Für die Luft liegen uns nur
die Vögel als Beispiele solcher Fortbewegungsmaschinen bis jetzt vor, außer den
wenigen, bisher noch nicht zu erheblichen Leistungen gediehenen Versuchen mit
Ballons.
Ich will hier zu zeigen versuchen, wie sich mittelst eines passenden Gebrauches der
hydrodynamischen Gleichungen die an Schiffen gemachten Erfahrungen auf die
entsprechende Aufgabe für die Luft übertragen lassen.
Die hydrodynamischen Gleichungen, wie sie schon längst von Euler aufgestellt, später von Navier, Poisson
und Stokes mit Berücksichtigung der Reibung der
Flüssigkeiten modificirt worden sind, haben allerdings bisher noch wenig technisch
verwerthbare Resultate gegeben, da Integrale denselben sich nur für wenige der
einfachsten Fälle der Bewegung geben lassen. Ja sie scheinen sogar für eine Reihe
von Fällen falsche Resultate zu geben, nämlich für alle solche Fälle, wo die
Strömung der Flüssigkeit um eine scharfe Ecke oder Kante biegt. Ich habe in einer
früheren ArbeitMonatsberichte der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, vom 23.
April 1868. nachgewiesen, daß die Abweichungen zwischen den berechneten und beobachteten
Resultaten in diesen Fällen darauf beruhten, daß man in der theoretischen Behandlung
der genannten Gleichungen bis dahin den Umstand nicht berücksichtigt hatte, daß der
Druck im Inneren einer Flüssigkeit nicht negativ werden darf. Das wird er aber nach
der Aussage der Gleichungen überall da, wo die Geschwindigkeit der Flüssigkeit sehr
groß wird. Bei continuirlicher Flüssigkeitsbewegung um eine scharfe Ecke herum würde
aber an dieser die Geschwindigkeit positiv unendlich, der Druck negativ unendlich. Daraus
folgt, daß um eine scharfe Ecke herum die Bewegung einer tropfbaren oder gasartigen
Flüssigkeit nicht continuirlich seyn kann, sondern daß sich von einer solchen Kante
aus eine Fläche, von mir Trennungsfläche genannt,
ausbildet, welche, sey es ruhende und bewegte Flüssigkeit, seyen es
Flüssigkeitsschichten, deren tangentielle Geschwindigkeiten endliche Differenzen
haben, von einander scheidet. Berücksichtigt man diesen Umstand, so finden sich in
der That in denjenigen Fällen, wo die Integration der hydrodynamischen Gleichungen
gelingt,Man s. auch: Kirchhoff, zur Theorie seiner
Flüssigkeitsstrahlen, in Borchardt's Journal für
Mathematik, Bd. LXX. Bewegungsformen der Flüssigkeiten, die mit den wirklich beobachteten in
guter Uebereinstimmung sind. Erst aus diesen Untersuchungen ergibt sich dann auch
der wahre Grund desjenigen Theiles des Widerstandes eines in Flüssigkeit bewegten
Körpers, welcher proportional dem Quadrate der Geschwindigkeit wächst.
Ich bemerke noch, daß die erwähnten Trennungsflächen eine Art labilen Gleichgewichtes
besitzen und das Bestreben haben, sich in Wirbel aufzurollen. Durch die Existenz
solcher Wirbel wird die von mir beschriebene discontinuirliche Art der
Flüssigkeitsbewegungen am leichtesten und häufigsten sichtbar.
Ich bemerke aber weiter noch, daß allerdings zwischen tropfbaren und gasartigen
Flüssigkeiten der Unterschied besteht, daß jene unter Einwirkung von Druck ihr
Volumen sehr merklich verändern. Da wir es aber bei der vorliegenden Frage nur mit
dem offenen Luftmeere zu thun haben, und die Luft nach allen Seiten hin frei
entweichen kann, ferner, wie sich zeigen wird, die vortheilhaftesten Resultate
gerade mit den geringeren Geschwindigkeiten der Flügel oder Schrauben zu gewinnen
sind, so kommen nur diejenigen Druckunterschiede in Betracht, welche durch die
Beschleunigungen der bewegten Lufttheile bedingt sind, und diese so wie die von
ihnen abhängige Volumenänderung der Luft sind zu vernachlässigen, so lange die
erzeugten Geschwindigkeiten im Vergleich mit der Schallgeschwindigkeit zu
vernachlässigen sind. Das wird bei den Bewegungen, auf die sich unsere Betrachtungen
beziehen, immer vorauszusetzen seyn, und wir dürfen uns deßhalb erlauben, die
Dichtigkeitsveränderungen der Luft zu vernachlässigen und dieselbe wie ein
uncompressables Fluidum zu behandeln.
Ich bezeichne im Folgenden mit u, v, w die Componenten
der Geschwindigkeit der Flüssigkeit, genommen nach den Richtungen der
rechtwinkeligen Coordinatachsen für den Punkt x, y, z
und die Zeit t, mit
p den Druck und mit ε
die Dichtigkeit des Fluidum an demselben Punkte und zur selben Zeit. Ferner sey k die Reibungsconstante. Dann sind die Gleichungen der
Bewegung eines incompressablen Fluidum
Textabbildung Bd. 207, S. 468
so wie die beiden anderen, die aus 1a. entstehen, wenn man entweder u mit v und x mit y, oder u mit w und x mit z vertauscht.
Dazu kommen dann die Grenzbedingungen für die Oberfläche des eingetauchten Körpers
und der sonst noch etwa vorhandenen festen Wände. In den meisten Fällen können wir
die Theilchen einer reibenden Flüssigkeit als an den genannten festen Oberflächen
festhaftend betrachten; d.h. analytisch ausgedrückt, die Werthe von u, v, w an der Grenzschicht der Flüssigkeit sind gleich
denen, die für die oberflächlichen Theile des festen Körpers gelten.
Wenn wir nun für irgend eine Art der Bewegung einer Flüssigkeit theoretisch oder
experimentell die Werthe von u, v, w gefunden haben,
welche den genannten Bedingungen genügen, und wir gehen zu einer anderen Flüssigkeit
über, deren Reibungscoefficient K, deren Dichtigkeit E ist, und bezeichnen die Coordinaten ihrer Punkte mit
X, Y, Z, die Zeit mit T,
die Geschwindigkeitscomponenten ihrer Theile mit U, V,
W, den Druck mit P, und setzen dann
K = qk . . . . . . . . . 2.
E =
rε . . . . . . . . . . 2a.
U = nu
X = q/n x
V = n
v
Y = q/n y
W = nw
Z = q/n z
P = n²r
T = q/n² t
wovon q, r und n constante Factoren sind, so erfüllen die mit großen
Buchstaben bezeichneten Größen ihrerseits ebenfalls das System der oben
aufgestellten Bedingungen, wie man leicht sieht, wenn man dieselben statt der mit
kleinen Buchstaben bezeichneten Größen in die obigen Gleichungen setzt. Es findet sich dann jedes
Glied jeder der Gleichungen mit demselben constanten Factor multiplicirt, nämlich
jedes von Gleichung 1 mit n²/q, jedes von 1 a mit n³/q. Indem man diese
Factoren forthebt, findet man die Gleichungen 1. und 1 a. wieder. Von den drei Constanten sind q und r durch die Natur der beiden Flüssigkeiten nach den
Gleichungen 2. und 2 a. gegeben, n aber ist willkürlich. Die linearen Dimensionen der zweiten Flüssigkeit
werden also im Verhältniß q/n vergrößert seyn; die der sie begrenzenden Wände und der in sie
eingetauchten festen Körper müssen in demselben Verhältniß vergrößert gedacht
werden, um die Grenzbedingungen zu erfüllen.
Da die Oberflächen wachsen wie q²/n³, und der Druck wie n² r, so wächst der Gesammtdruck auf
entsprechende Flächen wie g² r. Der Gesammtdruck multiplicirt mit der Geschwindigkeit
der Fläche, die auf das n fache gesteigert ist, gibt das
Verhältniß der Arbeit, die in gleicher Zeit aufgewendet werden muß, um den
veränderten Apparat zu bewegen, dieses ist q²nr.